Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. April 1992

Die Tatsache des leeren Grabes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!

„Nach dem Sabbat, als am ersten Tag der Woche der Morgen anbrach, kamen Frauen, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es entstand ein großes Erdbeben; denn ein Engel des Herrn stieg vom Himmel herab, trat hinzu, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Sein Anblick aber war wie der Blitz, und sein Gewand weiß wie Schnee.“ In diesen Worten des Evangelisten Matthäus ist das Geheimnis der Auferstehung Christi enthalten. Einer der Führer der Ungläubigen im vorigen Jahrhundert, der evangelische Theologe David Friedrich Strauß, hat einmal das Wort geschrieben: „Den Mittelpunkt eines Mittelpunktes, die eigentliche Herzmitte des Christentums bildet die Auferstehung Jesu.“ Er hat damit nichts anderes gesagt, als Paulus schon vor 1900 Jahren ausgeführt hatte: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist unsere Predigt leer, leer auch euer Glaube.“ Ja, Paulus scheut sich nicht, hinzuzufügen: „Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann sind auch die in Christus Entschlafenen verloren.“ Alle Heilszuversicht, alle Erlösungshoffnung ruht auf der Auferstehung Jesu. Aber auch in apologetischer Hinsicht ist die Auferstehung, das Auferstehungswunder die wirksamste Beglaubigung des Anspruches Jesu. In der Auferweckung seines Sohnes hat der Vater im Himmel den Anspruch Jesu, der Sohn Gottes zu sein, beglaubigt und bestätigt. Ohne die Auferstehung Jesu hätten sich die ortsfremden Apostel niemals in Jerusalem zusammengefunden. Ohne die Auferstehung Jesu hätte es niemals eine christliche Verkündigung gegeben. Die Auferstehung Jesu ist das Urdatum des Christentums.

Bei der Auferstehung Jesu müssen wir zwei Seiten unterscheiden, einmal den Inhalt und das Wesen dessen, was mit Jesus geschehen ist, und die äußeren Rahmenbedingungen, die dieses Ereignis in die Geschichte, in Raum und Zeit der Geschichte hineinstellen. Was mit Jesus geschehen ist, ergibt sich nicht aus dem Nachdenken. Das ist eine göttliche Überraschung; das ist eine Tat der Allmacht Gottes, die wir nur entgegennehmen, aber nicht durchdringen können. Jesus ist ja nicht in das irdische Leben zurückgekehrt, wie der Jüngling von Naim oder Lazarus, sondern Jesus ist in eine überirdische, himmlische, verklärte Existenzweise eingegangen, die nur dem Glauben zugänglich ist. Wenn Jesus so wie Lazarus und der Jüngling von Naim weiter auf der Erde gewandelt wäre, dann hätten ihn auch seine Gegner sehen können. Aber es sahen ihn nur die von Gott vorherbestimmten Zeugen, die nämlich die Bereitschaft mitbrachten, sich auf Gottes Offenbarung einzulassen. Aber das bedeutet nicht, daß die Auferstehung Jesu nicht im Raume von Ort und Zeit verankert wäre. Sie steht mit vielen irdischen, geschichtlichen Tatsachen in enger Verbindung, ja, sie ist selbst eine geschichtliche Tatsache. Sie ist so geschichtlich wie der Tod und das Begräbnis.

Die Jünger sind zum Glauben an die Auferstehung Jesu gekommen, weil sie die Glaubensbereitschaft mitbrachten und Gott ihnen seinen Sohn geoffenbart hat. Aber sie haben sich nicht damit begnügt, einem scheinbar irrationalen Glauben zu folgen, sondern sie haben geprüft. Sie haben die Glaubwürdigkeit der Offenbarung Gottes untersucht. Sie haben mit ihrem Verstande nach irdischen Gegebenheiten gesucht – und  solche gefunden –, welche die Offenbarung Gottes in dem auferstandenen Jesus glaubwürdig machte. Sie haben sich also nicht in ein dunkles Meer eines irrationalen Glaubens gestürzt, sondern sie haben aufgrund von Tatsachen, die sie geprüft hatten, die Bereitschaft zum Glauben in das Ja zum Glauben übergehen lassen.

Das ist derselbe Weg, den wir gehen müssen. Wir müssen uns vergewissern, daß der Anspruch Jesu glaubwürdig ist und daß die Beweise für diesen Anspruch glaubwürdig sind. Der Anspruch Jesu selbst ist eine historische Tatsache, und die Zeugnisse für ihn sind historische Tatsachen. Der Inhalt dieses Anspruchs, nämlich seine Göttlichkeit und seine Erlösungskraft, übersteigen diese irdische Wirklichkeit weit. Aber es gibt Momente, die uns gewiß machen können: Der Anspruch, den Jesus erhebt, ist wahr, ist berechtigt, ist glaubwürdig. Wir dürfen, ja wie müssen der Offenbarung Gottes in seinem Christus Glauben schenken.

Die Auferstehung Jesu hat nun zwei Seiten, einmal das leere Grab und zum anderen die Erscheinungen. Die Erscheinungen wollen wir dem morgigen zweiten Feiertag vorbehalten. Am heutigen Tage wollen wir nur uns mit dem leeren Grabe beschäftigen. Wir haben ja soeben im Evangelium nach Markus gehört, wie die Frauen zum Grabe eilten. Welche Frauen waren das? Nun, das waren dieselben, die unter dem Kreuze gestanden hatten, Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses, und Salome, die Mutter der beiden Zebedäussöhne. Sie haben wahrscheinlich mit banger Sorge den Sabbat abgewartet. Am Sabbat durfte man sich ja nicht rühren nach dem jüdischen Gesetz. Und als der Sabbat vorüber war, da sind sie in die Geschäfte gegangen und haben sich Salben gekauft, um den Verstorbenen zu salben, ihm einen letzten Ehrendienst zu erweisen. Aber sie hatten eine große Sorge: Wer wird uns den Stein wegwälzen, diesen Riesenstein, mit dem die Grabkammer verschlossen war? Zu ihrer Überraschung ist dieser Stein weggewälzt. Man muß sich das Erstaunen, ja das Erschrecken dieser Frauen vorstellen, daß die Grabkammer geöffnet war. Diese Grabkammer hat etwa ein Format von 2 mal 2 Meter. Rechts auf der Seite ist in 60 Zentimeter Erhöhung eine Felswand und darin eine Höhlung, in die man den Verstorbenen gelegt hatte. Wie sie nun hineingehen, sehen sie, wie Markus schildert, daß ein Jüngling in einem weißen Gewande im Grabe sitzt. Sie sind natürlich entsetzt über diese Erscheinung. Aber ergibt ihnen Aufschluß: „Ihr suchet Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht den Ort, wo sie ihn hingelegt hatten! Aber gehet hin und sagt seinen Jüngern, besonders dem Petrus, daß er euch vorangehe nach Galiläa.“ Die Frauen sind jetzt nicht etwa beruhigt oder erleichtert. Sie sind entsetzt. Sie flohen vom Grabe, denn Schrecken und Entsetzen hatten sie ergriffen. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Auferweckung Jesu, daß die Auferstehung Jesu nicht von ihnen erwartet wurde, ein Zeichen dafür, daß man mit menschlichem Nachdenken auf diese Lösung des Problems Jesus nicht gekommen wäre. Sie waren entsetzt und haben sicher darüber nachgedacht, was das bedeutet, was dieser Bote, dieser himmlische Bote, ihnen gesagt hatte. Sie eilten zurück, an erster Stelle natürlich Maria von Magdala. Und zu wem gingen sie? Selbstverständlich zum ersten der Apostel, zu Simon Petrus, der er ja geblieben war trotz seiner Verleugnung. „Sie haben den Herrn aus dem Grabe genommen, und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ Jetzt eilen die Männer hinaus. Erst waren es die Frauen, jetzt kommen die Männer. Petrus und Johannes, die beiden Unzertrennlichen, eilen zur Grabkammer. Johannes, der Jüngere, trifft zuerst ein; er ist viel jünger als der Apostel Petrus. Er schaut hinein, aber er geht noch nicht hinein, sondern er läßt Petrus den Vortritt, denn Petrus ist der Erste. Ihm steht es zu, zu sehen, zu urteilen und zu handeln. Und Petrus sieht, daß die Grabkammer leer ist. Aber sie ist nicht ganz leer, nämlich die Binden und das Schweißtuch, mit denen man den gekreuzigten Herrn eingebunden hatte, sind in der Grabkammer vorfindlich. Und er beschreibt ganz genau, wie diese Binden ausgesehen haben. „Er ging in das Grab hinein und sieht die Linnentücher da liegen. Das Schweißtuch aber, das auf seinem Haupte gelegen hatte, lag nicht bei den Tüchern, sondern zusammengewickelt an einem Orte für sich.“ Warum werden denn diese scheinbar unwichtigen Einzelheiten uns unterbreitet? Dadurch wird die Genauigkeit der Untersuchung bezeugt. Man hat sich nicht mit einem flüchtigen Blick begnügt, sondern man hat genau geprüft, was hier vorgegangen ist. Und wenn der Verstorbene und Beerdigte fortgebracht worden wäre, dann hätte man doch die Tücher und das Linnenzeug mitgenommen, dann wäre er nicht entblößt aus der Grabkammer entfernt worden, sondern mit seinen Binden und mit dem Schweißtuch. Also um die Genauigkeit der Beobachtung zu bekunden, um die Gewissenhaftigkeit der Nachprüfung zu bezeugen, deswegen werden diese Einzelheiten berichtet, aber für Petrus anscheinend ohne Folgen. Nicht aber für Johannes. Denn als Johannes hineinging nach Petrus, da steht da: „Er sah und glaubte.“ Johannes hat schon in diesem Augenblick den Glauben an den auferstandenen Herrn gefunden. Er hat keines anderen Zeugnisses bedurft. Wahrscheinlich sind ihm dank seiner Nähe zu Jesus, an dessen Brust er beim letzten Abendmahl geruht hatte, jetzt die Verheißungen des Herrn eingefallen. Jetzt hat er mit seinem bereiten Herzen aus dem Tatbestand, den er in der Grabkammer vorfindet, die Folgerung gezogen: Also hat sich doch erfüllt, was der Herr uns gesagt hat. „Er sah und glaubte.“

Noch andere Männer waren mit dem leeren Grab beschäftigt. Das waren die Wächter. Sie hatten aufzupassen auf den Verstorbenen und Beerdigten, und jetzt müssen sie eingestehen, daß sie ihre Aufgabe schlecht erfüllt haben. Denn der, den sie bewachen sollten, ist verschwunden. Sie eilen also in die Stadt und melden den Oberpriestern alles, was sich zugetragen hatte. Die sind natürlich jetzt in größter Verlegenheit. Ist dieser Kerl denn immer noch nicht totzukriegen, so werden sie gesagt haben in ihrer Wut und Verbitterung. Sie versammeln sich also, halten Rat, geben den Soldaten viel Geld und sagen: „Saget, seine Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, da wir schliefen.“ Das ist natürlich ein schlechter Rat, denn wenn die Soldaten geschlafen haben, dann können sie nicht beobachtet haben, daß die Jünger gekommen sind und ihn gestohlen haben. Und wenn sie davon gewußt haben, daß die Jünger kommen und den Herrn stehlen wollen, dann hätten sie sich wehren müssen, dann hätten sie den Kampf mit ihnen aufnehmen müssen. Also das ist ein Widerspruch, geschlafen zu haben und dabei gleichzeitig bemerkt zu haben, daß die Jünger gekommen sind, um ihn zu stehlen.

Die Oberpriester sorgen auch dafür, daß den Soldaten nichts geschieht, daß sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden für ihr Disziplinarvergehen; Wachvergehen werden streng bestraft beim Militär. Sie sagen: „Wenn dieses dem Landpfleger zu Ohren kommen sollte, so wollen wir ihn beschwichtigen und dafür sorgen, daß ihr nichts zu befürchten braucht.“ Die Soldaten nahmen das Geld und taten, wie man sie angewiesen hatte. Und es verbreitete sich dieses Gerede unter den Juden bis auf den heutigen Tag.

„Bis auf den heutigen Tag“ können auch wir sagen. Denn nicht nur die ungläubigen Juden haben dieses Gerede übernommen, sondern auch die ungläubigen Christen. Auch sie sind der Meinung, daß auf irgendeine Weise der Leichnam Jesu beiseitegeschafft wurde. Um diese Verleumdung zu entkräften, hat Gott ein anderes Mittel eingesetzt, über das wir am nächsten Feiertag, also morgen, nachdenken wollen.

Amen.

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