Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
7. November 2021

Die Gemeinschaft mit den Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es empfiehlt sich, im Bereich der Religion die richtigen Begriffe zu verwenden, um Verwirrung zu vermeiden. Wir Gläubigen verehren Gott und die Heiligen. Aber beide Arten der Verehrung sind wesentlich verschieden. Die Verehrung Gottes ist Anbetung. Anbetung ist jener religiöse Kultakt, durch den der Mensch Gottes Oberherrlichkeit und die eigene vollständige Abhängigkeit von ihm anerkennt. Er ist Gott allein geschuldet. Verehrung ist die irdischen Personen erwiesene Hochschätzung und Huldigung. Sie wird den Heiligen des Himmels dargebracht. Wenn man das Wort sowohl für die Anbetung Gottes als auch für die den Heiligen erwiesene Wertschätzung verwendet, ist darauf zu achten, dass es sich dabei um wesentlich verschiedene Arten der Anerkennung handelt. Die Gott dargebrachte Verehrung ist eine absolute; sie geht auf die unendliche Vollkommenheit Gottes. Die den Heiligen erwiesene Verehrung ist eine relative; sie hat die ihnen von Gott verliehenen endlichen Vorzüge zum Gegenstand. Wir verehren die Heiligen wahrhaft und an sich, aber wegen der Tüchtigkeiten, die Gott ihnen geschenkt hat. Deshalb fällt die ihnen erwiesene Verehrung zuletzt auf Gott, der allein sie verehrungswürdig gemacht hat mit seinen übernatürlichen Gnadengaben. Der Vorwurf der Heiligenanbetung ist nicht nur hinfällig, sondern geradezu töricht. Die Verehrung der Heiligen ist nicht nur erlaubt, sondern theologisch wohlbegründet, empfehlenswert, fromm und heilsam. Die Gläubigen auf Erden und die Seligen im Himmel sind miteinander verbunden. Die Beziehung der streitenden Kirche im Diesseits und der triumphierenden Kirche im Jenseits lässt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: Die Gläubigen auf Erde verehren die Heiligen und rufen sie an, die Heiligen im Himmel bitten für sie. Die Anrufung der Heiligen ergibt sich unmittelbar aus ihrer Verbindung mit Gott und ihrem Interesse für die Ausbreitung der Gottesherrschaft auf Erden. Die mit Christus herrschenden Heiligen bringen die Gebete der Gläubigen Gott dar. Es ist gut und nützlich, sie um ihre Fürbitte anzurufen. So nimmt das Konzil von Trient die Heiligenverehrung gegen die Glaubensneuerer in Schutz. Es erklärt, dass diejenigen „gottlos denken“, welche die Verehrung der Heiligen ablehnen und für töricht halten. Wir dürfen zu den Heiligen beten. Gott offenbart ihnen unsere Anrufung. So sind sie in der Lage, uns zu unterstützen. Kraft ihrer Fürbitte und Verdienste erreichen unsere Gebete ihre Wirkung. Im Martyrium des Polykarp heißt es: „Christus beten wir an, weil er der Sohn Gottes ist. Den Martyrern erweisen wir als Schülern und Nachahmern des Herrn die gebührende Liebe wegen ihrer unübertrefflichen Verehrung gegen ihren König.“ Es ist nicht zu verwerfen, wenn Gläubige zu bestimmten Heiligen eine besondere Verehrung üben, weil sie zu ihnen ein vermehrtes Zutrauen haben. Man darf annehmen, dass die Heiligen für solche Personen oder Gegenstände ein besonderes Interesse haben, worin sie selbst auf Erden ihre Prüfung bestanden oder worin sie sich ausgezeichnet haben. Nicht umsonst hat die Kirche Patrone für ganze Stände, Berufsgruppen und Umstände ausgewiesen. Sankt Georg ist der Schutzherr der Soldaten und Bauern. Der gelehrte Franz von Sales ist der Patron der Schriftsteller. Sankt Anna sind die Frauen und Mütter in besonderer Weise anempfohlen. Elisabeth von Thüringen ist die Schirmherrin aller Liebeswerke. In der Schar der Heiligen finden wir die Vorbilder für jeden Stand, jedes Alter, jedes Geschlecht, für alle Zustände der Seele: für Unschuldige und Büßer. In der katholischen Kirche ist es üblich, dass Menschen, die zur Taufe kommen, der Name eines christlichen Heiligen gegeben wird. Er soll dem Täufling zumVorbild und zum Schutzherrn dienen. Die Begrenztheit der Seelenkräfte des Menschen lässt wie auf intellektuellem so auch auf sittlichem Gebiet nicht alle Kräfte in gleicher Weise sich entwickeln. So erklärt es sich, dass wir bei den verschiedenen Heiligen verschiedene Tugenden in heroischem Maße ausgebildet finden. Der eine zeichnet sich aus durch tiefes Versenktsein in der Betrachtung der Hoheit und Schönheit Gottes, ein anderer durch werktätige Liebe im Dienste der notleidenden Menschheit, wieder ein anderer in Übung der Demut, im Gehorsam oder in der Entäußerung von irdischem Besitz.

 Die Heiligen des Himmels leben drüben bei Gott in der Ewigkeit, in der Seligkeit und Liebe ihres Gottes, in der Vollendung ihres Lebens. Wir sehen sie als die ganz nahen und mit uns eng verbundenen Menschen, die unsere besten Freunde und stärksten Helfer sind. Und das ist merkwürdig. Sind die Verklärten des ewigen Lebens denn nicht hinübergegangen durch das dunkle Tor des Todes in das unerforschliche und weit entfernte Land des Jenseits? Wo alles ganz anders ist, wo Raum und Zeit ihre Bedeutung verloren haben, wo unsere Sinne und unsere Vorstellungskraft nichts mehr zu sagen wissen. Ja, im Allgemeinen ist es so, die Gestorbenen sind für uns auch die Fernen und Ferngerückten, und wenn sie auch in diesem Leben groß waren und mächtig, so sind doch ihre Namen nach ihrem Tode zu blassen Erinnerungen geworden. Was bedeutet uns Alexander der Große persönlich oder Napoleon oder einer der vielen, deren Grabplatten mit pompösen Inschriften in unseren Museen liegen! Aber mit den Heiligen, den Menschen, die von Gott zu Gott gegangen sind, von einem gotterfüllten Erdenleben zu einem gottseligen Himmelsleben, mit denen ist es anders. Von ihnen wissen wir, dass sie „Liebhaber ihrer Brüder sind und viel beten für das Volk und die ganze heilige Stadt“ und auch für die unheiligen Städte dieser Erde. Sie sind uns näher als selbst lebende Menschen, so dass wir mit ihnen reden über Dinge, die wir keinem Lebenden anvertrauen möchten, so dass wir ihnen Leid und Freud in die Hände legen, die wir vielleicht den nächsten Verwandten verheimlichen möchten. Eine kleine frühverstorbene Klosterfrau, Theresia Martin, ist erst nach ihrem Heimgang für Millionen eine liebe und gütige Freundin geworden. An einen Franziskanermönch, der schon seit vielen Jahrhunderten tot ist, ergeht täglich ein millionenfacher Ruf: Heiliger Antonius, bitte für uns. Eine Frau, die auf dem Höhepunkt ihres Lebens auf einer Hinrichtungsstätte stand, neben dem Kreuz ihres Sohnes, diese Frau ist nicht nur die Hochgebenedeite aller Frauen und das hinreißende Vorbild aller fraulichen Schönheit und aller mütterlichen Liebe geworden, nein, noch viel mehr: sie ist unsere Mutter geworden. Mutter aller Jünger Jesu, Mutter der Christenheit. Und in diesem Augenblick, da wir von ihr reden, steigt zahllose Male das Grußwort zu ihr hinauf: Ave Maria! In jedem Augenblick wird ihr der Name „Mutter“ mit einer Inbrunst, mit einem Vertrauen, mit einer Kraft zugeflüstert, wie ihn sonst keine Mutter auf Erden je zu hören bekommt. „Es ist noch nie gehört worden, dass jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen, um deine Fürsprache gefleht, von dir sei verlassen worden.“ Der heilige Bernhard wendet sich mit folgendem Gebet an die Heiligen: „Ihr kennt unsere Gefahr, ihr kennt unsere Armseligkeit, ihr kennt unsere Unwissenheit und die List unserer Widersacher. Zu euch spreche ich, die ihr dieselben Versuchungen hattet, die ihr in denselben Kämpfen gesiegt habt, die ihr denselben Schlingen entronnen seid.“

Was ist das? Da ist also endlich das Wunder der Gemeinschaft geschehen, das wir so heiß und sehnsuchtsvoll suchen und das wir so selten finden. Da haben wir endlich Menschen, zu denen wir wirklich aufsehen, die wir bewundern, die wir verehren, und zwar neidlos. Sie sind größer und herrlicher als wir, und wir gönnen ihnen alles, was sie besitzen, und wir vertrauen ihnen und rufen zu ihnen um Hilfe, um ihr Gebet, um ihren Beistand und ihre Führung. Aber wir rufen nicht mit lauten Forderungen, als ob wir ein Recht hätten, sondern gar bescheiden und fast schüchtern. Und wenn unsere Bitten nicht wortwörtlich erhört werden, sind wir nicht böse geworden, nicht missvergnügt oder verdrossen, sondern sagten vertrauensvoll: Du mein Heiliger weißt schon, was mir gut tut. Wir wollen diese Menschen auch nicht mit Beschlag belegen für uns allein, wie wir es sonst mit den Menschen machen, die uns und sonst niemand gehören sollen. Sondern wir wissen, dass die Liebe der Gottesmutter und aller Heiligen wie ein weiter Mantel ist, der die ganze Christenheit bedeckt. Wir wissen das und sind einverstanden. Das ist Gemeinschaft. Sie besteht auch auf Seiten der Heiligen. Denn sie sind für uns tätig vom Throne Gottes aus, sind voll Wohlwollen und voll Selbstlosigkeit für uns besorgt, sind Freunde, die uns nicht ausnützen wollen; denn worin könnten wir ihnen auch nützen? Wir sind für sie ganz nutzlose Geschöpfe, und doch lieben sie uns, lieben uns mehr und ganz anders als alle die Menschen, die uns nur brauchen und verbrauchen wollen. Es gibt also doch dieses Wunder der Gemeinschaft, die Gemeinschaft der Heiligen, das Zusammensein der Heiligen untereinander und mit uns, die Gemeinsamkeit und Ewigkeit, die Verbundenheit und Freundschaft.

Gemeinschaft ist aber doch etwas so Seltenes in unseren Häusern, in unseren Ehen und Familien, in unserem Volk. Und nun mit Menschen, die unsere körperlichen Augen niemals sahen, ist sie auf einmal da. Wie kommt das? Vielleicht, weil der Tod sich zwischen sie und uns gestellt hat? Müssen wir wirklich auf den Tod eines Menschen warten, um in ganz selbstlose und liebreiche Beziehungen zu ihm treten zu können? Nein, nicht weil die Heiligen im Jenseits sind, sondern weil sie in Gott sind, darum ist eine Gemeinschaft mit ihnen möglich. Weil wir sie in Gott treffen, darum sind wir wahrhaft geschwisterlich zu ihnen eingestellt. Das ist die Lehre, die uns die Heiligen zuteil werden lassen: Unter allen Menschen, die in Gott sind, die also auch gut und selbstlos sind, ist eine wahre Gemeinschaft möglich. Also auch unter Ehegatten, unter Eltern und Kindern, unter Geschwistern, ja unter allen Volksgenossen könnte eine Gemeinschaft sein, wenn sie alle zueinander sprechen und voneinander denken wollten, wie wir von den Heiligen denken und sprechen: neidlos und ehrfurchtsvoll, warm und wohlwollend; wenn sie so zueinander sein wollten, wie die Heiligen zu uns sind: hilfreich, gütig, verstehend und schonend, nachsichtig und verzeihend. Ja, wenn… Wir wollen aber nicht trauern, bis dieses Wenn in Erfüllung geht – das wird noch lange dauern – wir wollen uns heute nur freuen, dass es doch schon solche Menschen gibt, die ganz gut sind zu uns und denen auch wir schon ganz gut sind. Es gibt doch schon einen Kuppelbau menschlicher Gemeinschaft, der auf der Erde steht und bis in den Himmel hineinragt, und die darin wohnen, sind eins geworden, ein Herz und eine Seele. „Selig, die in diesem Hause wohnen, o Herr, es ist dein Haus, und in Ewigkeit werden sie dir danksagen“ (Ps 83,5).

Amen.

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