Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. November 2011

Das Wiederkommen des Herrn in Macht und Herrlichkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn Sie aufmerksam zugehört haben, dann werden Sie bemerkt haben, dass die Evangelien des letzten Sonntags im vergangenen Kirchenjahr und des ersten Sonntags im neuen Kirchenjahr sich berühren, nahezu identisch sind. Sie sprechen beide vom Weltuntergang, den der Herr ankündigt. Aber diesem Wort des Herrn ist ein anderes vorangegangen. Am Morgen haben die Apostel den Tempel besucht. Sie sind die breiten Tempelstufen hinabgestiegen und auf der Höhe des Berges Sion vor dem Tempel stehen geblieben. Der Tempel ist ihnen ein Erlebnis der Bewunderung geworden. Da bricht es aus ihnen hervor: Diese Mauern, diese Säulen, diese Dächer, diese Massen, diese Gewalt des Baues! Überschwängliches Lob aus ihren Lippen: Fabelhaft, wunderbar, toll! Der Herr sagt dazu nichts. Er preßt die dünnen Lippen zusammen; er schweigt einen Augenblick. Er schließt die Augen, als ob er noch einmal das zurückhalten möchte, was er ihnen sagen muss. Aber dann kommt es aus seinem Munde mit fester Betonung: „Kein Stein von diesem Bau wird auf dem anderen bleiben.“ Die Jünger sind wie betäubt. Sie schweigen, als sie zurückkehren zur Stadt. Und erst am Abend, als er sie auf den Halden des Ölberges niedergelassen haben, fragen sie, was das zu bedeuten habe. Der Tempel, der Tempel, das größte Heiligtum des auserwählten Volkes soll zerstört werden? Das ist für sie gleichbedeutend mit Weltuntergang. Denn der Tempel ist der Sitz, der Thron Gottes. Der Tempel ist der Inbegriff der jüdischen Religion. Herodes der Große hat ihn in jahrzehntelanger Arbeit wunderbar neu errichten lassen. Den ganzen Abend füllen die Gespräche aus über die Letzten Dinge.

 Der Herr nimmt nichts zurück. Kein Stein, kein Marmorstein wird auf dem anderen bleiben! Von 66 bis 73 n. Chr. machten die Juden einen Aufstand gegen die römische Herrschaft. Kaiser Vespasian in Rom ließ seine Legionen marschieren. An der Spitze stand sein Sohn, Titus. Er eroberte im Jahre 70 Jerusalem. Dabei gingen Stadt und Tempel in Flammen auf. Das Denkmal seines Triumphes ist der Titusbogen in Rom. Da sieht man den siebenarmigen Leuchter, den die Römer fortgeführt haben; da sieht man die Juden, die als Sklaven nach Rom gebracht werden. Nach der Zerstörung der Stadt ließ Titus die 10. Legion als Besatzung zurück. Die christlich gewordenen Juden waren schon vorher aus der Stadt gewichen in Ostjordanland, nach Pella, und hatten sich dort in Sicherheit gebracht. Sie trauten der Voraussage des Herrn.

Die Jünger sind daran interessiert zu erfahren, wann das eintritt, was der Herr ankündigt. Man ist ja erst im Jahre 33. Wann soll diese Katastrophe sich ereignen? Der Herr wählt ein Beispiel aus der Natur. Alle kennen die Feigenbäume; sie sind die eiligsten unter den Bäumen, sie setzen die frühesten Blüten an. „Wenn die Knospen sich schwellend vergrößern, dann wißt ihr, dass der Sommer nahe ist.“ Das kann man fühlen, das kann man greifen mit den Händen, selbst wenn man blind wäre. Zwischen den Vorgängen in der Natur und dem Untergang Jerusalems besteht ein Zusammenhang. Man wird die ganze Entwicklung der jüdischen Geschichte, des israelitischen Volkes ablesen können, wenn man weiß, welches die Vorzeichen sind. Wenn es so weitergeht drüben in Jerusalem, wenn die offizielle Kirche so tot bleibt, wenn die führenden Schichten des Volkes so wenig den großen Sinn ihrer Geschichte begreifen, wenn im Lande nur noch ein paar stille Menschen Gott in ihrem Herzen tragen, wenn bis in den Tempel hinein die Anarchie tobt und wenn sie aus dem Gotteshaus ein Warenhaus machen, wenn die Geldkurse und das Steigen des Dollars sie mehr beschäftigt als die Ehre Gottes und die Betrachtung des Gesetzes in stillen Nächten, wenn die Veräußerlichung in Schminke und Lustbarkeit so weitergeht und die werdenden Kinder verdorren, dann ist die Katastrophe nicht mehr zurückzuhalten. Dann werden Dächer und Wände, dann werden die Altäre und der Vorhof umgestürzt, dann wird es so kommen, wie der Herr es vorhergesagt hat.

Der Untergang Jerusalems ist die eine Weissagung des Herrn. Die andere ist der Untergang der Welt. Beide gehören zusammen, wenn auch nicht unmittelbar zeitlich. Aber beide sind Ausdruck der Urteilsgewalt des Herrn. Sie sind Machtsprüche Gottes.

Der Weltuntergang war das Thema im Evangelium des letzten Sonntags im Kirchenjahr. Christus malt die Weltkatastrophe in den riesenhaften Bildern der Apokalyptik seiner Zeit: Zeichen an Sonne, Mond und Sternen. Das Meer wirft seine Fluten über die Ufer. Die Menschen vergehen, verschmachten, es geht ihnen der Atem aus vor Angst. Die Kräfte des Himmels werden erschüttert. Damit ist die Erfüllung der Uroffenbarung vom Herrn angezeigt, ein wirklicher Weltenbrand, wie ihn auch die Völker in ihren Mythen geahnt haben. Auf dem Hintergrund dieser apokalyptischen Welt malt Christus seine Parusie. Parusie ist das griechische Wort für die Wiederkunft des Herrn, für sein Erscheinen in Herrlichkeit. Feuer bricht aus dem Himmel und flutet um den Weg, auf dem der Nazarener zur Erde steigt. Das Bild, das der Herr hier gebraucht, ist nach Daniel gemalt. Es erinnert in seinen großen Formen an die Vision des Propheten Daniel. Da wird der Menschensohn herabsteigen in Macht und Herrlichkeit.

Achten Sie bitte darauf, meine Freunde, dass der Herr von sich weder als Gottessohn noch als Davidssohn, sondern nur als von dem Menschensohn spricht. Er war der Gottessohn, er war der Davidssohn, und er läßt die Hoheitstitel für sich gelten, aber seine Selbstbezeichnung ist Menschensohn. Warum? Mit dem Ausdruck „Sohn Gottes“ wird seine Gottgehörigkeit, sein Ursprung aus Gott ausgesagt. Markus eröffnet deswegen sein Evangelium mit dem Satze: „Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes.“ Und der Engel, der Maria verkündet, was mit ihr geschehen soll, sagt: „Das Heilige, das aus dir geboren wird, wird Sohn Gottes genannt werden.“ Die Dämonen, die ein höheres Wissen haben, bekennen Jesus als den Sohn Gottes: „Wir wissen, wer du bist. Du bist der Sohn Gottes“, so sagen sie. Und Petrus, der von Gott erleuchtet ist, bekennt bei Cäsarea Phlippi: „Du bist Christus, der Sohn Gottes.“

Nun hatten in der damaligen Zeit auch andere Menschen sich diesen Titel beigelegt: Sohn Gottes. Die Frommen, die zu Gott gehören wollen, die sich zu Gott hingezogen fühlen, sie nannten sich „Sohn Gottes“. Aber anders bei Jesus. Er ist nicht der Sohn Gottes wegen seiner Frömmigkeit. Er ist der Sohn Gottes wegen seines Ursprungs. Er ist der metaphysische Sohn Gottes. Und Jesus besteht darauf, dass er dieser Sohn Gottes ist.

Ähnlich verhält es sich mit dem Namen Davidssohn. Die Juden erwarteten den Messias aus dem Geschlechte Davids. Der Messias mußte nach ihrer Überzeugung ein Nachkomme Davids sein. Deswegen ist auch diese Prophezeiung in Erfüllung gegangen. Matthäus nennt Jesus „Sohn Davids“, um zu betonen, dass er der vom Alten Testament verheißene Davidssproß, d.h. der Messias ist. Jesus hat auf diesen Titel nicht verzichtet, er hat ihn angenommen. Einmal haben zwei Blinde geschrien: „Erbarme dich unser, Sohn Davids!“ Sie wußten also, wer er ist. Jesus sprach zu ihnen: „Glaubt ihr, dass ich das tun kann, was ihr wollt, nämlich euch das Augenlicht zurückgeben?“ Sie sagten: „Ja, Herr.“ Da berührte er ihre Augen und sprach: „Nach eurem Glauben geschehe euch!“ Und ihre Augen öffneten sich. Das Wunder war eine messianische Tat, eines Tat des Sohnes Davids. Also noch einmal: Der Herr besteht darauf, der Sohn Davids zu sein. Aber er nennt sich selbst den Menschensohn. Warum?

Er möchte vermeiden, dass mit den vertrauten Begriffen Gottessohn und Davidssohn Mißbrauch getrieben wird, dass man ihn als einen politischen Messias versteht, wie er von den Maßgebenden Kreisen des jüdischen Volkes erwartet wurde, der die Besatzungsmacht aus dem Lande treibt, der die Steuern abschafft, der die Herrlichkeit des jüdischen Königtums wiederherstellt. Das wollte er vermeiden. Und deswegen nennt er sich den Menschensohn. Woher hat er diese Bezeichnung?  Er hat sie aus dem Buche des Propheten Daniel. Daniel ist einer der großen Propheten des Alten Bundes, und er hatte in der Verbannung in Babylon eine Vision. „Es kam einer, der aussah wie ein Menschensohn auf den Wolken des Himmels. An ihm ist Glanz und Herrlichkeit. Er kommt bei dem Hochbetagten – das ist Gott – an. Man führt ihn vor denselben, und was geschieht da? Ihm ward Herrschaft, Ehre und Reich verliehen. Ihm müssen alle Völker, Nationen und Zungen dienen. Seine Herrschaft wird ewig dauern und kein Ende finden. Niemals wird sein Reich zerstört werden.“ Das ist die Gestalt, die Jesus auf sich bezieht. Dieser Menschensohn ist er. Er hat freilich das Bild des Menschensohnes verknüpft mit dem des Gottesknechtes, wie ihn der Prophet Isaias angekündigt hatte; denn er wollte ja nicht nur der Menschensohn beim Gericht sein, nein, er wollte auch der Gottesknecht im Leiden sein. Im Bild, in der Bezeichnung, im Ausdruck Menschensohn vereinigen sich beide Aufgaben Jesu, sein erlöserisches Leiden und seine machtvolle Gerichtsbarkeit. Dieser Menschensohn ist Jesus von Nazareth, der Sohn Mariens. Er kam einmal auf die Erde in jener Nacht, als die Hirten wachten und Engel erschienen. Damals kam er in Ohnmacht und Schwäche. Bei seiner Wiederkunft wird er kommen in Macht und Kraft und Herrlichkeit.

Der Tag der Wiederkunft ist ungewiß. Die gläubigen Christen, meine lieben Freunde, haben stets mit dem Kommen des Herrn gerechnet. Die Menschen des 1. Jahrhunderts meinten, der Herr würde schon jetzt wiederkommen, bald nach der Katastrophe Jerusalems. Die Menschen des 6. Jahrhunderts haben es ebenfalls angenommen. Die Menschen des 10. Jahrhunderts waren fest überzeugt: Jetzt wird die Wiederkunft des Herrn sich ereignen. Haben sie sich geirrt? Nein. Sie haben lediglich die Verkündigung Jesu ernstgenommen. Sie haben in der Spannung der Erwartung und in der Sehnsucht der Hoffnung gelebt. Sie haben begriffen: Die Weissagung des Herrn muss aufgenommen werden in Ernsthaftigkeit. Was jederzeit eintreten kann, ist immer nahe. Auch unsere Zeit muss damit rechnen, dass der Herr kommt, sieghaft und unübersehbar. Dann werden ihn auch die sehen, die ihn durchbohrt haben.

Erneuern wir, meine lieben Freunde, heute am Beginn des neuen Kirchenjahres, unsere Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn! Sagen wir zu ihm:

Ja, Herr, du wirst kommen. Wie der Blitz aufzuckt im Osten und bis zum Westen leuchtet, so wirst du kommen. Du wirst kommen, wie das Schicksal kommt, unentrinnbar, denn du bist das Schicksal der Welt. Du kommst über alle, die dich sahen und doch nicht erkannten, die dich hörten und doch nicht verstanden, über Spötter und Hasser, über Trunkene und Träumende, über Zweifelnde und Verzweifelte, du, der Ausgestoßene, der Verkaufte, der Geschlagene, der Gekreuzigte, der Totgeschwiegene. Wie der Blitz wirst du hineinleuchten in das Dunkel ihrer Seelen. Wie der Blitz wirst du sie samt ihren Götzen zerschmettern. Wie brennende Glut wirst du ihr morsches Sein verzehren. Wie rollender Donner wird die Sprache deines Gerichtes sein. Und wenn das alles seinen Anfang nimmt, dann sehet auf, erhebet euer Haupt, denn es naht eure Erlösung. Ja, Herr, wir werden wissen, dass du es bist, du glühend Geliebter, du heiß Ersehnter, du einziger Gott über allen Götzen. Du unser Leben und unsere Liebe, du nie Gesehener und doch Gekannter, du unendlich Ferner und doch Allernächster, du, unser Herr und unser Meister. Wir wußten, dass du kommst. Unsere Augen spähten ab die grauen Horizonte nach dem ersten Dämmern deines Lichtes. Wir gingen dir entgegen in der Hoffnung auf dein Wort. Wir ließen hinter uns die satte Welt und bauten in der Wüste unsere Stadt und wölbten ragend ihre Tore weit wie unsere Sehnsucht. Geheimer König, wenn dein Banner über der Erde flattert, dann kehren wir Verbannte heim. Deinetwegen haben wir das Tier nicht angebetet und haben uns nicht preisgegeben um feilen Lohn. Wir kehren heim und bringen dir den Lobpreis deiner Größe dar. Auch du warst tot, geächtet und ausgestoßen, und du lebst. Du kommst, Tod und Trauer von uns zu nehmen und Klagen und Schmerz. Du kommst, uns zur ewigen Hochzeit zu führen, wo wir trinken werden von den lebendigen Wassern, wo unser Glauben zum Schauen wird. Und wir werden dein Antlitz sehen und dürfen deinen Namen tragen auf unserer Stirn. Und du, unser Gott, wirst unser Licht sein und unser Heil.

Herr, schon weilst du in unserer Mitte, verborgen zwar, aber schon schauen wir den Lichtsaum des Gewandes deiner Herrlichkeit. Maranatha, komm, o Herr!

Amen.

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