Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. Juni 2019

Die Gesinnung des Herzens Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Freitag haben wir das Fest des Heiligsten Herzens Jesu begangen. Die Herz-Jesu-Verehrung hat ihre Grundlage in dem Dogma der hypostatischen Union, d.h. in der Verbindung einer menschlichen Natur mit der göttlichen Person des LOGOS. Das Herz Jesu wird also nicht getrennt oder losgelöst von der Gottheit, sondern als das Herz der Person des LOGOS, mit der es unzertrennlich vereinigt ist, angebetet. Der unmittelbare Gegenstand der Herz-Jesu-Verehrung ist das leibliche Herz Jesu als ein wesentlicher Bestandteil der mit dem LOGOS hypostatisch verbundenen menschlichen Natur Christi; nicht etwa bloß das Herz im bildlichen Sinne. Der ganze Gegenstand der Herz-Jesu-Verehrung ist der Gottmensch Jesus Christus. Das Formalobjekt, also die besondere Sicht, unter der wir Jesus verehren, das Formalobjekt der Herz-Jesu-Verehrung ist die unendliche Vollkommenheit der göttlichen Person. Der Grund, warum unter den Teilen der Menschheit Christi gerade das Herz in besonderer Weise verehrt wird, ist der, dass das Herz das vollkommenste Symbol der Erlöserliebe Christi zu den Menschen ist. So rufen wir ja in der Herz-Jesu-Litanei: „Herz Jesu, du brennender Herd der Liebe.“ Nach dem Sprachgebrauch der Heiligen Schrift und auch nach der volkstümlichen Anschauung gilt das Herz als der Sitz der Affekte, der Gefühle und Strebungen, besonders der Liebe. Da die Liebe das Motiv der Erlösung ist, wird jenem Organ des Erlösers, das als Symbol der Liebe gilt, besondere Verehrung erwiesen. Der Herr hat sein Herz, den Inhalt seines Herzens, den Reichtum seines Herzens geoffenbart durch sein Wesen, sein Leben und sein Leiden, aber auch durch seine Worte. In seine Worte ist seine reiche Seele eingeströmt. Am tiefsten hat er sich seinen Jüngern eröffnet in der Stunde seines Abschieds. Da hat er zu seinen Jüngern gesprochen, wie er nie zuvor zu ihnen gesprochen hatte. Und die Jünger haben das gespürt und gesagt: „Siehe, Herr, jetzt sprichst du offen und gebrauchst keine Bilder mehr.“ In dieser Stunde hat Jesus sein Herz geöffnet, bevor es mit der Lanze durchbohrt wurde, hat geoffenbart, was in diesem Herzen lebt, was es ersehnt, woran ihm am meisten liegt. In dieser Abschiedsstunde hat er am deutlichsten gesagt, was ihm am Herzen liegt, was er am meisten von uns erwartet, welches sein Vermächtnis, sein Gebot und seine Vision ist.

Da er anhebt, seine Jünger für den Abschied, für das Alleinsein vorzubereiten, sagt er zu ihnen: „Glaubet an mich.“ Die erste Bitte in seinen Abschiedsworten, sein grundlegendes Anliegen fasst er in die Worte: „Glaubet an mich.“ Warum sagt er das? Ach, er sieht voraus, dass es nicht leicht sein wird für seine Jünger, an ihn zu glauben, den Glauben zu bewahren; darum sagt er: „Glaubet an mich.“ Ihr werdet es nicht leicht haben, den Glauben zu erhalten, aber glaubt doch, ich bitte euch. Es liegt eine leise Wehmut über diesem Wort, eine gewisse Bangigkeit, ob sie es fertigbringen werden, diesen Glauben zu bewahren, ob sie nicht verzagen und den Glauben aufgeben werden. Er sieht so viel in der Zukunft, was ihnen den Glauben schwer machen wird: äußere und innere Dunkelheiten und Leiden, Verdrießlichkeit und Misserfolg, Enttäuschungen und Bitterkeiten, und doch sollen sie glauben an ihn, seine Lehren, seine Verheißungen, seine Forderungen, seine Lebensweisheit, seine Bergpredigt. Wahrlich, das wird nicht leicht sein, an Jesu Worten festzuhalten. Denn seine Worte scheinen sich in der Erfahrung oft schlecht zu bewähren. Manchmal kommen die Gläubigen sich wie betrogen vor. Sie müssen vieles leisten und aufbringen, sie müssen vieles tragen und auf vieles verzichten. Sie haben nicht selten ein schweres Leben, obwohl sie gütig und rein, entsagend und opferwillig, gerecht und geduldig sind. Und die anderen, die das Gegenteil von dem tun, was Jesus verlangt, die kommen voran in der Welt, die werden geachtet und geehrt. Die verspotten obendrein noch die Gläubigen und sagen: Was nützt denn euer Beten und euer Indiekirchegehen? Und tatsächlich, die Verheißungen Jesu scheinen manchmal wie ein Rätsel, furchtbar und lastend die Verheißungen: „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch dazugegeben werden.“ Oder: „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Oder: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ Wo ist die Erfüllung dieser Verheißungen? So möchte man zweifeln an der Sittlichkeit des Christentums, an der Ethik des Altruismus, an der Willigkeit des Mitleids, an der Fruchtbarkeit des Opfers. Man möchte sich lieber bekennen zur Ethik des Gewaltmenschen, des Naturmenschen, zur Ethik der natürlichen, gesunden Kraft, die keine Bedenken hat, für sich allein zu sorgen.

Jesus aber sagte: Glaubet doch daran. Glaubet, dass es einen Sinn hat, gut zu sein, gerecht zu sein, selbstlos zu sein, rein zu sein. Wenn ihr auch Wert und Nutzen solcher Haltungen nicht einsehen könnt und erlebt, glaubet doch daran. Und an meinen Verheißungen haltet fest. Lasst euch eure Hoffnung, eure Zuversicht, euer Vertrauen nicht rauben, habt nur Glauben; ich habe es euch gesagt. Glaubet an meine Fügungen und Zulassungen, wenn sie auch zuweilen unverständlich sind – und das sind sie in der Tat. Warum hilft uns Gott nicht mehr auch in unserem besten Wollen und Unternehmen? Warum stützt er uns nicht, nicht einmal in dem, was er uns selbst aufgetragen hat? In der Bekehrung der Menschen, in der Christianisierung der Welt? Er selbst legt uns mit seinen Zulassungen die größten Hindernisse in den Weg: Zufälle von beweinenswerter Sinnlosigkeit, Schicksale von erdrückender Schwere. Das Missionswerk in China war im Aufblühen wie nie zuvor. Pius XII. hatte eben die Hierarchie in diesem riesigen Lande errichtet. Man hatte Schulen und Universitäten von universaler Geltung aufgebaut. Endlich schien das Saatfeld reif zur Ernte. Da brach der „rote Sturm“ los. Da vertrieben die zerlumpten Armeen Mao Tse-tungs in ein paar Monaten die gut gerüsteten Truppen der Nationalchinesen aus dem Lande. Das blühende Feld wurde von den Ketten der roten Panzer zermalmt. Der Rest der chinesischen Kirche glitt ab in das Schisma. Warum hat Gott da zugesehen? Warum hat er nicht eingegriffen? Warum hat er die zahllosen Gebete der Missionare, die Gebetsstürme aus Anbetungsklöstern, die Liebesangebote zahlloser Seelen nicht erhört? Und wie ist es heute? Ein gläubiger und frommer Priester aus der Diözese Würzburg fragte mich am Telefon: „Hat Gott Freude daran, dass seine Kirche zugrunde geht?“ Ist es ihm gleichgültig, wer auf den Bischofstühlen sitzt? Ein Mann, wie der Herr Wilmer in Hildesheim. Der Bischof von Hildesheim nennt Drewermann einen von der Kirche verkannten Propheten. Drewermann ist derselbe, der gesagt hat, Jesus hat keine Kirche gestiftet, er hat auch das Christentum nicht gegründet. Von dem spricht der Bischof von Hildesheim als einem Propheten. Ja, was sollen wir von unseren Bischöfen noch glauben, wenn sie solche Äußerungen machen? Weshalb erleuchtet Gott die maßgebenden Männer in der Kirche nicht, dass sie endlich erkennen, was Not tut? Worum es heute geht, was das unbedingt Notwendige ist, was das allein Rettende ist, das ist der Glaube, der ganze unverfälschte, unverkürzte Glaube! Die Masse der Getauften glaubt nicht mehr; sie sind abgeglitten in die Gleichgültigkeit. Sie haben Restbestände des Protestantismus noch in ihrer Seele. Aber was tun die Bischöfe, um den Glauben den Menschen zu verkünden, um sie zum Glauben zu führen und im Glauben zu erhalten? Was tun sie? Sie möchten Nichtkatholiken den Leib Christi geben, aber sie unterlassen es, die Katholiken im Glauben der Kirche an die wahre Gegenwart des Herrn zu unterrichten. Wie viele Gotteswerke in der Kirche werden zerstört durch Uneinsichtigkeit, Misstrauen, Engstirnigkeit, Verknöcherung, Bequemlichkeit. Da möchten wir verzweifeln an der Gegenwart Jesu, an seiner Leitung, an der Führung durch den Heiligen Geist. Wir möchten irre werden an der Kirche, an ihrem Weg durch die Zeit, an ihrer göttlichen Sendung. Jesus aber hat gesagt: „Glaubet an mich“, werdet nicht irre, verzaget nicht, habt Geduld, habt Glauben; ich bin bei euch. Das sagt er ruhig, seelenruhig, tut gar nichts, um die Bedrängnis aufzuheben, hat nur einen Trost: Glaubet an mich, weil ich es bin: „Ich habe die Welt überwunden.“ Ein Wort von unglaublicher Kühnheit. Das sagt er in der Stunde, die die letzte Abendstunde seines irdischen Lebens ist, unmittelbar vor dem völligen Zusammenbruch, vor dem Karfreitag, vor dem Kreuzestod, wo der Verräter schon unterwegs ist. „Ich habe die Welt überwunden“, und so werdet auch ihr die Welt überwinden, wenn ihr nur den Glauben an mich festhaltet.

