Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 1990

Gemeinschaft der Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen.“ So bekennen wir jedesmal im Glaubensbekenntnis. Die Gemeinschaft der Heiligen ist ein großes Geheimnis wie alles, was um Gott kreist. Aber dieses Geheimnis ist doch in einem Grade gelichtet, daß wir begreifen können, was mit dieser Aussage gemeint ist. Zunächst: Was bedeutet das Wort „heilig“? Das Wort „heilig“ hat eine zweifache Bedeutung. Wir unterscheiden die objektive und die subjektive Heiligkeit. Objektiv heilig ist derjenige, der in der heiligmachenden Gnade lebt. Also heilig ist jener, wer von der Erbsünde und von der persönlichen Sünde befreit ist, ein Freund Gottes, ein Erbe des Himmels, ein Sohn oder eine Tochter Gottes ist. Das ist die Heiligkeit im objektiven Sinne. Sie wird uns geschenkt, ungeschuldet und unverdient, durch Gottes Gnade. Es gibt aber auch eine subjektive Heiligkeit. Das ist eine Heiligkeit, die vom Menschen unter dem Einfluß der Gnade erworben wird. Sie besteht in der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Die subjektive Heiligkeit ist der Einklang des menschlichen Willens mit Gottes Willen. Subjektiv heilig ist, wer seinen Willen gefangengegeben hat in den Willen Gottes. Und das tun wir immer dann, wenn wir in der Liebe leben; denn die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes. Die Liebe ist die Erfüllung aller Gebote. Wer die Gottesliebe und die Nächstenliebe beweist, der besitzt diese subjektive Heiligkeit, die in dem Einklang mit Gottes Willen besteht.

Nun ist von der Gemeinschaft der Heiligen die Rede. Alle, die objektiv heilig sind, stehen in einer Gemeinsamkeit, d.h. sie nehmen teil an denselben Gütern, nämlich an den von Gott geschenkten Gaben, und sie treten füreinander ein, sie leben in einer Solidarität miteinander. Diese Solidarität umfaßt zunächst einmal die streitende Kirche. Streitende Kirche, das ist die Kirche auf Erden. Sie streitet gegen Teufel, Fleisch und Welt. Sie kämpft, sie ringt, um die ewige Seligkeit zu gewinnen. Deswegen heißt sie streitende oder kämpfende Kirche. Die Heiligen in der streitenden Kirche sind diejenigen, die in der heiligmachenden Gnade leben. Sie kommen einander zu Hilfe mit ihren Gebeten, mit ihren guten Werken, sie bilden eine Solidargemeinschaft. Freilich muß man sagen, daß auch jede Sünde derer, die zur Gemeinschaft der Heiligen gehören, das übernatürliche Leben in dieser Gemeinschaft schwächt. Jede Sünde ist also nicht nur ein Angriff gegen Gott, sie ist auch ein Schaden für die anderen Menschen. Deswegen wird bei der Formel, die der Priester über den reuigen Büßer spricht, gesagt, daß durch den Dienst der Kirche die Versöhnung gewährt wird mit Gott und mit der Kirche. Denn die Sünde ist eben auch ein Angriff auf die Gemeinschaft der Heiligen. Es gibt eine Solidarität nicht nur im Guten, sondern auch im Bösen, nämlich insofern, als der Böse das übernatürliche Leben im Leibe Christi, soweit das menschlich möglich ist, schwächt.

Über die Gemeinschaft der streitenden Kirche hinaus geht die Gemeinschaft mit der triumphierenden und mit der leidenden Kirche. Die triumphierende Kirche, das sind die Vollendeten. Das sind jene, die uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen sind und im Frieden Gottes ruhen. Das sind jene, die Gott in seine Herrlichkeit, in den Himmel seiner Freuden aufgenommen hat. Sie triumphieren, weil sie den Sieg errungen haben über die Mächte, mit denen wir noch ringen. Und mit ihnen sind wir verbunden. Die Heiligen des Himmels zeigen ihr Interesse an uns, indem sie bei Gott für uns eintreten. Sie wachen über uns, sie sind unsere Patrone. Wir tragen ja ihre Namen. Und sie werden diejenigen, die ihren Namen tragen, in besonderer Weise sich anvertraut halten. Das ist die Gemeinschaft mit der triumphierenden Kirche.

