Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. März 2022

Was ist der Mensch?

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das tägliche Leben und die öffentliche Tätigkeit der Bürger ist bestimmt von der Auffassung, die ein jeder vom Menschen hat. Man verhält sich so, wie das Bild, das man vom Menschen hat, es gebietet oder zulässt. Das maßgebliche Urteil über den Menschen aber hat nur einer: der Schöpfer. Wir wollen fragen, wie Gott den Menschen sieht, als was er ihn bestimmt. Die Antwort lautet: Der Mensch ist ein Bote Gottes, ein Knecht oder eine Magd Gottes und ein Pilger Gottes.

I. Der Mensch ein Bote Gottes

Die Worte Bote, Botschaft, ausgesendet werden, sich senden lassen werden in der Heiligen Schrift häufig gebraucht. Alle Geschöpfe werden als Boten Gottes bezeichnet. Im Buch des Propheten Baruch heißt es: „Gott sendet den Blitz, und er enteilt. Er ruft ihn, und jener gehorcht ihm mit Zittern. Froh leuchten die Sterne auf ihren Warten. Er ruft sie, und sie sprechen: Hier sind wir. Sie leuchten mit Freude für den, der sie schuf.“ Der Blitz, das Licht, die Sterne: Sie sind Wesen, denen von Gott die Bewegung eingesenkt ist. Sie laufen gehorsam zitternd ihren Weg. Ähnlich sind alle Geschöpfe ausgesandt. Selbst der Gründer des Neuen Bundes heißt beim Propheten Malachias „der Bote des Bundes, nach dem ihr verlangt“. Die ersten Jünger Jesu werden von ihm Apostel genannt, d.h. Gesandte, Abgesandte. Auch die ersten Geschöpfe, die Gott geschaffen hat, heißen Engel, d.h. Gesandte, Gottesboten.

Warum sind sie gesandt? Was sagen sie aus, was verkünden sie? Alle Geschöpfe vermelden etwas von der Herrlichkeit Gottes. Ein Strahl göttlichen Lichtes ist ihnen anvertraut, ihn tragen sie durch Raum und Zeit. Sie sollen erzählen, dass ein Gott existiert, dass er Licht und Leben ist, dass er sie geschaffen hat. Sie sollen Boten sein und andere einladen, zu Gott zu kommen: Kommt, lasset uns anbeten! Das ist der einmütige Chor aller Geschöpfe. Dieses Losungswort läuft durch die gesamte Schöpfung, wie es im Psalm 18 anschaulich geschildert wird: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes. Vom Werk seiner Hände kündet das Himmelsgewölbe. Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht bringt der andern die Botschaft.“ Sie alle sagen, dass Gott groß ist, dass er gut ist, dass er Licht ist.

Auch der Mensch ist ein solcher Bote. Es ist ausgesandt zu sagen, dass er von Gott kommt, dass Gott ihn gesandt hat, eine Botschaft auszurichten. Er soll sagen, dass Gott Licht ist und nicht Finsternis; dass er Schöpfer und Erlöser ist. Er soll sagen, dass Gott der Herr Himmels und der Erde ist; dass der Mensch ihm unterworfen ist; dass er ihm gehorchen soll; dass er ihn anbeten und ihm dienen soll. Er soll sagen, dass Gott gut ist und barmherzig, dass er den Menschen liebt und ihn an sich ziehen will. Dass er aber auch das Böse verabscheut und gerechter Richter ist über alle Taten und Versäumnisse des Menschen. Der Mensch, der die Botschaft Gottes richtig, vernehmlich, anziehend ausrichtet, ist der schöne Mensch. Wo die Schönheit des Menschen zu einer frei gewollten, zu einer sittlichen geworden ist, in einem guten, einem vollkommenen, einem heiligen Menschen ist etwas so Entzückendes, dass die Welt, auch die ungläubige Welt, diesem Heiligen nachfolgt, dem einzigen, dessen Andenken in Segen steht, auch noch Jahrhunderte nach seinem Tode. Ein paar Menschen hat es gegeben, von denen wir wissen, dass wir ihnen gern begegnen würden: Franz von Assisi, Elisabeth von Thüringen, Hedwig von Schlesien, Vinzenz von Paul, Mutter Teresa. Das sind Menschen, denen unsere Herzen entgegenschlagen, die auf den Gipfel gestiegen sind, weil es ihnen gelungen ist, das, was Gott ihnen anvertraut hat, richtig auszudrücken. Umgekehrt ist es, wenn der Mensch in seinem Leben und Wirken das nicht aussagt, was Gott in ihn gelegt hat. Da ist die Unordnung unabsehbar. Dann gibt es nichts Abscheulicheres als den Menschen, nichts, was größeres Leid und Unglück über die Welt bringen kann als der Mensch. Da kann es geschehen, dass Menschen an Gott irre werden. Da kann es sein, dass man es als schwerstes aller Dogmen empfindet: Gott hat alles zu seiner Ehre geschaffen – auch den Menschen? Ist auch er zur Ehre Gottes geworden? Hat sich Gott Ehre eingelegt mit dem Geschöpf Mensch?

Da sehen wir die große Verantwortung, die über unserem Leben liegt: dass wir wahre Boten Gottes seien. Ein jeder muss sich fragen: Was sehen die Menschen, wenn ich ihnen begegne? Werden sie den Vater preisen, der im Himmel ist? Werden sie bei meinem Anblick wissen, dass Gott Licht ist, dass Gott schön ist, dass Gott liebenswürdig ist? Was sagen die Menschen, wenn sie mich sehen? Wer von uns kann mit dem Apostel Paulus sprechen: „Mit Christus bin ich gekreuzigt worden. Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20)? Werden sie durch mich zu Gott geführt? Sagen sie: Ich möchte den Gott kennenlernen, den dieser Mensch bekennt? Oder geschieht das Gegenteil: Werden die Menschen durch mich irre an Gott? Sagen sie: Ich möchte nichts zu tun haben mit dem Gott, zu dem dieser Mensch betet? Das wäre furchtbar.

II. Der Mensch: ein Knecht, eine Magd Gottes

Gott ist der Herr und der Herrscher. Er nimmt jedes Geschöpf in seinen Dienst und gibt ihm ein bestimmtes Werk zu tun. So kann es sein, dass Gott uns zu etwas geschaffen hat, was uns langweilig erscheint, zu einem jahrzehntelangen Mühen und Tragen. Es kann sein, dass er uns für ein sehr kurzes Werk geschaffen hat. Er kann den Menschen schaffen bloß um eines Kreuzes willen, das er tragen soll, um eines Leides willen. Vielleicht wollte Gott aus einem von uns ein leidgereiftes Wesen machen. Vielleicht hat er uns nur für die Sterbestunde geschaffen, dass wir in unserem Tod das leisten, wofür wir da sind. Der Mensch Jesus Christus war vor allem um seines Sterbens willen geschaffen.

Wie erkennen wir, was Gott uns aufgetragen hat? Wir erkennen es, indem wir in uns und um uns schauen und erblicken, was Herkunft und Anlage, Gewohnheit und Sitte, Umstände und Verhältnisse, Beruf und Verantwortung uns zu tun gebieten. Tun wir das, was augenblicklich gerade zu tun ist, dann werden wir unfehlbar das tun, was Gott uns zugedacht hat. Immer das tun, was gerade getan werden kann, was getan werden muss. Etwa im Frühling: säen und pflanzen, jäten und düngen, hacken und graben. In der Zeit der Dürftigkeit und Not: das mit anderen teilen, was wir besitzen. Der Apostel Paulus gibt den Rat: Sich freuen mit den Fröhlichen, weinen mit den Weinenden. Die Kirche empfiehlt die Werke der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit. Traurige trösten, Verzagte aufrichten. Immer das tun, was die Notwendigkeit von uns verlangt. Nichts verschieben auf später, denn wir wissen nicht, ob es für uns ein Später geben wird. Nicht warten auf bessere, gelegenere Zeiten, die vielleicht niemals kommen.

Wir haben viele Mittel, um den Willen Gottes zu erkennen. Die Natur, die Naturgesetze sind Äußerungen Gottes, die sich in unserem Leib, in unserer Seele, in unseren Anlagen und Neigungen zeigen. Ein schmächtiges Männchen eignet sich nicht für den Beruf eines Möbelpackers. Dann ergibt sich der Wille Gottes aus den Verhältnissen, in die wir hineingeboren wurden. Ich hatte einen Schulkameraden, dessen Vater Landwirt war. Er hatte keinen anderen Wunsch, als Bauer zu werden. Nach der Vertreibung aus der Heimat erwarb er einen Bauernhof in einer öden Gegend der Eifel und war glücklich. Dass ein Handwerksmeister den Wunsch hat, eines seiner Kinder möge ihm in seinem Beruf folgen, ist berechtigt und verständlich. Ich kenne einen Herrn, der diesem Wunsch seines Vaters gefolgt ist, aber seinen Unwillen über diesen Entschluss sein ganzes Leben über mit Bitterkeit bewahrt hat. Er träumt noch in hohem Alter von dem Beruf des Arztes, den er angeblich verpasst hat. Wir haben heute in mehreren Studienfächern unserer Universitäten ein Überangebot an Studenten. Sie können nach Vollendung ihres Studiums nicht alle untergebracht werden. Es gibt an den Universitäten eine große Zahl studierunfähiger Studenten. Viele bringen es gar nicht zum Abschluss. 25 Prozent der Studierenden belasten die Universitäten und den Staatshaushalt, ohne je ein Examen abzulegen. Schauen Sie einmal auf unsere Politiker, wie viele Studienabbrecher unter ihnen sind. Waren sie unfähig oder unwillig, ihre Anlagen und ihre Kraft richtig zu beurteilen?

Schauen wir die Menschen an, mit denen wir zusammen sind; in ihnen steckt der Auftrag Gottes. Sie schauen auf uns, sie brauchen uns. Für jeden von ihnen hat uns Gott eine Aufgabe gegeben: ihn zu tragen und zu trösten, zu mahnen und zu warnen, zu bilden und zu erziehen. Schließlich haben wir die Gebote Gottes. Da können wir immer sehen, was Gott von uns haben will. Die Gebote sind Richtschnur und enthalten Maßstäbe. Was Gott verbietet, ist für uns unerreichbar. Niemand sollte versuchen, das Verbotene auf krummen Wegen zu erlangen. Aber das Schummeln fängt schon beim Abitur an. Es setzt sich fort bei der Doktorarbeit. Denken Sie an die vielen Plagiatsfälle von Politikern! Sie geben sich als Urheber einer Dissertation aus, die sie in Wahrheit aus fremdem geistigen Eigentum erstellt haben.

Doch unlautere Praktiken sind nicht vonnöten, um die Stelle einzunehmen, die Gott für uns vorgesehen hat. Denn es ist ein wunderbarer Gedanke: Wir alle haben etwas Brauchbares an uns, wir sind nicht unbrauchbar. Es gibt keine unbrauchbaren Menschen, denn ein jeder hat einen Auftrag von Gott, für den er da ist. Also ist er für etwas anstellig, für etwas, das sogar für Gott Wert hat, was Gott für wertvoll hält, wofür er sogar diesen Menschen geschaffen hat. Das ist ein wahrhaft gesundmachender Gedanke. In dem, was Gott uns aufgetragen hat, gibt es keine Minderwertigkeit. Das kann jeder, selbst der Mensch, dem niemand etwas zutraut. Eine Brauchbarkeit haben wir alle, und darum auch eine Verantwortung. Wir sollen in Freiheit das schaffen, was Gott uns zugedacht hat. Es ist uns überlassen, ob wir es schaffen oder nicht, ob wir es ausführen oder versäumen. Eine Verantwortung liegt über uns. Darum auch eine Belastung. Es ist unter Umständen nicht leicht, Gott als Knecht oder Magd zu dienen. Gott ist ein ernster Herr. Das Leben hat eine ernste Bedeutung. Eine Erwartung ist über jedem Menschen, ob er das aufgetragene Werk schaffen wird oder nicht. Angefangen von Gott im Himmel durch alle Chöre der Engel und die Scharen der Heiligen bis zu den Dämonen der Hölle ist alles gespannt. Was wird der Mensch tun? Was wird aus ihm werden? Licht oder Finsternis? Leben oder Tod? Schönheit oder Schmutz? Seligkeit oder Unheil für zahllose andere? Der Mensch, das ist der Knecht, die Magd Gottes, die Gott für ein Werk bestimmt hat.

Das Leben ist ein Pilgerweg. Der Pilger ist ein Christ, der eine Wallfahrt nach einer religiösen Gedenkstätte oder einem Gnadenort macht. Die Motive der Sühne, der Buße, der Devotion und der Hoffnung auf Hilfe führen gläubige Menschen an die Ziele der Wallfahrt. Das Pilgern ist dem Menschen im ganzen Leben, nicht bloß für eine gelegentliche Pilgerfahrt aufgetragen. Das Leben ist ein Pilgerweg. Wohin wollen wir denn? Wohin rufen die Geschöpfe, und warum eilen sie so? Weil sie zu Gott müssen, und Gott ist weit, weit. Ein langer Pilgerweg ist unser Leben, zu Gott, zum Licht, zur Heimat. Das Leben ist ein Weg, nicht das Ziel; ein Durchgang, nicht der Bestimmungsort, etwas Unfertiges, ein mühseliger Heimweg. Ein Pilgerweg ist unser Leben. Daraus folgt, dass wir gehen müssen und nicht stille stehen dürfen, dass wir nicht erstarren und nicht aufgeben dürfen. Die Unrast ist uns angeboren. Sie darf nicht zum Stillstand kommen. Es darf nicht geschehen, dass ein Mensch sagt: Ich mag nicht mehr, jetzt bleibe ich sitzen und liegen, ich gehe nicht mehr weiter. Solange der Pilger nicht am Heiligtum angekommen ist, muss er gehen und gehen, wenn seine Wallfahrt nicht sinnlos sein soll. Unser Leben ist ein Pilgerweg, ermüdend, aber ein Pilgerweg. Nicht der Weg eines verworfenen Volkes, das nach Babylon geschleppt wird. Nicht der Weg von Verbannten, die nach Sibirien geschafft werden. Sondern der Weg von Pilgern, die zu Gott gehen. Darum gehen wir diesen Weg geduldig, betend und dankbar. Im Psalm heißt es: „Ich habe mich gefreut, nur gefreut habe ich mich, da man mir sagte: Wir gehen zum Heiligtum des Herrn.“ Es ist ein Weg zu Gott.

Amen.

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