Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
7. April 1996

Der Osterglaube der Jünger

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!

Wie ist es zum Glauben der Jünger an die Auferstehung Jesu gekommen? Das ist die Frage, die wir uns heute am Ostersonntag stellen wollen. Sie ist von existenzieller Bedeutung für uns. Denn unser Glaube beruht ja auf dem Zeugnis der gläubig gewordenen Jünger. Wir müssen uns auf sie verlassen. Und wegen dieses Zusammenhanges ist es notwendig, zu fragen: Wie ist es zum Osterglauben der Jünger gekommen? Ich versuche diese Frage in drei Sätzen zu beantworten.

1. Der Osterglaube entsteht nicht am leeren Grab.

2. Der Osterglaube entsteht durch die Erscheinungen.

3. Zwischen dem leeren Grab und den Erscheinungen besteht indes ein enger Zusammenhang.

Der erste Satz lautet: Der Osterglaube entsteht nicht beim Anblick des leeren Grabes. In der ältesten Darstellung der Ostergeschehnisse, nämlich im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes Pauli, wird das leere Grab nicht als Argument für die Auferstehung Jesu verwandt. Es wird erwähnt, aber es dient nicht als Begründung für die Tatsache der Auferstehung Jesu. Wir haben soeben den ältesten Bericht eines Evangeliums über die Geschehnisse am Ostersonntag gehört. Die Frauen gingen zum Grabe. Sie fanden das Grab geöffnet. Es war leer. Die Frauen erhielten die Botschaft eines himmlischen Gesandten. Aber die folgenden Verse, die im Evangeliumstext nicht vorgelesen wurden, lauten etwa so: Die Frauen flohen vom Grabe, es hatte sie Zittern und Entsetzen ergriffen, und sie fürchteten sich sehr. Warum flohen sie? Warum hatte sie Zittern und Entsetzen ergriffen? Warum fürchteten sie sich? Das, was sie hier antrafen, ein geöffnetes Grab, aus dem der Leichnam verschwunden war, war für jeden gläubigen Juden etwas Unerhörtes. Das war etwas Erschreckendes. Deswegen wurden sie von Zittern und Entsetzen ergriffen. Sie konnten sich das nicht erklären. Es war für sie unglaublich und aufwühlend. Sie fürchteten sich, weil sie daran dachten, eventuell haftbar gemacht zu werden; sie waren ja die ersten, die das leere Grab entdeckten. Unter Umständen kam die Behörde und machte sie verantwortlich für das, was hier von ihnen berichtet wurde. Deswegen fürchteten sie sich. Aber haben sie nicht die Botschaft des Engels gehört? Selbstverständlich haben sie sie vernommen. Aber sie war nicht geeignet, in ihnen den Osterglauben zu begründen. Die Botschaft des Engels ging an ihr Ohr, aber erfaßte nicht ihr Herz. Das leere Grab war ja mannigfacher Deutung offen. Wir wissen, daß die Gegner Jesu sagten: Seine Jünger sind gekommen und haben ihn gestohlen. Dann ist der Leichnam natürlich auch verschwunden. Es konnte auch eine Verbringung von einem Ort zu einem anderen geschehen sein. Das meinte Maria Magdalena. Sie sah dort einen Mann stehen, den sie für den Gärtner hielt, und sagte: Wenn du ihn weggenommen hast, sag, wo hast du ihn hingelegt? Das leere Grab als solches weckt nicht den Osterglauben. Das leere Grab weckt Entsetzen, Zittern und Furcht, aber der Osterglaube wird durch das leere Grab nicht hervorgebracht.

Wir können uns mit einem Gleichnis in diese Lage versetzen. Nehmen wir an, einer unserer Lieben wird hinausgetragen auf den Friedhof. Der Sarg wird hinabgesenkt, und man kommt nach kurzer Zeit hin und stellt fest, daß der Sarg geöffnet und der Leichnam verschwunden ist. Wen von uns würde nicht Zittern und Entsetzen erfüllen? Wer würde nicht schockiert und bestürzt sein von diesem unerwarteten Begebnis?

Der Osterglaube entsteht nicht im Angesicht des leeren Grabes. Aber zweitens: Der Osterglaube entsteht durch die Erscheinungen des Auferstandenen. Die Jünger Jesu, viele Jünger Jesu – einmal fünfhundert! – haben den Herrn gesehen. Er hat sich ihnen gezeigt; er ist sichtbar geworden, er hat sich ihnen geoffenbart. Und diese Erscheinungen Jesu sind nicht weniger realistisch als die Wanderungen mit ihm in Galiläa und in Judäa, sie sind nicht weniger wirklich als das Predigen und das Wunderwirken, das sie miterlebt haben. Deswegen kann der Apostel Petrus bei der Nachwahl für den ausgefallen Judas sagen: Es muß einer von uns Zeuge der Auferstehung sein, der dabei war, von der Taufe des Johannes angefangen bis zur Himmelfahrt. Da werden die vorösterlichen Geschehnisse von den nachösterlichen nicht abgesetzt, sie werden vielmehr auf einer Linie aufgetragen. Die einen Geschehnisse sind so wirklich wie die anderen. Was vor Ostern geschah, ist wirklich, aber was nach Ostern geschah, ist nicht weniger wirklich.

Die Erscheinungen haben vierzig Tage lang angehalten. Vierzig Tage, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es war dies eine Spanne, in der es der Herr auf sich nahm, den Glauben der Jünger an seine Auferstehung zu befestigen, sie auszurüsten für das Zeugnis vom Auferstandenen. Wer spinnt, der spinnt immer, und sein Spinnen hört nach vierzig Tagen nicht auf. Aber weil die Jünger eben keine Spinner sind, weil sie keine Halluzinationen haben, weil sie nicht willkürlich irgendwelche Erscheinungen – Pseudoerscheinungen – hervorrufen können, deswegen sind sie an das gewiesen, was sich tatsächlich vor ihren Augen abgespielt hat. Sie müssen sich an das halten, was Gott ihnen zu schauen gibt, und das war eben nur in einer Spanne von vierzig Tagen der Fall. Die Erscheinungen spielen sich teilweise in Galiläa, teilweise in Jerusalem ab. Manche versuchen daraus einen Gegensatz zu konstruieren, indem sie sagen: Markus und Matthäus vertreten den Galiläatyp der Erscheinungen, Lukas und Johannes hängen dem Jerusalemtyp der Erscheinungen an. Daraus wollen manche einen Gegensatz konstruieren. Es ist ohne weiteres einsichtig, warum sich der Herr den Seinen in Galiläa zeigen wollte. Galiläa war ja das heilige Land seiner Wirksamkeit. Hier hat er gepredigt, das Reich Gottes verkündigt; hier hat er seine Wunder gewirkt (Kapharnaum, Kana); hier hat er seine Jüngerschar um sich gesammelt. Galiläa ist das heilige Land, in dem er sich als der Messias geoffenbart hatte. Dieses Land sollte nun auch seinen Triumph sehen. Hier sollten dieselben, die mit ihm gewandert waren, die seine Predigt gehört hatten, die seine Wunder geschaut hatten, ihn auch als den aus dem Grabe Erstandenen sehen. So wollte es Gott in seiner Weisheit, so war der von ihm bestimmte Abschluß des Wirkens Jesu. Der nachösterliche Jesus wollte dahin zurückkehren, wo er in vorösterlicher Zeit gewirkt hatte.

Es hat deswegen einen guten Sinn, wenn Markus und Matthäus von den Erscheinungen in Galiläa berichten. Es hat aber einen nicht weniger guten Sinn, wenn Lukas und Johannes uns von den Erscheinungen in Jerusalem Kunde geben. Jerusalem war der Ort der Hinrichtung Jesu. Hier mußte die Wendung, die Gott vorbereitet hatte, nach diesem schrecklichen Ende den Jüngern offenbar werden. Der Ort der Katastrophe sollte auch der Ort des Sieges sein. Vor allem aber sollte zeitlich ein ganz geringer Zwischenraum zwischen Tod und Auferstehung sein. Das ist der stärkste Beweis gegen die Meinung, im Laufe der Zeit hätten die Jünger aus Sehnsucht nach ihrem Meister und aus Trotz gegen ihre Verfolger aus ihrer Phantasie die Vorstellung von der Auferstehung Jesu hervorgetrieben. Dafür fehlt die Zeit. Nur wenige Stunden nach seiner Hinrichtung ist er als Auferstandener ihnen erschienen. Es sind nicht einmal drei volle Tage, es sind nur wenige Stunden, die dazwischen liegen. In dieser Zeit kann sich ein derartiger psychologischer Umschwung überhaupt nicht vollziehen. Deswegen Erscheinungen in Jerusalem. Hier, an dem Orte seiner Qualen wollte er sich zeigen als der Verklärte und Auferstandene, und zwar innerhalb weniger Stunden nach seiner Hinrichtung.

Drittens: Zwischen leerem Grab und Erscheinungen besteht ein enger Zusammenhang. Niemand hat diesen Zusammenhang eher und besser erfaßt als der Apostel Johannes. Er war ja der Lieblingsjünger Jesu. Er hatte beim Letzten Abendmahl an seiner Brust geruht, er war mehrfach von ihm ausgezeichnet worden, zuletzt am Kreuze, als er ihm seine Mutter anvertraute. Als die Frauen berichteten, daß das Grab leer sei, waren die Apostel ungläubig. Sie bezeichneten die Erzählungen der Frauen als „läros“. Dieses griechische Wort müssen wir übersetzen mit „Weibergeschwätz“. Läros – Weibergeschwätz. Aber immerhin, sie machten sich auf, Petrus und Johannes, um nachzuprüfen, was die Frauen berichtet hatten. Beide schauten in das Grab hinein, aber nur einer gewann angesichts des leeren Grabes den Glauben – Johannes. „Er schaute hinein und er glaubte“, so heißt es, und zwar an die Auferstehung des Herrn. Wie kam Johannes dazu, angesichts des leeren Grabes schon Glauben zu fassen? Er sah als scharfer Beobachter, daß die Leinenbinden, mit denen man den Leichnam Jesu umhüllt hatte, zusammengewickelt in einer Ecke lagen, und daß sich an einer anderen Stelle das Kopftuch befand, und da hat er begonnen zu denken. Wenn jemand den Leichnam Jesu entfernt hätte, dann hätte er ihn so mitgenommen, wie er im Grabe lag, also umwickelt mit den Binden und mit dem Kopftuch. Wenn er aber nicht in dieser Weise entführt worden ist, dann muß etwas geschehen sein, dann muß etwas Ungeheuerliches geschehen sein. Und wenn man ihn nicht entwendet hat, wenn man ihn nicht weggetragen hat, dann muß er selbst fortgegangen sein. Es bleiben nur die beiden Möglichkeiten: Entweder man hat ihn weggeschafft, oder er ist von selbst fortgegangen. Das erste scheidet aus den angegebenen Gründen aus, also bleibt bloß das zweite übrig. So gelangte Johannes zu der Überzeugung: Er ist auferstanden! Er ist dem Grab entstiegen! Und nur in dieser Weise konnte sich der Osterglaube behaupten. Denn wenn das Grab nicht leer gewesen wäre, dann wäre die Kunde von der Auferstehung außerordentlich leicht zu widerlegen gewesen. Man wußte, wo Jesus beigesetzt war, es war ganz in der Nähe seiner Hinrichtungsstätte. Man hätte also hingehen, das Grab öffnen und mit einer Abteilung Soldaten den Leichnam durch Jerusalem tragen lassen können, und alle hätten gesehen: Da ist er ja! Damit wäre die Botschaft von der Auferstehung erledigt gewesen, erledigt und tot für immer. Aber nein, das leere Grab ist das Pendant zur Kette der Erscheinungen. Der Erscheinende ist nämlich derselbe wie der im Grabe Liegende; er ist identisch mit ihm. Es sind nicht zwei verschiedene Persönlichkeiten, es ist auch kein Gespenst, das da den Jüngern erschienen ist, sondern der vom Kreuz Abgenommene, der mit Leinentüchern Umwickelte, derselbe ist es, der ihnen erscheint. Leeres Grab und Erscheinungen sind beide geschichtliche Ereignisse. Sie sind beide von den Jüngern, die ja mißtrauisch waren, mit Akribie festgestellt worden. Denn sie waren nicht leichtgläubig.

Der Herr tadelt vielmehr ihren Unglauben. Er sagt ihnen, daß sie verstockt sind, weil sie denen, die ihn gesehen haben, nicht glauben. Und er tadelt vor allem den Thomas, der den Jüngern, die mit ihm gewandert waren, nicht glauben wollte. Er gibt ihm den Beweis für seine Auferstehung. Er darf die Hand in die Seitenwunde legen; die Seitenwunde ist nämlich größer als die anderen Wunden, deswegen kann man die Hand hineinlegen. Er darf die Finger in die Wunden an Händen und Füßen legen und sich auf diese Weise von der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten überzeugen. Er soll ja Künder der Auferstehung werden und muß deswegen überzeugt sein. Ein nicht überzeugter Verkündiger ist ein hölzernes Eisen. Und darum kann der Herr sagen: „Weil du gesehen hast, bist du gläubig geworden.“ Aber er fügt hinzu: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“ Das sind wir. Wir sehen nicht, denn das Geschehen liegt 2.000 Jahre zurück. Aber wir hören die Verkünder. Wir wissen, daß es eine nicht abreißende Kette von Verkündern der Auferstehung seit den Geschehnissen in Jerusalem gibt. Ihnen gilt unser Glaube. Wir nehmen an, was sie verkündigen, und in der Macht der Gnade stimmen wir dem Zeugnis zu: Der Herr ist auferstanden. Die Kirche fügt aus gutem Grund immer hinzu: Er ist „wahrhaft“ auferstanden. Das Wort „wahrhaft“ will besagen: Er ist nicht bloß geistig auferstanden, sondern er ist leiblich auferstanden. „Wahrhaft auferstanden“ betont den Zusammenhang zwischen Erscheinungen und leerem Grab.

Jetzt wissen wir, meine lieben Freunde, wie es zum Osterglauben der Jünger kommt. Das leere Grab allein hat ihn nicht hervorgebracht. Die Erscheinungen haben sie von der Wirklichkeit des Auferstandenen überzeugt. Aber die Erscheinungen hätten auch noch als Halluzinationen, als Sinnestäuschungen gedeutet, mißdeutet werden können, wenn das Grab nicht leer gewesen wäre. So können wir also mit Überzeugung und Freude singen, was unsere Vorfahren immer gesungen haben:

„Das Grab ist leer, der Held erwacht,

der Heiland ist erstanden!

Da sieht man seiner Gottheit Macht.

Sie macht den Tod zuschanden!“

Amen.

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