Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. März 1998

Die Pflicht, den Glauben zu bezeugen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Der Glaube ist eine übernatürliche Tugend, durch die der Mensch unter dem Antrieb Gottes und mit Hilfe der Gnade alles unverbrüchlich für wahr hält, was Gott geoffenbart hat.“ So hat es das Erste Vatikanische Konzil formuliert. Wir kommen zum Glauben durch Gottes Gnade. Niemand findet zu Christus und zu Gott, dem Vater, wenn er nicht gezogen wird. Niemand kann zu Jesus kommen, niemand kann den Vater finden im übernatürlichen Glauben, wenn Gott ihm nicht entgegenkommt.

Die Fähigkeit zu glauben, die Tugend des Glaubens wird uns wurzelhaft geschenkt bei der heiligen Taufe. In der Taufe wird die Anlage zu glauben, der Habitus des Glaubens, d.h. die Verhaltensweise des Glaubens in unserer Seele grundgelegt. Natürlich kann sie der Säugling noch nicht benutzen, aber sobald er zum Vernunftgebrauch kommt, ist er in der Lage, aufgrund der eingesenkten Fähigkeit des Glaubens bewußt den Glauben anzunehmen und im Glauben zu leben. Deswegen ist es so wichtig, daß wir die Kinder, daß wir die Säuglinge taufen. Man kann da nicht sagen: Er muß sich selbst entscheiden. Natürlich muß er das. Das muß er auch dann, wenn er als Säugling getauft worden ist. Die Säuglingstaufe erspart ihm die Entscheidung nicht, sie erleichtert sie ihm. Er besitzt nämlich die grundlegende Fähigkeit zu glauben, und aufgrund dieser Fähigkeit vermag er die Entscheidung zu treffen.

Auch dem reuigen Büßer, auch dem, der sich bekehrt, schenkt Gott den Glauben. Aber nicht ohne sein Zutun. Er ist aufgerufen, sich um den Glauben zu bemühen. Gott gibt dem den Glauben, der ernstlich nach der Wahrheit verlangt, der ein gottesfürchtiges Leben führt und der um den Glauben bittet. Diese Bedingungen müssen erfüllt sein, damit jemand als mündiger Mensch zum Glauben kommen kann. Er muß ernstlich nach der Wahrheit verlangen. Wem die Wahrheit gleichgültig ist, der wird nicht zum Glauben finden. Wer ein lasterhaftes Leben führt, der ist schon aufgrund seines Lebens geneigt, den Glauben nicht anzunehmen, da er dieses Leben verbietet. Und wer nicht um den Glauben bittet, an dem kann sich auch nicht das Wort des Herrn erfüllen: „Bittet, und ihr werdet empfangen, suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden!“

Gott bedient sich mannigfacher Mittel, um die Menschen zum Glauben zu führen. Die gewöhnlichen Mittel sind Predigt, Lektüre guter Bücher, Belehrung durch andere. Der heilige Augustinus, der ein lasterhafter Jüngling war, wurde durch die Predigten des heiligen Ambrosius zum Glauben geführt. Ignatius von Loyola kam als Soldat, verwundet, zum Glauben durch die Lesung guter Bücher; und Justin, der heilige Martyrer, fand zum Glauben, als er am Tiber in Rom von einem Greis im Glauben belehrt und unterwiesen wurde. Es gibt auch ungewöhnliche Mittel, durch die Gott zum Glauben führt. Die Hirten auf den Feldern von Bethlehem wurden durch einen Engel zum Glauben gebracht, und die Weisen aus dem Morgenlande führte ein Stern zum Krippenkind. Der Kaiser Konstantin wurde durch ein Zeichen, das er am Himmel sah, zum Glauben geführt. Gott hat viele Wege, um Menschen in den wahren Glauben zu führen. Freilich, wer ein lasterhaftes Leben führt, wem es an gutem Willen fehlt, wer hoffärtig ist, der wird nicht zum Glauben finden. Das Licht leuchtet in der Finsternis, aber wer sich gegen das Licht wehrt, wem die Finsternis lieber ist als das Licht, der kommt nicht zum Lichte. So hat es Johannes im Prolog seines Evangeliums gesagt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“ Das ist das traurige, das ist das tragische Schicksal des Lichtes, das von den Menschen, welche die Finsternis mehr lieben als das Licht, nicht angenommen wird. Wir müssen den ganzen Glauben bejahen. Wir müssen alles, was Gott geoffenbart hat und die Kirche uns zu glauben vorstellt, annehmen. Wenn wir den Glauben erwecken, dann beten wir ja: „O mein Gott und Herr, ich glaube alles, was du geoffenbart hast und durch deine Kirche uns zu glauben vorstellst, weil du der wahrhaftige Gott bist.“

Nun gibt es Menschen, denen die Verkündigung von Christus nicht zugänglich ist. Es gibt Einzelpersonen und ganze Stämme und Ortschaften, zu denen die Verkündigung des Glaubens nicht dringt, nicht dringen kann, weil es den Glaubensboten verwehrt wird, dort zu predigen. Können auch diese Menschen zum Glauben kommen? Ja. Auch die Heiden können zum Glauben kommen durch innere Erleuchtung, wenn sie nur das Minimum bejahen, das zum Glauben notwendig ist. Wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er ist und daß er denen, die ihn suchen, Vergelter wird. Wer das glaubt, daß Gott existiert und daß er mit seiner Vorsehung die Welt lenkt, der hat das gebührende Minimum, um zum Glauben zu finden, dem gibt Gott die Gnade zu innerer Erleuchtung, das Glaubensleben zu entfalten. Das ist keine neue Lehre; das können Sie nachlesen etwa beim heiligen Thomas von Aquin. Das ist immer die Lehre der Kirche gewesen: Wer gottesfürchtig lebt, wer Reue hat und den guten Vorsatz und wer an Gottes Existenz und Providenz glaubt, der lebt im übernatürlichen Glauben und kann gerettet werden.

Mehr müssen freilich diejenigen glauben, zu denen das Licht der Offenbarung gedrungen ist, also die Christen. Sie müssen grundsätzlich alles bejahen, was Gott geoffenbart hat und die Kirche als Offenbarung vorlegt. Sie brauchen aber nicht alles zu wissen. Notwendig ist, daß sie wissen: Gott existiert, Gott ist Vergelter des Guten und des Bösen, Gott existiert in drei Personen, und die zweite Person Gottes ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt und uns erlöst. Wer diese vier Wahrheiten kennt, kann im Notfall, etwa wenn keine Zeit mehr zu Erklärungen ist, die Taufe empfangen und wird dadurch mit dem Glauben und mit der ewigen Seligkeit beschenkt. Außerhalb des Notfalles müssen wir uns bemühen, aus dem unentfalteten Glauben einen entfalteten zu machen, also nicht bloß einschlußweise zu glauben, sondern auch ausdrücklich zu glauben. Wir sollen uns bemühen, alles kennenzulernen, was zu einem christlichen Leben notwendig ist. Wir sollen uns Wissen sammeln über das Ziel, also die ewige Seligkeit, und alles, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Dieses bewußte Kennenlernen des Glaubens ist uns aufgegeben, denn wer zu wenig weiß, der kann den Glauben nicht richtig schätzen, der kann ihn auch nicht verteidigen. Er vermag nicht Rechenschaft zu geben über den Glauben. Deswegen müssen wir uns bemühen, den Glauben kennenzulernen. Ich wiederhole, was ich schon mehrfach gesagt habe: Das wichtigste Buch, das wir kennen müssen, ist der Katechismus. In ihm ist der Glaube aus Schrift und Tradition durch das lebendige Lehramt niedergelegt. Hier finden wir den entfalteten Glauben der Kirche.

Nicht ein Gegenstand des Glaubens sind Legenden oder Privatoffenbarungen. Die letzteren sollen wir, wenn ihre Echtheit bewiesen ist, schätzen, aber sie sind kein Gegenstand des Glaubens. Nichts, was außerhalb der Offenbarung steht, kann Gegenstand des Glaubens sein. Der Glaube beschränkt sich auf die Offenbarung, die sich freilich im Laufe der Zeit entfaltet hat, wie eben aus einer Eichel ein Eichbaum wird. Ähnlich-unähnlich hat sich der Glaube aus der Offenbarung des Anfangs entfaltet.

Wenn wir so den Glauben kennengelernt haben, freiwillig angenommen haben, dann sollte er drei Eigenschaften haben, nämlich er muß fest, lebendig und stark sein. Der Glaube soll fest sein. Er kann fest sein, denn er ruht auf der Autorität des sich offenbarenden Gottes. Er stützt sich nicht auf vergängliche und immer wieder gefährdete, durch Falschheit durchsetzte Verstandeserkenntnis, er stützt sich auf die Autorität Gottes. Er ist deswegen geeignet, fest zu sein. Diese Festigkeit kann zunehmen. Sie ruht im Willen. Wir sollen uns bemühen, einen festen, einen unerschütterlichen Glauben zu erwerben. Der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. Wenn wir keinen festen Glauben haben, überwindet die Welt uns, wie so viele, von denen wir heute erleben, daß sie den bequemen Weg zum Viertelglauben oder zum Halbglauben gehen.

Der Glaube muß lebendig sein. Das besagt: Wir müssen ihn aufgenommen haben, wir müssen uns in ihn eingelebt haben. Er muß die Richtschnur unseres Lebens sein. Wir müssen aus dem Glauben und nach dem Glauben leben. Dann ist der Glaube lebendig, wenn er das Prinzip unserer Handlungen ist. Ein lebendiger Glaube prägt die ganze Persönlichkeit eines Menschen. Wer lebendigen Glauben hat, der ist durchwirkt von der Überzeugung des Glaubens und ist auch bestrebt, sie überall zu verbreiten.

Schließlich muß der Glaube standhaft sein. Das besagt: Er muß den Verfolgungen standhalten. Niemand, meine lieben Freunde, der einen wirklichen, vollen katholischen Glauben besitzt, bleibt ohne Verfolgung auf dieser Welt. Wie die Verhältnisse sind und in unserem Vaterland immer mehr werden, wird der gläubige katholische Christ Verfolgung erleiden müssen. Der Ungläubige, der Halbgläubige, der Viertelgläubige begehrt auf gegen den vollen Glauben, und das ist der Grund für die Verfolgung. Es gibt aber keinen Grund für einen, der den Glauben einmal angenommen hat, ihn wieder aufzugeben. Es kann keinen Grund geben, denn wie sagt das Erste Vatikanische Konzil: „Gott verläßt keinen, es sei denn, er würde vorher vom Menschen verlassen.“ Nicht Gott verläßt uns, sondern der Mensch verläßt Gott, und so kommt es zum Zusammenbruch des Glaubens. Das ist die Wurzel der heutigen Krise. Das ist das grundlegende Manko der heutigen Pseudoreformen, daß der Glaube erschüttert wird und die Menschen infolgedessen vom Glauben abfallen und die kirchliche und religiöse Praxis aufgeben.

Der Glaube muß bekannt werden. Er muß sich nach außen bekunden. „Mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, mit dem Munde bekennt man zum Heile“, schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief. Mit dem Herzen glaubt man, und das führt zur Gerechtigkeit; mit dem Munde aber bekennt man, und das führt zum Heil. Heil und Gerechtigkeit sind Parallelen. Man muß beides tun, glauben und bekennen. Man muß nicht nur mit dem Herzen glauben im Kämmerlein, man muß auch mit dem Munde und mit dem Leben bekennen. Beides ist für das Heil notwendig. Der Glaube wird bekannt bei Gelegenheiten, die von der Kirche vorgesehen sind, etwa wenn wir das Credo beten in der heiligen Messe. Das ist ein Glaubensbekenntnis. Der Glaube wird auch bekannt, wenn jemand ein kirchliches Amt übernimmt; dann muß er das Glaubensbekenntnis ablegen. Der Heilige Vater hat vor einigen Jahren eine schöne, neue, umfassende Form dieses Glaubensbekenntnisses vorgelegt. Sie ist bis heute in Deutschland nicht akzeptiert! Andere Gelegenheiten zum Glaubensbekenntnis ergeben sich aus unserer Pflicht als Christen, als Glieder der Kirche und als Mitmenschen mit unseren Brüdern und Schwestern. Die Ehrfurcht gegen Gott und die Ehre Gottes verlangen, daß wir den Glauben bekennen. Wir sind es Gott schuldig, daß wir uns zu ihm bekennen als seine Kinder, die ihm alles verdanken, was an Wert in unserem Leben ist. Er ist unser Schöpfer, unser Erlöser, unser Heiligmacher, also bekennen wir uns auch zu unserem Gott und Herrn. Wir schulden es aber auch dem Nächsten. Der Nächste braucht unser Bekenntnis. Die Menschen sind schwach, sie sind labil, sie sind hinfällig. Sie müssen andere haben, an die sie sich anlehnen können. Seien wir solche Säulen, an die sich andere anlehnen können, seien wir standhaft und bekennen wir unseren Glauben, damit wir anderen Ermutigung zum Bekenntnis verschaffen. Auf uns selbst wirkt das Glaubensbekenntnis zurück. Wir werden dadurch mutiger, wenn wir den Glauben bekennen.

Das Glaubensbekenntnis ist immer notwendig, wenn das Schweigen oder die Ausflucht zur Verachtung der Religion, zur Verleugnung des Glaubens, zur Unehrerbietigkeit gegen Gott und zum Ärgernis des Nächsten führen würden. Immer wenn diese vier Gelegenheiten vorhanden sind, müssen wir den Glauben bekennen, wenn wir uns nicht schuldig machen wollen. Viele Menschen sind feige und verbergen den Glauben, mögen sich nicht als gläubige katholische Christen bekennen. Sie sollten daran denken, daß diejenigen, die uns heute verlachen, einst beschämt werden.

Der Herr verlangt das Bekenntnis des Glaubens. Er verspricht denen Lohn, die ihn bekennen. „Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ Die um des Glaubens willen Verfolgung leiden, das sind Bekenner, und die um des Glaubens willen den Tod erleiden, sind Martyrer. Sie werden mit einer Palme abgebildet. Die Palme ist das Siegeszeichen. Sie haben den Sieg errungen über ihre Feigheit, über die Bedrohung der Menschen, über die Verlockungen, mit denen man sie ködern wollte. Andererseits droht der Herr denen, die den Glauben verleugnen. „Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters. Wer mich vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich verleugnen vor meinem Vater, der im Himmel ist.“

Nein, meine lieben Freunde, wir wollen uns nicht des Glaubens schämen. Er ist eine Kraft, eine Gotteskraft für jeden, der wirklich glaubt. Wenn wir den Glauben mit Überzeugung angenommen haben, dann wird es uns auch drängen, von ihm Rechenschaft zu geben und den Menschen diesen wunderbaren Glauben zu vermitteln. Und wenn wir zu feige sind und uns verbergen, dann müssen wir uns schämen vor Gott und den Engeln, aber auch vor den Menschen, die die Feigen ja auch verachten. „Vermögen verloren – viel verloren. Leben verloren – mehr verloren. Glauben verloren – alles verloren.“ Wer vom Glauben abfällt, der hat den größten Schatz seines Lebens preisgegeben, der ist in alle Ewigkeit verloren. Denn wer nicht glaubt, der wird verdammt werden. So ist die Verkündigung unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.

Amen.

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