Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Dezember 2020

Der Apostel und Evangelist Johannes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Johannes war der Sohn des galiläischen Fischers Zebedäus und der Salome. Er war der jüngere Bruder des Jakobus des Älteren. Sie waren Berufsgenossen des Simon und des Andreas (Lk 5,10; Joh 21,2). Johannes und Andreas waren ursprünglich Jünger des Täufers. Johannes schloss sich früh Jesus an und begleitete ihn zeitweilig (Joh 1,37ff.). Er wurde zur ständigen Nachfolge des Herrn berufen. Den Titel des „Apostels“ erhält Johannes aufgrund der Gleichsetzung der von Jesus berufenen Zwölf mit den Aposteln bei Lk 6,13. Johannes war der Lieblingsjünger Jesu. Er war sein Vertrauter (Joh 13,23ff.). Beim Letzten Abendmahl ruhte er an der Brust des Herrn. Die beiden Zebedaiden genießen mit Simon Petrus eine Vorzugsstellung: bei der Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,37), der Verklärung (Mk 9,2), in Gethsemani (Mk 14,33) durften sie dem Herrn nahe sein. Johannes war beim Herrn bei dessen Leiden und Sterben. Simon Petrus und ein anderer Jünger folgten dem verhafteten Jesus in den Hof des Hohenpriesters. Jener Jünger war mit dem Hohenpriester bekannt. Da der ungenannte Jünger ein Bekannter des Hohenpriesters ist, kann er ungehindert den Hof betreten und auch seinem Begleiter Zutritt erwirken. Man nimmt an, dass dieser Jünger der Apostel Johannes war. Johannes war also wahrscheinlich im Palast des Annas (Joh 18,15f.), als Jesus dort verhört wurde. Er folgte aller Wahrscheinlichkeit dem Herrn auf dem Weg zur Hinrichtung. Johannes stand unter dem Kreuz (Joh 19,26) als einziger der Jünger Jesu. Glaubwürdig kann er den Austritt von Blut und Wasser aus der geöffneten Seite Jesu bezeugen. Johannes wurde von Jesus vor seinem Tode in ein Sohnesverhältnis zu Maria eingesetzt (19,26f.). Er darf die Worte vernehmen: „Frau, siehe deinen Sohn!“ „Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26f.). Johannes hat dieses Vermächtnis erfüllt. Er nimmt Maria zu sich. Johannes war Zeuge des leeren Grabes (Joh 20,3-8). Als erster der Jünger, noch vor Petrus, erfasst er im leeren Grab die Auferstehung Jesu. Ebenso erkennt er vor Petrus den Auferstandenen am Ufer des Sees.

Johannes war von feurigem Temperament. Er und sein Bruder Jakobus wurden Boanerges = Söhne des Donners genannt. Nach der wahrscheinlichsten Deutung soll der Beiname die beiden Brüder als Aktivisten kennzeichnen, die auch einmal ungestüm aufbrausen können. „Meister“ – erklärte Johannes eines Tages dem Herrn – „wir sahen einen in deinem Namen Dämonen austreiben, der uns nicht nachfolgt, und wir suchten ihn zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.“ Entweder – oder! So radikal versteht Johannes Recht und Pflicht der Jesusnachfolge. Noch charakteristischer ist eine zweite Begebenheit. Jesus betrat mit seinen Jüngern ein samaritanisches Grenzdorf. Seine Bewohner weisen Jesus ab, als sie erfahren, dass er nach Jerusalem reist. Da geraten die beiden Zebedaiden in hellen Zorn: „Herr, willst du, dass wir sagen, es solle Feuer vom Himmel fallen und sie verzehren?“ (Lk 9,52ff.). Auf der Stelle möchten sie die ihrem Meister begegnende Feindseligkeit durch ein Strafgericht Gottes vergolten haben.

Es sollte uns nicht überraschen, dass dieselben Zebedäussöhne eines Tages auch ihre persönlichen Erwartungen sehr konkret an den Mann ihrer Hoffnung zu bringen wissen. Sobald Jesus in Jerusalem die messianische Macht ergreift, möchten sie mitregieren und schon jetzt, also doch ja rechtzeitig, eine bindende Zusage der Erfüllung ihrer Bitte erhalten (Mk 10,30-37). Der Weg zur Herrlichkeit führt aber durch das Leiden; so muss der wahre Messias den noch ganz in ihre jüdisch-natürlichen Heilserwartung befangenen Jüngern erwidern: „Ihr wisst nicht, was ihr verlangt. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?“ Sie antworten: „Wir können es.“ Diese Antwort ist der Donnersöhne würdig. Aus einem Herzen feuriger Liebe und Nachfolgebereitschaft meinen sie versichern zu können, dass sie mit ihrem Meister auch Verfolgung und Leiden zu teilen vermögen (Mk 10,38-40). Auch die temperamentvolle Aktivität der Donnersöhne ist durch den erlösenden Tod und die erlösende Auferweckung des Messias getauft, gereinigt und gewandelt worden. Nun gilt das ganze Sinnen und Mühen des Johannes der Verkündigung des gekreuzigten und zur Herrlichkeit Gottes erhöhten Messias Jesus.

Nach der Himmelfahrt des Herrn wurde Johannes nach Petrus der maßgebende Mann im Kreis der Altapostel. Paulus zählt (Gal 2,9) Johannes zusammen mit Petrus und dem Herrenbruder Jakobus zu den „Angesehenen“ der Jerusalemer Urgemeinde, mit denen er um die Anerkennung seiner Heidenmission ringt, als „Säule“ der Gemeinde geachtet (Gal 2,9) in Jerusalem und Samaria (Apg 8,14). Johannes ist der einzige, der in der Apostelgeschichte aus dem Kreis der Zwölf heraustritt und ausdrücklich mit Petrus auftritt (3,1-11; 4,13-22; 8,14-25). „Ob es recht ist vor Gott, euch mehr zu gehorchen als Gott, das entscheidet selbst, denn wir können unmöglich schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben.“ So antwortet Johannes mit Petrus in allem Freimut auf die Aufforderung des Hohen Rates, nie mehr im Namen Jesu zu reden (Apg 4,19).

Der Ausbruch des jüdisch-römischen Krieges (67 n. Chr.) besiegelt das Schicksal der Kirche Jerusalems und Palästinas. Die Christen beteiligten sich nicht an der Auflehnung der Juden gegen die römische Besatzungsmacht. Sie flohen in die umliegenden Regionen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Johannes nach Kleinasien gegangen und hat in der Metropole Ephesus ein neues Wirkungsfeld gefunden. Sein Aufenthalt in Ephesus ist gesichert und durch keine Hypothese zu erschüttern. Von Ephesus aus leitete er die umliegenden Kirchen. Johannes wurde auch verfolgt. Er befand sich in einer zeitlich begrenzten Verbannung (deportatio oder relegatio, die Schutzhaft) auf der wasserarmen Insel Patmos (34 km²) im Dodekanes (südöstlichen Ägäischen Meer) zur Zeit des Kaiser Domitians (81-96 n. Chr.). Als dessen Akten wegen allzu großer Grausamkeit vom Senat zerrissen wurden, durfte er unter Kaiser Nerva nach Ephesus zurückkehren.

Der auferstandene Herr sagte Petrus den gewaltsamen Tod voraus. Als dieser nach dem Geschick des Johannes fragte, antwortete Jesus: „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was kümmert das dich? Du folge mir nach.“ Dieses Wort Jesu wurde so verstanden oder besser missverstanden, dass jener Jünger Johannes nicht sterben werde. Aber es deutet darauf hin, dass Johannes ein sehr hohes Lebensalter erreichte. Er starb zu Beginn der Regierung Kaiser Trajans (100/101 n. Chr.). Von einem Tod als Martyrer kann keine Rede sein. Das älteste Zeugnis einer Verehrung des Johannes bildet um 200 die Johannes-Kirche über seinem Grab in Ephesus.

Johannes ist Apostel, Evangelist und Apokalyptiker. Er schrieb ein Evangelium und drei (erhaltene) Briefe sowie eine Apokalypse. Als Entstehungszeit des Evangeliums kommt aufgrund des Synagogenausschlusses der johanneischen Christen (Joh 9,22;34; 12,34; 16,2) am ehesten die späte Regierungszeit Domitians (81-96 n. Chr.) in Frage. Wurde Johannes mit 20 bis 22 Lebensjahren von Christus berufen, so stand er im Jahre 90 im Alter von 82 bis 84 Jahren. Spuren der Benutzung des Johannes-Evangeliums finden sich bereits bei Ignatius von Antiochien (Rom 7,1ff.; Philad. 7,1) und Justinos.

Johannes nennt als Zweck seines Evangeliums (20,30f.), den Glauben der Leser an Jesus als den Messias und wesenhaften Gottessohn zu befestigen und zu vertiefen und dadurch zu bewirken, dass sie aufgrund ihres Glaubens das ewige Leben haben. Das Buch verfolgt also einen lehrhaften und zugleich praktischen Zweck. Es will für Jesus als den Messias und Gottessohn Zeugnis ablegen, indem es sein Selbstzeugnis für seine göttliche Sendung zur Darstellung bringt. Der Zebedaide Johannes wurde von seinem Meister nachdrücklich und unvergesslich belehrt, dass der Weg zur messianischen Herrlichkeit durch das Leiden hindurchführt. Er ist am tiefsten betend, betrachtend und reflektierend in das Geheimnis Christi eingedrungen. Er steht als eigentlicher Gewährsmann hinter dem Evangelium, das wie kein anderes den Weg Christi in seinen vollen überweltlichen Dimensionen aufleuchten lässt.

Das Johannes-Evangelium ist verhältnismäßig reich an Orts- und Zeitangaben. Die Schauplätze der Tätigkeit Jesu werden in der Regel genau bezeichnet: Bethanien jenseits des Jordan, der Jakobsbrunnen, die Synagoge zu Kapharnaum, Bethanien bei Jerusalem, der Teich Bethesda in Jerusalem, die Siloaquelle, der Garten jenseits des Zedrontales. Die Feste, an denen Jesus in Jerusalem auftrat, werden mit Namen genannt: Osterfest, Laubhüttenfest, Tempelweihfest. Außerdem finden sich bei Johannes noch andere Zeitangaben (1,35-2,1; 6,4; 7,14; 7,37; 12,1; 18,28; 19,14; 20,26). Der Evangelist zeigt sich mit dem rabbinischen Judentum, seinen religiösen Vorstellungen und seiner Schriftauslegung vertraut. Das Evangelium enthält mache selbstständige, wertvolle, von einem Augenzeugen stammende Mitteilungen, die unsere Kenntnis des Lebens Jesu wesentlich bereichern.

Der Unglaube fällt auch über Person und Werk des Johannes her. Zu Unrecht. Das Johannesevangelium ist nicht eine Dichtung von Reden und symbolischen Taten Jesu, sondern fortgeschrittene Evangelienschreibung, das letzte, das pneumatische Evangelium. Das Christusbild der Kirche leuchtet schon in der Selbstoffenbarung Jesu auf. Es ist der Abschluss der Darstellungen der Geschichte Jesu. Es will diese Geschichte nicht verdecken, sondern feststellen, aber zugleich in ihrem eigentlichen Sinn erhellen und deuten. Das Johannesevangelium ist das reifste Christuszeugnis der Urkirche und das Glaubensbuch für die ihres innersten Wesens sich bewusst werdende und in neue geistige Räume vorstoßende Kirche am Ausgang des ersten Jahrhunderts. Das ist der Jünger, der diese Dinge bezeugt und dies geschrieben hat. Wir aber wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt