Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Der Rücktritt Papst Benedikts XVI. hat mich nicht überrascht

Ein Gespräch mit Prälat Prof. Dr. Georg May
Kirchliche Umschau, Ausgabe März 2013

Prof. Dr. Georg May gehört zu den großen Priestergestalten unserer Zeit. Der emeritierte Ordinarius für Kirchenrecht an der Mainzer Universität ist ein unermüdlicher Verteidiger der kirchlichen Lehre.

Vielen Gläubigen war und ist er durch sein priesterliches Wirken, sein unerschrockenes Wort und durch seine zahlreichen Schriften eine Stütze im Glaubenskampf der letzten Jahrzehnte.

Prälat Georg May wurde 1926 im schlesischen Liegnitz geboren. 1945 wurde er unter die Seminaristen des alten Erzbistums Breslau aufgenommen. Nach der Vertreibung 1946 setzte er seine Studien in Fulda und München fort. Hier kniete er jeden Tag mit Joseph Ratzinger in der gleichen Bank der Kapelle des Priesterseminars Georgianum. Dann wechselte May ins Priesterseminar Neuzelle (Oder), wo er 1951 die hl. Priesterweihe empfing. Nach Seelsorge in der „DDR“-Diaspora und Promotion wurde er 1958 Professor für Kirchenrecht an der Freisinger Hochschule, wo Joseph Ratzinger sein geschätzter Kollege war. 1960 wurde er an die Universität Mainz auf den Lehrstuhl für kanonisches Recht, Staatskirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte berufen. 1994 wurde er emeritiert. Der Gelehrte hat in den letzten sechzig Jahren eine umfassende Publikationsliste vorgelegt, die weit über den kanonistischen Raum hinausgeht. Nach dem II. Vatikanischen Konzil wurde er zu einem Exponenten des traditionstreuen Katholizismus, dem er eine Stimme gab, die gehört wurde. Für seine Verdienste um die Kirche wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Apostolischen Protonotar ernannt.

Kirchliche Umschau: Hwst. Herr Prälat, wie haben Sie auf den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. reagiert? Haben Sie damit gerechnet?

Prälat Georg May: Der Rücktritt Papst Benedikts XVI. hat mich nicht überrascht. Ich habe ihn im Sommer 2012 in einem Gespräch mit Pater Franz Schmidberger vorausgesagt. Der Papst ist zurückgetreten, weil er sich, der Kirche und der Welt das Schauspiel eines Nachfolgers Petri ersparen wollte, der sein Amt festhält, obwohl er es nicht mehr adäquat ausüben kann. Wer mit Gewißheit erkennt, daß er einem Amt nicht (mehr) gewachsen ist, hat die Pflicht, es aufzugeben. Das hat Benedikt getan.

Es trifft nicht zu, daß Benedikt XVI. vor dem „Kreuz“ des Verbleibens im Papstamt geflohen ist. Wer ein Kreuz nicht mehr tragen kann, dem muß es abgenommen werden. Schließlich hat auch unser Herr die Hilfe des Simon von Cyrene nicht abgewehrt.

Es ist ebenso falsch zu behaupten, der Papst sei wegen der Skandale so getroffen worden, daß er keinen Ausweg sah als zurückzutreten. Benedikt XVI. war allen Ärgernissen und Erschütterungen seines Pontifikates gewachsen. Allerdings dürften sie dazu beigetragen haben, seine geschwächte Gesundheit weiter zu beeinträchtigen.

Ich selbst bedauere seinen Rücktritt, weil ich sein Wirken geschätzt habe, aber ich verstehe ihn. Das Kirchenrecht hat immer die Möglichkeit vorgesehen, daß ein Papst auf sein Amt verzichtet. Wer die Kirchengeschichte, speziell die Papstgeschichte überblickt, wird leicht auf den einen oder anderen Inhaber des Primats stoßen, der Grund gehabt hätte, vor seinem Tod aus dem Amt zu scheiden, oder von dem man gewünscht hätte, er wäre zurückgetreten.

Viele „Katholiken“ werden sich über den Rücktritt Benedikts freuen. Er war ihren „Reformwünschen“ mit seinem Beharren auf den katholischen Prinzipien entgegen. Sie haben ihm übel genommen, daß er der vorkonziliaren Liturgie wieder den Raum verschafft hat, der Bruderschaft St. Pius X. weit entgegengekommen ist, am Zölibat der Priester festgehalten und die Erteilung sakramentaler Weihen an Frauen ausgeschlossen hat. Wir sind ihm für diese Entscheidungen zu bleibendem Dank verpflichtet.

Kirchliche Umschau: Was muß der neue Papst bedenken?

Prälat Georg May: Der neue Papst muß sich zuerst einen Überblick über die Lage der Kirche und die dringendsten Maßnahmen, ihr zu begegnen, verschaffen. Wenn er es noch nicht wissen sollte, wird er bald erkennen, daß die Situation in den einzelnen Teilkirchen zwar verschieden, in den meisten aber besorgniserregend ist.

Der neue Papst muß sich darüber klar werden, wer die Hauptverantwortlichen für den bestürzenden Niedergang der Kirche, des Glaubens und des religiösen Lebens sind. Nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen und Beobachtungen sind es die destruktiven Theologen und die feigen Bischöfe.

Seit Jahrzehnten schließen sich Theologen zusammen und treten mit immer neuen Erklärungen, Aufrufen und Memoranden an die Öffentlichkeit, in denen die Lockerung der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre sowie Abbau der kirchlichen Ordnung gefordert werden. Sie tragen Unruhe und Unsicherheit in Klerus und Volk, hetzen die Kirchenglieder gegen Papst und Kirche auf und bedienen sich der Massenmedien, die als Lautverstärker ihrer absurden Forderungen wirken. Niemals ist ihnen angemessen entgegengetreten worden, geschweige denn, daß sie mit Strafen belegt worden wären. Dieses Treiben muß endlich einmal unterbunden werden. Die Kirche darf nicht länger hinnehmen, daß die eigenen Leute ihre Fundamente unterwühlen.

Die progressistischen Theologen haben die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche zersetzt und ihre Ordnung zerstört. Die schwachen Bischöfe aber haben sie gewähren lassen und führen Dialoge mit jenen, die zum offenen Ungehorsam aufrufen. Wenn in den genannten Personengruppen nicht Remedur geschaffen wird, sind alle Appelle und Beschwörungen zwecklos.

Der neue Papst muß sodann bedenken, daß die bisherigen Mittel, der Notlage der Kirche Herr zu werden, nicht mehr ausreichen. Mit gutem Zureden ist die sich ausbreitende Rebellion nicht in den Griff zu bekommen. Nach meinem unmaßgeblichen Urteil sind feste und sicherlich schmerzliche Schritte erforderlich. Theologen und Bischöfe, die sich als unfähig und unverbesserlich erweisen, müssen von ihren Positionen entfernt werden. Die Kirche darf nicht von innen heraus zerstört werden.

Der neue Papst muß sich die Verteidigung der Familie, die aus Vater, Mutter und Kindern besteht, angelegen sein lassen. Die Gender-Ideologie muß als eine Manipulation der gottgegebenen Natur entlarvt werden. Der Schöpferwille Gottes, nach dem Mann und Frau einander ergänzende Gestalten des Menschseins sind, ist allen Verirrungen zum Trotz unabgeschwächt zu verkündigen.

Der neue Papst sollte auch erkennen, daß die fortwährenden Rufe nach stärkerer Beteiligung der Frauen an kirchlichen Leitungsaufgaben von der Wurzel her verfehlt sind. Der Kirche wird nicht aufgeholfen durch Vermehrung der Ordinariatsrätinnen  und der Theologieprofessorinnen, sondern durch opferbereite Mütter, die einer zahlreichen Kinderschar das Leben schenken. Die absurde Forderung nach Spendung sakramentaler Diakonatsweihen an Frauen ist ein für allemal abzuweisen.

Der neue Papst muß versuchen, die praktische Abschaffung des Bußsakramentes im Klerus und bei den Laien rückgängig zu machen. Der Kampf gegen die Sünde ist der Kirche von Jesus Christus aufgetragen. Er wird am wirksamsten geführt im regelmäßigen Empfang der sakramentalen Absolution. Der katholische Mensch wird zu seinem Teil konstituiert durch die aufrichtige Beicht mit der ihr immanenten Belehrung. Das Bußsakrament muß seine unersetzliche Bedeutung zurückerhalten. Sonst verfehlt sich die Kirche in ihrer Funktion als Bollwerk gegen die Sünde.

Der Papst ist Universalbischof der Kirche. Er besitzt eine unmittelbare Gewalt über jede Teilkirche und jeden Gläubigen. Benedikt XVI. hat seinen Universalepiskopat sehr zurückhaltend ausgeübt. Darin kann der neue Papst durchaus weiter gehen. Das Ungenügen und die Schwäche vieler Bischöfe ist offenkundig. Die treuen Gläubigen fühlen sich nicht selten von ihren Oberhirten verlassen, wenn sie die Einhaltung der kirchlichen Disziplin einfordern. Da könnte und sollte der Universalbischof der Kirche ihnen zu Hilfe kommen.

Wir haben nicht zuviel, sondern zuwenig Intervention der kirchlichen Zentrale in den Diözesen.

Der Heilige Vater sollte mit der Ernennung von Kardinälen zurückhaltend verfahren. Die (fast) automatische Beförderung von Inhabern bestimmter Bischofsstühle sollte ersetzt werden durch Belohnung von Fähigkeit und Leistung. Auch Gefälligkeitskreationen von Kardinälen werden der Bedeutung der Würde nicht gerecht.

Der neue Papst muß sich der bedauerlichen Lage des Klerus in vielen Ländern, von allem in Europa, zuwenden und versuchen, seiner Niedergeschlagenheit und geistlichen Not abzuhelfen. Die vielfältigen Gründe des Priestermangels, die ich für die deutschen Verhältnisse in „Theologisches“ (2009, Sp. 98-115) aufgezeigt habe, müssen entschieden angegangen werden. Sie sind von Menschen gemacht und können von Menschen behoben werden.

Die enthaltsame Lebensform des Priesters ist uneingeschränkt aufrechtzuerhalten. Das Geschwätz von „anderen Zugängen“ zum Priestertum ist endlich zu unterbinden.

Der neue Papst steht vor der Aufgabe, den glaubensmüden katholischen Christen Sinn und Notwendigkeit der Mission wieder deutlich zu machen. Das verwaschene Gerede von der Heilsmöglichkeit der Nichtchristen ist durch die klare Verkündigung Jesu und der Apostel zu ersetzen. Unser Auftrag ist und bleibt, die gesamte Menschheit in der Kirche Christi zu versammeln.

Unter den Getauften gibt es eine Überzahl von abständigen und abgefallenen Christen. Sie überwiegen die treugebliebenen Gläubigen um ein Vielfaches. Ihre Rückgewinnung hat noch nicht einmal eingesetzt. So wird die heilige Aufgabe des neuen Papstes sein, unermüdlich darauf zu drängen, daß das Heer der Fernstehenden und der Verirrten zu ihrer Mutter, der Kirche zurückgeführt wird. Alle Glieder der Kirche, zuerst selbstverständlich die Bischöfe und Priester, sind aufgerufen, diese dringende Arbeit in Angriff zu nehmen.

Kirchliche Umschau: Wie sehen Sie die Situation der Kirche. Auf den verschiedenen Ebenen? In Deutschland? In der Kurie?

Prälat Georg May: Die Kirche befindet sich an einem Tiefpunkt ihrer Geschichte. Die heutige Situation ist das Stadium vor einem bevorstehenden Schisma. Ihre Lage ist fast überall krisenhaft. In Deutschland gleicht sie einer Agonie. Ich bin seit 62 Jahren Priester. Als ich 1951 die Priesterweihe empfing, hätte ich mir nicht vorstellen können, in welche Zustände die Kirche bis zum Jahre 2013 hineinschlittern würde. Immer wieder hörte ich von Freunden: Jetzt ist der Tiefpunkt erreicht, von nun an geht es wieder aufwärts. Alle diese Trostworte waren irrig. Es ging immer weiter bergab. Ich bin mir nicht sicher, daß dieser Prozeß von dem neuen Papst aufgehalten werden kann. Ich warne vor unbegründetem Optimismus. Es kann noch schlimmer werden.

Die Masse der katholischen Christen ist entkirchlicht, ja entchristlicht. Die Politik und die Medien haben ihr Werk getan. Was die große Mehrheit der Getauften begehrt, ist eine anspruchslose Glaubenslehre und eine billige Sittenlehre. Alles, was Forderungen an das Denken und den Lebenswandel stellt, soll abgeschafft werden. Die Masse der Katholiken läßt sich von der Hierarchie nichts mehr sagen, was gegen ihre Wünsche und Bedürfnisse geht. Diese Lage kann nach meinem Ermesssen nur von Gott gewendet werden. Aber Gott bedient sich der Menschen.

Ich teile nicht die unaufhörlichen Beschuldigungen von katholischen Christen gegen das Hilfsorgan des Papstes, die Römische Kurie. Ihre Dikasterien sind nicht in Desorganisation, ihre Mitglieder stehen Bischöfen und Priestern der Ortskirchen an Lauterkeit, Gehorsam und Frömmigkeit nicht nach. Das Versagen Einzelner ist nicht häufiger oder gravierender als in den Behörden der Teilkirchen. Die Beamten der Römischen Kurie haben Beschwerden und Klagen aus den Diözesen regelmäßig mit Geduld und Verständnis angehört. Daß sie den Gravamina zumeist nicht abhelfen konnten, lag nicht etwa an dem fehlenden guten Willen, sondern an der mangelnden Macht. Benedikt XVI. war außerordentlich zurückhaltend bei Eingriffen in die ordentliche Jurisdiktion der Diözesanbischöfe. So waren der Kurie die Hände gebunden. Der neue Papst könnte ihre Wirkungsmöglichkeiten ausweiten.

Kirchliche Umschau: Was können wir Katholiken jetzt für die Kirche tun?

Prälat Georg May: Was wir gläubigen und papsttreuen Katholiken für die Kirche tun können, läßt sich wie folgt sagen: Wir müssen erstens den Glauben ohne Abstriche und Konzessionen festhalten. Den Halt bietet die Tradition der Kirche. Wir müssen zweitens unseren Lebenswandel zu einem überzeugenden Ausweis des Glaubens machen. Das heißt: Leistung im Beruf, Treue zum Sittengesetz, gediegene religiöse Praxis, anhaltendes Gebet. Wir müssen drittens rührig sein im Knüpfen von Verbindungen mit Gleichgesinnten, im unerschrockenen Bekenntnis zur Kirche und zu furchtlosem Auftreten gegen Abbau und Zersetzung. Wir können und müssen der Kirche helfen, indem wir lautere und gottliebende Christen sind, die mit ihrem Zeugnis einander stützen und die „Welt“ einladen, sich zum katholischen Glauben zu bekehren. In der Kirche fehlt es nicht an Worten, wohl aber an Taten.

Unzählige katholische Christen sind religiös unwissend und verbildet. Es ist höchste Zeit, ihnen die katholische Glaubens- und Sittenlehre sowie die kirchliche Ordnung leicht faßlich und wiederholt vorzulegen. Eine echt katholische „Aufklärung“ ist ein unabweisbares Bedürfnis. Dazu ist jeder gläubige Christ fähig und berufen, an erster Stelle aber der Episkopat. Er sollte die Spielwiese des Zweit- und Drittrangigen verlassen und seine Kraft dem Erstrangigen zuwenden.

Wir haben in Deutschland keine katholische Presse mehr. Bei der allgemeinen religiösen Auslaugung der sogenannten Katholiken ist an die Gründung einer auflagestarken Zeitung nicht zu denken. Aber es gibt die Möglichkeit, die existierenden Presseorgane zu beeinflussen. Durch Anrufe, E-Mails und Leserbriefe, kann die Stimme des glaubenstreuen katholischen Christen hörbar gemacht werden. Wir können aufbauende Schriften, wie sie beispielsweise in Aachen und Kisslegg erscheinen, erwerben und anderen zugänglich machen. Ein Mann wie der evangelische Theologe Heinrich Schlier (1900-1978) hat einmal bemerkt, daß er den gläubigen Kleinschriften – über die Gnadenführung Gottes – seine Konversion zur katholischen Kirche verdankte.

Der Gremienkatholizismus ist zurückzuschneiden und womöglich zum Verschwinden zu bringen. Er ist weithin ein Tummelplatz von Wichtigtuern und Systemveränderern. Die Beendigung des fruchtlosen Geredes und der unaufhörlichen Wiederholung der angeblichen Notwendigkeit der Pseudo-Reformen wird den Weg freimachen für Taten und Zeugnis. Diese Überzeugung sollten wir den Bischöfen ebenso wie den Gremienkatholiken zu vermitteln suchen.

Das Wuchern der theologischen Lehranstalten in Deutschland ist eine Krankheitserscheinung. Mindestens die Hälfe müßte geschlossen oder aufgehoben werden. Wir können den Bischöfen und den Ordensoberen aufzeigen, daß das christliche Volk nichts nötiger hat als zahlreiche und sich selbst verzehrende Seelsorger und daß daher der Luxus der überzähligen Theologieprofessoren abzuschaffen ist, abgesehen davon, daß von vielen Mitgliedern dieser Kaste die Zersetzung ausgeht.

Kirchliche Umschau: Was können wir aus der Kirchengeschichte in dieser Zeit der Krise lernen?

Prälat Georg May: Aus der Kirchengeschichte ist zu lernen, daß scheinbar geringfügige Änderungen in Lehre und Ordnung der Kirche, die unbeachtet bleiben, sich zu Umstürzen und Abfallbewegungen auswachsen können. Der Wittenberger Mönch wurde lange Zeit nicht ernst genommen von den deutschen Bischöfen, bis er das ganze Haus der Kirche in Deutschland angezündet hatte. Joseph Lortz (1887-1975), der Historiker der sogenannten Reformation, erklärte schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts: „Die deutschen Bischöfe machen es wie im 16. Jahrhundert und unterlassen das Handeln, bis es zu spät ist.“ Die Kirchengeschichte lehrt uns, daß in Zeiten der Krise allein bedingungsloser Widerstand gegen Abbau und Konzessionen an die Meuterer und Aufrührer die Wende zum Besseren herbeiführen kann. Jede Nachgiebigkeit ermuntert die Hetzer und Wühler. Jetzt ist keine Zeit für Synoden, Dialogprozesse und Katholikentage, denn alle diese Erscheinungen sind willkommene Plattformen für die Systemveränderer. Nicht mit Reden und Mehrheitsbeschlüssen wird der Kirche aufgeholfen, sondern allein mit Taten, die vor Gott bestehen können. Wir können auch aus der Kirchengeschichte lernen, daß man mit der Herrschaft über die Medien ein ganzes Volk umkrempeln kann. Der Erfolg Luthers ist ohne das Druckmedium nicht zu erklären. Die Kirche muß in den Medien präsent sein. Wenn es nicht gelingt, eine katholische Presse aufzubauen oder durch andere Mittel wirksamen Einfluß auf die im Gottesdienst nicht mehr erreichbaren Menschen zu nehmen, geht die Erosion katholischer Haltung durch den verheerenden Einfluß der Medien unaufhaltsam weiter. Die Medien verführen und verbilden die Christen. Sie suggerieren protestantische oder atheistische Verhaltensweisen, machen die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche madig, ermuntern den Widerstand gegen das kirchliche Recht und präparieren die Katholiken für den Abfall. Ich kann nicht feststellen, daß bisher in dieser Hinsicht Wirksames geschehen ist.

Kirchliche Umschau: Was wird vom Pontifikat Benedikt XVI. bleiben?

Prälat Georg May: Ich hoffe, daß vom Pontifikat Benedikt XVI. Folgendes bleiben wird: Erstens die von ihm mit Recht geforderte Einordnung des II. Vatikanischen Konzils in die Geschichte der Kirche. Diese Versammlung war eine von vielen. Seine Erklärungen, Beschlüsse und Handlungsempfehlungen werden nur verstanden, wenn sie im Licht der Tradition ausgelegt werden. Das  II. Vatikanische Konzil war kein Superkonzil. Indem es sich selbst als Pastoralkonzil einstufte, hat es sich dagegen verwahrt, als ein Konzil der Dogmen angesehen zu werden. Benedikt XVI. hat stets davor gewarnt, das jüngste Konzil als das allein gültige  zu betrachten und es gegen frühere Konzilien auszuspielen. Er hat dafür Beschimpfungen und Verdächtigungen auf sich genommen.

Zweitens der unbedingte Primat der Glaubenslehre bei allen Lebensäußerungen der Kirche. Benedikt XVI. hatte begriffen, daß die größte Gefahr, die der Kirche in der Gegenwart droht, die Gleichgültigkeit gegen den Glaubensschatz der Kirche ist. Deswegen hat er das Jahr des Glaubens ausgerufen. Er hat schon als Kardinal auf einer sauberen Ekklesiologie bestanden und den Standpunkt der Erklärung „Dominus Jesus“ als Papst beibehalten. Seine Unbeirrbarkeit im überkommenen Glauben hat er mit Mißbilligung und Schmähung bezahlt. Drittens die Unverzichtbarkeit des liturgischen Erbes der Kirche. Mit dem allein, was als Liturgiereform ausgegeben wird, ist der Heilsauftrag der Kirche nicht zu erfüllen. Es war eine Großtat Benedikts, den Zugang zu der vorkonziliaren Liturgie wenigstens für alle Gutwilligen wieder erschlossen zu haben. Er hat sich damit um den Gottesdienst der Kirche in hohem Maße verdient gemacht. Der Lohn für diese Tat waren Rügen von seiten der Progressisten aller Ränge.

Kirchliche Umschau: Wo sehen Sie die Quellen für eine wahre Erneuerung?

Prälat Georg May: Die Quellen für eine wahre Erneuerung der Kirche und ihrer Gliedern sind unerschütterliche Treue zur Glaubens- und Sittenlehre der Kirche, fragloser Anschluß an den Nachfolger Petri, heilige Gottesfurcht und Gottesliebe, Ringen um Sündenfreiheit und Heiligkeit. Jede Erneuerung, die diesen Namen verdient, muß mit der Bekehrung des Einzelnen beginnen. Es war der entscheidende Fehler der „Konziliaristen“, daß sie meinten, mit der Änderung von Organisationen und Strukturen könne der Kirche aufgeholfen werden, und daß sie darüber das allein Entscheidende, die Sinnesänderung jedes Einzelnen, versäumten. Deswegen stehen wir nach dem Konzil vor einem Scherbenhaufen. Diese Versammlung mit all ihrem Aufwand hat keinen einzigen katholischen Christen gläubiger, frömmer und sittenreiner gemacht. Wohl aber hat sie die weit verbreitete Ansicht aufkommen lassen, der Weg zum Himmelreich sei ein Spaziergang.

Eine Erneuerung der Kirche kann es nur geben, wenn sie sich vom Protestantismus eindeutig absetzt, denn der Protestantismus ist das Prinzip der Auflösung. Die Kirche braucht keinen Ökumenismus. Für den Verkehr mit Andersgläubigen hat sie das Gebot der Nächstenliebe. Den katholischen Christen sind die Unterscheidungslehren von Katholizismus und Protestantismus von Kind an vorzulegen. Die Verwischung und die Verharmlosung der Gegensätze zwischen den Konfessionen sind zu beenden.

Eine Erneuerung der Kirche setzt die Wiederaufrichtung der Disziplin, d.h. der Einordnung und der Unterordnung zum Zwecke eines geordneten Verhaltens, voraus. Die wohlklingendsten Gesetze und Maßnahmen verpuffen, wenn ihre Adressaten sie nicht aufnehmen und umsetzen. Daher ist die Willkür im Gottesdienst zu beenden. Die Strenge der priesterlichen Lebensform ist wiederherzustellen. Die Bischöfe sind nachhaltig daran zu erinnern, daß sie Seelsorger sind, nicht Verfasser von Vorworten und Redner zu Tagesfragen.

Hilfreich für die Erneuerung der Kirche können neue religiöse Gemeinschaften werden, die sich gebildet haben. Ich denke – um nur ein Beispiel zu nennen – an die Patres der „Servi Jesu et Mariae“ von Pater Andreas Hönisch (1930-2008).

Für unerläßlich halte ich die volle Integrierung der Priesterbruderschaft St. Pius X. Die verheißungsvolle Initiative Benedikts XVI. ist nicht zu einem Ende gekommen. Es ist zu hoffen, daß es dem neuen Papst gelingt, die Restitution herbeizuführen. Wir brauchen die Priester der Bruderschaft.

Kirchliche Umschau: Auf was müssen wir Katholiken uns vorbereiten?

Prälat Georg May: Wir müssen uns vorbereiten, mit Gleichmut das anzunehmen, was nach Gottes Vorsehung sich aus dem Konklave ergeben wird. Unsere Treue zur Kirche darf nicht wanken, wie immer die Wahl ausgehen mag. Wir sind und bleiben in der Kirche nicht eines Menschen wegen, sondern nur Gottes wegen. Wir wissen nicht, wer aus dem Konklave als neuer Papst hervorgehen wird. Die Spekulationen der Medien und einzelner Persönlichkeiten sind müßig. Die große Mehrheit der Kardinäle dürfte bei der Abgabe ihrer Stimme an Gottes Willen und das Wohl der Kirche denken. Daß der eine oder andere nach Parteirücksichten wählt, kann nicht ausgeschlossen werden. Wir hoffen, daß Gott der Kirche ein Oberhaupt schenkt, das für diesen Dienst fähig und geeignet ist. Wir hoffen, daß der neue Papst die Zügel anzieht, die Benedikt XVI. in seiner Milde recht locker handhabte. Wir hoffen, daß es ihm gelingt, die fatale Lage der Kirche in weiten Teilen der Erde zu bessern. Es kann aber auch anders kommen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß der neue Papst Anpassung und Nachgeben als geeignet ansieht, der Krisensituation der Kirche zu begegnen. Wenn ich an die Mehrheit der deutschen Bischöfe denke, kann man nur besorgt sein, falls ihre Einstellung sich im Kardinalskollegium durchsetzen könnte. Aber wie immer die Papstwahl ausgehen mag: Ich kann mich schon seit langem nicht des Eindrucks erwehren, daß es einem Menschen nicht gelingen kann, die chaotischen Verhältnisse in weiten Teilen der Kirche zu überwinden. Ich fürchte, daß Gott selbst eingreifen muß, um seine Kirche oder den Rest, der dann übrigbleiben wird, zu retten. Wie und wann dies geschehen wird, ist seinem Ratschluß zu überlassen.

Kirchliche Umschau: Herzlichen Dank für Ihr Gespräch.

 

Das KU-Interview mit Prälat Prof. Dr. Georg May führte Jens Mersch in der Zeit der Sedisvakanz.


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