Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. November 2012

Eine göttliche Person in zwei Naturen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Ringen um die Erkenntnis des Wesens Christi war mit der Entscheidung des Konzils von Nicäa nicht abgeschlossen. Damit waren zwar die Arianer zurecht gewiesen, die die Gottheit Christi leugneten, aber es war noch ein Rest des Irrtums geblieben, der sich verhängnisvoll ausweiten sollte. Denn die Arianer hatten nicht nur die Gottheit Christi geleugnet, sondern auch die Seele Christi. Sie sagten: Der LOGOS hat einen unbeseelten Leib angenommen. Die Menschheit Christi wurde also verstümmelt, denn ohne Seele kann man nicht von einem ganzen Menschen sprechen. Diese Lehre wurde von dem Bischof Apollinaris von Laodicea aufgenommen und fand weite Verbreitung. Es mußte von neuem gekämpft werden, um diese Irrlehre zu überwinden, was durch hervorragende Theologen wie Gregor von Nyssa geschah, auch natürlich unter dem Schutz des Kaisers, der die Apollinaristen, also die Anhänger dieser Lehre, verwies und verbannte. Es war aber immer noch eine andere Frage zu erklären, nämlich: wie verhalten sich göttliche und menschliche Natur in Christus zueinander? Da gab es zwei Richtungen. Die Ägypter in Alexandrien sprachen von einer Vermischung der beiden Naturen. Die Antiochener, also in Syrien, redeten von einer Trennung der Naturen. Es waren vor allem die beiden Theologen Diodor von Tarsus und Theodor von Mopsuestia, die diese Meinung vertraten. Sie lehrten: Der LOGOS, also die zweite Person in Gott, wohnt in dem Menschen Jesus wie in einem Tempel. Das heißt, eine eigentliche Menschwerdung gibt es nicht, denn wie in einem Tempel wohnt ja Gott auch in den Begnadeten, in denen, welche die heiligmachende Gnade besitzen. Die beiden nahmen also eine Einheit nur im moralischen Sinne an, das heißt, der Mensch Jesus hat sich an die Gebote Gottes gehalten, aber er ist nicht Gott. Das heißt weiter, Maria ist nicht Gottesgebärerin, sie ist Christusgebärerin, sie ist Menschengebärerin. Sie ahnen, welche Verwirrung infolge dieser Lehre entstand. Die beiden, Diodor und Theodor, wären eventuell zu überwinden gewesen, aber die Lehre wurde übernommen von dem Patriarchen von Konstantinopel, von Nestorius. Und dadurch gewann sie erhebliche Kraft und Verbreitung. Was lehrte Nestorius? Nestorius sagte: „Der Sohn der Jungfrau Maria ist ein anderer als der Sohn Gottes. Entsprechend den zwei Naturen in Christus sind auch zwei Personen anzunehmen, eine göttliche und eine menschliche. Die beiden Personen sind nur durch die Einheit des Willens verbunden. Der Mensch Christus ist nicht Gott, sondern Gottesträger. Die Inkarnation ist keine wahre Menschwerdung, sondern nur die Einwohnung des göttlichen LOGOS im Menschen Jesus Christus, ähnlich wie Gott in den Seelen der Gerechten wohnt. Folglich kann Maria nicht im eigentlichen Sinne als Gottesgebärerin bezeichnet werden, sie ist Menschengebärerin oder Christusgebärerin.“ Das heißt, Nestorius zerriß die Einheit in Christus. Er teilte Christus auf in zwei Personen, in eine menschliche und eine göttliche. Er verfiel bei diesem Versuch, Christi Wesenheit zu erklären, einem Rationalismus, also einem Denksystem, das meint, mit dem Verstand könne man die Wirklichkeit Christi auflösen. Es kam, vom Kaiser einberufen, zu einer Allgemeinden Synode in Ephesus, im Jahre 431. Bei dieser Synode setzte die alexandrinische Richtung, also Cyrill von Alexandrien, die richtige Lehre durch, nämlich die Lehre einer wahren Einigung der zwei Naturen in Christus und vor allem von der Theotokos, von der Gottesgebärerin. Das Volk von Ephesus veranstaltete einen Fackelzug, als Maria wieder in ihre Ehre eingesetzt wurde. Aber damit war die Sache keineswegs erledigt, denn die Gegner hielten auch eine Synode ab, eine Gegensynode, und bekräftigten auf ihr ihre Irrlehre. Das rechtgläubige Konzil von Ephesus lehrte im einzelnen folgendes: Die göttliche und die menschliche Natur in Christus sind zu einer Einheit in der Person, in einer Person, miteinander verbunden. Christus ist eine einzige Person, er ist Gott und Mensch zugleich, ein und derselbe ist Gott und Mensch. Der göttliche LOGOS, also die zweite Person in Gott, ist durch eine innere Vereinigung mit der Menschennatur verbunden. Christus ist nicht bloß Gottesträger, er ist Gott. Es ist der göttliche LOGOS, der im Fleische litt, gekreuzigt wurde, starb und auferstand. Wegen der physischen Einigung von zwei Naturen in einer Personen gebührt auch der Menschheit Christi göttliche Verehrung, wegen dieser Einheit. Die heilige Jungfrau ist Gottesgebärerin, da sie den fleischgewordenen LOGOS seiner Menschennatur nach geboren hat.

Der Streit hielt an, die Spaltung dauerte fort. Im Römischen Reiche hat der Kaiser für die Durchsetzung der rechten Lehre gesorgt. Aber außerhalb des Römischen Reiches hielt sich die Irrlehre. In Persien, im heutigen Iran, dauerte der Nestorianismus fort, und zwar kraftvoll. Die Nestorianer waren keineswegs schlechte Kerle, sie waren eifrige und gläubige Christen, freilich nach ihrem Glaubensbekenntnis, und sie waren außerordentlich missionseifrig. Die nestorianische Christen dehnten das Christentum aus nach Indien, in die Mongolei, nach China. Es gab 200 nestorianischen  Bistümer und vermutlich Millionen solcher nestorianische Christen. Sie wurden freilich durch die Mongolenstürme dezimiert, vernichtet, ausgelöscht bis auf kleine Reste. Noch heute, noch heute gibt es in Kurdistan, also an der Grenze zwischen der Türkei und Iran, nestorianischen Christen. Auch im Irak, auch in Syrien hat sich diese Lehre in kleinen Gruppen behauptet.

Nun kann man natürlich fragen: Lohnten sich diese Auseinandersetzungen und Kämpfe? Waren sie notwendig? Die Antwort lautet: Sie haben sich gelohnt und sie waren notwendig. Warum? Die Kirche ist die Wirkstätte des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit. In der Kirche muß darum die Wahrheit herrschen. Der Beistand des Heiligen Geistes garantiert ihr, dass sich die Wahrheit, wenn auch unter vielen Kämpfen, durchsetzt. Das Wirken des Heiligen Geistes macht menschliche Bemühungen nicht überflüssig, setzt sie vielmehr voraus, aber an dem Ringen der Menschen ist eben die Kraft des Heiligen Geistes beteiligt. Er lenkt die Herzen und den Verstand zur Klärung der Wahrheit. Und so muß man sagen: Ephesus ist der Erfolg des Heiligen Geistes. Was dort gelehrt wurde, ist die Wahrheit, die der Geist in seiner Kirche durchsetzt. Nun könnte einer kommen und sagen, ja das ist halt ein Versuch mit philosophischen Mitteln, die Offenbarung zu durchdringen, mehr nicht. Nein, meine lieben Freunde, das ist nicht bloß ein Versuch, das ist eine gelungene Definition dessen, was das biblische Zeugnis hergibt. Die Bibel spricht nicht in philosophischen Begriffen, sie erzählt die Geschichte der Offenbarung. Aber wenn wir diese Geschichte umsetzen in Begriffe, dann kommt das heraus, was in Ephesus definiert wurde. Das Dogma von Ephesus ist die gültige Ausdeutung und die angemessene sprachliche Formulierung des biblischen Zeugnisses. Es hat darum für alle Gläubigen bindende Kraft.

Bei diesen altchristlichen Irrlehren handelt es sich um bleibende Versuchungen. Sie kommen immer wieder vor, wie ich Ihnen gleich zeigen werde, bis in unsere Gegenwart. Wir Christen müssen wissen, wer Jesus Christus ist. Wir müssen seine Wirklichkeit und seine Wesensart erforschen, denn davon hängt ja ab, wie wir uns zu ihm stellen, wie wir mit ihm umgehen, wie wir uns ihm gegenüber verhalten. Und der positive Inhalt des Dogmas von Ephesus lautet: In der Menschwerdung wurde die Daseinskraft der zweiten Person in Gott die Daseinskraft der menschlichen Natur. Die menschliche Natur in Christus hat keinen Selbststand. Sie hat kein ICH, sondern das ICH der menschlichen Natur Christi ist der LOGOS, ist die göttliche Person. Der LOGOS hat sich die menschliche Natur mit einer solchen Mächtigkeit angeeignet, dass sein eigenes Selbst das ICH der menschlichen Natur wurde, und er ist in der menschlichen und in der göttlichen Natur tätig. Die Definition von Ephesus, meine lieben Freunde, sichert die wahre und wirkliche Menschwerdung der zweiten Person in Gott. Die Menschwerdung aber ist die Bürgin unseres Heiles. Da ist der Abgrund zwischen Gott und dem Menschen überbrückt. Da ist die ganze Schöpfung mit Licht und Leben erfüllt, wie wir wieder zu Weihnachten sehen werden. Indem der Mensch den geschichtlichen Christus ergreift, kann er in das innergöttliche Leben eintreten, weil dieser Mensch Gottes Sohn ist. Wenn die Einheit zwischen Gott und Mensch, wie es der Nestorianismus behauptet, nur eine äußere und äußerliche wäre, dann würden ja Gott und Mensch nebeneinander hergehen in Christus, da käme es nicht zu einer Überbrückung des Abgrundes. Da würde auch die Kluft nicht geschlossen. Der Mensch bliebe innerhalb der Todeszone. Nein, die Heftigkeit, mit der dieser Kampf geführt wurde, erklärt sich nur aus der Sorge um die Erlösung aus Sünde und Tod.

Die Kirchenväter haben noch auf zwei weitere Konsequenzen hingewiesen, die sich aus dem nestorianischen Irrtum ergeben, nämlich einmal: Wenn das Leiden Christi das Werk eines bloßen Menschen ist, wird es seines unendlichen Wertes beraubt. Denn dieses Leiden hat doch nur deswegen unendlichen Wert, weil es der Gottessohn ist, der leidet. Die Gottessohnschaft Christi, auch im Leiden, ist die Voraussetzung unserer Erlösung. Eine andere Konsequenz in der Eucharistielehre: Das Fleisch Christi in der Eucharistie ist nicht lebensspendend, wenn es nicht das eigene Fleisch des Gottessohnes ist. Nur weil wir in der Eucharistie den LOGOS, den Zweiten in der Dreieinigkeit empfangen, nur deswegen ist dieses heilige Fleisch, ist dieses heilige Geschehen lebensspendend.

Die Protestanten haben, als sie im sechzehnten Jahrhundert entstanden, zunächst an dem Dogma von Ephesus festgehalten. Luther hat das Dogma von Ephesus anerkannt. Aber seine Anhänger sind ihm nicht gefolgt. Fast der gesamte deutsche Protestantismus hat die Lehre des Konzils von Ephesus aufgegeben. Das Dogma von der hypostatischen Union, das heißt, von der Verbindung der göttlichen und der menschlichen Natur in der Einheit der göttlichen Person, verfällt im Protestantismus der Ablehnung. Ich frage mich dann aber: Ja, wozu machen wir denn da immer noch Ökumenismus? Wir können die Protestanten nicht hindern, ihren Ansichten zu folgen. Aber wir können es vermeiden, uns ihnen anzuschließen. Wir wollen festhalten am Glauben des Konzils von Ephesus. Wir wollen Christus in zwei Naturen, vereint in einer Person, bekennen, denn wir wissen, dass davon unser Heil und unsere Erlösung abhängt.

Amen.

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