Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Juni 2009

Wesen und Wirkung des Bußsakramentes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In Kanada wurde eines Tages ein Priester in ein Indianerdorf gerufen, in dem eine Seuche ausgebrochen war; aber diese Seuche wütete auch in der Missionsstation. Also nahm er sich zuerst der vielen Kranken und Sterbenden an dieser Stelle an. Erst nach geraumer Zeit, als die Seuche nachließ, konnte er sich aufmachen in das entlegene Indianerdorf mitten im kanadischen Winter bei minus 50 °, über zugefrorene Seen und vereiste Schneefelder, im Hundeschlitten. Als er in dem Dorfe ankam, führte man ihn in eine Hütte. In dieser Hütte lagen nebeneinander elf Tote. Der Priester war tief erschüttert und beugte sein Knie, um für sie zu beten. Da bemerkte er, dass jeder der Toten eine Platte aus Baumrinde in den Händen hielt, das war das Schreibzeug dieser Indianer, auf der geschrieben stand: „Nur zu lesen von unserem Vater, dem Schwarzrock.“ Er nahm eine dieser Platten und las. Es war das Glaubensbekenntnis und das Sündenbekenntnis der Indianer. Jeder hatte, bevor er starb, noch einmal das Bußsakrament empfangen wollen und es nicht können. Aber er wollte sein Bekenntnis dem „Schwarzrock“, dem Pater, überlassen und schrieb es deswegen auf. Und er schrieb noch darunter: „Zum Dank dafür, dass du für mich eine Messe lesen wirst, vermache ich dir mein Marderfell oder mein Biberfell oder meine schöne Axt.“ Dem Missionar traten vor Rührung die Tränen in die Augen. Eine solche Wertschätzung des Bußsakramentes hatte er bei diesen Neubekehrten gefunden.

Meine lieben Freunde, am Anfang des ewigen Lebens in unserer Seele stehen Glaube und Gnade. Wer nicht diesen Anfang des ewigen Lebens in sich trägt, kann sich keine Hoffnung auf Erlangung der ewigen Seligkeit machen. Wer also in der Taufe das Leben empfing und es durch schwere Sünde verloren hat, der muss sehen, wie er wieder in dieses übernatürliche Leben eintreten kann. Er muss Reue erwecken, er muss sich an die Barmherzigkeit Gottes wenden, er muss von der Sünde frei werden; denn er weiß: Es gibt nach dem Schiffbruch wieder eine Möglichkeit zur Rettung. Das Konzil von Trient hat es in seiner prägnanten Kürze ausgedrückt: „Wer durch die Sünde die einmal gewonnene Rechtfertigung verloren hat, kann aufs neue gerechtfertigt werden, wenn er auf Anregung Gottes durch das Sakrament der Buße um der Verdienste Christi willen die verlorene Gnade wiederzugewinnen sich bemüht.“ Es gibt eine Planke nach dem Schiffbruch. Das ist das Bußsakrament.

Wer in Seelennot geraten ist wegen seiner Sünde, wem das Gewissen Vorwürfe macht, wer die Bitterkeit der Reue erfahren hat, der will vollkommene Sicherheit dafür haben, dass er wieder heil und von Gott in Gnaden aufgenommen ist. Diese Sicherheit hat Jesus seinen Aposteln verschafft, als er sie zu Richtern über die Pönitenten, über die reuigen Sünder machte. Er hat ihnen die Kraft und die Vollmacht gegeben, das Bekenntnis der reuigen Sünder entgegenzunehmen und ihnen das freisprechende Urteil zu vermitteln. Es ist genau so, als ob Jesus selbst spräche: „Ich spreche dich los von deinen Sünden,“ wenn der Priester die Hand zur Lossprechung erhebt.

