Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Juli 1986

Die Verehrung der Reliquien

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Verehrung der Heiligen, so haben wir an den vergangenen Sonntagen gesehen, hängt innig mit der Anbetung Gottes zusammen. Weil Gott wunderbar ist in seinen Heiligen, deswegen verehren wir die Heiligen.

Zu der Heiligenverehrung gehört aber auch die Verehrung der Überreste, die auf uns von ihnen gekommen sind. Diese Überreste nennen wir reliquiae. Das ist ein lateinisches Wort und heißt soviel wie Überbleibsel. Reliquien sind Überreste von den Leibern der Heiligen, aber auch Gegenstände, die mit Christus und den Heiligen in irgendeiner Beziehung gestanden haben. Der Leib eines Heiligen, wie meinetwegen in Altötting der Leib des heiligen Bruders Konrad von Parzham unter einem Altar aufbewahrt wird, der Leib ist eine Reliquie. Auch Teile von den Gebeinen, ein Arm, ein Bein, sind Reliquien.

Von Christus haben wir selbstverständlich keine Reliquien seines Leibes, aber es gibt Gegenstände, die mit Jesus in einer Beziehung gestanden haben, die als Reliquien verehrt werden. Das Kreuz des Herrn ist sicher von Anfang an von den Gläubigen als die Stätte, an der er die Erlösung erwirkt hat, hochgeschätzt worden. Die Kaiserin Helena hat es im Jahre 325 aufgefunden, ein Teil davon befindet sich in der Grabeskirche zu Jerusalem. Auch an anderen Stätten werden Teile, Stücke, Splitter, Partikel des Kreuzes verehrt. In Trier wird der Rock des Herrn, der Leibrock, der heilige Rock, verehrt, in Turin das Leichentuch des Herrn. Es gibt noch viele andere Gegenstände, die dem Herrn zugeschrieben werden und die als Reliquien verehrt werden.

Gewiß, meine lieben Freunde, man muß vorsichtig sein. Es ist mit den Reliquien auch schon Unfug getrieben worden. Geschickte Fälscher unter den Griechen haben Reliquien, angebliche, scheinbare Reliquien verfertigt und zu hohem Preis veräußert. Es ist deswegen hier Nüchternheit und ein klares Urteil notwendig. Die Kirche hat für die Reliquien sogenannte Authentiken eingeführt. Authentiken sind Bescheinigungen des Bischofs, daß eine Reliquie echt ist. Sie beruhen auf Nachforschungen über die Herkunft der Reliquie.

Freilich kann durch diese Authentiken immer nur der letzte erreichbare Stand wiedergegeben werden, und der liegt eben heute erst im 10. oder 11. Jahrhundert. Deswegen verbürgt nicht jede Authentik die wahre Echtheit von Reliquien. Das ist bedauerlich, und das kann schmerzhaft sein, aber es ändert nichts daran, daß die Reliquienverehrung von der Kirche empfohlen und gutgeheißen ist. Wir verehren nämlich die Reliquien der Heiligen, weil die Körper der Heiligen Werkzeuge, Instrumente, Tempel des Heiligen Geistes waren.

Es liegt ja schon in der menschlichen Natur, daß er Überbleibsel von Menschen, die er geschätzt hat, die ihm nahestanden, aufbewahrt. Ein Andenken an den Vater, ein Andenken an die Mutter, das hält jeder in Ehren. Auch von anderen Persönlichkeiten werden Erinnerungsstücke sorgsam bewahrt. In Berlin in der Bendlerstraße hat man ein eigenes Museum eingerichtet für Überreste der Männer, die am 20. Juli 1944 die Tyrannei zu stürzen versuchten. Wir haben von den Hauptakteuren keine leiblichen Reste, denn ihre Gebeine wurden ausgegraben, verbrannt, und die Asche wurde zerstreut. Aber wir haben andere Erinnerungsstücke, Briefe, Gegenstände, die sie benutzt haben, und die hat man dort gesammelt und stellt sie aus. Und die Besucher gehen voll Ehrfurcht von Stück zu Stück, um sich an die Männer zu erinnern, die alles gegeben haben, um das Volk zu befreien.

So ist es recht. In Wörishofen hat man jetzt ein Museum errichtet und alles darin gesammelt, was sich um den Pfarrer Kneipp dreht. Der Pfarrer Kneipp ist ja der große Wohltäter der Menschen durch seine Wasserkur geworden. „Ein Mann kuriert Europa,“ so hat Eugen Ortner ein Buch geschrieben. Dieser verdiente Mann darf nicht vergessen werden. So hat man alles aufgespürt, was zu ihm in einer Beziehung steht und in diesem Museum zusammengetragen.

Wenn also schon im natürlichen Bereich Erinnerungsstücke von bedeutenden Persönlichkeiten gesammelt, aufbewahrt und geehrt werden, um wieviel mehr erst Erinnerungsstücke an jene Männer und Frauen, die der Heilige Geist als Werkzeuge und als Tempel benutzt hat. Die Christen haben darum von Anfang an solche Erinnerungsstücke aufgehoben und verehrt. Als der heilige Ignatius von Antiochien im Jahre 107 in Rom den Löwen vorgeworfen wurde, haben die Löwen ihn zermalmt und verzehrt. Aber die Knochen haben die Christen gesammelt und nach Antiochien überführt. Auch wenn ein Heiliger den Flammentod erlitt, hat man die Überbleibsel gesucht und aufbewahrt. Das war der Fall mit dem heiligen Bischof Polykarp von Smyrna. Er wurde ja verbrannt. Aber die Überreste seines Leibes hat man sorgsam geborgen und sichergestellt.

Über den Reliquien der Heiligen hat man häufig Altäre, Kapellen und Kirchen errichtet. Bis vor wenigen Jahren bestand die Vorschrift, daß in jedem Altar ein Reliquiengrab sein müsse, eine kleine Platte, wie sie ja auch hier an diesem Altar zu sehen ist, eine kleine Platte, in die ein sepulchrum, ein Grab eingelassen ist, nämlich ein Grab für Reliquien. Und der Priester erinnert sich bei der heiligen Messe dieser Reliquien. Er spricht, wenn er die Opferung vollzieht, Gott möge das Opfer annehmen auf die Fürbitte „dieser“ und aller Heiligen. Dieser Heiligen, d.h. eben der Heiligen, deren Reliquien sich im Altar geborgen finden.

Reliquienverehrung hat nichts zu tun mit Mummenschanz oder Aberglaube. Der Reliquienglaube ist berechtigt, wenn er in der rechten Weise verstanden wird. Die Reliquien können uns großen Segen bringen, freilich nicht unmittelbar, sondern durch die Macht Gottes. Wenn jemand die Reliquien aufgelegt bekommt und er gesundet, dann hat ihn nicht das Gebein gesund gemacht, sondern Gott auf die Fürbitte des Heiligen, den wir hier so ehren.

In Kiedrich drüben im Rheingau wird am Valentinusfest die Valentinusreliquie aufgelegt. Valentinus war ein heiliger Martyrer in Italien. Die Auflegung dieser Reliquie bedeutet, daß wir uns gläubig dieses Heiligen erinnern, daß wir auf seine Fürbitte vertrauen und daß wir von Gott aufgrund dieser Verehrung Gnaden erflehen. Nichts von Magie, nichts von Aberglaube und nichts von törichter Gottesverehrung haftet dieser Reliquienverehrung an.

Schon im Neuen Testament wird berichtet, daß Reliquien von Lebenden wunderbare Wirkungen hervorgerufen haben. Die Menschen rissen sich um die Schweißtücher und Gürtel des heiligen Paulus und legten sie auf. Auch im Alten Bunde wird von wunderbaren Begebnissen mit Reliquien berichtet. Ein toter Knabe, der mit den Gebeinen des Propheten Elisäus in Berührung kam, wurde durch diese Berührung lebendig. Wir haben also durchaus Anlaß, die Reliquienverehrung, die das Konzil von Trient gegen die Angriffe der Neuerer in Schutz genommen hat, hochzuhalten. Sie ist eine Entfaltung der Heiligenverehrung. Sie gehört zur Heiligenverehrung dazu. Wer die Heiligen ehrt, der kann ihre Überbleibsel nicht geringschätzen, der muß das, was uns überkommen ist von ihnen, in Ehren halten, sorgfältig aufbewahren und vor Verunehrung schützen. Deswegen sind die Reliquien häufig kostbar gefaßt in Reliquiaren, das sind Reliquienbehälter, vielfach aus Silber, manchmal sogar, wie die Reliquien, die im Dom zu Fulda aufgebahrt sind, nämlich die Reliquien des heiligen Bonifatius, in Gold. Darin drückt sich die Liebe und Verehrung des gläubigen Volkes aus.

Das, was uns von den lieben Heiligen überkommen ist, ist uns lieb und wert. Wir wollen es achten, wir wollen unser Vertrauen setzen nicht auf die toten Gegenstände, sondern auf die Fürbitte der Heiligen und die Macht Gottes, die durch ihre Fürbitte bewegt wird.

Amen.

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