Wir spüren, welche Zuversicht, welche Hoffnung, welche Siegesgewissheit in unserem Herrn lebt. Die Stunde des Todes, die Stunde der Finsternis, vor der jeder Mensch bangt, sieht ihn gefasst, entschlossen, entschieden. Er weiß, dass die Stunde gekommen ist, die der Vater ihm bestimmt hat, aber er spricht zu seinen Jüngern: „Steht auf, lasst uns gehen!“ – zwei ganz kurze befehlende Worte: Steht auf, lasst uns gehen! Wir wollen gehen. Steht ihr auf, denn er steht schon; er ist immer bereit, er ist immer frei, er ist immer willig, er ist immer wach, er braucht nicht aufzustehen. Aber die Jünger müssen aufstehen, und es ist seine Kraft, dass er auch andere aufstehen lassen kann. Es ist ihm gelungen, die Jünger zum Aufstehen zu bringen aus ihrer Schläfrigkeit, aus ihrer Bequemlichkeit, aus ihrer Gleichgültigkeit, aus ihrer Alltäglichkeit. Nur noch wenige Wochen wird es dauern, dann werden diese schläfrigen Jünger wirklich aufstehen und wie ein Sturmwind in die Welt fahren. So kraftvoll wirkt sein Wort in ihnen: „Steht auf!“ Andere Menschen bedürfen des Aufstehens aus der Bequemlichkeit, vom Sich-gehen-lassen, von der Halbheit, von der Feigheit, von der Unehrlichkeit. O dass er auch ihnen allen sagte: Stehet auf, ihr müsst euch einmal aufraffen! Ihr müsst euch einmal zusammenreißen! Ihr müsst einmal einen Willen aufbringen! Ihr müsst einmal das Notwendige tun! Stehet auf! So kann es nicht weitergehen. Jeder Mensch bedarf irgendwann einmal in seinem Leben, vielleicht auch immer wieder, eines solchen Aufstehens von der Sünde, von der Leidenschaft, von der Gewohnheit, von der Trägheit, von der Gleichgültigkeit, des Aufstehens, wo er alles zurücklässt, wo er neue Anfänge macht, wo er sich losreißt: Stehet auf!

Und dann sagt er: „Lasst uns gehen!“ Hier spricht er „wir“. Wir wollen gehen; er schließt sich mit ein: wir wollen zusammen gehen. Jesus will mit seinen Jüngern gehen, und seine Jünger sollen mit ihm gehen. Er geht den Weg des Kreuzes, den Weg des Todes, den Weg der Dunkelheit, den Weg der Schmach. Und so werden seine Jünger diesen Weg mit ihm teilen, denn der Herr hat gesagt: Wir wollen gehen, wir wollen miteinander gehen, wollen denselben Weg gehen. Lasst uns gehen! Er fordert sie auf, mit ihm zu gehen. Er braucht sie, er ist auf sie angewiesen, auf seine Apostel, auf seine Priester, auf alle, die an seinen Namen glauben, die ihn lieb gewonnen haben, die von seiner Gnade ergriffen sind. Er ist angewiesen auf ihr Wort, auf ihr Beispiel, auf ihr persönliches und amtliches Wirken, auf ihren Heldenmut und ihre Opferwilligkeit, auf ihre Entsagungen und Liebeswerke, auf ihren Glauben und ihr Erkennen. Darum sagt er: Geht mit mir. Wenn ihr erst einmal aufgestanden seid, dann wandert mit mir. Das Christentum, meine lieben Freunde, kommt nur so weit, als die einzelnen Christen und die gesamte Christenheit es tragen durch ihre Mitwirkung. Wie viel hängt doch von einem einzigen Gläubigen, einem einzigen Priester, einem einzigen Papst ab. Das ist der große, wunderbare und zugleich erschreckende Sinn der Christophoruslegende: Das Gotteskind kommt nur auf den Schultern menschlicher Träger und Helfer über die weiten, tiefen Wasser der Zeit und des Weltlaufs hinüber. Und darum sagt er: Lasst uns mitsammen gehen! Es steht uns ein weiter Weg bevor, ein Weg in Sommerhitze und nächtlicher Kühle, ein Weg im Staub und über steiniges Geröll, ein Weg der Verkennung und der Schmach, der scheinbaren Erfolglosigkeit und Nutzlosigkeit. Und doch ist es insgeheim ein Königsweg, ein Weg königlichen Dienstes und königlicher Ehre, denn es ist ein Wandern im Dienste des größten Königs. Wir dürfen einen Dienst leisten dem einzigen großen, ja göttlichen Menschen, einen Hilfsdienst für das einzige wesentliche Werk, das auf Erden vollbracht wird. Wir sind brauchbar, ja notwendig für den einzigen Dienst, der dem Schöpfer und Erlöser der Welt wahrhaft am Herzen liegt, brauchbar für den Sieg des Lichtes und der Güte, für die Beseligung und Erfüllung der Menschen, für die Vollendung der göttlichen Gedanken. Einen größeren Lebensinhalt gibt es nicht. Das ist doch immer die tiefste Sehnsucht eines jeden Menschen, nicht unnütz zu sein, nicht überflüssig zu sein, sondern für irgendeinen geliebten Menschen, für ein geliebtes Wesen, für einen großen Zweck, für ein wertvolles Werk gebraucht zu werden und brauchbar zu sein. Siehe da, Jesus gibt uns diese Brauchbarkeit, diese Tauglichkeit, indem er sagt: „Lasset uns gehen!“, lasset uns an die Arbeit gehen, die Seelen zu befreien, die Menschen zu trösten, ihrem Leben einen Inhalt zu geben, ihrem Streben ein Ziel zu weisen. Lasset uns wandern, nicht rasten und ruhen, bis wir ans Ende gelangt sind. Christus geht noch immer seinen Weg durch die Welt, den Weg des Kampfes, den Weg der Verkennung, den Weg der Schmach, des Unverstehens, der Verhüllung, den Weg der Schwäche. Und an uns, an alle seine Jünger, ist dieses Wort gerichtet: Wir wollen gehen, wollen zusammen gehen. Unser Leben soll ein ununterbrochenes Wandern, Kämpfen, Dulden, Mühen an seiner Seite, in seinem Dienste, in seiner Begleitung sein. O katholische Kirche, jetzt sehe ich dein Geheimnis. Du bist eine kleine Schar, du bist eine Unzulänglichkeit, du bist ein Ärgernis, aber der Herr hat zu dir gesagt: Wir wollen gehen. Wir wollen zusammen gehen. So geht er mit dir, katholische Kirche, durch Jahrhundert und Jahrhundert, durch Höhen und Tiefen, durch Licht und Finsternis, durch Stürme und Meeresstille; der Herr ist bei dir. Und so wollen auch wir mit dir gehen, wollen dich nicht verlassen, wollen nicht irre werden an dir, wollen deinen Weg, deinen Gott, deine Opfer, deine Leiden, deine Schwächen teilen. Lasst uns miteinander gehen!

Amen.   

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt