Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2003

Allerheiligen – Erntefest der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Kirche hält heute Erntefest. Sie hat die große Ernte in ihre Scheuern eingebracht, die Ernte ihrer Heiligen. Unter den Heiligen verstehen wir alle Menschen, die in der heiligmachenden Gnade von dieser Welt geschieden sind und nun in der Freude des Himmels leben. Es ist ein Erntefest. Die Kirche hat große Sorge um ihre wandernden und pilgernden Kinder, und sie trägt großes Leid um ihre verirrten und treulosen Söhne und Töchter. Aber heute freut sie sich, freut sie sich über jene ihrer Kinder, die es geschafft haben, die das Leid überwunden haben, die die Sünde niedergerungen haben und die deswegen in der Freude des Himmels leben. Jahr um Jahr, Jahrhundert um Jahrhundert ziehen ungezählte Christen in die himmlische Freude ein. Es fehlt kein Stand und kein Beruf, es fehlt kein Lebensalter und kein Geschlecht. Unter den Heiligen sind Kaiser und Könige – Heinrich II., Ludwig von Frankreich –, unter den Heiligen finden sich Fürsten und Fürstinnen – die heilige Elisabeth, die heilige Hedwig. Zu den Heiligen gehören Kriegsmänner wie St. Georg und St. Sebastian, es fehlen bei den Heiligen nicht die Handwerker und die Bauersleute – Wendelin, Crispin, die Dienstmagd Notburga. Sie alle gehören zu der zahllosen Schar, die der Seher auf Patmos geschaut hat, eine Schar aus allen Völkern, Stämmen und Nationen, die eingezogen ist in die Freude des Himmels. Von nichtkatholischer Seite wird der katholischen Heiligenverehrung vorgeworfen, sie schmälere die Ehre Gottes. Aber wieso denn,  meine lieben Freunde, denn Gott ist ja selbst ein Heiligenverehrer. Er hat sie doch mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt; er hat ihnen bestätigt, daß ihr Leben gelungen ist.

Alles, was die Heiligen geworden sind, verdanken sie der Gnade Gottes, in der sie sich freilich auch gemüht haben. Aber beherrschend und überwältigend ist die Gnade Gottes, die Güte des Vaters, die Kraft des Heiligen Geistes und das Geleit des Sohnes: sie haben sie in den Himmel der Freuden geführt. Die Heiligen waren Menschen wie Ihr und ich, sie hatten ihre Schwächen, sie waren Versuchungen ausgesetzt, sie haben Reue üben müssen wegen ihrer Sünden. Es ist ihnen keineswegs leicht geworden, heilig zu werden, aber sie haben sich angestrengt, sie haben sich gemüht, sie haben nicht geruht und gerastet, bis sie ihre Fehler überwunden hatten und Tugenden erworben hatten. Ihr Leben war ein Ringen und Kämpfen, und deswegen hat nicht umsonst vor einigen Jahrzehnten ein gläubiger Schriftsteller ein Buch geschrieben: „Helden und Heilige“. Ja, die Heiligen sind Helden, denn sie haben überwunden. Die Völker errichten Grabmäler für den unbekannten Soldaten. Das ist recht so. Aber noch viel zahlreicher ist die Schar der unbekannten Heiligen, aller derer, die mit der Gnade mitgewirkt haben und dadurch die himmlische Seligkeit gewonnen haben.

Wir verehren die Heiligen, indem wir sie anrufen. Schon auf Erden sprechen wir zueinander: „Beten Sie für mich. Denken Sie an mich im heiligen Meßopfer.“ Das ist richtig so, denn wir sind eine Solidargemeinschaft, wir gehören zusammen. Ein jeder ist dafür da, dem anderen zu helfen, einer muß des anderen Last tragen, einer des anderen Not teilen. Das ist nicht beendet, wenn jemand von der Erde geschieden ist. Die Heiligen leben, sie leben in der Ewigkeit, und sie empfinden mit uns, sie tragen mit uns, und deswegen dürfen wir sie anrufen. Gott hat ihnen Macht verliehen, uns durch ihre Gebete für uns zu helfen. Wir rufen nicht ins Leere hinein, sondern wir rufen zu lebendigen Persönlichkeiten, die ein Ohr für uns haben und die ein Herz für uns haben und die darum bei Gott für uns eintreten.

Die Kirche hat mit gutem Recht den Heiligen gleichsam besondere Aufgaben zugeschrieben, die mit ihrem Lebenswandel oder mit ihrem Beruf zusammenhängen. Es gibt Patrone, Patrone für die verschiedenen Berufe, Stände, Länder, Völker. Wer von uns hätte nicht, wenn er etwas verloren hat, schon den heiligen Antonius angerufen! Wer von uns würde nicht in den Nöten seines materiellen Lebens den heiligen Josef, den Nährvater Jesu, um Hilfe anrufen! Und in den Krankheiten, da flehen wir zu den entsprechenden Heiligen, bei Augenkrankheiten zur heiligen Ottilie, in sterbenskranker Hinfälligkeit rufen wir zum heiligen Camillus, und so gibt es für jeden Stand, für jede Lage, für jeden Beruf einen Heiligen, dem offenbar besonders von Gott anvertraut ist, den Menschen zu helfen, die in der ähnlichen Lage sind, wie er selbst war. Wir rufen nicht ins Leere, wir rufen in ein geöffnetes Ohr, und die Heiligen hören auf unser Flehen.

Wir ehren die Heiligen, indem wir sie anrufen. Aber wir ehren sie noch mehr, indem wir sie nachahmen. Sie haben das Leben in der Gnade Gottes bewältigt. Ihnen ist es gelungen, so durch die zeitlichen Güter hindurchzugehen, daß sie die ewigen nicht verloren haben. An ihnen können wir lernen, wie wir sein müssen, wie wir handeln müssen, wie wir gehen müssen, um zum gleichen Ziel zu gelangen. Ich sage noch einmal: Die Heiligen waren keine anderen Menschen als wir. Auch sie haben die Verlockungen der Sinnlichkeit gespürt, auch ihnen hat es besser geschmeckt beim Essen als beim Fasten, auch sie haben den Druck ihrer Leidenschaften im Körper und im Geiste gespürt. Aber sie haben sich überwunden, sie haben gerungen mit sich, sie haben begriffen, daß das Leben des Christen ein Kampf ist, und wer nicht kämpfen will, der kann auch nicht gekrönt werden; wer nicht kämpfen will, kann nicht siegen. Sie sind die Sieger, weil sie zuerst sich selbst besiegt haben. Das ist der schönste Krieg, der Krieg gegen sich selbst, und das ist der herrlichste Sieg, der Sieg über sich selbst. Das A und O, der Anfang und das Ende alles geistlichen Bemühens ist die Überwindung der eigenen Ungebärdigkeiten, der Unholde in der eigenen Brust. Und so rufen sie uns in der heutigen Stunde entgegen: Macht es so wie wir, folgt uns nach, ahmt uns nach, lebt so wie wir, damit auch ihr die Krone erlangt. So rufen die Heiligen in dieser Stunde zu uns.

Man hat dem Christentum vorgeworfen, daß es vor lauter Sehnsucht nach dem Himmel versäume, die Erde zu gestalten. Gewiß, wir wissen, daß die Todesstunde die wichtigste Stunde unseres Lebens ist, denn da entscheidet es sich, was mit uns wird: Himmel oder Hölle! Aber wir wissen auch, daß niemand im Tode bestehen kann, der nicht seine Aufgabe auf Erden bewältigt hat. Die Hände in den Schoß legen, träge sein, sich ein bequemes Leben machen, das führt nicht zum Himmel, sondern sich mühen, sich anstrengen, mit sich ringen, die Aufgaben des Lebens erfüllen, das ist es, was uns die Herrlichkeit des Himmels sichert. Der Gedanke an den Tod und an das Gericht lähmt uns nicht, er spornt uns an. Wir wissen, daß Gott von uns Werke verlangt und nicht bloß den Glauben.

In diesen Tagen wird ein merkwürdiger Mann geehrt mit einem großen Film, der über ihn gedreht worden ist, ein Propagandafilm, ein Film, der die alten Legenden aufwärmt, als ob dieser Mann seine Kirche erneuert hätte. Er hat sie zerstört! Er war kein Heiliger, sondern er hat Leidenschaften von unbändigem Ausmaß in sich getragen, einen Haß, wie er kaum in einem anderen je geglüht hat. Er hat geschrieben: „Man soll den Kardinälen in Rom die Zunge hinten zum Hals herausreißen.“ Das ist der Mann, den man heute ehrt mit einem Film. Nein, nicht so,  meine lieben Freunde, nicht das sind unsere Helden. Unsere Helden sind Helden der Liebe, sind Helden der Nachsicht, sind Helden der Güte und der Treue.

Die Heiligen haben den Himmel gewonnen. Sie haben ihn gewonnen, weil sie sich an das gehalten haben, was der Herr in der Bergpredigt gesagt hat, und was wir soeben im Evangelium gehört haben. Sie waren sanftmütig, und deswegen können sie jetzt das Land des Himmels besitzen. Sie waren hungrig und durstig nach Gerechtigkeit, und deswegen sind sie jetzt gesättigt. Sie waren barmherzig, und deswegen haben sie Barmherzigkeit erlangt. Sie waren reinen Herzens, und deswegen dürfen sie jetzt Gott schauen. Sie waren friedfertig, und deswegen sind sie jetzt die geliebten Kinder Gottes. Sie haben Verfolgung erlitten um der Gerechtigkeit willen, und deswegen ist ihrer das Himmelreich.

Amen.

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