Aber die Gemeinschaft umfaßt auch die leidende Kirche. Die leidende Kirche, das sind jene Menschen, die zwar gerettet sind, aber noch durch Strafleiden geläutert werden müssen. Die leidende Kirche umfaßt also die im Reinigungszustand, im Fegfeuer befindlichen Seelen. Auch sie bilden eine Gemeinschaft. Sie leben ja in der Liebe. Sie sind in der heiligmachenden Gnade, nur sind sie eben noch nicht hinreichend zubereitet, um in die Anschauung Gottes aufgenommen zu werden. Es haften ihnen noch läßliche Sünden, Sündenneigungen und Sündenstrafen an, und bevor sie nicht davon geläutert sind, können sie Gott nicht mit unverhülltem Angesicht schauen. Sie sind in Not, weil sie leiden müssen, aber sie sind auch in der Freude, weil sie wissen, der Sieg ist ihnen sicher. Sie sind durch das Gericht hindurchgegangen, und Gott hat sie nicht als zu leicht befunden. Sie gehören also im buchstäblichen Sinne zur Gemeinschaft der Heiligen, zur Gemeinschaft jener, die Anteil haben an den Heilsgütern. Und auch sie, unter denen möglicherweise unsere Angehörigen sind, bilden eine Gemeinschaft mit uns, sie beten für uns, und wir wollen nicht versäumen, ihnen bei ihrem Genugleiden – genugtun können sie ja nicht mehr – zu helfen durch unsere Gebete, durch die Allerseelenablässe, die wir gewinnen, durch die Feier des Meßopfers, das wir für sie darbringen, durch das Gebet im Meßopfer, das wir für sie verrichten. Das ist unsere Weise, wie wir unsere Solidarität mit den leidenden Seelen, mit der leidenden Kirche, bezeugen.

Die subjektive Heiligkeit, meine lieben Freunde, besteht wesentlich in der Liebe, weil die Liebe mit Gott verbindet und die Erfüllung des Gesetzes ist. Es gibt keinen Heiligen des Himmels, der nicht in der Liebe seine Bewährung erwiesen hätte und wegen seiner Liebe in den Himmel aufgenommen worden wäre. In besonderer Weise haben diese Liebe jene bewiesen, die die Kirche heiliggesprochen hat. Es gibt eine Heiligsprechung durch das unfehlbare Lehramt der Kirche, genauer durch den Papst. Wenn der Papst eine Heiligsprechung vornimmt, haben wir eine doppelte Gewißheit. Einmal, daß der Heilige einen heroischen Tugendgrad erlangt und bewiesen hat, und zum anderen, daß er in der Seligkeit des Himmels, in der ewigen Freude bei Gott weilt.

Die Kirche ist bei der Heiligsprechung vorsichtig. Sie führt mehrere Prozesse durch, in denen das Leben des in die Ewigkeit gegangenen Dieners Gottes sorgfältig geprüft wird. Seine äußeren und seine inneren Verhaltensweisen werden durchleuchtet. Es werden Zeugen gehört, unter Eid vernommen. Es werden seine Schriften und seine mündlichen Äußerungen durchforscht, ob sie Bestand haben können vor den Augen Gottes. Die Kirche nimmt gewissermaßen den Blick Gottes in sich auf, wenn sie das Leben von heiligen Menschen prüft. Aber wer diese Prüfung bestanden hat, von dem dürfen wir gewiß sein, daß er in die Ewigkeit des Himmels eingegangen ist.

Ein solches Beispiel ist der Pater Maximilian Kolbe. Maximilian Kolbe stammt vermutlich aus einer deutschen Familie, wie der Name Kolbe ja nahelegt. Die Familie stammt aus dem Sudetenland. Der Vater ist eingewandert in Polen und hat sich bei Lodz niedergelassen. In Lodz gab es damals Tausende deutscher Weber, die dort die Textilindustrie aufgebaut haben. Lodz gehörte damals, als der Vater einwanderte, zu Rußland. Aber es ist bezeichnend, daß der Vater Kolbe im 1. Weltkrieg nicht auf russischer, sondern auf deutscher Seite Soldat war. Er hat also in einem Lande gekämpft, das eigentlich mit der Nation, zu der er gehörte, im Kriege war, und er ist deswegen auch angeblich von den Russen hingerichtet worden. Sein Sohn erhielt den Namen Raimund. Das scheint ein überwiegend von Deutschen getragener Name zu sein. Wie immer es auch sein mag, der spätere Pater Kolbe wurde in einer polnischen Schule unterrichtet und hat sich deswegen auch als Pole betrachtet. Er trat in den Orden der Franziskaner ein und hat in diesem Großes geleistet, obwohl er zeit seines Lebens lungenkrank war. Als der deutsche Einmarsch in Polen erfolgte, wurde sein Werk vernichtet, diese geistliche Stadt, die er in der Nähe von Warschau aufgebaut hatte. Er selbst kam dann ins Konzentrationslager Auschwitz. In Auschwitz befanden sich nicht nur Juden, sondern auch viele Nichtjuden, die dort festgehalten und zur Arbeit gezwungen oder getötet wurden.

Nun ist in diesem Lager Auschwitz folgendes geschehen: Es wurden aus nichtigen Gründen zehn Männer zum Tode verurteilt. Sie sollten also nicht langsam, sondern sie sollten sogleich dem Tode überantwortet werden. Diese zehn Männer wurden ausgewählt und sollten im Hungerbunker zu Tode gebracht werden. In diesem Augenblick ereignete sich etwas, was in Auschwitz weder vorher noch nachher jemals passiert ist. Es trat nämlich aus der Schar der namenlosen Häftlinge einer hervor. Das war der Pater Maximilian Kolbe. Er trat vor den SS-Führer Fritsch und sagte ihm, er möge einen von den zehn Männern wieder in die Reihe der anderen zurückschicken und ihn in den Hungerbunker gehen lassen. Der SS-Offizier war starr vor Verwunderung. So etwas hatte er noch nie erlebt. „Warum?“ sagte er. Der Mann, auf den Pater Kolbe deutete, sei Familienvater und habe Frau und zwei Kinder. „Ich bin allein,“ sagte er. „Was bist du von Beruf?“ „Ich bin katholischer Priester.“ Der SS-Führer sagte nicht nein, sondern ließ den Pater Kolbe mit den übrigen neun in den Hungerbunker ziehen. Dort haben diese zehn Männer weder zu essen noch zu trinken bekommen. Man wollte gewissermaßen experimentieren, wie lange es ein Mensch ohne Nahrung und Flüssigkeit aushält. In diesem Hungerbunker hat Pater Kolbe das Opfer seines Lebens vollbracht. Man hörte plötzlich aus dem Bunker, aus dem sonst Flüche und Verzweiflungsschreie zu hören waren, Marienlieder singen. Wir wissen über das Leben in dem Bunker aus dem Zeugnis eines der Häftlinge, der jeweils am Morgen den Bunker reinigen mußte. Der Pater Kolbe betete mit den neun anderen Männern. Er richtete ihre Blicke zum Himmel, und das war deswegen so wirksam, weil er ja freiwillig bei ihnen war, weil er ja das Opfer seines Lebens sich ausgesucht hatte. Einer nach dem anderen starb. Derjenige, der als letzter starb, war Pater Maximilian Kolbe. Nach etwa 14 Tagen waren noch vier am Leben, drei lagen am Boden gekrümmt, Pater Kolbe an die Wand gelehnt. Da machte ein Arzt mit einer Phenolspritze dem Leben dieser vier Männer ein Ende.

Das ist das heldische Beispiel eines Heiligen unserer Zeit. Seit diesem Opfer von Pater Kolbe, meine lieben Freunde, kann man zwei Dinge nicht mehr sagen, nämlich erstens, daß es kein Leitbild für die Priester und für die Priesterkandidaten gäbe. Es gibt ein solches Beispiel. Dieses Leitbild ist in Auschwitz den Opfertod für andere gestorben. Man kann nicht mehr sagen, der Zölibat habe keine Bedeutung. Hier hat ein zölibatärer Priester den Familienvater gerettet. Man kann auch nicht mehr sagen, was man schon oft gehört hat: „Ich habe so viel Leid gesehen, ich kann nicht mehr an Gott glauben.“ Pater Kolbe hat in furchtbaren Qualen nicht nur an Gott geglaubt, nicht nur an Gott festgehalten, sondern seine neun Gefährten zu Gott emporgehoben. Im letzten Schreiben, das Pater Kolbe an seine Mutter gerichtet hat, steht der Satz in deutscher Sprache: „Gott ist in jedem Ort.“ Gott ist in jedem Ort. Er ist also nicht nur in den Luxusvillen und in den Urlaubsorten. Er ist auch im Gefängnis, und er ist auch in der Todeszelle. Gott ist in jedem Ort. Also kann man nicht mehr sagen: „Ich habe so viel Schlimmes gesehen, ich kann nicht mehr an Gott glauben.“ Wer hat denn Schlimmeres gesehen als Pater Maximilian Kolbe?

Das ist ein Beispiel, meine lieben Freunde, wie die Gemeinschaft der Heiligen auch heute noch wächst. Nicht nur in grauer Vorzeit haben Menschen Gott in überströmender Weise geliebt und sich für andere geopfert, nein, in unserer Zeit sind solche Helden, seien sie bekannt oder unbekannt, von Gott erweckt worden. Und das sind die wahren Herrscher dieser Welt. Gehen Sie einmal in den Dom zu Magdeburg! Da stehen im vorderen Chor Mauritius, Innozentius, Johannes der Täufer, Petrus, Paulus, Andreas – riesige Stauen, zwei Meter hoch, und unter ihnen immer eine Figur gekrümmt, auf die sie treten. Man sagt, das seien die Cäsaren, also die Kaiser, die sie hinrichten und martern ließen. Aber die Heiligen treten auf diese Männer. Also nicht die Demagogen, nicht die Generäle und nicht die Politiker sind die wahren Herrscher dieser Welt, sondern die Heiligen, die Gott beruft, an seiner Heiligkeit teilzunehmen, die alles hingegeben haben, um ihm zu folgen und das Lied zu singen, das in Ewigkeit nicht mehr verstummt, das Lied an das Lamm, das geschlachtet ward und deswegen würdig wurde, Ehre und Macht und Herrlichkeit und Gottheit zu empfangen.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt