Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
7. September 1997

Das Glaubenszeugnis des Paulus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Adolf Hitler hat sich häufig mit religiösen Fragen beschäftigt. Wir haben Zeugnisse davon in seinen Tischgesprächen, die aufgezeichnet wurden. In einem dieser Gespräche hat er die These aufgestellt: Das Christentum wurde von Paulus geschaffen. Die relativ harmlose Jesus-Bewegung wurde erst von dem jüdischen Theologen und Pharisäer Paulus zum Christentum erhöht und ausgebaut. Wir müssen uns mit dieser Behauptung beschäftigen, damit unser Glaube nicht unsicher und gefährdet bleibt. Ich sehe, meine lieben Freunde, das habe ich schon oft gesagt, ich sehe in der Gegenwart keine größere Gefahr als die, daß der Glaube der Christen, daß der Glaube der katholischen Christen angefochten, zersetzt und auf diese Weise zum Einsturz gebracht wird. Der Apostel Paulus und sein Verhältnis zu Jesus, das soll das Thema unserer heutigen Überlegungen sein.

Paulus hat uns die Lehre vermittelt: Wer gerechtfertigt werden will, muß an Jesus als den Christus und den Kyrios glauben. Das Wort Christus ist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes Messias, und das Wort  Kyrios ist die griechische Übersetzung des Wortes Herr. Also der Glaube an Christus muß auf den Messias und auf den Herrn gehen. Wir wollen erstens den Inhalt dieses Glaubens, zweitens seine Quelle und drittens das Gewicht des paulinischen Zeugnisses betrachten.

Erstens: Der Inhalt dieses Glaubens. Für Paulus ist der entscheidende Inhalt des christlichen Glaubens: Christus ist für unsere Sünden gestorben, er ist auferweckt worden und ist erhöht worden zur Herrlichkeit des Vaters. Dieses Glaubensbekenntnis hat er vor allem in seinem wuchtigsten Lehrschreiben, im Brief an die Römer ausgesprochen. Da heißt es: „Wir glauben an den, der unseren Herrn Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, ihn, der dahingegeben wurde um unserer Sünden willen und auferweckt wurde um unserer Rechtfertigung willen.“ Oder an einer anderen Stelle desselben Briefes, wo er schreibt: „Christus ist gestorben, aber auch auferstanden. Er sitzt zur Rechten Gottes und legt Fürsprache ein für uns.“ Und schließlich noch eine letzte Stelle dieses gewaltigen Lehrschreibens: „Wenn du mit deinem Munde den Herrn Jesus bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, so wirst du selig werden.“ Das also ist, kurz gefaßt, der Inhalt des Glaubens des Apostels Paulus. Jesus Christus ist der Messias, und er ist der zur himmlischen Herrlichkeit erhöhte Herr.

Das Wort Christus (Messias) ist natürlich ursprünglich kein Eigenname; es ist ein Würdename. Aber Paulus verknüpft ihn ganz eng mit der historischen Persönlichkeit des Jesus von Nazareth. Er sagt fast immer „Jesus Christus“ oder „Christus Jesus“, ja manchmal gebraucht er das Wort Christus schon fast wie einen Eigennamen. Er spricht dann nur von „Christus“. Wenn Paulus vom Herrn spricht, dann will er damit kundgeben, daß es der zur Herrlichkeit des Vaters erhöhte Jesus ist, er, der gottgleiche Stellung besitzt und Gegenstand des Kultes, der Verehrung ist.

Paulus hat diesen Glauben bekannt und weitervermittelt. Er begründet diesen Glauben auf dreifache Weise: Einmal, daß sich in Jesus die Weissagungen Gottes erfüllt haben. „Sämtliche Weissagungen“, schreibt er, „haben in ihm (dem Jesus von Nazareth) ihr Ja gefunden.“ Also weil das Leben Jesu den Weg genommen hat, den Gott vorherverkündet hat, deswegen können wir ihn als den Messias verehren. Die zweite Wurzel dieses Glaubens ist die Auferstehung. „Durch die Auferstehung hat Gott ihn vor allen beglaubigt“, predigt Paulus. Die Verkündigung Jesu hätte man vielleicht noch bezweifeln können, aber Gott hat das große Ja dazu gesprochen, indem er ihn nämlich auferweckt hat. Damit hat er das, was er  verkündigt und getan hat, bestätigt. Die dritte Wurzel seines Glaubens ist das Damaskuserlebnis. Was die anderen Jünger bei den Erscheinungen des Herrn erfahren haben, das ist ihm geschehen vor Damaskus. Da hat der Herr sich ihm kundgetan, da hat der Herr sich ihm geoffenbart, da ist er vom wütenden Verfolger zum glühenden Anhänger Jesu umgewandelt worden.

Nun machen manche den Einwand und sagen: Aber Paulus schreibt ja kaum etwas vom irdischen Jesus. Er spricht immer nur vom erhöhten Christus. Hat er denn vielleicht auf den irdischen Jesus überhaupt keinen Wert gelegt? War ihm der historische Jesus gar keiner Beachtung wert? Paulus sagt genug über den irdischen Jesus, um uns zu überzeugen, daß für ihn der erhöhte Christus kein anderer ist als der Jesus von Nazareth. Er lehrt über Jesus, daß er aus dem Stamme Abrahams kommt, daß er ein Nachkomme Davids ist, daß er von der Frau geboren und unter das Gesetz getan wurde, daß er uns Menschen in allem gleich war, die Sünde ausgenommen, daß er in den Tagen der ungesäuerten Brote in Jerusalem gelitten hat, auf Veranlassung der Juden von Pontius Pilatus hingerichtet wurde, daß er auferweckt wurde, daß er ins Totenreich hinabgestiegen ist und daß er in die Herrlichkeit Gottes erhöht worden ist. Er spricht auch vom Abendmahl, von der Einsetzung des Abendmahles und von den Erscheinungen des Auferstandenen. Das ist nicht sehr viel, aber es ist genug, um uns gewiß zu machen: Für Paulus gibt es keinen anderen Christus und Kyrios als den Jesus von Nazareth.

Wir müssen uns auch vor Augen halten, daß Paulus in den Briefen, die uns erhalten sind, keine systematische Lehre von Jesus entwickelt. Seine Brief sind Gelegenheitsschriften. Aktuelle Ereignisse, Anfragen, Mißstände waren der Grund, warum er die Brief geschrieben hat. Und oft in seinen Briefen kommt er darauf zurück, was er mündlich verkündet hat. Er hat viel mehr über Jesus gelehrt, als was in seinen Briefen enthalten ist. Er konnte sich auf das berufen, was er – und andere Apostel – den gläubig gewordenen Christen vermittelt hatte. Ich bin überzeugt, daß zu der Zeit, als er wirkte, bereits Schriften über Jesu Wirken und mit seinen Reden umliefen. Die These von der späten Abfassung der Evangelien ist eine Irrlehre. Jesusberichte sind sehr früh verfaßt worden, selbstverständlich auch angereichert worden, wie das immer ist, wenn man einem Leben nachgeht, aber die Evangelien haben eine sehr frühe Abfassung gehabt. So müssen wir also sagen: Paulus besaß zuverlässige Quellen seines Evangeliums.

Zweitens ist zu fragen: Hat er nicht vielleicht das Bild von Jesus umgestaltet? Hat er nicht vielleicht ein Jesusbild konstruiert? Da gibt es zwei verschiedene Gruppen, die eine solche Übermalung, eine solche Konstruktion behaupten. Die erste Gruppe sagt: Paulus hat die messianischen Erwartungen der Juden, also die Hoffnung des jüdischen Volkes auf Befreiung durch einen kommenden Messias, benutzt, um die Gestalt von Jesus zu konstruieren. Er hat ein Bild von Jesus aus diesen Erwartungen geschaffen und es auf den historischen Jesus aufgestülpt. Eine zweite Gruppe sagt: Nein, nicht die jüdischen Erwartungen haben das Jesusbild Pauli geformt, sondern die hellenistischen Religionen, die Mysterienreligionen, der hellenistische – also der griechische – Kyrioskult; er ist dafür verantwortlich, daß Jesus von Paulus zum Gott erhöht wurde und dieses Bild der Urgemeinde aufgedrungen, aufgezwungen wurde. Wir haben also zwei Thesen vor uns; die eine, welche die Herkunft des paulinischen Christusbildes aus den jüdischen messianischen Erwartungen erklärt, und die andere, die dazu die hellenistischen Vorstellungen zu Hilfe ruft. Was ist darauf zu antworten? Paulus war Jude, geschulter Jude, gebildeter Jude, Pharisäer, also aus einer ganz strengen jüdischen Schule stammend, und Paulus hatte wie alle Juden eine unüberwindliche Abneigung vor jeder Apotheose. Was ist eine Apotheose? Das ist die Vergöttlichung eines Menschen. Solche Apotheosen kamen bei den Heiden vor. Sie lehrten – wenn sie es auch vielleicht nicht glaubten –, daß ein Kaiser nach seinem Tode in einen Gott verwandelt werde, oder daß Götter auf Erden erscheinen und Menschengestalt annehmen. Solche Apotheosen hat das Judentum mit äußerster Schärfe abgelehnt, und Paulus selbstverständlich in einer ganz besonderen, seiner leidenschaftlichen Natur entsprechenden Weise. Wenn er aus jüdischen messianischen Erwartungen das Bild des Jesus geformt hätte, dann wäre es ganz anders ausgefallen. Dann wäre es von allen Anstoß erregenden Zügen frei gewesen; dann wäre vor allen Dingen das Ärgernis des Kreuzes, das er so heftig empfunden hat, eliminiert worden. Paulus hat ja damit gerungen, daß er diesen Jesus von Nazareth, diesen gekreuzigten Messias anerkennen konnte. Er hat sich dagegen gewehrt. Ja, er sagte: Wie kann denn ein Messias am Kreuze hängen? Wie kann denn ein Messias am Kreuze sterben, als ein Gehenkter, als ein Ausgestoßener? Und dieses Ärgernis hat er nur überwunden, weil er den Sinn Christi erkannt hat, weil er in die Wirklichkeit des Geschehens von Golgotha eingedrungen ist, weil er begriffen hat, daß auch dieses schreckliche Ereignis schon im Alten Bunde vorausgesagt war, weil der Gottesknecht leiden mußte und durch Leiden, durch sühnendes Leiden die Menschheit von der Schuld befreien sollte. Paulus hat sich gegen diesen Messias gewehrt, aber ist durch die Wirklichkeit desselben bezwungen worden.

Und was die hellenistischen Vorstellungen angeht, so muß man sagen: Der Jesus von Nazareth wurde schon, bevor Paulus zur Urgemeinde stieß, als der Herr verehrt. Dafür haben wir ein untrügliches Zeugnis. In einem seiner Briefe erwähnt der Apostel Paulus einmal das Wort „Maranatha“. Das ist ein ganz seltenes Wort, es ist nämlich kein griechisches, sondern ein hebräisches Wort – Maranatha. Und was heißt dieses Wort? Es heißt: „Unser Herr, komm!“ Schon im kultischen Gebrauch der Urgemeinde, ohne Paulus und vor Paulus, wurde Jesus als der „Herr“ verehrt. Nicht Paulus hat ihn, aus griechischen Vorstellungen stammend, zum Kyrios erhöht, sondern Paulus ist in die bestehende Herrenverehrung eingetreten. Paulus hat nicht eine neue Kirche gegründet, sondern er hat sich der bestehenden Kirche angeschlossen.

Bedenken Sie, meine lieben Freunde, daß Paulus der Urgemeinde verdächtig war. Er hatte ja die Kirche verfolgt, und deswegen betrachtete man ihn mit Mißtrauen. Wie hätte die Urgemeinde sich von einem solchen Mann eine andere Vorstellung von Jesus aufstülpen lassen? Das ist ganz unwahrscheinlich, ja, das ist unmöglich. Paulus hat sich vielmehr dem Glauben der Urgemeinde angeschlossen. Er ist ja der Theologe des Überlieferungsprinzips. Die Paradosis, das ist die Überlieferung, ist das Element, welches seinen Glauben begründet hat. Man muß den Glauben von den berufenen Verkündern entgegennehmen, man muß ihn getreu weitergeben, und man muß ihn unverkürzt festhalten. Das sind die drei Prinzipien der Überlieferung. Ihn von den beglaubigten, von den autoritativen Zeugen entgegennehmen, getreu und ohne Abstriche weitergeben und unverkürzt festhalten. Paulus hat sich deswegen auch eng um Gemeinschaft mit der Urgemeinde bemüht. In Damaskus, nach seiner Bekehrung, kam ein Vertreter der Urgemeinde zu ihm, Ananias, und hat ihm den Glauben der Urgemeinde erklärt. Er ging dann später selbst nach Jerusalem zu Petrus; er nennt ihn Kephas mit seinem hebräischen Namen, und hat auch mit Jakobus gesprochen, dem Verwandten des Herrn. Er hat weiter Leute der Urgemeinde mit sich genommen auf seinen Missionsreisen, den Barnabas, den Markus. Die konnten also hören, was er verkündigte, und hätten natürlich sofort Einspruch erhoben, wenn seine Verkündigung von der der Urgemeinde abgewichen wäre. Er hat schließlich auf dem Apostelkonzil seine Lehre den führenden Gestalten der Urgemeinde zur Prüfung vorgelegt und ist durch diese Prüfung glänzend hindurchgekommen, er hat sie bestanden. Also: Paulus nicht der Herold eines fremden, eines neuen, eines abwegigen Evangeliums, sondern Paulus der Verkünder der Tradition, der Überlieferung, der Paradosis.

Und schließlich drittens ist Paulus für uns von Bedeutung wegen des Alters seiner Verkündigung und wegen seiner Persönlichkeit. Sein ältester Brief ist der 1. Brief an die Thessalonicher, im Jahre 50 oder 51 geschrieben. Dieser Brief enthält schon das ganze Evangelium des Paulus, etwa wenn es heißt: „Wenn Jesus, wie wir glauben, gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus herbeiführen mit ihm.“ Oder ein wenig weiter unten: „Gott hat uns nicht zum Zorne bestimmt, sondern zur Erlangung des Heils durch unseren Herrn Jesus Christus. Er ist ja für uns gestorben, damit wir allesamt mit ihm leben.“ Also der 1. Thessalonicherbrief enthält das gesamte Evangelium des Paulus in Kürze. Natürlich hat Paulus daran gearbeitet, mußte er sich mit andringenden Fragen auseinandersetzen, mußte er seine Lehre vertiefen; aber sie hat sich nicht geändert. Was im 1. Thessalonicherbrief steht, das war schon sein innerer Besitz in Damaskus. Als er vor Damaskus vom Herrn bekehrt wurde, da war das Evangelium genauso in ihm wie beim Schreiben des 1. Thessalonicherbriefes, und das Damaskusereignis fällt in die Jahre 34 oder 35, ist also ganz kurz nach dem Tode und nach der Auferweckung unseres Herrn und Heilandes anzusetzen. Es ist also kein anderes Evangelium durch lange Zeiträume entstanden, sondern das Evangelium des Paulus ist nichts anderes, als was die Urgemeinde von Jesus geglaubt und gelehrt hat. Er war ein Mann, der die Voraussetzungen, die historischen Voraussetzungen dieses Evangeliums prüfen konnte. Er war dazu befähigt. Er war sicher der gebildetste von den Männern der Urgemeinde. Und er hat diese Voraussetzungen als echt gefunden. Er hat seinen jüdischen Glauben dem Glauben des Christentums zum Opfer bringen müssen. Er hat, bezwungen von den Tatsachen, sein Volk, das ja am jüdischen Glauben festhielt, seine Heimat und seine Freunde preisgeben müssen. Er war bezwungen durch die Wahrheit dieses Glaubens, der ihm überkommen war. Für diesen Glauben hat er gelebt, hat er gearbeitet und war er bereit zu sterben. Dieser Glaube, das ist in ihm zur festen Überzeugung geworden, und das muß unsere Überzeugung ebenso sein: Dieser Glaube ist nicht von Menschen erfunden. Dieser Glaube ist vom Himmel gekommen. „Das Evangelium, das ich verkünde“, schreibt er einmal, „ist nicht Menschenwerk, sondern Gottes Werk.“

Amen.

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