Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Mai 1992

Heilsbedeutung der Himmelfahrt Christi

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Freude Versammelte!

Vierzig Tage nach dem Fest der Auferstehung des Herrn begehen wir das Fest seiner Himmelfahrt. Wie man an den Säulen des Ostergeschehens gerüttelt hat, so erst recht – und seit Jahrhunderten – an den Stützen der Himmelfahrt unseres Heilandes. Im protestantischen Bereich wurde im 18. Jahrhundert das Fest sogar abgeschafft, weil man nichts damit anfangen konnte. Und auch heute ist eine große Verlegenheit bei den Predigern, wenn sie die Himmelfahrt verkündigen sollen. Wir wollen uns drei Fragen stellen und Antworten darauf versuchen:

1. Was ist geschehen?

2. Worin liegt die Bedeutung des Geschehenen?

3. Welche Einwände werden dagegen erhoben?

Die erste Frage lautet: Was ist geschehen? Wir geben die Antwort, die das Evangelium einmütig gegeben hat, nämlich: Christus ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgefahren. Er hat das erfüllt, was er vorausgesagt hatte. Denn als die Jünger damals Anstoß nahmen an seiner Rede über das eucharistische Opfersakrament, daß sie sein Fleisch und sein Blut essen würden, da suchte er ihr Verständnis zu erweitern, indem er auf seine himmlische Seinsweise hinwies. „Ärgert euch dieses, wenn ihr nun den Menschensohn dorthin auffahren sehen werdet, wo er zuvor war?“ Es ist also eingetroffen, was er vorausgesagt hat. Die menschliche Natur Christi ist versetzt worden an einen uns unbekannten Ort. Sie ist nicht verschwunden, sie hat sich auch nicht aufgelöst, sondern wir müssen daran festhalten mit dem Zeugnis des ganzen Neuen Testamentes, daß eine lokale Versetzung der menschlichen Natur Christi an einen ihrer verklärten Existenzform angemessenen Platz geschehen ist. Die Himmelfahrt ist ein historisches Ereignis. Sie ist angesiedelt in der Geschichte.

Freilich erschöpft sich damit nicht das Geschehen der Himmelfahrt. Jesus wurde ja seiner menschlichen Natur nach an einen geeigneten Ort versetzt in der Geste des Emporschwebens, und darin liegt eine sinnbildliche Bedeutung. In der „Verdammung Fausts“, dieser großen Oper von Hector Berlioz, wird Faust in die Erde versetzt. Das hängt damit zusammen, daß man sich die verschiedenen Zustände wie Verdammung und Beseligung nur örtlich vorstellen konnte, vielleicht auch nur örtlich vorstellen kann. Dann ist eben unten die Stätte der Verdammung und oben die Stätte der Verherrlichung. Das Emporschweben hat also eine sinnbildliche Bedeutung. Sie besagt, daß Christus in die Herrlichkeit Gottes eingegangen ist, nicht wie Faust in die Verdammnis. Er ist emporgehoben worden; das bedeutet, er ist in eine Seinsweise eingegangen, die von Glück, von Reichtum, von Fülle und von Kraft gekennzeichnet ist.

In diesem Geschehnis hat Christus seine ihm gemäße Existenzweise gewonnen. Die Bedeutung dieses Geschehnisses ist in dreifacher Weise gegeben. Einmal ist in der Himmelfahrt die höchste Offenbarung der Herrlichkeit Gottes uns zugänglich. Gott wird ja verherrlicht durch die Geschöpfe; und die Geschöpfe verherrlichen Gott, indem sie an seiner Herrlichkeit teilnehmen. Christus, der verklärte Christus, aber nimmt jetzt an der Herrlichkeit des Vaters in einer unüberbietbaren Weise teil. Und deswegen verherrlicht er Gott in einer nicht mehr zu übertreffenden Weise. Gleichzeitig ist diese Verherrlichung mit seiner Macht verbunden. Wenn wir sagen: „Er sitzet zur Rechten Gottes“, dann soll das bedeuten, er ist in den Machtkreis Gottes eingezogen, er hat den Ehrenplatz. Der rechte Platz ist immer der Ehrenplatz. Er ist in die Verherrlichung Gottes eingegangen, und so ist ihm die Macht Gottes eigen geworden. Gott selbst hat natürlich keine Rechte und keine Linke, denn er ist ein unumschriebenes Wesen. Nur umschriebene Wesen haben eine Rechte und eine Linke. Die Rechte Gottes ist also symbolisch zu verstehen als die Auszeichnung mit der Macht und mit der Herrlichkeit Gottes.

Aber damit erschöpft sich noch nicht die Bedeutung des Geschehens der Himmelfahrt, denn was an Christus geschehen ist, das soll auch an uns geschehen. Über seinem ganzen Leben steht ja das „Pro nobis“. Für uns ist er vom Himmel herabgestiegen, für uns hat er eine Menschennatur angenommen, für uns hat er gelitten und ist gekreuzigt worden. Für uns ist er aber auch auferstanden und in den Himmel versetzt worden. Wir sollen an ihm, an seiner neuen Existenzweise ablesen, was uns bevorsteht. Wir sollen dadurch Hoffnung und Trost gewinnen. Ja, der Apostel Paulus geht noch weiter. Er sagt, was an Christus geschehen ist, das ist an uns auch schon geschehen. Im Epheserbrief schreibt er: „Er hat uns mitauferweckt und mitversetzt in den Himmel in Christus Jesus.“ Wie ist das zu verstehen: Er hat uns mitauferweckt und mitversetzt in den Himmel? Ist das zu verstehen im Sinne der ungläubigen Gnostiker, die mit der Auferstehung und mit der Himmelfahrt nichts anfangen können und deswegen sagen: Es ist dies jetzt schon passiert, indem wir in einem neuen Leben uns bemühen, den sittlichen Grundsätzen, die Christus gepredigt hat, nachzuleben? Nein, das ist nicht gemeint. Das ist ontisch zu verstehen, von der Seinsweise. Der Christ ist durch den Empfang der Gnade bereits jetzt in einen Zustand versetzt, in dem er an der himmlischen Seinsweise Christi Anteil hat. In seinem innersten Personkern ist der Christ schon verwandelt, ist er schon in die Seinsweise Christi eingetreten. Was uns bevorsteht, ist das Offenbarwerden dieser Wirklichkeit. Wir haben schon das Unterpfand des ewigen Lebens in uns, und es soll offenbar werden, wenn einmal die Hüllen des irdischen Lebens fallen. Dann begreifen wir, daß die Auferstehung und die Himmelfahrt Christi Heilsbedeutung haben; denn was an ihm geschah als dem Haupt der Schöpfung, das soll, das muß an der ganzen Schöpfung geschehen. Wenn wir also den verklärten Christus anschauen, dann sehen wir den Gedanken verwirklicht, den letzten Gedanken, den Gott vom Menschen hat. Da sehen wir das Menschenbild, wie es Gott vorschwebt. Das ist der Mensch, wie er in dem Geiste Gottes existiert, der verklärte, der in den Himmel erhobene, der mit Christus siegreich herrschende Mensch.

Natürlich gibt es dagegen Einwände. Sie lassen sich auf zwei zurückführen, einmal, indem man etwa mit Heinrich Heine sagt: „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen.“ Diese Äußerung von Heinrich Heine, die er übrigens an seinem Lebensende bedauert hat, verwechselt zwei fundamental verschiedene Dinge. Da, wo die Spatzen sich aufhalten, aber auch andere Vögel, das ist das Firmament, das wir sehen. Das ist die Stätte der Wolken und der Witterung, das ist die Stätte, wo wir das Ozonloch messen. Der Himmel, wo die Engel sind, ist davon total verschieden. Das ist die Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Dieser Himmel hat mit dem Wolkenhimmel nichts zu tun. Wir kennen seine lokale Anordnung nicht, aber daß er existiert, das wissen wir aus der Offenbarung. Und wer deswegen von dem Aufenthaltsort der Vögel und von dem Existenzraum der Engel mit einem Worte spricht, der verfehlt sich gegen die Denkgesetze. Der Glaube an die Himmelfahrt Christi ist vom antiken Weltbild, wo oben das helle Licht ist und unten das Dunkle, Dumpfe, völlig unabhängig. Er hängt nicht am antiken Weltbild, und er bricht deswegen auch nicht mit dem antiken Weltbild zusammen.

Ein zweiter Einwand greift auf die Religionsgeschichte zurück. Man weist darauf hin, daß in der griechischen und in der römischen Welt von Apotheosen die Rede ist. Was sind Apotheosen? Das sind Vergöttlichungen. Menschen, die unter uns gelebt haben, werden nach ihrem Tode vergöttlicht, in den Götterhimmel erhoben. So ist es beispielsweise geschehen mit römischen Kaisern; sie wurden wie Götter verehrt. Ist das eine Parallele zu dem, was mit dem Jesus von Nazareth geschehen ist? Dagegen gibt es zwei entscheidende Argumente.

1. Von den Bewohnern der Antike hat niemand im Ernst die Wirklichkeit dieser Vergöttlichungen angenommen. Es hat jedermann gewußt, daß das schmeichlerische Verehrungen von angeblich oder wirklich bedeutenden Persönlichkeiten waren, daß das aber keineswegs eine ontologische Wirklichkeit ist. Also diejenigen, die Vergöttlichungen vornahmen oder denen solche zugeschrieben wurden, waren von der Wirklichkeit derselben selbst nicht überzeugt.

2. Jesus ist durch die Himmelfahrt nicht ein anderer geworden, sondern bei der Himmelfahrt ist nur herausgekommen, was immer in ihm war. Er ist nicht erst durch die Himmelfahrt vergöttlicht worden, er war Gott von Anfang an. Gerade das hat die Verkündigung der Apostel deutlich festgehalten. „Er, der in Gottesgestalt war – war! –, hat nicht geglaubt, das Gottgleichsein wie ein Beutestück festhalten zu sollen. Nein, er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen gleich und im Äußeren – im Äußeren! – als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja, bis zum Tod am Kreuze. Darum hat ihn Gott auch erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist, auf daß sich im Namen Jesu beugen alle Knie derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, und daß alle Zungen zur Ehre Gottes, des Vaters, bekennen: Jesus Christus ist der Herr!“

Also. was an Jesus geschehen ist, das ist nicht eine Verwandlung eines Menschen in eine göttliche Persönlichkeit, sondern das ist das Offenbarwerden dessen, was immer in ihm war, keine Apotheose, sondern eine durch die göttliche Macht gefügte Manifestation seines innersten Wesens.

Wenn wir so, meine lieben Freunde, die Himmelfahrt Christi verstehen, dann werden selbstverständlich nicht alle Fragen verstummen. Es bleiben auch hier Denkschwierigkeiten. Aber dafür gibt es eine gute Erklärung: Wenn wir die Werke Gottes begreifen könnten, wenn wir sie durchdringen könnten, wenn wir sie bis ins letzte erfassen könnten, dann wären sie nicht mehr Gottes Werk, dann wären sie das Werk eines Menschen. Denn alles, was der Mensch schafft, das kann auch vom Menschen nachgeschafft werden, das kann auch vom Menschen durchdrungen und erkannt werden. Das ist ja geradezu die Signatur der Werke Gottes, daß sie dem Verstande Rätsel aufgeben. Das ist bei allen Werken Gottes so, ob es sich um die Eucharistie handelt oder um die Menschwerdung Jesu, um seine Auferstehung oder um die Himmelfahrt: Gottes Werke sind über dem menschlichen Verstand. Sie sind nicht gegen ihn, aber sie sind über dem menschlichen Verstand. Das ist das Kennzeichen, daß Gott am Werk ist. Deswegen brauchen wir uns nicht besorgt zu zeigen, wenn wir nicht alle Geheimnisse auflösen können. Es muß so sein. Denn wenn Gott Gott bleiben will, der souveräne Herr, dann müssen seine Werke für den Menschen letztlich undurchdringlich bleiben.

Wir dürfen also heute wie immer gläubig bekennen: „Auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, sitzt er zur Rechten Gottes, von dannen er kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten. Und seines Reiches wird kein Ende sein.“

Amen.

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