Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Juni 2018

Der Kampf um Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Geschichte der Menschen ist erfüllt mit dem Kampf um Gott. In der Neuzeit hat dieser Kampf eine besondere Dimension angenommen. Seit dem 17. Jahrhundert erhob sich die Irrlehre des Deismus. Danach hat Gott zwar die Welt erschaffen, aber sich dann zurückgezogen. Seitdem überlässt er die Welt ihrem Schicksal. Anders, so sagen die Deisten, sind persönliches Leid und Unglück, Konflikte und Katastrophen, die auch und manchmal besonders die Armen, Schwachen und Unschuldigen treffen, nicht zu erklären. Ein lenkender und liebender Gott würde so etwas niemals zulassen. Das sind schwere Vorwürfe gegen Gott, Vorwürfe, die manchem den Glauben an Gott genommen haben. Aber damit nicht genug. Das 19. Jahrhundert war die Zeit der offenen und weit verbreiteten Gottesleugnung. Der Anfang wurde gemacht von dem Schriftsteller oder Philosophen Ludwig Feuerbach. Nach ihm ist Gott das Ergebnis psychologischer Bedürfnisse des Menschen. Der Mensch projiziert seine ihm zunächst unerreichbaren Wünsche und Ideale, Sehnsüchte und Hoffnungen in eine höhere Welt, nennt diese Gott und bringt ihr Anbetung entgegen. Die Idee Gottes lebt nach dieser Ansicht vom Unglück und vom Elend dieser Welt. Werden diese beseitigt, kommt das Glück, dann verschwindet der Glaube. Diese Gottesleugnung macht auf viele Menschen, die in dürftigen und unglücklichen Verhältnissen leben, starken Eindruck. Vor allem die Arbeiterklasse hat sich zum Teil diesen Aufstellungen zugewandt. Ihr Führer war Karl Marx. Er hat sich an Feuerbach angeschlossen. Die Marxisten erklären die Gottesvorstellung als Entfremdung. Die Menschen projizieren nach ihrer Ansicht auf etwas Imaginäres, sie Entfremdendes, was sie dann Gott nennen, ihre Bedürfnisse, Ängste und Enttäuschungen. Nicht umsonst steht auf einem Standbild in Nürnberg: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Das ist die marxistische Auffassung. Die Religion ist nach diesen Leuten die erste und eigentliche Feindin der Menschheit. Sie ist der Vampir, der ihre besten Kräfte aussaugt. Marx stammt aus einer jüdischen Familie. Nachdem er den Glauben an die Ankunft des Messias verloren hatte, suchte er das messianische Reich in der Politik. Wenn man die sozialökonomischen Beziehungen verändert, wenn man die klassenlose Gesellschaft herbeiführt, dann verschwindet Gott von selbst und hört die Religion auf. Dass er widerlegt worden ist, zuletzt durch die Entwicklung in Russland, ist eine andere Frage. Aber diese Thesen haben auf viele Menschen einen starken Eindruck gemacht. Für diese Gottesleugner ist die Ablehnung Gottes, der Atheismus, nicht das Ergebnis einer geistigen Auseinandersetzung, sondern ein unbewiesenes Postulat, eine Forderung, von der auszugehen ist. Für diese Ideologen gibt es einfach keinen Gott, nicht, weil sie durch Überlegung zu diesem Ergebnis gekommen sind, sondern weil es ihn nicht geben darf. Gott ist für sie ein unbewiesenes Apriori, aber ihre Lehre erst recht. Auf diese Weise suchte auch Friedrich Nietzsche mit dem Glauben fertig zu werden. Gott bedeutet, nach ihm eine Einengung des Menschen; daher darf er nicht existieren. Er geht gegen den Geschmack. Seitdem er tot ist, sind dem Menschen alle Horizonte frei. Ähnlich argumentierte Michael Bakunin, der Anarchist. Er erklärte, wenn es Gott gibt, dann ist der Mensch ein Sklave. Der Mensch muss aber frei sein, also gibt es keinen Gott.

Was können wir, meine lieben Freunde, wir Gottesgläubigen, den Leugnern der Existenz Gottes entgegnen? Zu der Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes führen mannigfache Wege. Der Mensch ist nach seinem ganzen Sein von Gott her und auf Gott hin geschaffen. Er ist innerlichst bestimmt durch seine Herkunft von Gott. Dieser Sachverhalt spiegelt sich auch in seinem Bewusstsein. Er macht sich geltend als Drang, als Ahnen, als religiöser Trieb, wenn auch schwach und undeutlich. Die innerste Seinsverfasstheit leuchtet beim unverbildeten und unverdorbenen Menschen irgendwie im Bereich der Seele und des Geistes auf. Es gibt eine religiöse Naturanlage, ein Organ, mit dem er nach Gott auslangt. So erklärt sich, warum der Mensch nicht bei den Herrlichkeiten der Welt und des menschlichen Lebens stehenbleibt, warum er sich nicht mit dem Wissen um die Geschlechterfolge begnügt, warum er nach dem Sinn und Grund des Lebens fragt, nach dem letzten Sinn und Grund. Im Menschen ist eine geheimnisvolle innere Kraft, die ihn zu Gott hintreibt. Es ist die Sehnsucht, die mit der von Gott herkommenden und auf Gott hin geschaffenen menschlichen Natur wesenhaft gegeben ist. Sie äußert sich in Redewendungen, die man manchmal hört: Es muss doch etwas geben; es kann doch nicht alles sinnlos sein.

Die Vorstellung von Gott ist allgemein verbreitet. Die Religionsgeschichte zeigt, dass es ein Volk ohne Gott noch nicht gegeben hat. Die Gottheit als Mittelpunkt der Religion begegnet uns bei allen Völkern und zu allen Zeiten, nur wechselt die Art, wie die Menschen sich die Gotteswirklichkeit vorstellen. Die Gottesvorstellung stützt sich und ergibt sich aus der Uroffenbarung, hat sich durchgehalten durch die Generationen, durch die Zeiten. Sie stützt sich auch auf Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse. Mit Staunen, meine lieben Freunde, und Bewunderung stehen wir vor den erhaltenen Zeugnissen des Gottesglaubens bei den Völkern der Antike. Die Archäologie liefert uns die Beweise: Es hat noch kein Volk ohne Gott gegeben. Die Ägypter sahen das Göttliche in den fruchtbaren lebenschaffenden Naturkräften, vor allem in der Sonne. Den Assyrern enthüllte sich Gott im Sieg der Ordnung über das Chaos. Und die Perser fanden Gott in der lichten, guten Macht, die gegen das dunkle, finstere Böse angeht. Herrliche Zeugnisse der religiösen Naturanlage in den alten Völkern.

Die Menschen aller Zeiten haben auch nachgedacht über den ersten Ursprung des Seins und über das letzte Ziel. Doch kann man vernünftig, der Wirklichkeit angepasst über Gott nur reden, wenn Gott zuerst über sich selbst zum Menschen redet. Das hat er in der Tat getan. Gott hat zum Menschen gesprochen, und zwar auf zwei wesentlich verschiedene Weisen: durch das Werk der Schöpfung und durch die Offenbarung. Gott drückt in der Schöpfung seine Macht, seine Freiheit, seine Schönheit, seine Herrlichkeit und seine Majestät aus. Er stellt sich in der von ihm geschaffenen Welt wie in einem schwachen Abbild, wie in einem schwachen Spiegelbild selbst dar, so dass durch die Welt das von Gott Verborgene offenbar, das Unsichtbare sichtbar wird. Das Wort, das Gott an den Menschen richtet, dieses Wort wird gehört in der religiösen Erfahrung. Am Menschen, an den Dingen, an den Geschehnissen kann Gott erfahren werden als der, der in allem wirkt und waltet, als die eigentliche bleibende Wirklichkeit und Macht, als der unvergängliche Wert, als der unbedingt Fordernde und Verpflichtende, als der Andersartige, Geheimnisvolle, Heilige. Die vorwissenschaftliche Gotteserfahrung kann durch die Vernunft gedeutet, gehört, bestimmt und gerechtfertigt werden. Es gibt Gottesbeweise. Die wissenschaftliche Gotteserkenntnis beweist das Dasein Gottes aus den Werken Gottes. Die Gottesbeweise beruhen auf den Grundprinzipien des Seins und des Denkens, der Gesetze vom Widerspruch, vom ausgeschlossenen Dritten, vom hinreichenden Grunde, von der Kausalität. Die Beweise nehmen ihren Ausgang vom Sein und Wert der Welt. Sie fassen beides in seiner Begrenztheit. So kommen sie zu dem Ergebnis: Die Welt ist so verfasst, dass sie ohne die Annahme der Existenz Gottes nicht erklärt werden kann. Ein aufmerksamer Blick in die Natur, in die Geschichte und in das eigene Selbst führt dazu, Gottes Existenz herauszufühlen und zu finden. Die Freude an der Schönheit der Natur und das Staunen bzw. das Entsetzen über ihre Kraft kann den Menschen zu Gott hinführen. Aus der geschaffenen Macht und Schönheit kann die ungeschaffene Macht und Schönheit des Schöpfers erschlossen werden. Die bekanntesten Beweise schließen so: aus der erfahrungsmäßigen Existenz irgendeines Seins auf das Sein, das seinen Grund in sich selbst hat, das „ens a se“, wie schon die Griechen sagten, aus dem zufälligen Sein auf das absolut notwendige Sein, aus den Stufen des Seins auf das unendliche Sein, aus der Bewegung auf den unbewegten Beweger, aus der Ordnung der Welt auf den unendlich weisen und mächtigen Weltbaumeister, aus dem naturnotwendigen Drang des Menschen nach dem Vollkommenen, Wahren und Guten auf das unendlich wahre und gute Wesen und aus dem Gewissen auf den obersten Gesetzgeber. Ein anderer Beweis geht von der Sozialnatur des Menschen aus. Der Mensch ist ja auf die Gemeinschaft angewiesen, hat einen wesenhaften Bezug zu der Gemeinschaft. Und dieser Gemeinschaftsbezug findet seine reelle Erklärung, Sinnerfüllung und Sicherung nur, wenn das letzte Du des Menschen der unwandelbare, ewige personale Gott ist, in dem alle irdische Gemeinschaft verankert ist. Nur in Gott und durch Gott gewinnt der Mensch jene Selbstlosigkeit, jene Bereitschaft zum Gehorsam und zur dienenden Hingabe, ohne welche eine Gemeinschaft dauernd nicht bestehen kann. Nur durch Gott besitzt das menschliche Du jene unzerstörbare personale Würde, die selbst dann bleibt, wenn der Mensch versagt.

Gott hat aber nicht nur durch die Schöpfung zum Menschen gesprochen, sondern auch durch die Offenbarung. Er hat sich in einer Weise an die Menschen gewandt, die über die Selbsterschließung in der Schöpfung hinausgeht. Er hat ein Wort an die Menschen gerichtet, in dem sich eine Wirklichkeit erschließt, welche die Möglichkeiten der Schöpfung übersteigt. Auch diese Selbsterschließung ist zwar an die Formen und Ausdrucksmöglichkeiten der Welt gebunden – sie muss an sie gebunden sein, denn sonst würden wir sie nicht verstehen –, Gott erschließt sich in Vorgängen und Zeichen, in Sinnbildern und Wortgestalten, die der Welt entnommen sind, aber er erfüllt sie mit einem anderen Inhalt, mit dem Inhalt, den uns die Offenbarung zugänglich macht. Die übernatürliche Offenbarung stammt unmittelbar von Gott. Die durch sie gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen steigen nicht aus dem Innern des Menschen empor, sie sind nicht der menschlichen Intuition zu verdanken, sondern der gnädigen Einwirkung Gottes auf den Menschen, der die Propheten, die von Gott berufenen Männer und Frauen, in seiner Weise belehrt und führt. Gottes Existenz lässt sich mithin auch aus übernatürlichen Tatsachen beweisen. Der Mensch schließt aus den historisch feststehenden übernatürlichen Tatsachen, berichtet im Alten und Neuen Testament, auf eine überweltliche, heilige, mächtige und weise Ursache. Sie muss für einige dieser Tatsachen ein unendliches Wesen sein, weil sie die zukünftigen freien Handlungen sicher vorherweiß und weil sie ohne Aufhebung der Freiheit unfehlbar lenken kann.

Ein eindrucksvoller Hinweis auf die Existenz Gottes ist die Tatsache, dass die Verweigerung der Hingabe und der Unterwerfung unter Gott die Zerstörung des Menschen und der Welt nach sich zieht, also ein menschenunwürdiges Leben heraufbeschwört. Wenn Gott für den Menschen bedeutungslos wird, dann verliert er seine Orientierung. Die Orientierungslosigkeit bezieht sich auf das Leben des Geistes, des Willens und des Gefühles. Der orientierungslos gewordene Mensch weiß nicht mehr, woher er kommt und wohin er geht. Er lebt in der transzendentalen Obdachlosigkeit, in der radikalen Sinnlosigkeit und Absurdität der Welt und des menschlichen Verhaltens. In diesem Sinne sagt der atheistische Philosoph Jean-Paul Sartre: Der Mensch ist eine sinnlose Leidenschaft. Der gottlos gewordene Mensch verfällt der Selbstsucht, der Lüge und dem Hass. Wenn Gott nicht den Menschen garantiert, vermag keine Philosophie und keine Rechtsordnung sein Leben und seine Unantastbarkeit zu verbürgen. In der Politik und in der Rechtswissenschaft ist häufig die Rede von der Würde des Menschen. Meine lieben Freunde, diesen Deklamationen fehlt die Begründung. Woher kommt denn diese Würde? Es wird nicht gesagt, worin die Würde begründet ist. Sie ist aber – und das wissen wir aus unserem Glauben – begründet in der Gottebenbildlichkeit, weil der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist und weil Gott ihn garantiert. Wenn diese Begründung der Gottebenbildlichkeit entfällt, dann bleiben nur kraftlose Redensarten von der Menschenwürde. Sie sind nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie geschrieben sind. Die Gottlosigkeit zerstört nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch die Gemeinschaft, denn sie beraubt den Menschen seiner Würde. Der seiner göttlichen Würde beraubte Mensch sinkt auf die Stufe der Sache, des Menschenmaterials herab und wird als solche behandelt, gebraucht und verbraucht. Von Josef Stalin wird berichtet, dass ihn die Millionen Verluste der sowjetischen Armeen und der Zivilbevölkerung völlig unberührt ließen. Ihm war nur daran gelegen, eine Stadt zu halten oder wiederzuerobern.

Indem sich der Mensch von Gott freimacht, gerät er in eisige Einsamkeit. Er geht der Geborgenheit verlustig; er verliert den letzten Sinn des Daseins; er muss im Angesicht einer letzten Sinnlosigkeit leben, d.h. der Gottlose wird Nihilist. Er verliert sein wahres Selbst – Gottverlust ist Selbstverlust. Friedrich Nietzsche hat diese Lage des Menschen beschrieben: Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr in endlosem Vertrauen ausruhen. Du hast keinen fortwährenden Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten. Es gibt für dich keinen Vergelter, keine verbessernde letzte Hand mehr. Deinem Herzen steht keine Ruhestatt mehr offen. Mensch, in alledem willst du entsagen? Wer wird dir die Kraft dazu geben? Noch hatte niemand diese Kraft.

In der durch Gott nicht mehr gebundenen Gemeinschaft ist der Mensch den Mächten des Hasses und der Selbstsucht ausgeliefert. Er wird zum Raubtier. Das Untermenschentum ruft nach der Diktatur, durch welche die einander bekämpfenden und vernichtenden menschlichen Raubtiere gebändigt werden. Die Diktatur wiederum ruft nach dem Revolutionär, der die Versklavung abzuschütteln versucht. So wächst das Verhängnis unabsehbar weiter. Der Mensch braucht Gott, um Mensch zu bleiben und nicht zum Unmenschen zu entarten. Angesichts der Schrecken dieser Welt ist schon manchem Menschen die Einsicht gekommen: Es geht nicht ohne Gott, ohne den Glauben an Gott, ohne den Gehorsam gegen Gott. Der sozialdemokratische Politiker Carlo Mierendorff befand sich von 1933 bis 1938, fünf Jahre, im Konzentrationslager Buchenwald. Als er herauskam, sagte er einem Freund: „Ich bin als Atheist in das KZ gekommen. Nach dem, was ich dort erlebt habe, verlasse ich es als gläubiger Christ. Es ist mir klargeworden, dass ein Volk ohne metaphysische Bindung, ohne Bindung an Gott weder regiert werden noch auf die Dauer blühen kann“ – so Carlo Mierendorff.

In der Gottlosigkeit wird auch die Erde zerstört, die dem Menschen als Stätte der Wohnung, der Nahrung und der Kleidung dienen soll. Die Gottlosigkeit entfesselt im Menschen die Instinkte der Zerstörung. Die Zerstörung, die der Mensch an der Welt, an der Erde verübt, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Sie ist ein irreversibler Prozess. So besteht die Gefahr, dass die gottlos gewordene Menschheit auf der Erde nicht mehr in hinreichendem Maße findet, was sie zum Wohnen, Kleiden und Ernähren braucht. Solche Feststellungen sind nicht das Ergebnis spekulativer Überlegungen, sie werden durch die Geschichte selbst bewiesen. Die Erfahrung der Geschichte stellt einen mittelbaren Gottesbeweis dar.

Meine lieben Freunde, Gott kann durch die menschliche Vernunft aus den geschaffenen Dingen erkannt werden. Wir besitzen die Fähigkeit, Wege ausfindig zu machen, die zu Gott hinführen. Aus der Betrachtung der Schöpfung lassen sich gültige Gründe für das Dasein Gottes namhaft machen. Und der Mensch ist auch nicht blind für die Möglichkeit, Gott zu finden. Er hat eine innere Befähigung für Gott bewahrt. Er vermag Gott mit der ihm verbliebenen Fähigkeit zu erkennen. Der Atheismus kann sich bemühen, wie er will, er wird nie beweisen können, dass der Glaube an Gott falsch und er selbst wahr ist. Die Behauptung eines wissenschaftlichen Atheismus ist eine widersinnige Anmaßung. Ich habe es 1952 in der DDR, wo ich damals tätig war, erlebt, wie ein junger Mann zu mir ins Pfarramt kam, er wolle aus der Kirche austreten, er habe jetzt eine wissenschaftliche Weltanschauung, nämlich den Marxismus. Niemand kann behaupten, er wisse im eigentlichen Sinne, dass Gott nicht existiert. Es gibt keinen Beweis für die Behauptung, dass Gott nicht existiert. Die Grenzen der Wissenschaft dürfen nicht mit den Grenzen unserer Existenz überhaupt verwechselt werden. Das wäre ein Missverständnis der Wissenschaft. Wo Wissenschaft den Anspruch erhebt, die Grenzen menschlicher Erkenntnis auszuschöpfen, wird sie unwissenschaftlich. Niemand kann die Totalität des Seins und seine Bedingungen experimentell erfassen. Der Atheismus, meine lieben Freunde, ist nicht das Ergebnis wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern eine irrationale Glaubensauffassung. Sie verlangt von der Vernunft größere Opfer als der Glaube an Gott. Es gibt nur für denjenigen keinen Gott, der ihn nicht sucht. „Fange nur an, ihn zu suchen, und schon ist er in dir und du bist in ihm“, schrieb einmal der russische Schriftsteller Leo Tolstoi. Der große Naturforscher Francis Bacon erklärt am Ende seines Lebens: „Ein bisschen Philosophie kann von Gott entfernen, aber viel Philosophie führt zu ihm.“ Wir Gläubigen, meine lieben Freunde, brauchen nicht besorgt zu sein, dass die Religion zu Ende ginge. Die Christenheit hat eine Reihe von Umwälzungen durchlaufen, und in jeder dieser Revolutionen hat man es totgesagt, ist es angeblich gestorben. Jedes Mal aber ist das Christentum wieder auferstanden, denn es besitzt einen Gott, dem der Weg aus dem Grabe vertraut ist.

Amen.

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