Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. Juli 2005

Der Erlösungsratschluß Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Menschen lebten einmal im Paradies der Wonne. Aber durch ihre Sünde haben sie sich das Paradies verscherzt. Sie verloren das Glück, das Gott ihnen bereitet hatte. Aus der Kindesunschuld und aus dem Gottesfrieden wurde die Sünde und der Abfall von Gott. Der ersten Sünde folgten unzählige andere. Es begann mit dem Brudermord Kains und endet – nein, es endet sicht, es dauert fort bis in unsere Tage. Es sind vor allem zwei Kategorien, zwei Gattungen von Sünden, die die Menschen immer wieder verleiten. Die eine Sünde ist die Empörung gegen Gott, die Arroganz, der Ruf: Ich will nicht dienen. Ich will tun, was mir gefällt, ich will tun, was mir passt, ich will tun, was ich mit mir selber ausmachen kann. Der Stolz, die Arroganz, die Empörung, das ist die eine große Gattung von Sünden. Die andere ist die Verfehlung gegen die geschlechtliche Sittlichkeit. Es wird wenige Sünden geben, die so zahlreich sind und zu solchen Perversionen führen wie die Verfehlungen gegen die geschlechtliche Ordnung.

Im Alten Bunde wird uns von der Verworfenheit der Leute von Sodoma berichtet, die in gleichgeschlechtlicher Begierde entbrannten, und Sie wissen alle, wohin wir gelangt sind. Heute sanktioniert der Staat das Laster, und nicht nur in Deutschland, in Belgien genauso wie in Spanien. Der im Himmel thront, der lacht ihrer, aber das ist nur vorläufig; einmal wird er Zahltag halten, einmal wird sein Zorn entbrennen, und dann werden sie sagen: Wie haben wir das verdient? Wie eine böse Wurzel, so kommt immer neue Sünde aus dem Menschen heraus kraft der Erbsünde, kraft der Begierlichkeit. Der Mensch verstrickt sich in seine Sünde wie eine Mücke im Netz der Spinne. Viele Menschen sehen die Bosheit, und sie seufzen unter der Last der Sünde, aber immer wieder reizt sie die Sünde, und so fallen sie erneut in die Sünde. „Die Sünde, die durch einen Menschen in die Welt gekommen ist“, schreibt Paulus im Römerbrief, „hat sich auf alle Menschen verbreitet, weil alle gesündigt haben.“ Und mit der Sünde kommt das Gefolge der Sünde. Die Sünde hat in ihrem Gefolge das Leid, das seelische Leid, den Kummer, die Gewissensbisse, und das körperliche Leid, die Krankheiten, die Epidemien, das große Leid in der Welt: Friedlosigkeit, Krieg, Hunger, die pressen den Menschen die Tränen aus. Und der Sünde Sold ist der Tod, wie wir soeben in der Lesung gehört haben. Das heißt: Was die Sünde bezahlt, das ist der Tod, damit bezahlt sie diejenigen, die ihr verfallen sind.

Es gibt keinen Weg der Selbsterlösung. Immer wieder haben Menschen versucht, die Selbsterlösung herbeizuführen. Ich denke etwa an den abgefallenen katholischen Christen Richard Strauß, den großen Komponisten. Der propagierte eine Selbsterlösung durch Arbeit; durch Arbeit könne man sich selbst erlösen. Andere meinten, der Mensch sei innerlich gut, man müsse ihn nur das Gute lehren, und dann tue er es von selbst. Aber, meine lieben Freunde, der römische Dichter Ovid hat schon geklagt: „Ich sehe das Gute und billige es und tue doch das Böse.“ Genauso ist es. Ich sehe das Gute und billige es und tue doch das Böse. Andere empfahlen als Weg der Erlösung die Abtötung. Man müsse dem Körper die Nahrung entziehen, man müsse die Triebe des Körpers niederhalten, aber die Triebe sind nicht nur im Körper, sie sind auch in der Seele. Und andere haben die Sünde überhaupt geleugnet. Wir haben ja eine Zeit erlebt, wir Älteren, wo man von Sünde, Sündenbewußtsein nichts wissen wollte. Man behauptete, das sei eine rückständige Überlieferung, die man ablegen müsse. Aber die Folgen der Sünde lassen sich nicht leugnen, und das Gewissen schweigt nicht. Wieder andere versuchten das Paradies auf Erden aufzurichten. Das waren die Kommunisten. Sie hatten ein Ideal, aber es war ein falsches. Wenn das Proletariat herrscht, so meinte man, wenn die herrschenden Klassen abgeschafft sind, dann kommt das Paradies. Wir wissen alle, wie dieser Traum geendigt hat. Auch die verschiedenen Religionsstifter vermochten Erlösung nicht zu bringen. Sie waren unfähig, die Sünde, das Leid und den Tod und die Hölle zu besiegen. Statt der Befreiung kam neue Knechtschaft. Die Formen des Götzendienstes, von denen uns die Religionsgeschichte berichtet, sind erschreckend. Denken wir etwa an die Menschenopfer! Fast in allen Religionen gibt es Menschenopfer. Fast alle alten Religionen kennen Hekatomben von Menschen, die sie darbrachten. In Ägypten zum Beispiel, um Regen herbeizuführen. In Mexiko wurden bei der Einweihung eines Tempels 80.000 Menschen geopfert, 80.000 Menschen bei der Einweihung eines Tempels! In anderen Religionen kam man zur Tempelunzucht. Man meinte Gott zu ehren, wenn man im Tempel unzüchtige Stätten bereithielt. Solche Verirrungen zeigen, dass es unmöglich ist, dass der Mensch sich selbst erlöst. „Nein, es muss einer vom Himmel kommen“, hat einmal der Rhetor Cicero geschrieben. Jawohl, es muss einer vom Himmel kommen, um die Erlösung zu bringen. Und das Konzil von Trient hat mit seiner luziden Weisheit diese Wahrheit ausgedrückt, wenn es schreibt: „Da alle Menschen in der Sünde Adams ihre Unschuld verloren haben, so waren sie dermaßen Knechte der Sünde und unter der Gewalt des Teufels und des Todes, dass sie nicht mehr imstande waren, sich davon freizumachen und zu erheben.“

Jahrtausende um Jahrtausende haben die Menschen Zeit gehabt, ihre Unfähigkeit, sich selbst zu erlösen, einzusehen. Die Menschheit als Ganzes sollte begreifen, was die Sünde ist. Sie sollte an sich selbst erfahren, wie hilflos sie ist, um sich selbst zu befreien. Sie sollte in Demut anerkennen, dass sie ganz von Gott abhängig ist, wenn sie von der Schuld befreit werden wollte. Sie sollte Heimweh nach Gott bekommen. Sie sollte in Sehnsucht den Ruf erschallen lassen: „Tauet, ihr Himmel, den Gerechten, ihr Wolken, regnet ihn herab!“

Aber der Mensch war und blieb erlösungsfähig. Er war unfähig, sich selbst zu erlösen, aber er war nicht unfähig, eine von Gott geschenkte Erlösung anzunehmen. Das Erbarmen Gottes hat eine solche Erlösung ins Auge gefasst. Jetzt erhebt sich die Frage: Wie sollte eine solche Erlösung vonstatten gehen? Ein Mensch konnte sie nicht bringen, denn die Beleidigung, die Gott angetan ist, misst sich eben nach der Größe dessen, den man mit der Sünde kränkt. Ein Mensch ist unfähig, eine adäquate Genugtuung zu leisten für die Gott angetane Beschimpfung.

Aber die Erlösung sollte durch Leiden bewirkt werden. Gott ist leidensunfähig. Deswegen war es nicht möglich, dass Gott durch eigenes Leiden die Erlösung bewirkte. Also – so haben es die Kirchenväter immer gelehrt – musste ein Gottmensch die Erlösung bringen. Einer, der fähig war, zu leiden, und einer, der fähig war, die unendliche Beleidigung zu sühnen. „Um die Menschen wieder mit Gott zu versöhnen, musste ein Opfer dargebracht werden“, schreibt einmal der große Papst Leo, „ein Opfer, das gleichen Geschlechtes mit uns, aber von unserer Befleckung rein war.“ Und bekannt ist die Lehre des heiligen Anselm von Canterbury in seiner Schrift „Cur deus homo?“ – Warum ist Gott ein Mensch geworden?. Er legt dort folgenden Schluß vor: „Eine vollgültige Genugtuung konnte nur Gott leisten. Leisten durfte sie aber wegen der Notwendigkeit des Leidens nur ein Mensch. So musste sie denn ein Gottmensch leisten.“

Und tatsächlich hat Gott einen solchen Ratschluß gefasst. „Gott, der Vater, ließ sich rühren“, singen wir in der Adventszeit, „dass er uns zu retten sann. Und den Ratschluß auszuführen, trug der Sohn sich selber an.“ Der gewählte Weg der Erlösung zeigt, dass Gottes Erbarmen vielleicht die größte seiner Eigenschaften ist. Gott hätte andere Wege gehabt, um uns zu erlösen. Er hätte die Sünde einfach verzeihen können, oder er hätte den Menschen eine Buße auferlegen können. Wenn er aber eine vollkommene Erlösung bewirken sollte, dann musste er es durch die Menschwerdung und das Sühneleiden seines Sohnes tun. Auch heute gibt es Menschen, die sagen: War das denn notwendig, diese Schmach von Golgotha und diese Anspeiung durch die Knechte des Hohenpriesters? War das denn notwendig? Darauf hat der heilige Augustinus schon im 4. Jahrhundert die Antwort gegeben: „Es gibt törichte Menschen, die sagen: Hätte Gottes Weisheit nicht die Menschen in anderer Weise erlösen können, ohne die Menschennatur anzunehmen, ohne vom Weibe geboren zu werden, ohne all das von den Sündern zu erdulden? Darauf antworte ich: Sicher konnte er das. Aber wenn er es auch anders gemacht hätte, es hätte eurer Torheit wieder nicht gefallen.“

Gott hat also den Erlösungsratschluß gefasst, und er hat den Menschen die Verheißung der Erlösung gegeben. Wir nennen die erste Verheißung das Proto-Evangelium, das erste Evangelium, das also schon in den ersten Kapiteln der Genesis, des ersten Buches der Heiligen Schrift, enthalten ist. Gott entließ die ersten Menschen nicht in die Verzweiflung, sondern er entließ sie in die Hoffnung, indem er verkündete: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir – das ist die Schlange, der Satan – und dem Weibe, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Sie wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihrer Ferse nachstellen.“ Hier ist also verheißen, dass eine Frau maßgeblich an der Erlösung beteiligt sein wird, weil eine Frau auch maßgeblich an der ersten Sünde beteiligt war. Eva hat die Freundschaft mit Gott verloren, Maria wird die Freundschaft mit Gott zurückbringen, indem sie den Schlangentreter gebären wird.

Gott hat also in der Menschheit die Sehnsucht nach der Erlösung und die Hoffnung auf die Erlösung erhalten. Er hat die Sehnsucht nach der Erlösung aufrechterhalten durch das Schuldbewusstsein. Sein Gesetz, vor dem die Menschen scheitern, zeigte den Menschen, wer sie sind, nämlich verlorene Sünder. Die Opfer bei Heiden und Juden waren menschliche Versöhnungsversuche, die aber nicht gelingen konnten. Und die Strafgerichte, die über sie hereinbrachen, sollten ihnen zeigen, wie ernst es Gott mit der Sünde ist. Dann kamen die Predigten der Propheten, die den Menschen zeigten, was Gott von ihnen erwartet. Das alles erhielt das Schuldbewusstsein und das Erlösungsbedürfnis in den Menschen aufrecht. Gleichzeitig aber steigerte Gott die Hoffnung auf die Erlösung. Er hat ein ganzes Volk sich ausgewählt, das diese Erlösungshoffnung durch die Zeiten trug. Wir alle wissen, wie es um das Volk Israel steht. Dieses Volk ist ein einzigartiges Volk. Alle Völker der alten Welt, Ägypter, Sumerer, Hethiter, wie immer sie heißen mögen, alle Völker der alten Welt stehen unter dem Bann der Naturvergötterung. Nur Israel blickt zu dem überweltlichen, transzendenten Gott auf, wiewohl es vor ihm zittert. Alle Völker der alten Welt leben in rückschauender Sehnsucht nach dem verlorenen goldenen Zeitalter einer immer schlimmeren Zukunft entgegen. Nur Israel schaut voll Hoffnung auf einen künftigen goldenen Zustand und schwingt sich immer höher auf, je hoffnungsloser sich die Gegenwart gestaltet. Immer klarer enthüllen die Propheten den kommenden Erlöser. Bei Isaias heißt es: „Gott selbst wird kommen und euch erlösen.“ Bei Ezechiel: „Es wird ein Hirte sein, der die Völker weidet.“ Im Psalm 109: „Es wird ein großer Priester sein, der Gott versöhnt.“ Bei Isaias: „Er wird ein Lehrer sein, der die wahre Gottesweisheit verkündet. Er wird Gerechtigkeit und Heiligkeit zum Blühen bringen.“ Freilich muss er das alles erkaufen durch Leiden und Tod. Immer deutlicher, immer klarer strahlte die Hoffnung über die dunkle Erde: „Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab, rief das Volk in bangen Nächten, dem Gott die Verheißung gab, einst den Mittler selbst zu sehen und zum Himmel einzugehen. Denn verschlossen war das Tor, bis der Heiland trat hervor.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt