Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. November 2007

Vom Unkraut im Weizenfeld des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Dass sich die Volksscharen über die Taten Jesu verwunderten, ist nicht merkwürdig, denn seine Machttaten waren einzigartig und unerhört. Aber sie wunderten sich auch über seine Worte. An einer Stelle schreibt der Evangelist Lukas: „Sie erschraken über seine Lehre, denn seine Worte waren mit Macht ausgerüstet.“ Sie erschraken über seine Lehre, denn seine Worte waren mit Macht ausgerüstet. Die Worte Jesu waren das Glück und die Sicherheit seiner Hörer, wenn er von den Verheißungen sprach. Die Worte Jesu waren auch die Klarheit und die Aufklärung seiner Zuhörer, wenn er ihnen die Geheimnisse des Gottesreiches erklärte.

Ein Beispiel dafür ist das heutige Evangelium mit dem Gleichnis von dem Sämann und der Saat. Es ist ein Gleichnis, das über die Gottesherrschaft Auskunft gibt. Denn das war notwendig. Die Juden hofften auf die Gottesherrschaft, sogar mit allen Fasern und Fibern ihres Lebens. Aber sie hatten ein falsches Bild der Gottesherrschaft. Sie meinten, dass es eine irdische Herrschaft sei, dass der Landesfeind, der Bedrücker, der Besatzer (die Römer) aus dem Lande vertrieben würde und dass dann eben der Friede und das Glück und die Seligkeit einziehen auf dem Boden Palästinas, dass Krankheit und Not gebannt sind, dass kein Feind mehr da ist und auch der Tod besiegt ist. Dieses irdisch-sinnliche Bild der Gottesherrschaft war falsch. Der Herr musste es zerstören um der Wahrheit willen. Er spricht deswegen heute von der Gottesherrschaft in ihrem Anfang, denn das Ende der Gottesherrschaft ist dann, wenn Gott alles in allem sein wird, wenn der neue Himmel und die neue Erde kommen werden. Das ist die Vollendung der Gottesherrschaft. Aber er spricht vom Beginn, nämlich von der Aussaat. Das Himmelreich ist mit einem Manne zu vergleichen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, also in der Nacht, kam der Feind und säte Unkraut mitten zwischen den Weizen und ging fort, ungesehen und ungehört.

Die Zuhörer mögen ähnliches erlebt haben. Es wurde ja immer Weizen in Palästina angebaut, und es gab immer Unkraut. Aber gewöhnlich wurde das Unkraut doch von anderen Stellen zugeweht. Dass ein Mensch kam und Unkraut zwischen den Weizen säte, das war etwas Unerhörtes. Aber immerhin, auch das mag vorgekommen sein, denn der Neid und die Missgunst sind weit verbreitet unter den Menschen.

Der Herr aber schenkt uns nicht nur dieses herrliche Gleichnis, er gibt uns auch die Auslegung, nämlich: Der Sämann, der das gute Saatkorn aussät, ist der Menschensohn, also er selber. Der Acker ist die Welt, und das gute Saatkorn sind die Kinder des Reiches, also diejenigen, die für das Reich Gottes bestimmt sind und in deren Seelen das Saatkorn wächst und gedeiht. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen, die also das gute Saatkorn ersticken in der Wollust des Lebens unter Dornen oder Disteln oder weil der Boden ihrer Seele keine Feuchtigkeit hat. Der Feind, das ist der Teufel.

So steht es also um das Gottesreich in dieser Welt, meine lieben Freunde. Wo immer Gottes Acker bestellt wird, dort ist ein anderer, der unsichtbar – oder manchmal auch sichtbar – für Menschenaugen hinter dem Rücken der Gottesknechte Gottes Saat verdirbt. So steht der Priester auf der Kanzel oder, wie hier, am Ambo und verkündet Gottes Wort. Und einer ist es, der das Wort verdreht, der es entstellt, der es verdirbt, so dass es keine Frucht bringen kann. So steht der Priester in der Schule und lehrt die Kinder das Glück der christlichen Lehre und des christlichen Lebens, und einer ist es, der sein Bemühen vereitelt und die Kinderherzen ihm entfremdet und entwendet. So sitzt der Priester im Beichtstuhl, und einer ist es, der seinen guten Willen verfälscht, so dass sich eine Seele an ihm ärgert und zu der alten Schuld eine neue tritt. So ist es immer gewesen. Wo Gott eine Kirche gebaut wird, da setzt der Satan eine Kapelle daneben!

Wann hat die Kirche jemals ungestört und unbelästigt an den Seelen wirken können? Wann hat der böse Feind nicht ihr Wirken zunichte zu machen sich bemüht? Man gibt dann uns die Schuld. Ja, die Feinde des Glaubens zeigen mit dem Finger auf uns und weisen auf unsere Schwäche und unsere Ärgernisse hin, auf unser Versagen. Alles zugegeben. Wir wollen es nicht abstreiten. Wir sind zu schwach, wir sind zu erbärmlich, um gewürdigt zu werden, Gottes Namen in die Welt zu tragen. Aber es bleibt ein Rest, und dieser Rest geht nicht auf unser Konto. Dieser Rest geht auf das Konto des Satans. Das hat der Feind getan!

Der Satan freilich tarnt sich. Man durchschaut das Teufelswerk nicht sogleich. Es wachsen, wie der Herr sagt, lange Zeit Halm um Halm mit dem Weizen. Keiner unterscheidet den aufsprossenden Lolch vom Weizen, den Teufelsspuk von Gottes Werk. Erst der Fruchtansatz zeigt, was eigentlich geschehen ist, macht das Unglück offenbar. Als das Land Frucht ansetzte, da erschien auch das Unkraut. Ein Judas Iskariot hat lange Zeit im Kreise der Apostel unerkannt gelebt. Erst sein Verrat machte offenbar, dass er ein Knecht des Satans war.

Und so ist es auch heute noch. Da steht ein Junge, ein Mädchen in der Klasse, ein Arbeiter in seinem Betrieb, ein Christ, vielleicht sogar ein Priester in seiner Gemeinde, ein Mann, eine Frau in der Familie, und keiner ahnt etwas Böses, keiner traut ihm etwas Schlimmes zu. Er lebt ja auch wie alle anderen. Er arbeitet, er betet, er teilt mit den anderen Glück und Not. Aber einmal, auf einmal wird sein Werk, sein Leben ruchbar, und es ist deutlich, dass er der Finsternis zuarbeitet.

In Frankreich gab es einmal einen Priester mit Namen Turmel. Dieser Priester Turmel hat jahrzehntelang glaubens- und kirchenfeindliche Bücher unter fremdem Namen geschrieben und verbreitet, bis er endlich entdeckt und mit der großen Exkommunikation belegt wurde. Es war schon so in der Urzeit. Paulus musste erleben, dass Männer zu ihm kamen, die sich als Apostel bezeichneten, die das Evangelium und den Namen Jesu auf den Lippen trugen. Sie gaben sich als Geistspender aus und wollten den religiösen Bekehrungseifer des Apostels noch übertreffen. Und doch, sie hatten nichts anderes im Sinn, als die Christen zum Judentum zurückzuführen. Das waren die so genannten Judaisten. Ihre Absicht war es, das Heilswerk Christi zunichte zu machen. Paulus sprach ihnen gegenüber eine offene Sprache. Er nennt sie Lügenapostel, heimtückische Arbeiter, die sich als Apostel Christi verkleidet haben. Das ist kein Wunder, schreibt er, „denn der Satan verkleidet sich in einen Lichtengel.“ Seht ihr, das ist es! Der Satan verkleidet sich in einen Lichtengel. Und da ist es kein Wunder, dass sich auch seine Diener als Knechte der Gerechtigkeit ausgeben. Immer und überall, wo das Reich Gottes wächst und gepredigt wird, ist der Teufel mit seinen Listen und Tücken am Werke.

So ist es auch, meine Freunde, in den 2000 Jahren Kirchengeschichte gewesen. Wenn wir die Blätter der Kirchengeschichte durchsehen, da lesen wir von Irrtum und Abfall, von Unzucht und Ausschweifung in unseren eigenen Reihen. Da hören wir von lauem, gleichgültigem Volke, das wie Spreu unter dem Sturmwind der Verfolgung verweht und auseinandergetrieben wird. Da lesen wir von schlechten Priestern und Bischöfen, die Verführer und Verderber ihrer Gemeinden waren. So war es schon in der Urgemeinde. Da kamen Ananias und Saphira und sagten, wie großherzig sie seien, sie hätten ihr ganzes Vermögen verkauft und den Erlös der Gemeinde gegeben. In Wirklichkeit hatten sie nur einen Teil veräußert. Petrus entlarvt sie und vollzieht zugleich das Strafgericht: Sie stürzen tot vor ihm zusammen.

Es ist immer so gewesen, dass da, wo Gott wirkt, der Satan daneben steht. Und so ist es in jeder Gemeinde, so ist es auch im eigenen Herzen. Auch in unserer Seele, meine lieben Freunde, kann die Hölle dampfen, wenn uns schlimme Gedanken, schlechte Absichten, schädliche Wünsche kommen, vor denen wir erbeben müssten. Der Gottesfeind ist immer am Werk, er dringt in die geheimsten Winkel der Seele ein. Er weiß sich zu tarnen, und es ist ja manchmal auch schwer zu entscheiden: Wo ist denn die Grenze zwischen wirklichem Eifer und Herrschsucht? Wo ist denn die Grenze zwischen Ehrgefühl und verwerflichem Stolz? Wo ist denn die Grenze zwischen echter Liebe und Sinnenlust? Wo ist denn die Grenze zwischen Recht und Unrecht? Wo ist denn die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge? Die Grenzen sind oft so fein, dass man es nicht merkt und dass man in seinen Gedanken in das Böse hineingleitet. „Seht euch vor!“ mahnt deswegen der Apostel. Gerade da, wo der Mensch am stärksten ist, schleicht sich der Satan am leichtesten ein. Wenn einem die Redegabe gegeben ist, wie leicht kann er zum Schaumschläger werden! Wenn einer ein demütiger Mensch ist, wie leicht kann er ein unterwürfiger und feiger Mensch werden! Dort, wo die Seele am stärksten ist, da ist sie am meisten gefährdet.

Folgen wir dem Gleichnis weiter! Als das Unkraut aufwuchs, da kamen die Knechte zum Hausherrn und fragten: „Herr, hast du nicht guten Samen gesät? Woher hat er denn das Unkraut?“ Er antwortete: „Das hat der Feind getan.“ Und so fragen bis heute Eltern: Haben wir unsere Kinder nicht recht erzogen? Haben wir uns nicht bemüht, ihnen ein gutes Beispiel zu geben? Haben wir nicht mit ihnen gebetet? Haben wir sie nicht zum Gottesdienst geführt? Und warum jetzt dieser Abfall? Warum diese Lauheit? Warum diese Gleichgültigkeit? Warum sind sie jetzt dem Bösen verfallen? Warum? Diese Erfahrung, meine Freunde, hat schon der Apostel Paulus gemacht. „O ihr unvernünftigen Galater“, schreibt er einmal in seinem Brief an die Galater, „o ihr unverständigen Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Christus als Gekreuzigter vor die Augen gezeichnet wurde? Seid ihr so unverständig? Im Geiste habt ihr angefangen, und jetzt vollendet ihr im Fleische.“ Paulus brauchte sich nicht zu fragen wie jene Knechte im Gleichnis. Er sieht den Feind. Er weiß, woher er kommt. Er zweifelt nicht, er grübelt nicht. Es ist ihm bekannt. Er weiß, dass Gottes guter Samen vom Satan benutzt wird, um Unkraut dazwischen zu streuen. Er weiß auch, dass der Samen in Menschenherzen fällt und dass er dort aufgenommen werden muss. Er weiß, dass der freie Wille des Menschen entscheidend dafür ist, ob die Saat wächst oder ob sie nicht wächst. Der Mensch hat die Macht, Gottes Samen zu verderben und Unkraut auf Gottes Ackerfeld zu werden.

Was aber sollen wir tun, wenn solche Saat um uns oder in uns wächst? Die Knechte fragten beim Herrn: „Willst du, dass wir es ausrotten, dass wir es sammeln?“ Er entgegnete ihnen: „Nein, ihr könntet mit dem Sammeln des Unkrautes gleichzeitig den Weizen ausreißen.“ Solange das Böse im Gottesreich sich tarnt und verbirgt, erträgt man es leicht. Wird es aber einmal offenbar, dann möchte man es ausreißen mit Stumpf und Stiel. So wollten es die Knechte tun. Sie können den Anblick des entstellten Feldes nicht ertragen. Und so, meine lieben Freunde, haben es immer die Irrlehrer aller Zeiten getan. Sie sahen die Schäden der Kirche; sie sahen sie genau. Sie entdeckten die Mängel und die Schwächen, sie fanden Sünde und Verderbnis und Laster, und da gingen sie mit Feuereifer daran, die Übel auszurotten. Sie riefen den Papst an, die Bischöfe, und wollten sie bewegen zum Roden und Reuten des Unkrauts. Aber diese wussten, wieviel durch blinden Eifer an guter Saat zerstreut und vernichtet wird, und mahnten deshalb zur Vorsicht und zur Geduld. Jene Wirrköpfe aber hielten nun die ganze Kirche für verpestet. Sie rissen sich von ihr los, sie legten ein neues Ackerfeld an und wollten die Kirche der Unverdorbenen, der Reinen sein. So haben es im Altertum die Montanisten gemacht, im Mittelalter die Katharer und in der Neuzeit der Mönch aus Wittenberg. Der Herr im Gleichnis gibt eine andere Weisung. „Laßt beides zusammen wachsen bis zur Ernte!“ Ertragt die Ärgernisse, verurteilt die Sünder nicht. Es gilt eure Probe und eueren Gewinn. An ihrer Seite muss euer Glaube reifen, muss sich eure Hoffnung bewähren, muss eure Liebe erstarken. Durch die Versuchungen und Kämpfe in eurer Seele müsst ihr euch vollenden. Das Gericht überlasst dem Richter, dem göttlichen Richter. Der wird einmal besser, als wir es können, sein Reich von allem Bösen säubern. In der Erntezeit will ich den Schnittern sagen: Sammelt den Weizen in die Scheuern und bündelt das Unkraut in Büschel zum Verbrennen. Erst in der Ewigkeit wird Gottes Reich vollendet. Erst in der Ewigkeit ist es ohne Ärgernisse und ohne Versagen. Den Anbruch dieses Reiches erbeten wir jeden Tag, meine lieben Freunde, wenn wir im Vaterunser sprechen: „Zu uns komme dein Reich!“

Amen.

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