Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Mai 2014

Die Tugend der Dankbarkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Dankbarkeit ist eine Tugend. Es ist diejenige Tugend, die den Willen geneigt macht, empfangene Wohltaten anzuerkennen und zu vergelten. Das deutsche Wort „danken“ ist verwandt mit dem anderen deutschen Wort „denken“. Danken ist nämlich ein Denken an die empfangenen Wohltaten. Man soll über die empfangenen Wohltaten nicht gedankenlos hinweggehen, sondern sie in Worten oder auch in der Tat in Dankbarkeit erwidern. Dankbarkeit ist das Eingedenksein empfangener Wohltaten und positive Vergeltung. Der Dank ist die wohlwollende Erwiderung empfangener Hilfe, erfahrener Gefälligkeit und sogar erlebter Selbstverständlichkeiten in Wort und Tat. Die Dankbarkeit gehört in den großen Pflichtenkreis der Gerechtigkeit. Es ist in der Dankbarkeit eine gewisse Schuld abzutragen gegen den Wohltäter. Der Wohltäter erscheint als ein Höherer, nicht durch seine Persönlichkeit, durch seinen Rang, sondern ein Höherer durch seine Freigebigkeit, durch seine Huld, die er uns erwiesen hat. Im Danken erkennt der Mensch sein Angewiesensein auf andere, seine Abhängigkeit von anderen an. Und damit lebt er seinsgerecht und wahrheitsgetreu. So steht beim Danken auf der einen Seite eine freie, nicht geschuldete Wohltat, und zwar eine solche, die aus dem Wohlwollen hervorgeht, und auf der anderen Seite der Wille des Dankenden, der der Wohltat gedenkt, der sie in Worten anerkennt und sie womöglich durch eine Gegengabe zu vergelten bemüht ist.

Die größte Pflicht der Dankbarkeit haben wir gegen Gott. Denn er ist der Geber aller Gaben, nicht immer unmittelbar, sondern vermittelt durch viele Zwischenursachen. Aber letztlich geht alles, was wir empfangen, auf Gott zurück. Er ist der Herr von allem, und er ist der Geber von allem. Danken sollen wir schon am frühen Morgen für das Geschenk eines neuen Tages, dass wir die Nacht überlebt haben, dass wir von neuem das Tagewerk aufnehmen dürfen, dass wir unsere Glieder regen und arbeiten dürfen. Danken sollen wir für alle Kraft, die uns im Laufe des Tages zuströmt. Immer wenn wir denken, es geht nicht mehr, ich schaffe es nicht mehr, ich halte es nicht mehr aus, ich kann es nicht mehr, und dann ist es doch wieder gegangen – da war Gott im Spiel. Danken sollen wir für Speise und Trank, danken für das vollbrachte Tagewerk, dass wir es geschafft haben, den Tag zu bewältigen. Wir haben im Deutschen die schöne Redewendung „Dank sei Gott“ oder „Gott sei Dank“. Wir gebrauchen sie ja manchmal ohne starke innere Beteiligung, aber richtig ist sie in jedem Fall. Die Religion hat bestimmte Formen der Dankbarkeit gegen Gott ausgebildet. An den Wallfahrtsstätten haben dankbare Pilger ihren Dank in Tafeln ausgedrückt und diese aufgehängt. Sie bringen ihre Dankbarkeit für empfangene Erhörung zum Ausdruck. Nach dem Kriege haben wir, die wir heimgekehrt sind, Heimkehrerwallfahrten veranstaltet. Ich erinnere mich noch, wie wir 1946 auf den Kreuzberg in der Rhön gewallfahrtet sind, Tausende von Männern, die den Krieg überlebt hatten, und haben dort den Dank an Gott abgestattet. Im Jahre 1955 zogen die Russen aus Österreich ab. Die österreichischen Katholiken hatten monatelang zu Gott gefleht, dass ihr Land wieder frei würde von der Besatzung, und nun war es frei geworden. Die österreichischen Katholiken waren dankbar für die Erhörung ihrer Gebete. Sie haben überall Dankgottesdienste abgehalten, dass ihr Land wieder frei geworden war.

