Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Dezember 2015

Die Hirten an der Krippe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die alte, vertraute und doch ewig junge Botschaft der Weihnacht lautet: „Ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Im Weihnachtslied geben wir das Echo auf dieses Verkünden des Engels:

Es kam ein Engel hell und klar

von Gott aufs Feld zur Hirtenschar;

der war gar sehr von Herzen froh

und sprach zu ihnen fröhlich so:

„Vom Himmel hoch, da komm ich her,

ich bring euch gute neue Mär.

Es ist ein Kindlein heut geboren,

von einer Jungfrau auserkoren.“                                                          

Der Engel der Verkündigung blieb nicht allein. Es kamen viele weitere Engel hinzu und sie stimmten den immer jungen und ewig alten Lobgesang an: „Ehre ist Gott in der Höhe und Friede den Menschen des Wohlgefallens!“ Vier Mal kommt in der Ansage der Engel das Wort „euch“ vor: „Euch ist der Heiland geboren.“ Wer ist damit gemeint? Es sind zunächst die Hörer seiner Botschaft, es sind die Hirten jener Gegend, die bei ihrer Herde Nachtwache hielten. „Stille Nacht, heilige Nacht!“, singen wir zu Weihnachten, „Hirten erst kundgemacht, durch der Engel Alleluja.“ Die Botschaft Gottes erging nicht an die Hohen Priester in Jerusalem, auch nicht an die Schriftgelehrten, sondern nach Gottes Willen sollten die ersten Menschen, denen die Kunde vom Erscheinen Gottes auf der Erde kundgetan wird, Hirten sein. Die Hirten waren nach aller Wahrscheinlichkeit Schafhirten; in Palästina lebte man vom Schaf. Es lieferte den Menschen Milch und Käse, die Wolle für die Kleider, das Leder für die Sandalen, das Fleisch für festliche Mahlzeiten. Die Schafe bedurften der Fürsorge, der Betreuung, des Schutzes, und diesen Dienst leisteten die Hirten. Sie waren immer bei den Tieren, bei Tag und bei Nacht, deswegen heißt es: „Sie hielten Nachtwache bei ihrer Herde“, um sie zu schützen vor Räubern oder wilden Tieren. Hirten empfangen die Botschaft von dem Heil, das Gott bereitet hat – ohne Zweifel einfache, schlichte, ungebildete Männer, vielfach geringschätzig angesehen. Aber die Werteskala Gottes ist eine andere als die der Menschen. Auf den Halden vor Bethlehem trug sich zu, was der Herold Christi, der Apostel Paulus, wenige Jahrzehnte später in die Worte fassen wird: „Was die Welt töricht nennt, das hat Gott erwählt; was die Welt für niedrig hält, das hat Gott erwählt; was sie verachtet, das hat Gott erwählt.“ Die Hirten geraten ob der Erscheinung des Engels in große Furcht. Immer, wenn Gott sich den Menschen naht, erschrecken sie. Auch Maria erschrak, als der Engel Gabriel bei ihr eintrat. Die Hirten werden mit großer Furcht erfüllt, als sie die Herrlichkeit Gottes erleben, aber der Engel beruhigt sie: „Fürchtet euch nicht!“ Im Kirchenlied heißt es: „Sie bebten vor dem Gotteslicht, er aber sprach: „O fürchtet nicht!“ Die Hirten hören die Botschaft, die unerhörte Botschaft von der Geburt des Heilandes, des Messias, des Herrn. Sie hören sie und nehmen sie auf; sie hören und glauben. Sie sind nicht skeptisch, sie suchen nicht nach einer natürlichen Erklärung dieses Geschehens, sie sind überzeugt, dass sich der Himmel aufgetan hat. Vielleicht – sie waren ja vermutlich gläubige Menschen – wussten sie von der Weissagung des Propheten Michäas, 700 Jahre vor der Geburt Christi: „Und du, Bethlehem Ephrata, du bist die kleinste unter den Fürstenstädten Judas, aber aus dir wird der hervorgehen, der Israel regieren wird“ – vielleicht wussten sie davon.

Die Hirten begreifen jedenfalls, dass sie nicht umsonst dieser Erscheinung gewürdigt werden. Sie verstehen, dass Gott etwas von ihnen will, dass sie auserwählt sind als Zeugen und Prüfer eines unerhörten Geschehnisses. Indem der Engel ihnen ein Zeichen gibt für die Wirklichkeit des Geschehenen, verbindet er damit die Aufforderung, sie sollen sich durch Augenschein von der Tatsächlichkeit seiner Ansage überzeugen. Die Hirten haben verstanden, dass ihnen die himmlische Botschaft zuteil wird, damit sie sich ihrer Wahrheit vergewissern, dass sie sich auf den Weg machen, das Kind zu sehen. Der Engel verweist sie nach Bethlehem. Bethlehem liegt etwa 8 Kilometer von Jerusalem entfernt auf zwei Hügeln, die durch einen Sattel verbunden sind. Maria und Josef befanden sich zur Zeit der Niederkunft in Bethlehem, aber nicht in der Ortsmitte, sondern am Rande. In der Ortsmitte war alles überfüllt, die Herberge war zu, und so nahmen sie eine Höhle, eine Felsgrotte als Ziel ihrer Wanderung. Dort, wo sonst das Vieh untergebracht wurde, wo sich aber eine Futterkrippe befand, da nahmen sie Platz, um das Kind zur Welt zu bringen und zu versorgen. Die Hirten waren nicht in Bethlehem, sonst hätten sie nicht sagen können: „Wir wollen nach Bethlehem gehen.“ Das Hirtenfeld muss in einiger Entfernung von Bethlehem gelegen haben – vermutlich ostwärts in Richtung auf die Wüste Juda und das Tote Meer –, aber sie entschließen sich, der Aufforderung des Engels zu folgen. „Transeamus usque Bethlehem et videamus hoc verbum quod factum est“, so singt in Schlesien von Görlitz bis Kattowitz eine jede Gemeinde zu Weihnachten: Lasst uns nach Bethlehem gehen und sehen, was dort geschehen ist – Transeamus usque Bethlehem. Sie gehen, aber nicht im Schritt, sondern im Sturmschritt. „Sie gingen eilends“, so heißt es im Evangelium, dorthin, wohin sie der Engel beordert hatte. Einmal drängt es, sie das Kind zu sehen, von dem der Engel gesprochen hatte, zum anderen wollen sie natürlich ihre Herde nicht lange im Stich lassen. So sprechen alle unsere Kirchenlieder von der Geschwindigkeit, mit der die Hirten nach Bethlehem gehen. „Die Hirten hören in der Nacht der Engel Lied bei ihrer Wacht. Zur Krippe eilen sie geschwind, anbeten Gott, den Herrn, im Kind.“ Der Engel hatte den Hirten ein Zeichen gegeben, das ihnen das Finden des Heilandes erleichtern oder ermöglichen sollte: „Ihr werdet ein Kindlein finden, in Windeln gehüllt und in einer Krippe liegend!“ Und genau das trifft ein. Sie finden Maria und Josef und das Kind; das Zeichen ist durch die Wirklichkeit bestätigt. Was sehen die Hirten? Vermutlich das weinende – denn Kinder weinen bei der Geburt häufig –, eben geborene Kind armer Eltern. Was glauben sie? Dass in Erfüllung gegangen ist, was viele Generationen von Israeliten erwartet, erhofft, erbetet hatten. „Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh; Maria und Josef betrachten es froh. Die redlichen Hirten knien betend davor, hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor“, so singen wir im Kirchenlied zu Weihnachten. Und jetzt berichten die Hirten „genau“, so heißt es im Evangelium, genau, was ihnen vom Engel über dieses Kind gesagt worden war. Wem berichten sie es? Natürlich zuerst dem heiligen Paar, das an erster Stelle hier beteiligt war; sie ging die Botschaft ja in erster Linie an. Aber die Hirten schwiegen auch gegenüber anderen nicht. Sie werden ihren Familien, ihren Nachbarn, ihren Bekannten davon erzählt haben; sie konnten nicht schweigen von dem, was sie gehört und gesehen hatten. Die Hirten sind die ersten Herolde und Missionare des auf Erden erschienenen LOGOS geworden. Eine Person war von dem Bericht der Hirten zutiefst bewegt. Es war die Mutter des Kindes. Sie hatte gewiss in Nazareth die Botschaft des Engels erhalten, der sie auf ihre große Aufgabe vorbereitete. Sie war sich ihrer Erwählung gewiss, jetzt aber war ihre Mutterschaft wahr geworden, jetzt war das eingetroffen, was ihr vorhergesagt worden war, jetzt lag das Kindlein in der Krippe. „Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären.“ Jetzt hat sie ihn geboren. Was Maria von den Hirten hörte, war die Bestätigung dessen, was sie vor neun Monaten vom Engel Gabriel vernommen hatte. Aber Maria hörte nicht nur die Mitteilung der Hirten, sie behielt sie, „sie bewahrte sie getreu“, so steht im Evangelium, „sie bewahrte sie getreu“, und mehr noch, sie dachte darüber nach, „sie erwog sie in ihrem Herzen“. Die Mutter des Herrn ist eben auch die erste Jüngerin des Herrn.

Mit dem Gehorsam gegenüber dem Verkündigungsengel war die Aufgabe der Hirten erfüllt. Sie hatten seine Botschaft gehört, sie hatten ihre Bestätigung gesehen. Die Hirten konnten natürlich nicht in Bethlehem bleiben, sie hatten ja Dienst, mussten für ihre Herde sorgen. Die Pflicht rief sie zurück zu ihrer Nachtwache. „So kehrten sie heim“, so heißt es, zu ihren Tieren, aber sie waren andere geworden, als sie vordem gewesen waren. Sie kehrten heim, als gläubig gewordene. Sie hatten begriffen, sie waren Zeugen eines unerhörten Eingriffs Gottes auf die Erde geworden, darum „lobten und priesen sie Gott“, so heißt es im Evangelium, für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war. Die völlige Übereinstimmung der Engelsbotschaft mit den von ihnen festgestellten Verhältnissen hatten sie sicher gemacht: Die Engelerscheinung war keine Einbildung, sie war keine Selbsttäuschung, sie war Wirklichkeit. Wir wissen nicht, meine lieben Freunde, wie es mit den Hirten weitergegangen ist. Wenn sie lange genug gelebt haben, könnten sie den, der im Futtertrog der Tiere gelegen hatte, noch als Prediger und Wundertäter erlebt haben. Vielleicht waren sie bei seinem triumphalen Einzug in Jerusalem dabei. Möglicherweise waren sie Zeugen seine Verhaftung und seiner Leiden – wir wissen es nicht. Aber sicher bleibt: Es gibt keine Verkündigung der Geburt Jesu ohne die Hirten auf den Feldern von Bethlehem.

Amen.

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