Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Mai 1996

Die Bedeutung der Himmelfahrt des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Als der russische Astronaut Juri Gagarin seinen Weltraumflug beendet hatte, wurde er interviewt. Man fragte ihn, ob er während seiner Reise Gott getroffen habe. Er verneinte diese Frage. Und damit, so meinte man damals in der Sowjetunion, sei die Frage nach Gott erledigt. Er ist nicht dort, wo man ihn anzutreffen meint. Der Himmel ist leer, Gott ist gewissermaßen an Raumnot zugrundegegangen. Diese wahre Begebenheit ist ein Beispiel für das Unverständnis, auf welches die Botschaft von der Himmelfahrt Jesu Christi stößt. Das Unverständnis leitet sich schon von der doppelten Bedeutung des Wortes Himmel her. Unter Himmel verstehen wir einmal das Firmament, also das Gewölbe, das sich scheinbar über der Erde ausstreckt, jene für uns sichtbare Welt, wo die Vögel ihre Kreise ziehen, wo die Flugzeuge sich bewegen, wo die Wolken getrieben werden und wo die Sterne blinken.

Aber es gibt auch eine andere Bedeutung von Himmel, die mit dieser nichts zu tun hat. Diese andere Bedeutung von Himmel meint die Gott vorbehaltene Wirklichkeit, meint – wir können ja nur mit Bildern und Ausdrücken sprechen, die von der Erde genommen sind – die Welt, die Gott als sein vorbehaltener Herrschaftsbereich dient. Unter diesem Himmel verstehen wir jene Stätte – wiederum ein räumlicher Ausdruck, der aber mangels eines anderen gebraucht werden muß –, an der sich die Engel und die Vollendeten, vor allem Maria, die leiblich Aufgenommene, sowie die Seelen der Erlösten befinden. Diese zweite Bedeutung des Himmels hat mit der ersten nichts gemein. Sie ist nicht räumlich umschrieben. Der Himmel in diesem Sinne ist auch gar nicht zu lokalisieren, denn er ist jeder Erfahrung entzogen. Es handelt sich hier um einen überempirischen Begriff, also um die Beschreibung einer Wirklichkeit, die aus der Erfahrung nicht bekannt ist und auch durch Erfahrung nicht erkannt werden kann. Ich erinnere an das, was Paulus im 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes zu der Auferstehung sagt. Da erklärt er die verschiedenen Leiber, irdische und himmlische, verwesliche und unverwesliche, und dann fällt das folgenschwere Wort: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben.“ Damit will er eben die Andersartigkeit, die Geschiedenheit der Wirklichkeit Gottes und der bei ihm befindlichen Vollendeten von der Erde und ihrer geschöpflichen Wirklichkeit bezeichnen. Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben.

Wenn wir nun daran gehen, nach dieser Klärung des Begriffes Himmel zu fragen: Was bedeutet erstens die Himmelfahrt Jesu für ihn selbst, was bedeutet sie zweitens für uns?, so müssen wir, um auf das erste einzugehen, sagen: Die Himmelfahrt Jesu ist einmal seine Heimkehr zum Vater. Christus hat sich bei der Menschwerdung eine menschliche Natur angeeignet. Aus dem Schoße der Jungfrau Maria wurde ein Mensch geboren, der sich mit dem Logos als Ich-Zentrum, als Person vereinigt hat. Dieser Gottmensch Jesus Christus hat hier unter uns 33 Jahre gelebt, gepredigt, Sünden vergeben, Kranke geheilt, Wunder gewirkt; er ward dem Leiden unterworfen, er wurde verurteilt und hingerichtet. Aber er blieb nicht im Grabe, sondern aufgrund der Macht des Vaters wurde er erweckt und verwandelt und in die Herrlichkeit Gottes versetzt. Die Himmelfahrt ist die Heimkehr des Menschensohnes in die Herrlichkeit des Vaters. Der Herr hat einmal, kurz vor seinem Tode, davon gesprochen, daß es eine Sünde, eine Gerechtigkeit und ein Gericht gibt. „Eine Sünde, weil sie nicht an mich geglaubt haben, eine Gerechtigkeit, weil ich zum Vater gehe, und ein Gericht, weil die Welt schon gerichtet ist.“ Also die Heimkehr zum Vater ist Verwirklichung der Gerechtigkeit für Jesus. Jetzt hat er endlich empfangen, was ihm zustand, nämlich Ehre und Herrlichkeit, die ihm die Menschen während seines irdischen Daseins versagt hatten. Das ist jetzt endlich geschehen. Die Heimkehr zum Vater ist die Gerechtigkeit, die ihm der himmlische Vater hat zuteil werden lassen.

Sie ist aber auch der Machtantritt Jesu. Wenn er zur Rechten Gottes sitzt, dann bedeutet das, daß er den Ehrenplatz eingenommen hat – wir sprechen immer menschlich, denn anders können wir nicht sprechen. Er hat den Ehrenplatz eingenommen, aber auch den Platz, der ihm Macht und Herrschaft verleiht. So sagt es Paulus im Epheserbrief eindeutig: „Gott hat ihn von den Toten erweckt und zu seiner Rechten im Himmel gesetzt. Dort thront er, hoch über aller Herrschaft, Gewalt, Macht und Kraft und über jedem Namen, der in dieser und in der zukünftigen Welt genannt wird.“ Jesus ist also mächtig. Er hat mit der Herrlichkeit Gottes des Vaters Macht übertragen bekommen, und diese Macht übt er über die ganze Schöpfung aus, auch über unsere Erde. Uns will es zwar manchmal scheinen, als ob hier mehr der Teufel die Macht ausübe als Gott und sein Christus. Aber, meine lieben Freunde, es gibt Zeichen dafür, daß Christus der Herr dieser Welt ist. Ich erwähne nur ein einziges, nämlich die Zerstörung, die dann folgt, wenn sich die Menschen nicht an seinen Willen und seine Gebote halten. Das ist Machtausübung. Da schlägt nämlich die Schöpfung gegen den zurück, der sie mißbraucht. Das ist Machtausübung durch den zur Rechten des Vaters sitzenden Jesus Christus. Er übt Macht aus über die Welt und über die Kirche. Er ist ja auch das Haupt der Kirche, und auch hier scheint es uns manchmal, als ob die Macht des Herrn zur Ohnmacht verurteilt sei, als ob die Angeber und die Schwätzer und die Progressisten in unserer Kirche herrschten und nicht der Geist des Herrn. Aber das ist nur scheinbar so. Die ungeheuren Zerstörungen, die seit 30 Jahren unsere Kirche heimsuchen, sind die Antwort Gottes darauf, was geschieht, wenn man sich nicht an seinen Willen hält. Am Beginn dieses Jahres sagte der Mainzer Bischof, wir sollten dem entsprechen, was die Menschen von uns erwarten. Ja, meine Christen, das ist völlig falsch! Wir sollen nicht das tun, was die Menschen von uns erwarten, wir müssen vielmehr das tun, was Gott von uns erwartet. Denn die Menschen erwarten sehr viel Falsches von uns; sie erwarten, daß wir ihnen das Leben bequem und leicht und angenehm machen. Das erwartet Gott nicht von uns. Wir müssen das tun, was Gott von uns erwartet.

Die Himmelfahrt Jesu ist schließlich der Abschluß der Erscheinungen. So, wie er 40 Tage hindurch den Menschen erschien, erscheint er nicht mehr. Die 40 Tage hatten einen tiefen Sinn. Der Herr mußte den Glauben auferbauen an seine wirkliche, leibhaftige Auferstehung. Er mußte den Menschen, die an ihn gläubig geworden waren, Weisungen geben und sie belehren über das, was sie in der Zukunft zu tun haben. Die 40 Tage waren also unbedingt notwendig. Aber sie genügten auch. Nach diesen 40 Tagen ist er endgültig in die Herrlichkeit des Vaters aufgenommen worden. Ich frage mich manchmal, ob es richtig ist, wenn man – z.B. in der Dogmatik meines Lehrers Michael Schmaus – liest: Wir wissen nicht, wo sich Jesus in den 40 Tagen auf Erden aufgehalten hat. Ich glaube, die Frage ist falsch gestellt. Nach meiner – möglicherweise fehlbaren – Überzeugung ist Jesus schon gleich nach der Auferstehung in die himmlische Herrlichkeit versetzt worden und ist von da den Menschen erschienen. Er hat nicht während der 40 Tage auf Erden gelebt, sondern er war in der Herrlichkeit des Vaters und ist von da den Menschen gegenwärtig geworden. Beim Himmelfahrtstage ist er zum letztenmal erschienen, und damit sind die Erscheinungen abgeschlossen. So, glaube ich, muß man die Erscheinungen, die 40 Tage und die Himmelfahrt Jesu erklären. Das ist also die Bedeutung, welche die Himmelfahrt für Jesus selbst hat. Er ist heimgekehrt zum Vater, er hat die Macht angetreten und er hat seine Erscheinungen abgeschlossen.

Was bedeutet nun die Himmelfahrt Jesu für uns? Nun, sie hat für uns eine große Bedeutung. Nicht umsonst sagt Papst Gregor der Große: „Die Himmelfahrt Jesu ist unsere eigene Erhöhung.“ Wie ist das zu verstehen? Zunächst einmal ist die Himmelfahrt Jesu die Voraussetzung dafür, daß wir eine ewige Heimat finden; denn er ist gewissermaßen der Quartiermacher. Er bereitet uns die Wohnungen in der Ewigkeit; er sorgt dafür, daß wir eine ewige Heimat finden. „Ich gehe euch voraus, um euch eine Wohnung zu bereiten“, sagt er, und wir finden sie dann vor, wenn die irdischen Zelte abgebrochen werden. Hier auf Erden haben wir keine bleibende Stätte. Wir sind Pilger und Fremdlinge auf dieser Erde. Manche von uns haben eine irdische Heimat, aber auch sie ist immer wieder gefährdet und von Verlust bedroht. Ein Feuer kann das Haus verzehren, in dem wir leben; ein Erdbeben kann die Stadt verwüsten, in der wir uns aufhalten. Wir sind keineswegs gefeit gegen solche Bedrohungen. Viele von uns, 14 Millionen Deutsche, haben ihre Heimat verloren. Diejenigen, die das Unrecht des Nationalsozialismus beseitigen wollten, haben ungeheures neues Unrecht angerichtet, haben 14 Millionen Menschen aus ihrer Heimat gerissen. Wir sind also tatsächlich Pilger und Fremdlinge auf Erden und haben hier keine bleibende Stätte, wir suchen die zukünftige. Diese zukünftige Stätte hat uns Jesus bereitet. Sie liegt bereit für uns, wenn wir die irdische Zeltwohnung abbrechen. Da sind wir endlich sicher, daß uns diese Heimat nicht mehr genommen wird.

Die zweite Bedeutung für uns ist, daß es ein ewiges Leben gibt. Jesus ist nicht im Tode geblieben, sondern auferstanden und in die Herrlichkeit des Vaters versetzt worden, er, der Prototyp, der erste von vielen, die ihm folgen sollen, er, der zweite Adam, der die gesamte erlöste Menschheit nach sich zieht. Es gibt ein ewiges Leben, und für dieses ewige Leben sind wir bestimmt. Der Herr hat es oft gelehrt, daß er der Lebendige ist. „Ich bin die Wahrheit und das Leben“, hat er gesagt, „ich bin das Brot des Lebens.“ Wenn wir hier die heilige Eucharistie empfangen, dann werden uns Lebenskeime eingesetzt, die einmal zur Entfaltung kommen werden. Das ist einer der Zwecke, die mit der Eucharistie verknüpft sind, nämlich uns für das ewige Leben tauglich und bereit zu machen. „Ich bin lebendig, und auch ihr sollt lebendig sein“, so sagt der Herr. „Dazu bin ich gekommen, daß sie das Leben haben.“ Natürlich nicht das irdische, sondern das himmlische Leben.

In der Wochenendausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung befindet sich immer ein Magazin mit kulturellen und literarischen Beiträgen. Da ist auch ein Fragebogen enthalten, der einem prominenten Mann oder einer prominenten Frau zur Beantwortung übergeben wird, und eine Frage lautet stets: „Wie möchten Sie sterben?“ Da kann man viel Oberflächliches und manchmal auch Törichtes lesen. Aber es gibt auch gelegentlich Antworten, die einen aufhorchen lassen. Vor einiger Zeit wurde der Vorsitzende der CDU in Schleswig-Holstein, Otfried Henning, gefragt, wie er sterben möchte. Er gab die Antwort: „Im Frieden mit Gott.“ Eine gläubige Antwort, meine lieben Freunde. „Im Frieden mit Gott.“ Denn wer im Frieden mit Gott stirbt, der fängt an, ewig zu leben. Die Himmelfahrt bedeutet für uns die Gewißheit, daß es dem ewigen Leben entgegengeht.

Sie ist drittens eine Ankündigung der vollendeten Gemeinschaft mit Gott und allen Heiligen. In den Himmel kommen heißt zu Gott kommen. In den Himmel kommen heißt aber auch zu denen kommen, die uns vorausgegangen sind mit dem Zeichen des Glaubens. Der Himmel ist Gemeinschaft. Deswegen wird er oft unter dem Bilde eines Festmahles oder einer Stadt dargestellt. Das Festmahl ist etwas Freudiges, zu dem sich Menschen ereinen, und eine Stadt ist etwas Sicheres, sie hat Türme, Mauern, welche die darin lebenden Menschen schützen. So wird die vollendete Gemeinschaft mit Gott beschrieben. Wenn wir Christus nachfolgen, wenn wir in die Vollendung eingehen, dann treffen wir dort die Vollendeten, die uns vorangegangen sind, dann treffen wir dort den Vollender, der am Kreuze das Wort gesprochen hat: „Es ist vollbracht.“ Der Himmel ist selige Gemeinschaft, und das wird nicht zuletzt das Beglückende sein, daß wir dort ohne Streit und ohne Unfrieden mit den Menschen zusammen sind, die Gott für die ewige Seligkeit bestimmt hat. Was wird das sein am Ende ohne Ende! Dann werden wir sehen und lieben, dann werden wir sehen und schauen, dann werden wir sehen und hören. „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben!“

Amen.

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