Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. November 2010

Verleitung zur Sünde durch Ärgernis

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Sie alle kennen das Wort Ärgernis. Es gibt jemand Ärgernis, es nimmt jemand Ärgernis. Ärgernis ist, kurz gesagt, Verleitung zur Sünde. Ärgernis ist eine Handlung – ein Wort, eine Tat, eine Unterlassung –. die an sich oder nach den Umständen geeignet ist, den Nächsten in Sünde zu führen. Das deutsche Wort „Ärgernis“ stammt aus dem Mittelhochdeutschen und kommt von „arg“ oder „ärger“. Das bedeutet soviel wie jemanden schlechter machen, ärger machen, jemanden zur Sünde reizen, jemanden zur Sünde anreizen. Sie kennen auch das Lehnwort aus dem Lateinischen: Skandal. Das ist ein Skandal. Das besagt dasselbe wie Ärgernis. Skandal bedeutet ursprünglich in der griechischen Sprache das Stellholz, mit dem man Vögel fängt, und übertragen bedeutet es den Anstoß zum sittlichen Fall.

Man unterscheidet das aktive und das passive Ärgernis. Das aktive Ärgernis, das jemand gibt, das passive Ärgernis, das jemand nimmt. Das aktive Ärgernis kann wiederum ein direktes oder ein indirektes sein. Ein direktes Ärgernis besteht darin, dass jemand mit Absicht ein Ärgernis gibt, um die anderen zu verleiten. Er hat bei seinem Ärgernisgeben das Ziel, dass andere es nachahmen. Das nennt man das teuflische Ärgernis, denn so macht es der Teufel. Hingegen ist das indirekte Ärgernis nicht beabsichtigt, aber man sieht die schlimme Folge voraus und läßt sie zu. Aktives Ärgernis also, direktes Ärgernis, wo man die Sünde wünscht, aktives Ärgernis, indirektes Ärgernis, wo man die Sünde nur zuläßt.

Ärgernis in diesem Sinne gibt der Bundespräsident, wenn er nach seiner Scheidung eine neue Ehe eingeht. Aktives Ärgernis geben Amtsträger, wenn sie zu höchst bedenklichen Geschehnissen schweigen, obwohl sie reden müßten. Man kann nicht den Apostaten in Tübingen sagen lassen, die Menschen sollen dem Papst ungehorsam sein, und dazu schweigen. Wenn die Bischöfe dazu schweigen, geben sie Ärgernis! Durch glaubenslose, unsittliche Schriften werden die Leser verdorben oder ärger gemacht. Man denke an das Buch von David Friedrich Strauß „Das Leben Jesu“. Das hat Hunderttausenden den Glauben geraubt. Oder an Ernst Haeckels „Welträtsel“. Vor wenigen Tagen erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Leserbrief. Dieser Leserbrief stammte von einem katholischen Universitätsprofessor der Theologie, der jahrzehntelang in Würzburg katholische Glaubenslehre vorgetragen hat oder besser vortragen sollte. Und was schrieb dieser Professor in seinem Leserbrief? Christus habe keine Kirche gestiftet. Dies sei erst nachträglich eingetragen worden in die Evangelien. Das ist Ärgernis.

Passives Ärgernis oder das genommene Ärgernis ist eine Tat des Nächsten, wodurch man zu einer bösen Tat, zu einer Sünde veranlaßt wird. Also Kinder ahmen zum Beispiel die hemmungslose Nahrungsaufnahme ihrer Eltern nach. Wenn die Eltern fressen, werden es die Kinder kaum zur Enthaltsamkeit bringen. Oder wer die Sonntagsmesse aus nichtigen Anlässen versäumt, der kann andere veranlassen, ihrerseits nicht zur Messe zu gehen. Oder wenn der Berliner Bürgermeister sagt: „Ich bin schwul, und das ist gut so“, da muss man ihm sagen: Das ist nicht gut so, denn durch eine solche Äußerung kann er andere zur Nachahmung verleiten, reizt er sie gleichsam, es ihm gleichzutun, macht er das Laster gesellschaftsfähig. Jeder, der das Heilige nicht ernst nimmt. kann zum Anlaß für andere werden, ihrerseits das Heilige nicht ernst zu nehmen. In Tübingen gab es einen katholischen Theologieprofessor, einen Priester, der, wenn die Fronleichnamsprozession durch die Straßen zog, im Garten arbeitete.

Die Sünde des einen Menschen reizt den anderen oft nicht zur Nachahmung dieser Sünde, sondern zu einem anderen Fehltritt, zum Beispiel zu sündhaftem Zorn. Ein Vater, der sich betrinkt, kann die Kinder zur Geringschätzung oder Verachtung des Vaters verleiten. Geistliche, die sich gegen Gottes Gebote und die Gesetze der Kirche verfehlen, reizen manche Christen zur Erbitterung, so dass sie aus der Kirche austreten. Vielleicht haben Sie gelesen, was dieser Tage in Washington geschehen ist. Dort besteht die „Jewish-Claims-Conference“, eine jüdische Einrichtung, die aus Deutschland Gelder herausfordert, um sie Überlebenden oder Hinterbliebenen von Überlebenden der Judenverfolgung zu übergeben. Jetzt kommt heraus, dass diese Jewish-Claims-Conference 42 Millionen Dollar veruntreut hat. Sie haben sie in die eigene Tasche gesteckt, statt sie den überlebenden Opfern zuzuwenden. Sie haben Übersiedler aus Rußland veranlaßt, Anträge zu stellen, obwohl denen überhaupt keine Entschädigung zusteht. Das wird die Liebe zu den Juden nicht vermehren, sondern es ist zu befürchten, dass manche es zum Anlaß nehmen, um wieder die Juden zu verdächtigen oder schlecht zu machen.

Ärgernis ist sündhaft, wie es der Heiland ja einmal deutlich gesagt hat: „Wehe dem Menschen, durch den Ärgernis kommt.“ Es müssen zwar Ärgernisse kommen, weil die Verhältnisse eben so sind, aber „wehe dem Menschen, durch den Ärgernis kommt. Es wäre ihm besser, es würde ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt.“ Woran die Menschen Ärgernis nehmen, ist allerdings sehr verschieden. Wenn die Menschen sittlich fein reagieren, werden sie das Ärgernis um so ernster nehmen. Aber je mehr die Gewissen abstumpfen, je mehr sie laxen Anschauungen folgen, desto mehr gewöhnen sich die Menschen an das Böse und nehmen dann eben kein Ärgernis mehr, wird ihnen die fremde Sünde kein Anlaß mehr zur eigenen Sünde. Auch der Apostel Paulus geißelt das Ärgernis, das Essen von Götzenopferfleisch. Er sagte: „Wenn dein Bruder sich der Speise wegen betrübt, dann will ich überhaupt kein Fleisch mehr essen.“ Er will also jedes Ärgernis vermieden sehen.

Das aktive direkte Ärgernis, also wo man beabsichtigt, mit dem Ärgernis jemanden zur Sünde zu verleiten, ist natürlich immer Sünde, und zwar je schwerer das zu erwartende Ärgernis ist, um so mehr ist das gegebene Ärgernis. Das Wollen der schweren Sünde durch Ärgernisgeben ist selbst schwere Sünde. Beim indirekten Ärgernis allerdings kommen auch andere Rücksichten in Frage, nämlich wie groß die Gefahr ist, dass andere Ärgernis nehmen, und wie stark das Interesse des Täters an seiner Handlung ist. Indirektes Ärgernis geben Christen, die sich äußerlich zu Christus bekennen, aber im Gegensatz zum Evangelium leben. Ärgernis geben diejenigen, die unermüdlich daran sind, Fehler und Versäumnisse aufzuspüren und sie auf breitester Basis bekannt zu machen, um der Kirche zu schaden und das Vertrauen zur Kirche zu erschüttern, wie es der „Spiegel“ fortwährend tut. Dass das passive Ärgernis als solches eine Sünde des Nächsten bedeutet, ist klar. Aber es gibt manches Ärgernis, das einer nimmt, das man nicht beachten muss. Ich will Ihnen gleich Beispiele geben. Das pharisäische Ärgernis, das ist jenes Ärgernis, wo die Sünde des anderen von seinem eigenen bösen Willen herkommt. Der Volksmund sagt: „Wer arg ist, denkt arg.“ Wer selber böse ist, traut dem anderen auch leicht Böses zu. Das pharisäische Ärgernis gründet also in dem verkehrten, boshaften, heuchlerischen Willen des anderen. So nahmen die Juden Anstoß daran, dass Jesus am Sabbat Kranke heilte. Sie nahmen Anstoß an seiner Wundertätigkeit. „Woher hat er denn das? Er ist doch der Sohn des Zimmermanns.“ Und sie nahmen Anstoß an ihm. Da ist auch das Ärgernis der Kleinen. Es besteht darin, daß die Sünde des anderen aus Unreife, Geistesschwäche, Unkenntnis sich herleitet. Ich habe einmal erlebt, wie ein Frau zu mir kam und sagte: „Der Priester hat den Kelch nach der Wandlung schief hochgehalten. Er hat keinen Glauben!“ Es ist natürlich weit übertrieben, so etwas aus einer solchen Handlung zu folgern. Das ist das Ärgernis der Kleinen, das aus Unkenntnis, Unreife oder Charakterschwäche herkommt. Das braucht man nicht zu beachten. Nach dem Kompensierungsprinzip kann es eben überhaupt Umstände geben, wo man eine Handlung setzen darf trotz schlimmer Folgen, nämlich wenn man eine genügende Begründung dafür hat. Heute ist es ja so, dass jemand, der durchaus korrekt handelt, ja so handeln muss, anderen Anstoß gibt, weil sie eben das nicht vertragen. Sie wollen es nicht hören. Sein Tun ist in keiner Weise schlecht, er will das entstandene Ärgernis in keiner Weise hervorrufen, er bedauert es, aber er kann es nicht hindern. Und in dieser Lage sind wir Verkündiger des Wortes Gottes. Wir müssen verkünden, gelegen oder ungelegen, was die Menschen nicht hören wollen. Wenn daraus Ärgernisse entstehen, Menschen sich von der Kirche abwenden, dann können wir das nicht hindern. Die Kirche soll ankommen bei den Menschen. Aber wenn sie mit der Wahrheit nicht ankommt, dann braucht sie überhaupt nicht anzukommen.

Ein besonderer Punkt, der Ihnen allen vertraut ist, ist Ärgernis durch die Mode, vor allem durch die Mode der Frauen. Die Kleidung hat wichtige Funktionen im Menschenleben. Sie hat eine Schutzfunktion. Sie schützt den Körper, sie schützt die Sittlichkeit. Sie hat eine Ausdrucksfunktion. Man kann sich schmücken mit der Kleidung, das ist nicht verboten. Sie hat auch eine Sozialfunktion; sie verbindet die Menschen miteinander. Diese Funktionen sind aber bei der Auswahl und bei der Gestaltung der Kleidung zu berücksichtigen. Verletzungen können gegen das 5. und 6. Gebot gerichtet sein, nämlich gegen die Nächstenliebe, auch gegen die richtige Selbstliebe, gegen die Gemeinschaftsfunktion. Die Kleidung soll vor allem nicht Anlaß zu sexueller Erregung sein. Sie soll nicht bei anderen sexuelle Phantasien oder Wünsche hervorrufen. Und das ist auch dann nicht unbedenklich, wenn die betreffende Trägerin der Kleidung selbst keine Ahnung davon hat und das auch gar nicht will. Es ist trotzdem anstößig, und deswegen soll es vermieden werden.

Wer Ärgernis gegeben hat, der soll, der muß es gutmachen, wiedergutmachen. Er ist durch die Liebe verpflichtet, das gegebene Ärgernis, den Schaden, den er dem Nächsten zugefügt hat, wiedergutzumachen. Wie macht man ein Ärgernis wieder gut? Nun, indem man es öffentlich oder privat widerruft, indem man sich entschuldigt, indem man sich bekehrt, unter Umständen auch indem man materiellen Schaden ersetzt. In der Französischen Revolution haben mehrere tausend Priester, durch Drohungen mit Gefängnis, mit Deportation, mit dem Tod gezwungen, ihren Dienst, ihren geistlichen Dienst eingestellt und das Priestertum aufgegeben. Als die Schreckenszeit vorüber war, wollten viele von ihnen wieder in den kirchlichen Dienst zurückkehren. Die Bischöfe verlangten einen Widerruf, einen Widerruf ihres Verhaltens an allen Orten, wo sie ihren Stand verleugnet hatten. Sie forderten weiter eine Zeit der Buße, in der sie keine priesterlichen Funktionen ausüben durften. An manchen Orten bekamen sie eine Kerze in die Hand gedrückt und mußten am Kirchentor warten, während die anderen zum Gottesdienst gingen und sie selber draußen bleiben mußten. So ernst hat man damals das Ärgernis und den Widerruf des Ärgernisses genommen. Diejenigen, die sich unter Druck und Terror verheiratet hatten, mußten ihre Frauen aufgeben, dann konnten sie in den Dienst der Kirche wieder zurückkehren. Das war die Wiedergutmachung des Ärgernisses.

Das Ärgernis, meine lieben Freunde, ist eine sittliche Gefahr. Wir sollen es meiden. Hören wir die Mahnung des Apostels: „Sehet zu, Brüder, dass ihr vorsichtig wandelt. Erkaufet die Zeit, denn die Tage sind böse.“ Man muss sich Handeln und Unterlassen überlegen, man muss Handeln und Unterlassen mit Umsicht betreiben, man muss an die Auswirkung und an die Folgen denken. Hören wir noch eine weitere Mahnung des Apostels: „Niemand wollen wir irgendeinen Anstoß (Ärgernis!) geben, damit nicht unser Amt getadelt werde.“ Man darf nicht selbst Böses tun, aber auch nichts tun, was an sich gut ist, aber für andere Anlaß wird, Böses zu tun, wenn man keinen genügenden Grund dafür hat.

Der König Salomon wurde einst von Gott aufgefordert, einen Wunsch zu äußeren. Salomon antwortete: „O Gott, verleihe wir Weisheit und Erkenntnis!“ Gott antwortete ihm: „Weil du nicht Reichtum, Schätze und Glanz gefordert hast, sondern Weisheit und Erkenntnis, so sollen Weisheit und Erkenntnis in dir sein.“

Das sollte auch unsere Bitte sein. Gott möge uns die Augen öffnen, dass wir erkennen, was zu tun und was zu unterlassen ist, um nicht dem Nächsten Ärgernis zu geben. „Gib mir, o Herr“, so können wir beten mit dem Priester, wenn er den Altar beräuchert, „gib mir, o Herr, eine Wache meinem Munde, eine schützende Pforte meinen Lippen. So wird mein Herz sich nie zum Bösen neigen und niemals einen Vorwand suchen, sündigen zu können.“

Amen.

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