Danken müssen wir Gott, danken müssen wir aber auch den Menschen, denn wir empfangen von ihnen mannigfaltige Wohltaten. Keiner kann allein auf sich gestellt durch das Leben gehen. Jeder braucht Belehrung, Führung, Unterstützung, Hilfe. An erster Stelle sind wir den Eltern zum Dank verpflichtet. „Von ganzem Herzen ehre deinen Vater und vergiss deine Mutter nicht, die dich mit Schmerzen geboren“, heißt es im alttestamentlichen Buch Jesus Sirach. „Bedenke wohl, dass du ihnen das Leben verdankst. Wie kannst du ihnen vergelten, was sie an dir getan haben?“ Ich weiß, dass manche Eltern ihre Pflichten gegenüber den Kindern vernachlässigen. Aber das schließt nicht aus, dass die Kinder dankbar sind. Das ehrt sie, dass sie Dank abstatten für das, was vielleicht an ihnen versäumt worden ist.           Dankbarkeit ist eine sittliche Pflicht. Schon psychologisch ergibt sich der Dank als eine natürliche Antwort auf eine Wohltat, und zwar so, dass der Undank das Verhältnis zwischen den Menschen untergräbt. Der Dank dagegen stiftet eine Beziehung zwischen den Menschen. Die Dankbarkeit hat nämlich die Nebenwirkung – die wir nicht anzielen sollen –, aber sie hat die Nebenwirkung, dass sie den Wohltäter geneigt macht, weitere Wohltaten zu gewähren. Der Dank gilt deswegen als allgemeine ethische Forderung unter den Menschen. Geben und danken gehören nach richtiger Auffassung zusammen. Der Dank ist gewiss vielfach eine bloße Formel, aber deren Gebrauch wird von der Gesellschaft erwartet. Der Dank gegenüber Selbstverständlichkeiten und gegenüber pflichtmäßigem Tun ist keineswegs überflüssig. Er ehrt die Zuverlässigkeit und die Treue, mit der ein anderer seinen Dienst verrichtet. Die sittliche Pflicht des Dankes erwächst aus der Rechts- und Vergeltungsidee. Aus dem Empfang von Wohltaten entsteht ja eine gewisse Verpflichtung. Die Verpflichtung, sie anzuerkennen, sie in gewisser Weise zurückzugeben, wenigstens mit einem Wort. Empfang von Wohltaten und Dank für Wohltaten schaffen einen Ausgleich zwischen den Menschen, zwischen Hingabe und Annahme. Der Dank weckt Freude bei dem Wohltäter, denn er sieht seine Wohltat bestätigt. Der Dank wirkt versöhnlich, denn er zeigt, dass der Empfänger die Wohltat zu schätzen weiß. Eine religiöse Begründung und Weihe empfängt die Tugend der Dankbarkeit in der Dankbarkeit gegen Gott als den Spender aller natürlichen und übernatürlichen Gaben, gegen Gott als die lautere und selbstlose Liebe. Ihm schulden wir immer und überall Dank. „Die Gabe Gottes soll dich demütiger, behutsamer und in allen deinen Handlungen noch vorsichtiger machen“, mahnt das Buch von der „Nachfolge Christi“. „Sei dankbar für das Kleinste, damit du würdig wirst, Größeres zu empfangen.“ „Wie darf einer um Zukünftiges bitten, der für das Vergangene noch keinen Dank gesagt hat?“ Aus dem Gedanken an Gott schöpft dann weiter der Dank gegen Menschen seine Vertiefung. Der Wohltäter weiß sich mit seiner Wohltat als ein Verwalter der Gaben, die Gott ihm anvertraut hat. Und der Beschenkte schaut in jeder Gabe zum Spender aller Gaben auf, zu Gott. Er vereint in sich selbst Demut und Würde, indem er dankt.

Die Heilige Schrift fordert überall zum Dank auf. „Was soll ich dem Herrn gelten für alles, was er mir geschenkt hat?“, heißt es im Psalm 115. Und der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Ephesus: „Seid dankbar gegen Gott in jeder Lage.“ „Strömt über vor Dankbarkeit!“, ruft er der Gemeinde in Kolossä zu. Christus hat uns selbst das Beispiel der Dankbarkeit gegeben. Als er daranging, den Lazarus aufzuerwecken, da sprach er: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast.“ Als er die heiligste Eucharistie einsetzte, nahm er das Brot und sprach das Dankgebet. Undankbarkeit empfindet der Herr schmerzlich. Er hatte einmal zehn aussätzige Männer geheilt. Sie gingen fort, jubelnd, freudig, dass sie rein geworden waren. Aber einer von ihnen, der sah, dass er geheilt war, kehrte zurück, fiel vor ihm nieder und dankte ihm. Da sprach Jesus: „Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind denn die anderen neun? Hat sich keiner gefunden, der zurückkäme und Gott die Ehre gäbe als dieser Fremdling, dieser Samariter?“ Die Briefe des heiligen Paulus beginnen regelmäßig mit einem Dankgebet. An die Gemeinde in Rom schreibt er: „Ich danke meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube gerühmt wird in der ganzen Welt.“ An die Gemeinde in Korinth schreibt er: „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben wurde in Christus Jesus.“ Die Dankbarkeit gegen Gott ist eine Grundstimmung christlicher Haltung. Die Kirche betet in der heiligen Liturgie und leitet uns an, Gott immer und überall zu danken. Im Gloria der heiligen Messe danken wir Gott wegen seiner großen Herrlichkeit. Achten Sie bitte darauf, meine Freunde, wir danken im Gloria nicht für die empfangenen Wohltaten, sondern wir danken Gott, weil er so herrlich ist, wie er ist. Wir danken, dass wir ihn rühmen dürfen, dass wir einen solchen Gott kennen, einen solchen wunderbaren Gott. „Wir danken dir ob deiner großen Herrlichkeit!“ Voll Bewunderung und Freude danken wir Gott, dass er so ist, wie er ist. Zu besonderer Höhe erhebt sich der Dank im eucharistischen Opfer. Schon das natürliche Mahl weist ja den Menschen auf seinen Schöpfer hin. Nirgends wird so eindrucksvoll deutlich, dass der Mensch ein empfangender ist, als wenn er Nahrung zu sich nimmt. Das Mahl hat zu allen Zeiten dazu gedrängt, Gott für die Gaben, die gerade genossen werden, zu danken. Erst recht ist der Dank angebracht in der Feier der Eucharistie – Eucharistie heißt ja Danksagung. Wir gedenken nämlich in der eucharistischen Feier des Todes des Herrn, des Werkes der Erlösung. Die Messe ist ein Opfer, und zwar deswegen, weil sie reales – nicht bloß psychologisches –, weil sie reales Gedächtnis des am Kreuze vollbrachten Erlösungsopfers ist. Dafür sagen wir Dank. Dank, dass der Herr am Kreuze ausgehalten hat, dass er nicht herabgestiegen ist, wie man ihm zurief: „Steig herab, dann wollen wir glauben.“ Nein, er hat ausgehalten. Dank für sein Leiden und Sterben, Dank für sein Kommen, für seine Auferstehung, für seine Himmelfahrt, für seine Geistsendung, für alles, was er für uns getan hat. Der Kanon, also das Hochgebet der heiligen Messe, beginnt mit dem Aufruf zum Dank. Das Hauptgebet der eucharistischen Feier ist ein Dankgebet. Der Dank gilt all dem, was Gott in seiner allmächtigen Güte für uns getan hat.

Der Unglaube hebt die Zurückbeziehung alles Guten auf Gott und damit auch den Dank gegen Gott auf. Dadurch wird aber regelmäßig die Selbstsucht und die Weltsucht im Menschen entfesselt, sodass die Menschen auch untereinander nicht mehr Dank sagen. „Undank ist der Welt Lohn“, sagt der Volksmund. Der heilige Paulus sieht im Undank gegen den erkannten Gott die letzte Quelle des Heidentums. „Obwohl sie Gott erkannten, haben sie ihm nicht als Gott Ehre und Dank erwiesen“, schreibt er im Brief an die Römer. Jede Sünde ist Undank gegen Gott. Statt ihn zu ehren, sucht die Sünde Gott die äußere Ehre zu nehmen. Und deswegen bekennen wir ja im Reuegebet, dass wir Gott, unserem größten Wohltäter, so undankbar gewesen sind. Von Goethe stammt das schöne Wort: „Der Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe nie gesehen, dass tüchtige Menschen undankbar gewesen seien.“ Ich wiederhole noch einmal diesen wunderbaren Satz: Der Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe nie gesehen, dass tüchtige Menschen undankbar gewesen seien. Undank wirkt verletzend. Der Wohltäter erwartet ein Wort oder ein Zeichen des Dankes. Bleibt es aus, fühlt er sich gekränkt. Undank tut weh. Und doch ist Undank nicht selten. Ich habe einmal einem Verwandten eine teure Armbanduhr geschenkt. Er bedankte sich nicht. Als ihn der Vater zum Dank aufforderte, entgegnete er: „Er braucht mir ja nichts zu schenken.“ Die Heilige Schrift verurteilt die Undankbarkeit. „Wer undankbaren Sinnes ist, lässt seinen Retter im Stich“, so heißt es im Buche Sirach. Wer undankbaren Sinnes ist, lässt seinen Retter im Stich. Undank ist Zeichen einer schäbigen Gesinnung. „Undankbarkeit wohnt nur in niederen Seelen“, hat einmal Friedrich Rückert geschrieben. Einer ist immer undankbar für alle Dienste, die man ihm geleistet hat: das ist der Satan. Er lässt die Menschen schuldig werden, aber er zahlt ihnen keinen Dank. Wir dürfen uns durch Undankbarkeit nicht verbittern lassen und unsere hilfreiche Hand von dem Undankbaren nicht zurückziehen. Die heilige Katharina von Siena pflegte eine schwerkranke Frau. Zum Dank für ihre Güte wurde sie von ihr verdächtigt und in ihrer Ehre gekränkt. Die Mutter Katharinas wollte sie abhalten, noch einen Schritt zu der bösartigen Kranken zu tun. Aber Katharina antwortete: „Glaubst du, unser Heiland ist zufrieden, wenn wir Werke der Barmherzigkeit unterlassen, nur weil wir Undank ernten? Hat der Erlöser, als er am Kreuze die Schmähworte des undankbaren Volkes hörte, darum sein Erlösungswerk aufgegeben?“ Werden wir, meine lieben Freunde, dankbare Menschen. Dankbar gegen Gott und gegen seine Geschöpfe. Es gibt ja ein schönes Gebet, das wir oft sprechen sollten:

Nie kann, o Herr, ich danken dir genug.

Es soll dir danken jeder Atemzug.

Es soll dir danken jeder Herzensschlag

Bis zu dem letzten Schlag am letzten Tag.

Es soll dir danken jeglicher Gedanke.

Nichts will ich sprechen als: O Herr, ich danke.

Amen.

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