Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. September 1992

Pflichten gegen den Leib

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Zu den großen Geschenken, die Gott uns gemacht hat, gehört unser Leib. Er ist uns anvertraut, und wir tragen Verantwortung für das leibliche Leben. Wir wollen am heutigen Sonntag von den vier uns aufgetragenen Pflichten gegenüber dem Leibe sprechen,

1. in bezug auf die Ernährung,

2. in bezug auf die Kleidung,

3. in bezug auf die Wohnung und

4. in bezug auf die Erholung.

Der erste Pflichtenkreis betrifft die Ernährung. Die Kirche hat immer und von Anfang an den Grundsatz vertreten, daß alle Genußgüter den Menschen zur Verfügung stehen, daß keines ausgeschlossen ist. Sie hat gegenüber Einflüssen von Irrlehrern die Freiheit des Christen in bezug auf das, was er seinem Leibe zuführt, verteidigt. Die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Speisen, die im Alten Bunde galt, ist aufgehoben. Und wenn auf dem sogenannten Apostelkonzil – in der Apostelgeschichte, 15. Kapitel, wird darüber berichtet – gesagt wird, die Heidenchristen sollten sich enthalten des Blutes und des Erstickten, dann ist damit eine disziplinarische Forderung aufgestellt, die zum Schutze der leicht Ärgernis nehmenden Judenchristen gegeben war. Ein grundsätzliches Verbot ist damit nicht ausgesprochen. Die späteren Irrlehren der Enkratiten und Manichäer, die verboten, bestimmte Speisen zu sich zu nehmen, hat die Kirche zurückgewiesen. Sie ist auch einem Vegetarismus feind, der die Menschen verpflichten will, sich von fleischlichen Speisen zu enthalten; verpflichten will! Freiwillig darf es natürlich jeder tun.

Die Art und das Maß der Speise, die der Mensch ißt, richten sich nach den Bedürfnissen. Die Speise dient der Erhaltung der körperlichen Kraft, das ist ihr Ziel, und das ist ihr Maß. Es steht nichts entgegen, die Speise zu verfeinern. Aber bei allem, was der Mensch genießt, muß er an sein eigenes Wohl und Wehe und an seine Umgebung denken. Man muß Rücksicht nehmen; man kann nicht prassen, wenn die Umgebung darbt. Und selbstverständlich muß der Geist die Herrschaft behalten. Die Ernährung muß immer von der Vernunft diktiert sein. In diesem Sinne mahnt der Apostel, daß wir uns nicht den Schmausereien und Trinkgelagen ergeben sollen, nicht den Ausschweifungen überlassen dürfen, sondern daß wir den Leib so pflegen sollen, daß dessen Begierden nicht geweckt werden. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Ernährung und Begierde. Ein weiser heidnischer Schriftsteller hat das schöne Wort geschrieben: „Sine baccho et cerere friget venus.“ Das heißt: Die geschlechtlichen Bedürfnisse werden stark, wenn man in Ernährung und im Getränk nicht maßhält. „Sine baccho et cerere friget venus.“ Wenn man sich darin bescheidet, dann sind die geschlechtlichen Begierden relativ leicht zu beherrschen.

Der zweite Pflichtenkreis bezieht sich auf die Kleidung. Die Kleidung hat einen doppelten Zweck, nämlich sie dient dem Schutz und dem Schmuck. Der Schutz, den die Kleidung gewährt, bezieht sich auf den Körper, aber auch auf den Geist. Daß die Kleidung uns schützt, ist uns, die wir in den sogenannten gemäßigten Breiten leben, offensichtlich. Wir brauchen die Kleidung, um uns vor Sonneneinstrahlung, aber auch um uns vor Kälte zu schützen. Die Kleidung ist aber auch ein Schutz für die Sittlichkeit. Indem der Körper bedeckt wird, vermeidet man die Aufreizung der Sinnlichkeit. Und die Sinnlichkeit liegt ja immer auf der Lauer; sie muß ständig bewacht werden. Und da sollten es die einen den anderen nicht so schwer machen, indem sie sich in einer Weise anziehen, welche die Sinnlichkeit reizt. Das gilt selbstverständlich in besonderer Weise für das weibliche Geschlecht, aber es gilt auch für die Männer. Man spricht heute von sexbetonter Kleidung. Es ist sicher, objektiv gesehen, eine Sünde, sexbetonte Kleidung zu tragen. Wir sollen uns so kleiden, daß nicht andere verführt werden. Wenn sich heute anklagende Stimmen erheben gegen die Zunahme von Vergewaltigungen, dann sollte man auch daran denken, daß diese Vergewaltigungen teilweise ihren Grund haben in aufreizendem Benehmen von Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes. Man kann sich nicht wie eine Tolle gebärden und dann erwarten, daß alle Männer sich beherrschen.

Die Kleidung dient auch dem Schmuck. Der Mensch hat einen ästhetischen Sinn, einen Schönheitssinn, und diesen Schönheitssinn darf er in seiner Kleidung befriedigen. Die schöne Kleidung ist ja auch von einer sozialen Bedeutung. Wer geht nicht lieber mit einem sorgfältig gekleideten Menschen um als mit einem, der in Lumpen daherkommt? Also auch die Achtung vor dem Nächsten und die Sorge für die Annehmlichkeit des Umgangs mit dem Nächsten rät dazu, in der Kleidung sich nicht zu vernachlässigen, sondern auf schöne, gefällige Kleidung zu achten. Wir dürfen uns schmücken, jeder nach seinem Stande selbstverständlich, aber wir dürfen uns schmücken. Und wir sollen es, wenn es notwendig ist, um dem Nächsten dadurch einen Dienst zu erweisen.

Die Wohnung dient dem Schutz des Menschen vor den Unbilden der Witterung, aber auch, um ein gedeihliches Familienleben zu gewährleisten. Die Älteren von uns können sich vielleicht noch erinnern, wie es vor fünfzig, sechzig oder siebzig Jahren eine sehr große Wohnungsnot gab, so daß Familien auf engem Raum zusammengepfercht waren, daß Männer, die in der Stadt arbeiten mußten, sich um eine Schlafstelle bemühten in einer sowieso schon recht gefüllten Wohnung und daß deswegen Staat und Gemeinden alles daran gesetzt haben, um zu familiengerechten Wohnungen zu kommen; denn nur da kann sich ein Familienleben entfalten, wenn für genügend Wohnraum gesorgt ist. Die Wohnung dürfen wir schmücken und ausgestalten, damit sie wirklich ein Heim wird. Es hängt so viel daran, daß die Menschen ein Heim haben. Ich habe einmal erlebt, wie ein Familienvater oft des Abends die Wohnung verließ, um in ein Wirtshaus zu gehen; dann kam er betrunken nach Hause. Eines Tages hat sich das ein Kind dieses Vaters zu Herzen genommen. Sie lernte die Zither spielen, und sie lernte dazu singen. Eines Tages überraschte sie den Vater, als er wieder ins Wirtshaus gehen wollte: „Vater, ich will dir etwas vorsingen und vorspielen.“ Dann nahm sie ihre Zither und sang dazu. Dem Vater kamen die Tränen, und er war so bewegt, daß er von diesem Abend an die Wirtshausbesuche unterlassen hat. Jetzt war ihm seine Wohnung zum Heim geworden.

Wir dürfen dem Leibe auch Erholung gönnen, ja, wir müssen es, weil es notwendig ist, um ihn leistungsfähig zu erhalten, soviel Erholung, wie unser Leib braucht, um seinen Tätigkeiten nachgehen zu können. Die Erholungen sind mannigfacher Art. Wir dürfen Spiele machen, Zufallsspiele, Glücksspiele. Die Gefahr entsteht erst da, wo die Bedrohung der Leidenschaft sich meldet, wo eventuell um hohen Einsatz an Geld gespielt wird. Da beginnt die Gefahr, und da beginnt auch die Sünde. Aber harmlose Spiele sind eine treffliche Erholung und sollten viel mehr als bisher geübt werden, um endlich von dem verheerenden Fernsehkonsum loszukommen. Auch der Tanz ist an sich gestattet. Der Tanz, die rhythmische Bewegung zu Musik, kann eine echte Quelle der Freude und der Erholung für die Menschen sein. Es hängt hier alles von den Umständen ab, von der Art und Weise, wie der Tanz ausgeführt wird, und von der Individualität, ob der einzelne etwa sehr leicht erregbar ist oder nicht. Aber objektiv gesehen ist Tanzen keine Sünde. Die Sündhaftigkeit ergibt sich aus der Art und Weise des Tanzes, aus den Umständen und aus der individuellen Artung. Selbstverständlich gibt es Personen, für die sich Tanzen nicht ziemt, z.B. für Kleriker. In manchen Diözesen ist eigens ein Tanzverbot erlassen, wie in Augsburg, mit vollem Recht und mit voller Zustimmung derer, die wissen, daß der Tanz Gefahren in sich birgt.

Der Sport, die Leibesübungen sind eine wichtige Quelle der Erholung. Der Mensch soll und muß sich körperlich betätigen. In den bald 40 Jahren, die ich in der Priestererziehung wirke, habe ich immer den Priesterkandidaten gesagt: Betätigt euch körperlich! Treibt wenigstens Sport oder verrichtet irgendwelche körperliche Arbeit! Das ist zur körperlichen und seelischen Gesundheit notwendig. Als Student besuchte ich gelegentlich ein Benediktinerkloster in der Nähe von München, und ich beobachtete, wie die älteren Patres, die Studienräte in dem von dem Kloster unterhaltenen Gymnasium waren, nicht nur Unterricht gaben; sondern am Nachmittag nahmen sie einen Obstkorb und pflückten Obst oder betätigten sich sonstwie im Garten. Sie wußten noch, daß zu der geistigen auch die körperliche Betätigung kommen muß, wenn man seelisch und körperlich gesund bleiben will. Die Jüngeren taten das schon nicht mehr, zu ihrem eigenen Schaden. Sport soll den Körper zu einem tauglichen Organ der Seele machen. Deswegen ist Sport außerordentlich empfehlenswert. Man soll sich sportlich betätigen. Wir hatten einen Sportlehrer, einen tüchtigen Sportlehrer, der an jede Schule, wohin er versetzt wurde, eine Forderung richtete, es müsse sofort eine Hindernisbahn erbaut werden. Die Hindernisbahn bestand darin, daß man durch eine Röhre kriechen, über einen Zaun klettern oder auf einem Balken entlanglaufen mußte. Dieser sehr gute Sportlehrer wußte, daß man durch solche Übungen den Körper ertüchtigt, Tugenden fördert, Ängste abbaut und die Menschen zur Behauptung im Leben führt. Selbstverständlich nicht allein, aber auch durch solche Mittel gewinnt der junge Mensch Selbstbewußtsein und wird innerlich freier.

Selbstverständlich birgt auch der Sport Gefahren. Wir lesen fortwährend vom Doping, also von der Einnahme leistungssteigernder Mittel, die verboten sind. Wir lesen von Tränen auf den Sportplätzen, weil der Ehrgeiz nicht befriedigt wurde, und wir wissen, daß der Sport auch bezüglich der Sinnlichkeit und der Erregung des Geschlechtlichen Gefahren in sich birgt. Aber diese Gefahren können hintangehalten werden. Deswegen hat die Kirche immer katholische Sportverbände gefördert. Die Nationalsozialisten spotteten darüber: Es gibt keine katholische Bauchwelle. Natürlich nicht; es gibt keine katholische Bauchwelle, aber es gibt eine katholische Weise, wie man Sport betreibt. Es gibt eine Ethik des Sportes, und die hat unsere Kirche, unsere weise Mutter Kirche, immer zu predigen verstanden: Daß man im Sport kameradschaftlich ist, daß man nicht von Ehrgeiz verzehrt wird und daß man nicht irgendwelche unredlichen Mittel verwendet, um als Sportkanone gefeiert zu werden.

Eine weitere Weise der Erholung sind Film, Theater und Fernsehen. Diese drei Medien sind große Errungenschaften des menschlichen Geistes. Sie sind hervorragend geeignet, dem Menschen bei seiner Aufgabe, sich gesund zu erhalten, Erholung zu suchen, zu helfen. Und wir dürfen ohne weiteres einräumen, daß sie dies bis zu einem gewissen Grade auch tun. Wer von uns, meine lieben Freunde, der einmal die Oper „Fidelio“ gesehen hat, ist nicht ergriffen aus dem Opernhaus hinausgegangen? Denn „Fidelio“, die einzige Oper, die Beethoven geschrieben hat, ist ein Hoheslied auf die Gattentreue. Aber leider Gottes sind eben viel mehr Werke des Films, des Theaters und vor allem des Fernsehens darauf gerichtet, nicht die Treue, sondern die Untreue zu verherrlichen. Sie sind darauf gerichtet, den Menschen aufzugeilen, das Niedere in ihm aufzupeitschen. Crime and sex, so heißt es, Verbrechen und Geschlechtlichkeit, das ist die Anziehungskraft des Fernsehens.

Dagegen müssen wir uns wehren, und zwar in einer doppelten Weise, meine lieben Freunde. Erstens, indem wir solche Sendungen meiden. Ein alter Mann sagte mir einmal: „Mir gehen diese Bilder nach.“ Das sagte ein alter Mann. Ja, was sollen dann erst die Jugendlichen sagen, die diese Dinge ja doch ganz anders empfinden als ein alter Mann? „Mir gehen diese Dinge nach.“ Wir müssen die Jugendlichen dazu erziehen, daß sie aus eigenem Interesse, aus eigener Einsicht begreifen, daß viele Fernsehsendungen ihnen schaden. Es braucht eine Hygiene des geistlichen und geistigen Lebens genauso wie eine Hygiene des körperlichen Lebens. Man muß nicht nur den Leib sauberhalten, sondern auch die Seele. Man muß darauf achten, was man ihr zuführt. Hygiene des Geistes!

Die zweite Weise, wie wir uns mit diesen schändlichen Unternehmungen auseinandersetzen können, sind Leserbriefe bzw. Seherbriefe. Schreiben Sie unermüdlich, meine lieben Freunde, an die Fernsehanstalten. Glauben Sie nicht, das sei umsonst, es ist nicht umsonst. Ich habe mir sagen lassen, daß in den Fernsehanstalten jeder Brief, der eintrifft, mit sechstausend Sympathisanten hochgerechnet wird. Also die Verwantwortlichen nehmen an, daß, wenn einer einen Beschwerdebrief schreibt, sechstausend andere genauso denken. Das ist doch etwas! Deswegen nicht müde werden, nicht bequem sein, nicht sich herausreden, sondern handeln; handeln, indem Sie unermüdlich schreiben, gegen Niederziehendes protestieren und saubere Berichterstattung und fördernde Unterhaltung fordern.

Es könnte auch das Theater eine moralische Anstalt sein, wenn es nämlich das Gute und das Schöne zeigen würde; wenn es den Sieg des Guten darstellen würde, könnte das Theater eine Anstalt zur Vermittlung von sittlichen Werten sein. Auch darauf dürfen, sollen und müssen wir Einfluß nehmen. Wie oft hat meinetwegen das Mainzer Theater Aufführungen gebracht, die geeignet waren, das religiöse Empfinden zu verletzen! Es haben sich nicht genügend Christen dagegen zur Wehr gesetzt, und so sind die Stücke über die Bühne gelaufen, manchmal monatelang. Die Müdigkeit der Guten, meine lieben Freunde, die Pius XII. beklagt hat, ermuntert die Bösen. Seien wir wachsam und achten wir auf die Aufgabe, die Gott uns anvertraut hat, auch für die sittlichen Werte in unserer Umgebung einzutreten!

„Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus ist Gottes.“ So faßt in wunderbarer Weise der Apostel Paulus unsere Haltung gegenüber der Welt, dem irdischen Leben, auch dem leiblichen Leben, zusammen. Alles ist euer, ihr seid frei, ihr seid Herren, Christus hat euch zu Herren gemacht. Aber ihr selbst gehört Christus, ihr seid Christi, ihr seid ihm gehörig, ja, wenn Sie wollen, versklavt. Ihr seid ihm unterworfen. Und Christus wiederum leitet alles weiter zum Vater. „Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus ist Gottes.“

Amen.

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