Bevor Jesus das wohltätige Sakrament der Buße einsetzte, haben die Menschen auch versucht, von ihrer Schuld frei zu werden. Mit verschiedensten Mitteln, mit Waschungen, mit Opfern, mit harten Bußen, mit Selbstkasteiung suchten sie den Vorwürfen des Gewissens zu entgegen und sie loszuwerden. Aber alle diese Bemühungen waren unwirksam; diese Mittel halfen nichts. Heute wird auf drei Weisen versucht, mit den Sünden, mit der Schuld fertigzuwerden. Die schlimmste besteht darin, dass man den Menschen die Sünde ausredet. Und das ist seit 40 Jahren in unserer Kirche im Gange, den Menschen die Sünde ausreden, als ob es keine Sünde gäbe. Das ist die schlimmste Verkehrung. Die zweite Weise besteht darin, dass man die Menschen über die Sünde hinwegtröstet: Ach, das ist alles nicht so schlimm. Es ist schlimm, das gemarterte Herz Jesu zu durchstoßen! Es waren unsere Sünden, die die Lanze des Soldaten scharf gemacht haben! Die dritte Weise besteht darin, dass man meint, mit den Schätzen der Erde die Sünde auszugleichen, ausgleichen zu können. Nein, die Sünde entreißt das ewige Leben! Und das ewige Leben kann nur von dem gegeben werden, der der Herr des ewigen Lebens ist, und das ist Gott. Allein seine unverdiente übernatürliche Gnade kann uns das ewige Leben zurückgeben. Nur seine göttliche Liebestat kann uns wahrhaft von den Sünden befreien. Und das hat Jesus getan. Er hat sich geopfert, um die sündige Menschheit Erbarmen am Throne der Gnade finden zu lassen. Er hat am Kreuze den Schuldschein, der gegen uns lautete, zerrissen, weil er ihn als Kreuz geheftet hat. Er hat die Macht, die Sünden zu vergeben, er hat auch die Wahl, wie er es die einzelnen Menschen wissen lassen will, dass die Sünden vergeben sind. Wie glücklich mögen die Menschen in der Zeit der irdischen Wanderung des Herrn gewesen sein, wenn sie von ihm hörten: „Deine Sünden sind dir vergeben“! Der Gichtbrüchige, die stadtbekannte Sünderin, ihr sind viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat. Und doch sollten auch in der kommenden Periode der Menschheitsgeschichte die Menschen eine untrügliche Garantie dafür haben, dass sie von der Sünde befreit werden. Und so hat der Herr ein Ostergeschenk gemacht. Am Ostertage hat er das Bußsakrament eingesetzt. „Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen.“ Der Protestantismus sucht dieses Wort des Herrn zu entschärfen. Sie werden staunen, wenn ich Ihnen sage, dass man auf protestantischer Seite behauptet, damit sei auf die Sündenvergebung in der Taufe gezielt. Das ist natürlich völliger Unsinn. Das ist eine absolute Verkehrung. Die Taufe ist ein anderes Sakrament. Aber worum es hier geht, das ist die Sündenvergebung durch das Sakrament der Buße. Die Sünden sind nachgelassen, wenn der Priester dem reuigen Sünder zuspricht: „Ich spreche dich los von deinen Sünden.“

Wenn man ein religiöser Mensch ist, wenn man weiß, was Sünde ist, wenn man unter der Last der Sünde sich bedrückt fühlt, dann gibt es eine ungeheure Zuversicht, dass man weiß: Es gibt eine Befreiung vom Sündenschlamm. Es gibt eine neue Zuversicht mit Kraft, einen sittlichen Aufschwung zu nehmen, mit der Kraft, die Christus im Bußsakrament verleiht. Für Millionen Menschen, reuige Menschen, ist das Bußsakrament eine Quelle neuen inneren Glückes, neuer sittlicher Freiheit und der Anbeginn einer neuen Lebensmeisterung geworden. Das Wissen, dass der Priester als Beauftragter und Bevollmächtigter Christi handelt, verleiht der Beichte eine gewaltige Würde, einen hohen Ernst und eine stählende Kraft. Das hat der französische Forscher, von dem Sie vielleicht auch schon gehört haben, Charles de Foucauld, erfahren. Er war nach einem Sünderleben entmutigt zu einem Priester gegangen und wollte seine Seelenqual loswerden. Aber er sagte: „Ich bin ungläubig.“ Der Priester ließ sich auf keine Debatte ein und sagte zu seinem merkwürdigen Beichtkind: „Nein, Sie sind gläubig. Nur müssen Sie Ihr Gewissen in Ordnung bringen.“ Er schlug ihm vor, eine Lebensbeicht abzulegen. Charles de Foucauld ließ sich darauf ein. Als er sich nach der Lebensbeichte erhob, sagte er: „Ja, ich bin ein gläubiger Christ und ganz frei für Gott.“ Er trat in den Trappistenorden ein, wurde Priester, ließ sich in der marokkanischen Wüste nieder zum Zeugnis für Christus und wurde dort von senussischen Räubern ermordet. Vielleicht möchte mancher denken, ein solches Leben als Büßer und als Zeuge Christi, das ist wahrhaftig die wahre Genugtuung für ein Leben in der Sünde. Aber wie steht es mit jenen, die in jugendlicher Torheit gesündigt haben, die mit Jugendstreichen und Fehlern oder auch mit schweren Sünden ihre Jugend befleckt haben? Können sie ohne Beicht fertig werden? Im 19. Jahrhundert lebte im Münsterlande Melchior von Diepenbrock, der spätere Bischof von Breslau. Melchior von Diepenbrock stammte aus einer tieffrommen Familie, aber er selber war aus der Art geschlagen. Er verschmähte alle Mahnungen und Warnungen der Eltern; man gab ihn in ein Internat. Aber dort tat er nicht gut; man warf ihn hinaus. Er ging in ein zweites Institut, dort stellte er alles auf den Kopf; er mußte es verlassen. Dann gab man ihn in die Kadettenanstalt. Dies sagte ihm mehr zu, der militärische Betrieb, die sportliche Betätigung, das Leben mit der Waffe bekam ihm. Aber er mochte sich nicht an die strenge Zucht halten, er wollte nicht bedingungslosen Gehorsam leisten. Er wurde wiederum entlassen. Die Eltern waren ratlos, was mit ihm geschehen solle. Da kam eines Tages ein Besuch. Es war der Professor Johann Michael Sailer, der spätere Bischof von Regensburg. Melchior wollte nichts von ihm wissen, er wollte gar nicht zu Tisch mit ihm gehen und setzte sich ans Ende, wo er möglichst ungesehen war. Aber Sailer war ein Menschenkenner, und nach dem Essen begab er sich zu ihm, ergriff ihm beim Arm und sagte: „Kommen Sie, wir wollen einen Spaziergang machen.“ Wir wissen nicht, was auf diesem Spaziergang gesprochen wurde. Aber wir wissen, dass Melchior von Diepenbrock am nächsten Tage beichtete, die Kommunion empfing und ein neues Leben begann, das ihn bis auf den Bischofsstuhl von Breslau und zum Kardinalat führte.

Die Beichte wird für manche Menschen, vielleicht für viele, vielleicht auch für alle nichts Freudiges sein. Immer wieder muss sich auch der Gutwillige einen Anstoß geben. Die Sünde treibt zur Aussprache, aber die Scham hält davor zurück. Wo ist die größere Last zu suchen? Ohne Zweifel ist die kurze Demütigung etwas ganz Geringfügiges gegenüber dem Gewicht der ungebeichteten Schuld, der Friedlosigkeit und der Unsicherheit für Leben und Sterben. Bedenken Sie, meine lieben Freunde, der Beichtvater ist in derselben Lage wie Sie. Er kann sich die Lossprechung nicht geben, er muß sie von einem anderen Priester erbitten, und zwar nach einer vollständigen, aufrichtigen und reumütigen Beicht. Die Sünden des Priesters sind nicht schöner als die Sünden der Pönitenten. An dieser Stelle möchte ich Ihnen ein persönliches Erlebnis erzählen. In der vorigen Woche wollte ich beichten. Ich begab mich zu den Karmeliten in Mainz, wo ja ein Beichtstuhl ist, wo man einen Knopf drücken kann, und dann soll – dann soll! – ein Beichtvater kommen. Aber es kam kein Beichtvater. Ich wartete eine halbe Stunde, dann war die Beichtzeit vorüber. Ich mußte ungebeichtet davongehen. Am folgenden Tag, am Dienstag, ging ich zu den Dominikanern, die ja am Nachmittag Beichtgelegenheit bieten. Auch dort kann man einen Knopf drücken, und da erscheint eine Schrift: „Komme gleich.“ Aber es kam niemand. Ich wartete eine halbe Stunde, dann bat ich den Küster, mir doch einen Priester zu besorgen, bei dem ich beichten könne. Und dann brachte er mir einen halbseitig gelähmten Pater. Das ist mir passiert.

Die Beschämung liegt auf seiten des Beichtvaters, meine lieben Freunde. Der Beichtvater wird beschämt durch die Reue, durch das aufrichtige Bekenntnis, durch die Sehnsucht der Pönitenten, rein zu werden. Das ist die Beschämung. Der wirkliche Beichtvater sagt sich: Alle die Sünden, die ich hier höre, habe ich entweder selber begangen oder hätte sie begehen können, wenn mich nicht die Gnade gerettet hätte, denn ich bin genauso gut oder schlecht wie der, der vor mir kniet. Die Beichtenden halten dem Beichtvater einen Spiegel vor. Im Lichte ihres Bekenntnisses sieht er seine Seele und sagt er sich. Die Sünden, die bekannt werden, habe ich entweder selbst begangen oder hätte sie begehen können.

Die Beichtenden machen den Beichtvater auch auf vergessene oder übersehene Verfehlungen aufmerksam. Wer beichtet schon – was ich gelegentlich gehört habe – „Ich habe anderen die Freude verdorben“?  Dieses Bekenntnis ist mir im Gedächtnis geblieben. „Ich habe anderen die Freude verdorben.“ Wie schön, dass ein Beichtkind eine solche Sünde erkennt: Ich habe anderen die Freude verdorben.

Ich denke immer: Wenn ich an der Stelle meiner Beichtenden wäre, hätte ich womöglich dieselben oder noch schlimmere Sünden begangen. Mir sind ja viele Gelegenheiten zur Sünde verschlossen, welche die Beichtkinder haben. Sie haben es schwerer als ich. Nein, meine Freunde, werfen Sie alle Scham und Besorgnis vor dem Bekenntnis ab! Sie finden Christus und seinen unwürdigen Diener, aber mit absoluter Sicherheit die Verzeihung, wenn sie ein reumütiges und vollständiges Bekenntnis ablegen. Wir alle haben schon erfahren, wie man die Freude in das Herz einziehen spürt und den Frieden, wenn man gut gebeichtet hat. Nicht umsonst hat der Heiland die Einsetzung des Bußsakramentes mit den Worten eingeleitet: „Friede sei mit euch!“ Beichten bringt Frieden in jedes Herz.

Sie kennen vielleicht den Komponisten Max Reger. Sein sittliches Leben war nicht einwandfrei, aber merkwürdig von Todesahnung getrieben, machte er in später Nacht in einem Hotelzimmer in Wiesbaden bei einem befreundeten Priester seine Abrechnung mit Gott. Danach rief er aus: „Nun bin ich glücklich und beruhigt! Nun bin ich glücklich und beruhigt!“ Bald danach holte ihn ein rascher Tod in das Reich der ewigen Harmonie. Stets bewahrheitet sich, was auch im Konzil von Trient steht, nämlich: „Wesen und Wirkung dieses Sakramentes ist die Versöhnung mit Gott. Aber auf die Versöhnung mit Gott folgt nicht selten in frommen Seelen ein heiterer Friede des Gewissens mit starker Tröstung des Geistes.“ Ein heiterer Friede des Gewissens mit starker Tröstung des Geistes.

Wir haben allen Grund, dankbar für das Bußsakrament zu sein, denn wenn immer Gott durch einen Priester uns die Sünden verzeiht, tut sich ein ganzer Himmel über uns auf.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt