Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. April 1997

Die Liebe Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit vielen Sonntagen bemühen wir uns, Gott zu erkennen. Die christliche Verkündigung hat keinen höheren, keinen erhabeneren Gegenstand als Gott, sein Wesen und seine Eigenschaften. Wir hatten uns an den letzten Sonntagen mit dem Erkennen Gottes befaßt und waren dann übergegangen zu seinem Willen. Wir dürfen ja in dem einen und einfachen Gott, in diesem unermeßlichen Geist Erkenntniskraft und Willenskraft unterscheiden. Nach unserem analogen, also ähnlich-unähnlichen Erkennen gibt es in Gott ein Erkennen und ein Wollen, das jedenfalls virtuell, also wurzelhaft, unterschieden ist. Wir haben heute die Aufgabe, in drei Schritten das darzulegen, was der Inhalt des göttlichen Willens ist, was also Gott durch seinen Willen bewirkt, nämlich

1. Gott liebt sich selbst,

2. der Wille Gottes ist fruchtbar in der Hauchung des Heiligen Geistes, und

3. Gott liebt die Welt.

An erster Stelle müssen wir von der Selbstliebe Gottes sprechen. Das Erste Vatikanische Konzil hat die Selbstliebe Gottes gegen pantheistische Vorstellungen eigens hervorgehoben. Gott liebt sich selbst mit unermeßlicher Kraft und Innigkeit. Die Selbstliebe Gottes wird in der Heiligen Schrift nahegelegt, wenn es heißt, Gott habe alles geschaffen um seiner selbst willen, er habe alles geschaffen zu seiner Ehre. Oder wenn in der Heiligen Schrift die Rede davon ist, daß Gott daran geht, sein Reich, seine Herrschaft, sein Königtum in der Geschichte aufzurichten. Oder wenn Christus uns mahnt, zuerst das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes zu suchen und dann erst alles andere hinterher. Die Selbstliebe Gottes ist nichts anderes als der Selbstbesitz und die Selbstbehauptung des absoluten Geistes. Sie ist mit der Geistigkeit Gottes selbst gegeben. Der Wille muß als erstes sich selbst bejahen, und eben das ist in Gott anzunehmen. Gott besitzt eine Selbstliebe von unermeßlicher Kraft und Innigkeit. Diese Selbstliebe ist notwendig, nicht aus einem dumpfen Naturdrang, sondern weil Gott mit völliger Klarheit seine Vollkommenheit, seine unermeßliche Vollkommenheit durchschaut. Die Antwort auf diese Erkenntnis der eigenen Vollkommenheit kann nur die Selbstliebe sein. Da ist also jeder Schatten von Selbstsucht oder von Eigennutz verbannt, sondern diese Selbstliebe ist der notwendige Vollzug des göttlichen Willens zu sich selbst.

Die göttliche Liebe ist aber zweitens fruchtbar in der Hauchung des Heiligen Geistes. Diesen Zusammenhang klarzulegen, ist schwierig, und ihn zu verstehen, ist ebenfalls nicht leicht. Aber wir wollen es versuchen, die erhabenen Gedanken großer Theologen nachzuvollziehen, die ja von der Kirche in bestimmten konziliaren Entscheidungen ihre Bestätigung gefunden haben. Wir unterscheiden beim Geschöpf Sosein und Dasein. Das Sosein ist der innere Reichtum, das Dasein ist die Wirklichkeit und die Tatsächlichkeit dieses inneren Reichtums. Das Sosein erfassen wir mit dem Verstand, durchschauen wir mit der Vernunft. Das Dasein behaupten wir im Willen, mit unserer Willenskraft, mit unserer Liebeskraft. Wir können also in einem Geiste Erkennen und Willen unterscheiden in bezug auf das Sosein und das Dasein. Wir können es auch in bezug auf das absolute Sein, nämlich in bezug auf Gott. Gott durchschaut sein Wesen mit lichter Klarheit, und er behauptet sein Wesen mit einem unermeßlich kraftvollen Willen.

Nun ist das Erkennen Gottes fruchtbar; denn aus dem Erkennen Gottes stammt der Sohn. Indem Gott sich erkennt, zeugt er einen Sohn. Nun darf aber der Wille hinter dem Erkennen an Kraft und Vollkommenheit nicht zurückstehen. Und deswegen geht der Heilige Geist aus dem Willen Gottes hervor. Nach der fast allgemeinen Ansicht der gläubigen und genialen Theologen geht der Heilige Geist auf dem Wege der Hauchung hervor. Das ist folgendermaßen zu verstehen: Vater und Sohn in der Gottheit durchschauen ihre Vollkommenheit und lieben sich mit inniger und unermeßlicher Kraft. Der Liebesodem, den sie aus ihrer Verbundenheit sich zuhauchen, ist nicht – wie bei menschlicher Liebe – flüchtig, eine Welle, die aufsteigt und wieder versinkt, sondern dieser Liebesodem ist seinsmächtig und notwendig. Ja, dieser Liebesodem weiß um sich selbst, ist selbständig und ist die dritte göttliche Person. So versucht jedenfalls die abendländische Theologie seit Augustinus den Hervorgang des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn zu erklären. Die Verbundenheit zwischen Vater und Sohn empfängt als ihr Siegel, als ihren Bürgen, als ihre Offenbarung den Heiligen Geist.

Die dritte Wirklichkeit, welche Gottes Liebe umfängt, ist die Welt. Wenn wir fragen: Warum hat Gott die Welt geschaffen? Warum gibt es nicht nur Gott, sondern auch Außergöttliches?, dann kann die Antwort nur lauten: Die Welt ist geschaffen worden aus Liebe. Gott vollzieht die Liebe zu sich selbst so, daß er auch Außergöttliches schafft. Er ist gleichsam (wir sprechen wie Toren!) von seiner eigenen Herrlichkeit so entzückt, daß er ihre Nachgestaltung in endlicher Weise geplant und ausgeführt hat. Noch besser verstehen wir diese Tatsache, daß die Welt aus der Liebe stammte, wenn wir in das dreipersönliche göttliche Liebesleben hineinschauen. Dann müssen wir sagen: Der Vater liebt den Sohn mit solcher Innigkeit und Intensität, daß er ihm Freude machen will, soweit es nur möglich ist, und in dieser Absicht schafft er eine Welt. Und der Sohn liebt den Vater mit einer solchen Kraft und Innigkeit, daß er den Weltplan des Vaters mit gleicher Kraft bejaht und in sich schließt. Und wiederum Vater und Sohn lieben den Heiligen Geist mit solcher Kraft, daß sie ihm jede denkbare Freude machen wollen. Deswegen schaffen sie eine Welt. Der Heilige Geist wiederum bejaht diesen Entschluß von Vater und Sohn und stimmt in den Weltplan von Vater und Sohn ein.

Wenn die Welt aus der Liebe stammt, dann ist sie in innerlicher Weise durch die Liebe geprägt. Die Liebe Gottes ist freilich anderer Art als die menschliche Liebe. Die menschliche Liebe ist Liebkosung, Zärtlichkeit, oft Weichheit und Gutmütigkeit. Die Liebe Gottes ist anderer Art. Die Liebe Gottes will den Menschen zur Größe, zur Würde, zur Herrlichkeit führen. Das bedingt, daß der Mensch durch leidvolle Wege schreitet. Gott muß in seiner Liebe den Menschen immer wieder aus seiner Selbstverfangenheit, aus seiner Selbstgenügsamkeit herausreißen, und das geschieht durch die Schläge, die ihn treffen, um ihn zur Herrlichkeit zu führen.

Die Welt ist von der Liebe geprägt. Nun könnte jemand einwenden: Aber sie macht doch eigentlich mehr den Eindruck, daß sie von der Grausamkeit und von der Gewalttätigkeit beherrscht wird. Wie kannst du sagen, sie kommt aus der Liebe? Die Antwort lautet: Die Welt hat nicht mehr die Gestalt, in der sie aus Gottes Hand hervorging. Der Mensch hat sie verdorben. Der Mensch ist das Schicksal der Welt. Da der Mensch der Sünde verfallen ist, hat er die Welt in seine Verlorenheit hineingezogen. Es ist noch genügend Licht da für den, der Augen besitzt, um das Werk Gottes zu erkennen. Aber es ist freilich auch genügend Dunkel vorhanden, um dem, der nicht guten Willens ist, die Herkunft der Welt aus der Hand Gottes zu verbergen. Wenn auch der Mensch aus der Liebe stammt, dann ist sein innerstes Wesen von der Berufung geprägt, Liebe zu schenken, Liebe im besten und höchsten Sinne. Da verstehen wir, daß der Mensch, der im Hasse lebt, unglücklich ist. Er ist unglücklich, weil er im Widerspruch zu seinem eigenen Leben, zu seiner eigenen Bestimmtheit, zu seinem eigenen Wesen lebt. Der Hassende ist ein zerrissener Mensch, weil er das verleugnet, wozu er geschaffen ist, nämlich in der Liebe zu leben.

Gott bejaht die Welt. Auch diesen Glaubenssatz hat das Erste Vatikanische Konzil ausgesprochen. Gott ist der Welt innerlich gegenwärtig. Die Geschöpfe sind nicht deswegen von Gott bejaht, weil sie sind, sondern weil Gott sie bejaht, sind sie. Sie verdanken ihre Existenz der Bejahung Gottes. Gott schafft in den Menschen und in den Dingen ihr Gutsein. Er läßt sie teilnehmen an seiner Güte. Gott ist den Dingen und Menschen innerlich gegenwärtig. Die Theologie spricht hier vom „concursus generalis“, von der allgemeinen Mitwirkung Gottes. Ein jedes Sein würde ins Nichtsein zurückfallen, wenn nicht Gottes Hand es hielte. Und über den concursus generalis hinaus führt die Begnadung. Gott will den Menschen zu seinem eigenen Leben hineinführen, und so wirkt die Gnade im Herzen des Menschen, damit er den Weg in dieses Leben findet.

Gott liebt die Dinge und die Menschen mit verschiedener Intensität. Es ist nicht überall die gleiche Wirkung, die von Gottes Liebe ausgeht. Es gibt Lieblinge Gottes, auch unter den Menschen. Aber das ist kein Einwand gegen Gott, sondern der eine wirksame Liebesakt Gottes bringt eben in den Menschen verschiedene Wirkungen hervor. Der Mensch kann sich auch gegen die Liebe Gottes verschließen; dann trifft ihn die Liebe Gottes mit furchtbarer Wucht als der Zorn Gottes. In Gott ändert sich nichts, aber im Menschen ändert sich etwas. Und je nach seiner inneren Verfaßtheit erlebt er die Liebe Gottes als gerechten Zorn Gottes. Was diese Liebe Gottes im einzelnen mit der Schöpfung bewirkt, was sie im einzelnen mit den Geschöpfen schafft an Großmut, an Huld, an Gnädigkeit, an Treue, an Barmherzigkeit, das wollen wir an den nächsten Sonntagen bedenken.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt