Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. April 1995

Zeugen der Auferstehung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!

Anfang Februar des Jahres 1945 drang die Rote Armee in Schlesien ein. Gegen Ende des Monats wurde die Stadt Lauban von den Russen erobert. Dort befand sich der schlesische Priester Gerhard Kluge. Am 1. März wurde er zum Verhör geholt. Der russische Offizier fragte ihn: „Glaubst du an Jesus Christus?“ Er antwortete mit fester Stimme: „Ich glaube an ihn!“ „Hast du Jesus Christus gesehen?“ Der Priester antwortete: „Nein.“ Darauf der russische Offizier: „Wenn du an Jesus Christus glaubst und ihn nicht gesehen hast, dann bist du verrückt wie Hitler.“

Der Gesichtssinn ist zweifellos der wichtigste aller unserer Sinne. Was wir sehen, ist wirklich. Was wir sehen, ist erkannt. So sehr verbürgt dem unphilosophischen Menschen das Sehen die Wirklichkeit, daß er leicht geneigt ist, als unwirklich anzusehen, was man nicht sieht und nicht sehen kann. Auch der religiöse Mensch ist nicht frei von der Sehnsucht, zu sehen, die Gottheit zu schauen. Moses hat einst die Bitte an Gott geäußert: „Laß mich dein Angesicht schauen!“ Und die Sehnsucht, die sich in diesem Worte ausspricht, ist den gläubigen Menschen, ist den religiösen Menschen geblieben. Sie möchten Gott schauen, sie möchten etwas von Gott sehen, sie möchten gewissermaßen den Saum seines Gewandes ergreifen.

So erklärt sich auch der Zulauf zu echten oder unechten Wundern, zu echten und unechten Erscheinunegn. Die Menschen meinen, sie könnten sich, wenn sie nach bestimmten Orten wallen, der Gottheit versichern. Doch Gott denkt anders über die Kraft und über die Beweismöglichkeit durch Sehen. Er ist der Sehnsucht der Menschen, die Gottheit zu schauen, entgegengekommen. Er hat sich in Christus Jesus gegenwärtig gesetzt. Wer Jesus sah, sah Gott; wer Jesus die Hand gab, gab Gott die Hand. Aber wir alle wissen, es war eine Offenbarung in Verhüllung. Das Kind im Futtertrog der Tiere, der Wanderer auf den Fluren von Galiläa, der gefeierte, aber auch geschmähte Prediger, der Mann der Wunderzeichen, der mit dem Teufel in Verbindung gebracht wurde, er endete am Kreuz. Man schien berechtigt, dieses Leben als gescheitert anzusehen. Die Menschen, die ihn umstanden, hatten freilich immer noch die Sehnsucht, die Gottheit zu schauen. Sie riefen deswegen: „Steig herab vom Kreuze! Steig herab! Dann wollen wir glauben!“ Sie wollten erst sehen und dann glauben. Aber er löste die Hände nicht, die mit Nägeln an das Holz geheftet waren. Er stieg nicht herab vom Kreuze. Er ist den Menschen etwas schuldig geblieben. Man konnte mit einem gewissen Schein der Berechtigung meinen, es sei tatsächlich ein von Gott Verlassener, der da am Kreuze seine Seele aushauchte. Es mußte etwas geschehen, damit die Menschen erkannten, was wirklich am Kreuz passiert war, nämlich: Er ward geopfert, weil er selbst es wollte. Er trug unsere Sünden an das Kreuzesholz. Durch seinen Tod sind wir geheilt.

So hat Gott am dritten Tage seinen Offenbarer aus dem Grabe gerufen. Es ist gar keine Frage, daß Gott den Leib Jesu lebendig gemacht hat in verwandelter, verklärter Gestalt. Er ist nicht in das irdische Leben zurückgekehrt, sondern er ist in das himmlische Leben eingeführt worden. Aber auch hier wieder Offenbarung in Verhüllung. Es war niemand dabei, als sich das Grab öffnete. Die Wächter schliefen, und die Jünger kamen mehrheitlich nicht beim Anschauen des offenen Grabes, des leeren Grabes, zum Glauben an Jesus. Zunächst sagten sie, als die Frauen meldeten, das Grab sei leer, das sei leros – so heißt das griechische Wort –, Weibergeschwätz. Sie gingen hin und überzeugten sich, daß das Grab leer war, und nur ein einziger Jünger fand am leeren Grabe zum Glauben an die Auferstehung, Johannes. Es mußte etwas anderes geschehen, damit das leere Grab seine eindeutige Erklärung empfing. Jesus mußte den Jüngern und den Anhängern erscheinen. Sie mußten ihn sehen, erst dann keimte der Glaube.

Die erste, die den auferstandenen Jesus sah, war Maria Magdalena. Sie hat den Herrn als erste von allen seinen Anhängern erkannt. „Rabbuni“, so sagt sie, „mein Meister“. Und dann eilt sie zu den Aposteln und ruft ihnen zu: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Und diese sollten ihn ebenfalls sehen. Der Herr gibt sich ihnen zu erkennen in Jerusalem und in Galiläa. „Sagt meinen Brüdern, sie sollen vorausgehen nach Galiläa, dort werden sie mich sehen.“ Und sie sahen ihn. Er ließ sich auch erkennen in Jerusalem, aber wiederum nicht von allem Volke, sondern nur von den vorherbestimmten Zeugen. Warum nicht von allem Volke? Warum nicht bei der Parade der Besatzungstruppen? Warum nicht auf dem Tempelvorplatz? Warum nicht im Gewimmel der Festpilger? Warum in einem Speisezimmer, auf einer einsamen Höhe in Galiläa, am Gestade des Sees? Jesus liebt nicht den Glauben, der durch Wunder erzwungen wird. Er will den Gehorsam, der seinem Worte folgt. Das ist der Grund. Die schon zu seinen Lebzeiten nicht bereit waren, ihr Herz für ihn zu öffnen, denen verweigerte er auch nach seiner Auferstehung, ihn zu sehen. Er erscheint, aber er erscheint den vorherbestimmten Zeugen. Es genügt, das Osterfeuer in den Herzen seiner Jünger anzuzünden. Sie werden es hüten, und sie werden es weitertragen nach der syrischen Metropole, über die Pässe des Libanon und des Antilibanon, über das Mittelländische Meer, nach Rom, in die Provinzstädte. Die Jünger haben Jesus gesehen, und ihr Zeugnis hat den Osterglauben aller anderen begründet. Weil sie ihn gesehen haben, deswegen brauchen ihn ganze Generationen von Christen nicht zu sehen. Die Jünger haben ihn stellvertretend gesehen, und wir können uns auf ihr Zeugnis verlassen. Für dieses Zeugnis sind die Jünger mit ihrem Leben eingetreten. Dieses Zeugnis haben sie vor Kaisern und Statthaltern abgelegt. Sie wurden nicht müde, zu sagen: „Wir können nicht schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben.“

Es ist also, meine lieben Freunde, Licht genug da für den, der sehen will. Was jener russische Offizier zu dem schlesischen Priester Gerhard Kluge sagte: „Wenn du an Jesus glaubst und hast ihn nicht gesehen, dann bist du so verrückt wie Hitler“, ist ein törichtes Wort. Wenn wir auch Jesus nicht in leibhaftiger Gestalt sehen, so haben ihn doch die gesehen, auf deren Schultern wir stehen. Jene haben ihn gesehen, die uns den Glauben an Jesus, den Auferstandenen, vermacht haben. Wir dürfen uns auf ihr Zeugnis verlassen und an diesem Ostersonntag gläubig, ohne den Schatten eines Zweifels bekennen: „Christus erstand wahrhaft vom Tod. Du Sieger und König, sieh unsere Not!“

Amen.

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