Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. August 1997

Die Tatsächlichkeit von Wundern

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn der Mensch eine übernatürliche Offenbarung annehmen soll, muß er sich darüber klar werden, daß eine solche vorliegt. Es muß Kriterien geben, daß eine übernatürliche Offenbarung geschehen ist, daß also eine Religion nicht von der Erde stammt, sondern vom Himmel. Kriterien sind Kennzeichen oder Merkmale, aus denen man die Erkenntnis und die Unterscheidung eines gesuchten Dinges finden kann. Solche Kennzeichen oder Merkmale muß es auch für die übernatürliche Offenbarung geben. Der Glaube ist nicht ein Sturz ins Dunkle. Der Glaube will durch Vernunft begründet sein; er soll ein vernünftiger Gottesdienst werden.

Bei den Kriterien unterscheidet man positive und negative. Positive Kennzeichen sind solche, die das Vorhandensein einer Offenbarung dartun. Negative Kriterien sind solche, die es ausgeschlossen sein lassen, daß eine Offenbarung vorliegt. Wenn eine Erscheinung sich als Offenbarung ausgibt, die offenkundig der Vernunft widerspricht, die unsittliche Forderungen stellt, die zur Vernichtung eines Gemeinwesens führt, dann kann eine solche Religion keine übernatürlich geoffenbarte sein. Wenn sich ein Anhänger einer Religion auf einem Marktplatz mit einer Bombe in die Luft sprengt und dabei viele andere tötet und verletzt und sich dabei auf die Religion beruft und sich von der Religion dazu ermächtigt weiß, dann muß man sagen: Das kann keine geoffenbarte Religion sein. Der Islam ist eine grausame Verirrung und keine geoffenbarte Religion.

Unter den positiven Kriterien unterscheidet man objektive und subjektive. Objektive Kriterien sind solche, die in der geoffenbarten Religion selbst enthalten sind. Subjektive Kriterien sind die Reaktion, die Gefühle, die Antwort, welche diese geoffenbarte Religion in der Seele der Menschen findet. Bei den objektiven Kriterien kann man noch einmal unterscheiden zwischen innerwesentlichen und solchen, die nicht wesentlich sind. Innerwesentlich sind solche, die eben notwendig damit gegeben sind. Wo ein Feuer ist, da ist Rauch. Der Rauch ist notwendig mit dem Feuer verbunden. Nichtwesentliche Kriterien sind solche, die zur Legitimation der Boten der Offenbarung dienen. Die äußeren und die inneren Kriterien sind beide wichtig, um eine übernatürliche Offenbarung festzustellen. Das entscheidende Gewicht wird bei dem einen Menschen mehr auf den inneren, bei dem anderen mehr auf den äußeren Kriterien liegen. Der eine fühlt sich von der Schönheit, der Erhabenheit und der Harmonie einer Religion, einer Offenbarungsreligion angezogen. Er mustert die großartige, einzigartige Ethik des Christentums, die nicht ihresgleichen hat, und sagt: Das muß die wahre Religion sein; das muß die geoffenbarte Religion sein. Ein anderer schaut mehr auf die äußeren Zeichen, welche diese Religion begleiten.

Eine Offenbarungsreligion ist ja immer ein wunderbarer Eingriff Gottes in das geschichtliche Geschehen. Zum Begriff der Offenbarung gehört es, daß Gott auf übernatürliche Weise in die Geschichte eingreift. Diese Eingriffe können in verschiedener Weise geschehen. Einmal läßt sich durch die innere Gewißheit, die den Offenbarungsempfängern, den Offenbarungsträgern gegeben wird, feststellen, daß Gott gehandelt hat, dann aber auch durch die intellektuellen und moralischen Wirkungen, welche eine geoffenbarte Religion hat, die nicht natürlich zu erklären sind; schließlich durch die äußeren Wunderzeichen, die den Offenbarer und seine Stiftung begleiten. Alle diese Elemente – innere Gewißheit, intellektuelle und moralische Wirkungen, äußere Zeichen – können nur dann zum Beweis einer Offenbarung dienen, wenn sie aus natürlichen Kräften nicht zu erklären sind. Es muß sich um Erscheinungen handeln, die nur durch ein übernatürliches Eingreifen Gottes erklärt werden können. Solche Eingriffe nennen wir Wunder. Die übernatürliche Offenbarung und das Wunder sind unzertrennbar miteinander verbunden. Wer das Wunder leugnet, der kann eine übernatürliche Offenbarung nicht festhalten. Was ist ein Wunder? Ein Wunder ist eine außerordentliche Erscheinung in unserer Erfahrungswelt, die durch natürliche Kräfte nicht erklärt werden kann, sondern Gott zum Urheber hat. Ein Wunder ist also eine feststellbare Wirklichkeit in der Erfahrungswelt. Wunder im apologetischen Sinne sind daher nicht die Dinge, die sich in der Verborgenheit vollziehen. Wir wissen, daß das größte Wunder (in einem allgemeinen Sinne) sich vollzieht, wenn unser Herr und Heiland vom Himmel herabsteigt und sich in der Brotsgestalt verhüllt. Aber das ist nicht feststellbar; deswegen kann es als Wunder im apologetischen Sinne nicht bezeichnet werden. Wunder im apologetischen Sinne sind nur jene, die empirisch feststellbar sind.

Ein solches Wunder muß aus dem natürlichen Ursachenzusammenhang nicht erklärbar sein. Man muß also bei allen außerordentlichen Erscheinungen erst nachschauen: Ist es natürlich erklärbar? Und das geschieht zum Beispiel in Lourdes. Wenn sich dort ein Kranker meldet, der behauptet, geheilt worden zu sein, dann prüft ein Ärztekomitee, ob diese Heilung natürlich erklärbar ist. Es wird genau untersucht, und es wird alles untersucht. Erst wenn man zu dem Schluß kommt: Aus natürlichen Kräften kann diese Heilung nicht erklärt werden, fällt der Spruch: Es ist ein Wunder geschehen. Ein Wunder muß Gott zum Urheber haben. Es gibt absolute Wunder, die nur Gott wirken kann, z.B. die Erschaffung aus dem Nichts. Es gibt aber auch Wunder, bei denen sich Gott der Geisterwelt, also der Engel, bedient, die sohin mittelbar auf ihn zurückgehen. Auch diese Wunder haben Gott zum Urheber, wenn er sich auch dabei der Engel bedient.

Aus diesen Erklärungen begreifen wir, daß man von Wunder in einem mehrfachen Sinne spricht. Wenn es jetzt im Oderbruch heißt, daß die Dämme noch nicht gebrochen sind, das sei ein Wunder, dann ist damit natürlich nicht ein übernatürliches Geschehen gemeint, sondern man will damit sagen: Wir sind dankbar dafür, daß wider Erwarten sich das befürchtete schreckliche Ereignis nicht zugetragen hat. Der gläubige Mensch wird weiter sagen: Wir sind dankbar, daß Gottes Vorsehung über uns gewacht hat. Aber um ein Wunder im apologetischen Sinne anzunehmen, müßte man nachweisen, daß das Nichtbrechen der Dämme nur durch übernatürliche Wirkungen, die Gott hervorruft, zu erklären ist – und das dürfte schwierig sein.

Wir unterscheiden drei Arten von Wundern, nämlich physische, intellektuelle und moralische Wunder. Physische oder Naturwunder sind solche, die an der Natur geschehen: Totenerweckungen, Krankenheilungen, die Stillung eines Seesturms. Intellektuelle Wunder sind solche, die sich an den Erkenntniskräften des Menschen ereignen, wo also Dinge in der Erkenntnis geschehen, die natürlich nicht erklärbar sind. Wenn beispielsweise ein Mensch Weissagungen macht, das Zukünftige mit Gewißheit voraussieht, wenn er die Herzenskenntnis hat, also anderen in die Seele schauen kann und unfehlbar weiß, was sich darin tut, dann geschieht ein intellektuelles Wunder. Die moralischen Wunder bestehen darin, daß durch einen Menschen Handlungen vollbracht werden, die aus der natürlichen Willenskraft nicht erklärbar sind. Daß sich jemand für einen anderen aufopfert, wie es Pater Maximilian Kolbe in Dachau getan hat, das ist aus natürlichen Kräften nicht erklärbar; denn der Mensch will sein Leben festhalten und es nicht weggeben, noch dazu für einen anderen. Das ist ein moralisches Wunder.

Nun erhebt sich freilich die Frage: Sind Wunder möglich? Sind sie möglich von seiten Gottes? Sind sie möglich von seiten der Natur? Wunder von seiten Gottes sind möglich, wenn immer man den theistischen Gottesbegriff festhält. Wer freilich einen pantheistischen oder deistischen Gottesbegriff hat, kann Wunder nicht annehmen. Denn beim Pantheisten fällt ja die Natur mit Gott zusammen, ist Gott in die Natur eingeschlossen; und beim Deisten hat sich Gott von der Welt, die er einmal geschaffen hat, zurückgezogen und thront in unnahbarer Entfernung über der Welt. Wer aber den lebendigen und wahren Gott bekennt, den transzendenten, persönlichen und freien Gott, der kann Wunder ohne weiteres annehmen. Gott ist der Herr der Welt, er bleibt ihr gegenwärtig durch seine Schöpfermacht. Er kann seine Schöpfermacht, die er am Anfang dadurch bewiesen hat, daß er eine Welt ins Leben rief, auch heute an dieser Welt beweisen. Es ist seinem freien Willen überlassen, ob er eingreift, wann er eingreift und wie er eingreift.

Aber stehen nicht die Naturgesetze dem Wunder entgegen? Gelten nicht die Naturgesetze unverbrüchlich? Kann Gott die Naturgesetze, die er ja selbst geschaffen hat, wieder aufheben? Die Naturgesetze, meine lieben Freunde, sind durch Induktion gewonnene Erfahrungsgesetze. Man hat Regelmäßigkeiten festgestellt und sie dann in ein Gesetz formuliert. Durch Versuche, durch Experimente hat Galilei das Fallgesetz gefunden; und durch Beobachtungen an den Sternen hat man die Umlaufszeiten der Gestirne um die Sonne berechnet. Aber die Naturgesetze sind kontingent; es müßte nicht so sein. Es ist faktisch so. Die Naturgesetze besitzen tatsächliche Geltung, aber sie müssen nicht gelten. Sie könnten auch anders heißen. Und bei allen Naturgesetzen gilt immer der Grundsatz: Sie gelten, solange die bestehenden Voraussetzungen unverändert bleiben. Sie gelten, solange nicht andere Wirkkräfte auftreten. Und das ist eben das Ereignis, das beim Wunder geschieht. Beim Wunder bleiben die Naturgesetze in Geltung, aber es treten neue Kräfte auf, nämlich die Kräfte, die Gott gibt. Es tritt eine neue Wirkkraft auf, und eine neue Wirkkraft bringt auch neue Wirkungen hervor. Die Wunder sind also kein Widerspruch gegen die Naturgesetze, sondern sie sind die Bestätigung des Kausalitätsgesetzes, das eben verlangt: Wenn neue Wirkungen auftreten, müssen auch neue Ursachen am Werke sein. Außerdem hat sich die Kernphysik zu der Erkenntnis durchgerungen, daß die Naturgesetze statistischer Natur sind. Die Naturgesetze sind die Feststellung statistischer Regelmäßigkeiten. Um es an einem groben Beispiel zu erklären: Ein Ziegelstein, den ich in der Hand habe und fallen lasse, fällt regelmäßig nach unten. Aber aufgrund der statistischen Eigenschaft der Naturgesetze könnte es  im – ich weiß nicht – billionsten Falle einmal vorkommen, daß er nach oben fällt. So ungefähr muß man sich den statistischen Charakter der Naturgesetze vorstellen. Wegen dieser Eigenart ist Raum für Wunder. Wenn die Wirkkraft Gottes eingreift, dann kann aufgrund dieses statistischen Charakters etwas geschehen, was unter normalen Umständen niemals passiert.

Wunder sind auch sinnvoll. Männer wie David Friedrich Strauß oder Spinoza  haben der christlichen Religion vorgeworfen, mit ihrem Wunderbegriff mache sie Gott zum Stümper, der sein Werk, das er am Anfang geschaffen hat, verbessern müsse, indem er immer wieder eingreift. Das ist ein völliges Mißverständnis. Die Wunder dienen nicht der Naturordnung, wollen nicht die Naturordnung verbessern oder korrigieren. Wunder dienen der übernatürlichen Ordnung. Es gibt über der Naturordnung eine übernatürliche Ordnung, und dieser gehören die Wunder an. Sie machen offenbar, daß es über dem, was man sieht und faßt und greifen kann, eine andere Wirklichkeit gibt: die Wirklichkeit Gottes, die in wunderbarer Weise in die irdischen Gegebenheiten einzugreifen vermag. Wunder sind auch ein Widerhall, ein Widerschein dieser übernatürlichen Wirklichkeit. Wie sagt Jesus, als er bei Krankenheilungen verdächtigt wurde, mit Satan im Bunde zu stehen: „Wenn ich durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Also ein Widerschein aus der Wirklichkeit Gottes, das sind die Wunder. Sie sind die Naturgesetze des Himmels. Sie bringen nicht Unordnung in die Welt, sondern sie sind ein Hinweis auf die Ordnung, die Gott am Anfang geschaffen hat und die durch die Sünde zerstört worden ist und die am Ende aller Tage einmal wieder strahlend aufleuchten wird.

Amen.

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