Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Januar 1990

Gott weiß alles und vergißt nichts

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor dreitausend Jahren gab es im Zweistromlande eine große Stadt namens Babylon. Es war eine Weltstadt mit schätzungsweise 1 Million Einwohnern. Babylon war eine Stadt voll Pracht und Macht, etwa das, was heute Paris oder London sein mögen. In dieser Stadt gab es Kluge und Verständige, aber auch Törichte und Unverständige. Die Törichten und Unverständigen sind vergessen, aber vergessen sind auch die Klugen und Verständigen. Wenn wir nachforschen wollten, wer vor dreitausend Jahren in Babylon klug oder töricht war, verständig oder unverständig, dann wäre das vergebliche Mühe. Wir haben wahrhaftig wichtigere Dinge zu tun, als danach zu suchen.

Aber warum locke ich Sie nach Babylon? Schauen wir in unsere Stadt Mainz! Vor fünfhundert Jahren gab es in Mainz fleißige und faule Menschen, es gab ehrliche und unehrliche, es gab treue und treulose. Nun, die faulen, die treulosen und die unehrlichen Menschen sind vergessen. Aber genauso vergessen sind auch die fleißigen und die treuen und die ehrlichen. Da lächelt vielleicht jemand von Ihnen still in sich hinein und sagt: Wie sprichst du von fünfhundert Jahren? Das dauert gar nicht so lange; in hundert Jahren ist man vergessen. Ein Geschlecht drückt das andere immer tiefer in den Abgrund der Vergessenheit hinein. Ein Geschlecht türmt sich auf das andere, und es ist erschütternd, wie rasch die Menschen vergessen werden. Es ist das so betrüblich, daß man auf den Gedanken kommen kann: Warum strenge ich mich eigentlich an? Warum mühe ich mich ab? Warum bringe ich Überwindungen und Opfer? In hundert Jahren sind die vergessen, die mich getadelt haben, aber vergessen sind auch, die mich gelobt haben. Und ich selber werde genauso vergessen sein.

Halt, einer ist, der auf alles merkt und nichts vergißt, Gott. Er kennt die Menschen, die vor dreitausend Jahren in Babylon gelebt haben. Er weiß von einem jeden, ob er töricht oder klug, ob er verständig oder unverständig war. Er kennt jeden, der in Mainz vor fünfhundert Jahren gelebt hat, die Frau vom Fischmarkt und den Mann von der Bäckerstraße. Er weiß, ob das eine ordentliche oder unordentliche Hausfrau war und ob der Mann ein pflichttreuer oder ein pflichtvergessener Arbeiter war. Gott weiß alles und vergißt nichts.

Du hast im vergangenen Jahre gearbeitet, im Büro, in der Fabrik, im Betrieb, in der Schule. Jede deiner Arbeitsstunden ist aufgezeichnet im Buche Gottes. Jeder Tropfen des Schweißes ist von ihm gezählt. Er achtete auf deine Berufstreue und hat sie zur Kenntnis genommen. Gott weiß alles und vergißt nichts. Bei den Frauen, die den Haushalt besorgen, kamen im ganzen Jahre, vom 1. Januar bis 31. Dezember, der Kochtopf und der Löffel, das Staubtuch und der Besen, die Nadel und der Faden nicht zur Ruhe. Es war ein ununterbrochenes Band, ein fließendes Band. Aber Gott achtete auf jedes Glied. Gott weiß alles und vergißt nichts.

Du hast im vergangenen Jahr deine Kinder ermahnt, hast ihnen gute Worte gegeben. Die Kinder haben sich nicht alles behalten, sie haben vieles vergessen. Aber vor Gott waren deine Reden so unvergänglich wie die Weisungen des Heiligen Vaters. Gott weiß alles und vergißt nichts.

Du hattest im vergangenen Jahr deine Leiden. Krankheiten haben dich heimgesucht, vielleicht schwere Krankheiten. Sorgen haben dich bedrückt. Es gab Menschen, die dir zu helfen sich bemüht haben. Aber sie konnten nicht immer bei dir sein. Du warst oft allein, allein in den schlaflosen Nächten, die so bedrücken können. Gott achtete auf alle deine Tränen. Gott war bei dir, du hast ihn bei der Hand gefaßt, und er hat alles in seinem Herzen aufgenommen. Gott weiß alles und vergißt nichts.

Du hast im vergangenen Jahr gebetet, dein Morgengebet, dein Abendgebet. Man hat für alles eine Statistik erfunden, aber eine Statistik des Betens gibt es noch nicht. Alle Gebete aber sind vor Gott registriert. Er achtete auf sie, auch wenn es nur ein stummer Seufzer oder wenn es nur ein Aufblick des Herzens war. Gott weiß alles und vergißt nichts.

Du hattest im vergangenen Jahr deine Versuchungen, vielleicht sehr heftige Versuchungen, die die Seele aufwühlten wie ein Sturm das Meer. Schiff in Seenot! Menschen in seelischer Not! Aber du hast auch hier die Hand Gottes gefaßt. Gott achtete auf dich, daß du nicht straucheltest. Gott hat dich bewahrt. Gott weiß alles und vergißt nichts.

Das soll uns der Grund sein, meine lieben Freunde, warum wir uns auch im neuen Jahr vornehmen wollen, unsere Pflicht zu tun, gewissenhaft und ohne Rücksicht auf Lob oder Tadel. Vergessen werden die sein, die uns loben, vergessen werden die sein, die uns tadeln, und wir selber werden vergessen sein. Aber einer ist, der wacht, der alles weiß und der nichts vergißt. Wir arbeiten nicht für Menschen, die vergessen und vergessen werden. Wir arbeiten für Gott, der alles weiß und nichts vergißt, der gerecht ist und alles lohnen wird, was wir mit ihm und für ihn getan, gekämpft und gelitten haben. 

Amen.

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