Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. April 1999

Die Letzten Dinge des Einzelmenschen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vorgenommen, die Letzten Dinge der Menschheit und des Einzelmenschen zu bedenken. An den vergangenen Sonntagen waren wir damit befaßt, die Letzten Dinge der Menschheit und des Alls, des Kosmos, uns vor Augen zu führen. Wir beginnen heute damit, die Letzten Dinge des Einzelmenschen uns vor unser Angesicht zu stellen. Die Letzten Dinge des Menschen beginnen mit dem Tode. Der Tod ist der Abschluß des irdischen Lebens. Er beendigt den Zustand der Pilgerschaft und führt anfanghaft den Zustand der Vollendung herbei. Im Tode wird die vorläufige Lebensform des Menschen abgeschlossen, und die endgültige Lebensform tritt hervor.

Der Tod ist die Folge der Herrschaft der Sünde. Die Menschen sterben, weil sie erbsündig sind; die Erbsünde ist die Ursache des Todes.  Der Apostel Paulus hat dies im Brief an die Römer ausgesprochen, wenn er schreibt: „Gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so auf alle Menschen der Tod deshalb übergangen ist, weil alle gesündigt haben.“ Die Allgemeinheit des Todes wird auch von der Naturwissenschaft gelehrt, aber die Naturwissenschaft vermag nur bis zu einem gewissen Grade die Notwendigkeit des Todes zu erweisen. Erst die Offenbarungswahrheit lehrt uns, daß der Tod deswegen allgemein ist, weil in ihm sich das Geheimnis der Sünde auswirkt. Die tiefere Erklärung wird uns also nicht von der Naturwissenschaft geliefert, sondern von der Offenbarung. Der Mensch hatte am Anfang die Gabe, nicht sterben zu müssen. Ihm war im Zustand der Gottverbundenheit und der Gerechtigkeit das große Geschenk gegeben, den Tod nicht erleben zu müssen. Die Menschen im Paradiese wären auf eine Weise, die kein Tod gewesen wäre, in den Zustand umgewandelt worden, den wir jetzt aus der Auferstehung Jesu Christi kennen; aber gestorben wären sie nicht. Ihr Leben wäre beendigt gewesen, aber es wäre durch ein geheimnisvolles inneres Gesetz nicht in der abrupten und erschütternden Weise geschehen, wie es der Tod in unserem Leben ist. Erst die Abkehr von Gott, der Verlust der Gerechtigkeit hat den Menschen dem Tode ausgeliefert. Seitdem ist der Tod die Folge eines geschichtlichen Ereignisses, nämlich der ersten Sünde am Anfang der Geschichte; seitdem ist der Tod Strafe für die Sünde; seitdem ist der Tod die Offenbarung des Gegensatzes zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen; seitdem ist der Tod die Enthüllung des Mysteriums der Heiligkeit Gottes und der Sündigkeit des Menschen.

Wenn wir den Tod als Folge der Sünde bezeichnen, verkennen wir nicht die physiologischen Gesetze, die zur Auflösung des menschlichen Körpers führen. Aber wer nur als Weltgläubiger diese Gesetze betrachtet, mißversteht den Tod. Er übersieht die Tiefendimension des Todes. In dem Walten und hinter dem Walten der Naturgesetze vollzieht sich ein Geheimnis, nämlich der Vollzug des göttlichen Gerichtes über den sündigen Menschen. Der Tod hat also nicht nur eine natürliche Seite, er hat auch eine personalistische Seite, und diese personalistische Seite ist das Gericht, das Gott über den sündigen Menschen vollzieht. Im Walten der Naturgesetze geschieht das Geheimnis des göttlichen Gerichtes.

Der Tod ist durch Christus verwandelt worden. Er ist den Tod gestorben wie alle anderen, aber in anderer Weise. Er war der von innen her Lebendige, und er konnte deswegen einen Tod sterben, wie kein anderer ihn sterben kann. Er ist mit Willigkeit und mit bewußter Kraft in den Tod hineingegangen, und in ihm hat sich – so sagen die Kirchenväter – die Macht des Todes und die Kraft des Satans, der ja hinter dem Tode steht, erschöpft. Er hat durch seine willige Aufnahme des Todes vom Vater im Himmel verdient, daß er aus dem Tode entrissen wurde in der Auferstehung. In der Auferstehung ist hervorgekommen, was immer in ihm war: daß er der Allerlebendigste ist und daß deswegen der Tod ihn nicht festhalten konnte. Christus hat den Tod entmächtigt nicht nur für sich. Er hat ihn entmächtigt für alle, die zu ihm gehören durch Glaube und Taufe. Wer gläubig den Anschluß an Christus vollzieht und wer in der Taufe Christus anzieht – so sagt es ja Paulus –, der bekommt die Auferstehungskeime eingesetzt, die Christus in seiner Auferstehung für alle Menschen erworben hat. Er gewinnt Anteil am Schicksal Christi als des Gestorbenen und Auferstandenen. Noch ist es verborgen, aber wenn der Tod ihn einmal übermächtigt haben wird, kommt hervor, daß er Anteil nicht nur am Tode Christi, sondern auch an der Herrlichkeitsmacht seiner Auferstehung gewonnen hat. Für den in Christus Lebenden wird der Tod zum Durchgang, zum Durchgang ins ewige Leben.

Dadurch wird der Tod in seiner Schrecklichkeit nicht verharmlost. Der Tod ist auch für den Christusgläubigen das Ende, das unerbittliche Ende des irdischen Lebens. Es ist ein Abschied, und zwar ein endgültiger Abschied von den irdischen Formen der Existenz. Diese Situation wird noch dadurch verschärft, daß der Tod die Entscheidung bringt, die Entscheidung über das jenseitige Leben. Der Tod ist eine Rückerinnerung an das Gericht, das Gott über den Menschen verhängt hat. Gott hat die Sünde weggenommen, und wir können von der Sünde frei werden, aber er hat den Tod nicht weggenommen. Warum hat er den Tod nicht weggenommen? Damit wir erinnert würden an das Grauen, dem wir durch seine Sühnetat entrissen worden sind; damit uns lebendig vor Augen stehe, was wir verdient hatten und wovon wir erlöst worden sind. Der Tod sollte bleiben als stete Rückerinnerung an die Furchtbarkeit des Verlustes der Ewigkeit, die wir durch unsere Sünde verdient hatten.

Die Haltung, die dem Menschen angesichts des Todes angemessen ist, läßt sich wie folgt beschreiben. Der Tod ist einmal ein Widerfahrnis, weil er eben ohne unseren Willen und gegen unseren Willen das irdische Leben beendet. Aber er ist auch eine Tat. Er ist dann eine Tat, wenn wir ihn so sterben wie Jesus Christus, d.h. in bereitwilliger Hinnahme. Der Tod wird dann zu einer Tat, wenn wir den Tod aus der Hand Gottes bereitwillig entgegennehmen, wenn wir ergeben sind in das Todesgeschehen, ergeben, wie es meinetwegen Theresia von Lisieux war. Kurz vor ihrem Tode fragte sie der Hausgeistliche: „Nehmen Sie den Tod in Ergebenheit entgegen?“ Theresia antwortete: „Mein Vater, ich finde, es braucht keine Ergebenheit, um zu sterben. Ergebenheit braucht es nur für das Leben. Der Gedanke an den Tod erfüllt mich mit Freude.“ Man kann nur sagen: Wer so stirbt, der stirbt wohl. Der Tod soll also eine Tat werden, eine Tat der bereitwilligen Hinnahme. Er soll auch als Buße verstanden werden für das Böse, das wir in unserem Leben verübt haben. Er ist ein Gericht, ein Gericht auch über unser Leben. Der Tod ist schließlich eine Anerkennung der Oberherrlichkeit Gottes. Ganz richtig schreiben manche Angehörige in die Todesanzeigen ihrer Lieben in die Zeitung: „Der Herr über Leben und Tod hat unseren Vater heimgerufen.“ Ja, Gott ist der Herr über Leben und Tod, und wer sich ihm beugt, der erkennt Gottes Herrschaft an, der bekennt sich zu seiner Oberherrlichkeit und ehrt auf diese Weise Gott.

Richtig stirbt, wer sich im Leben auf den Tod eingeübt hat. In Rom befindet sich in einer Kirche das Grabmal eines Kardinals, und auf dem Grabstein steht geschrieben: „Ut moriens viverit, vixit ut moriturus.“ Damit er, wenn er stirbt, zu leben anfange, lebte er wie einer, der sterben muß. Ut moriens viverit, vixit ut moriturus. Ja, so sollen wir uns einüben in den Tod, daß wir uns lösen, lösen von der Verfangenheit an das Ich, von der Ichsucht, von der Selbstsucht, von der Selbstherrlichkeit; daß wir uns auch lösen von den Dingen dieser Welt, daß wir ihnen mit innerer Freiheit begegnen. Die Christus angehören, sagt Paulus, haben ihr Fleisch gekreuzigt mit seinen Lüsten. Und wer so in den Tod hineingeht, der kann mit Ruhe und Zufriedenheit sterben. „Ich sage: Weil der Tod allein mich machet frei, daß er das beste Ding von allen Dingen sei“, so unser schlesischer Dichter Angelus Silesius. „Ich sage: Weil der Tod allein mich machet frei, daß er das beste Ding von allen Dingen sei.“ Und so hat die Kirche uns gelehrt, dem Tod entgegenzugehen, gewiß mit Sorge wegen unserer Sünden, aber ebenso gewiß auch mit Hoffnung und Vertrauen und Zuversicht auf unseren Herrn Jesus Christus, mit dem wir ja zusammen in den Tod hineingehen, weil wir ihm durch Taufe und Glaube verbunden sind. Und so schreibt denn auch der Apostel Paulus im Briefe an die Philipper: „Denn für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn. Wenn das Leben im Fleische für mein Wirken fruchtbar ist, so weiß ich auch nicht, was ich wählen soll. Es zieht mich nach beiden Seiten hin. Ich habe das Verlangen, aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein, was um vieles besser wäre“, nämlich als noch weiter auf Erden wirken zu können. Und in der Totenpräfation kündet uns die Kirche die wunderbaren Aussichten, die dem, der in Christus stirbt, bereitet sind: „In ihm erstrahlt uns die Hoffnung, daß wir in Seligkeit auferstehen. Bedrückt uns das Los des sicheren Todes, tröstet uns doch die Verheißung der künftigen Unsterblichkeit. Denn deinen Gläubigen, Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge dieser irdischen Pilgerschaft zerfällt, wird ihnen im Himmel eine ewige Wohnung bereitet.“

Jetzt wissen wir, meine lieben Freunde, wie wir uns auf den Tod vorbereiten sollen und wie wir dem Tod entgegengehen können. Der Tod sitzt ja mitten in unserem Leben. Media vita in morte sumus – Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen. In den Drangsalen und Mühsalen, in den Schmerzen und in der Gebrechlichkeit, in den Leiden und Krankheiten unseres Lebens kündigt sich der Tod an, das sind die Vorboten des Todes. Gott ist so gnädig, uns diese Vorboten zu schicken. Sie sollen uns erinnern: Sterblicher, denk ans Sterben! Wenn wir uns auf diese Weise vorbereitet haben, werden wir auch dem Tode ruhig und gefaßt entgegengehen können. In Gott hinein sterben kann nur, wer zuvor in Gott hinein gelebt hat. In Gott hinein leben und in Gott hinein sterben, das ist eines so leicht und so schwer wie das andere. Wer in Gott hinein gelebt hat, der wird auch in Gott hinein sterben können. „Der Tod ist ein Durchgang und kein Untergang“, sagt der heilige Bischof Cyprian. Die große Kaiserin Maria Theresia sprach kurz vor ihrem Tode: „Mir ist nicht angst vor dem Tode. Mir ist, als ob ich von einem Zimmer in das andere gehen würde.“

Wir wollen also in dieser Gesinnung unser Leben verbringen, daß wir uns vorbereiten auf den Tod, daß wir auf die Vorboten des Todes achten und die Botschaft hören, die Gott uns durch sie vermitteln will, indem wir beten: „Jesus, Maria und Josef, steht mir bei im letzten Streite!“; indem wir uns erinnern, wenn wir sagen: „Bitte für uns, heilige Maria, jetzt und in der Stunde unseres Todes!“ Ja, indem wir uns das Gebet des Kardinals Newman zu eigen machen, der so gebetet hat: „Laß mich, o Gott sterben zu der Zeit und auf die Weise, die am meisten zu deiner Ehre und am besten für mein Heil ist!“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt