Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Juli 2003

Die Schule

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Heimat sollte dem Menschen ein unverlierbares Gut sein. Aus der Heimat muß er ja antreten zu dem Eroberungszug in die Welt, und ein Stück Heimat sollte dem Manne wie der Frau, dem wankenden Greis wie der Greisin verbleiben. Aber freilich, das ganze Leben kann nicht Heimat sein. Der Mensch muß hinaus in die Fremde, er muß den Kampf aufnehmen mit dem Leben. Er ist gehalten, in den Kampfplatz und in den Arbeitsplatz einzutreten, eben nach Gethsemane und nach Golgatha zu gehen, in die Fremdheit, in die Ferne, ja in die Feindseligkeit; denn das Leben ist auch ein Stück weit Feindseligkeit.

Der erste Hauch dieser fremden, dieser fernen, ja dieser feindseligen Welt begegnet dem Menschen in der Schule. Die Schule ist ein weiteres Abenteuer des Lebens. Unter Schule sind alle Bildungsanstalten zu verstehen, von der Grundschule bis zur Hochschule, ja auch die Lehrstelle und der Kasernenhof. Das alles ist Schule für den Menschen. Diese Schule ist das erste Fremde, was sich für den jungen Menschen auftut. Das ist keine Heimat mehr. Die Gebäude sind fremd, die Lehrer sind fremd, ein Teil wenigstens der Schulkameraden ist fremd, der Lehrstoff ist fremd, die Sachlichkeit ist fremd, die Forderungen sind fremd, die an das Kind herangetragen werden. Das ist nicht mehr Spielplatz, das ist nicht mehr Kinderhort, sondern Schule ist der Ort des Arbeitens und des Kampfes.

Schule soll den Menschen ausrüsten für den Lebenskampf, und der Lebenskampf ist etwas Hartes. Und so muß auch die Schule etwas Hartes an sich haben und Anforderungen stellen. Arbeit ist zweckbewußte und zielbestimmte Anstrengung, und das muß das Kind in der Schule lernen: sich anzustrengen, zweckbewußt und zielbestimmt zu arbeiten. Wenn es das Kind in der Schule nicht lernt, dann besteht die Gefahr, daß es im Leben es niemals mehr einholen kann. Von nun an muß das Kind bestimmte Ziele zu erreichen suchen, die ihm gesetzt werden, die ihm vielleicht unerwünscht sind, die aber notwendig sind, damit es für den Lebenskampf ausgerüstet wird. Jetzt muß das Kind lernen, daß es wirkliche Aufgaben zu lösen gilt und nicht nur spielerische, holde Tätigkeiten zu verrichten sind. Das Kind muß auch lernen, daß diese Aufgaben nicht mit dem Klingelzeichen oder mit dem Glockenschlag abgeworfen werden können, sondern daß sie den ganzen Tag durchdringen, daß auch ein Teil des übrigen Tages mit Pflicht, mit Pflichterfüllung, mit Arbeit, mit anstrengender Arbeit erfüllt werden muß. Freilich sollen die Forderungen in der Schule sinnvoll sein. Es sollen keine sinnlosen Strafarbeiten und keine sinnlosen Lernaufgaben gestellt werden. Aber Forderungen, unerbittliche Forderungen müssen in der Schule gestellt werden, denn das ist der Zweck der Schule, daß sie den jungen Menschen reif macht für die Forderungen und Anstrengungen des Lebens. Die Leistungen dürfen freilich nicht unerschwinglich sein; sie müssen erfüllbar sein. Für jeden, der normal begabt ist und der sich echt anstrengt, müssen diese Aufgaben erfüllbar sein. Aber gerade die Erfüllbarkeit gibt den Aufgaben ihren Ernst, denn dann kann man sich nicht drücken und sagen: Das ist ja unmöglich. Es ist möglich, was in der Schule dem jungen Menschen an Aufgaben gestellt wird, und er muß lernen, diese Aufgaben zu erfüllen. Es ist nicht gleichgültig, ob er seine Aufgaben gemacht hat oder nicht. Es ist nicht gleichgültig, ob er eine Prüfung besteht oder nicht.

Die Schule soll vom Kind empfunden werden als ein Weg in etwas ganz Neues. Neu sind vor allem die Erzieher, neu sind die Lehrer. Es wäre falsch, wenn man die Lehrer nur als ältere Spielkameraden des Kindes ansehen würde. Nein, die Lehrer sind Respekts- und Autoritätspersonen. Sie reflektieren den unerbittlichen Ernst der Schule. Freilich sollen sie gütig und freundlich sein. Sie sollen Autorität mit Freundschaft vereinigen. Sie sollen Güte mit Strenge paaren. Das ist notwendig, ganz gewiß, aber sie sollen nicht nur ältere Kameraden sein, sondern sie sind Autoritäts- und Respektspersonen, denen das Kind sich beugen muß. Es ist eben diese Durchdringung von Freundschaft und Autorität, die einen guten Lehrer ausmacht. Der Lehrer soll nicht nur Wissen vermitteln, er soll auch Haltungen bilden. Er soll nicht nur die Kinder vollstopfen mit Stoff, sondern er soll ihnen Charakterbildung verleihen. Diese Aufgabe der Erziehung ist mindestens so wichtig wie die andere der Unterrichtung. Unterrichtung und Erziehung sind das, was von einer echten Lehrerpersönlichkeit erwartet wird. Glücklich, wer solchen Persönlichkeiten in seiner Schulzeit begegnen durfte. Der ostpreußische Dichter Ernst Wiechert hatte einen solchen Lehrer in seiner Schulzeit kennengelernt. Er schreibt von ihm: „Mein Direktor lehrte mich das Kostbarste, was er lehren konnte, die Furchtlosigkeit vor Menschen und Menschenmeinung.“ Ich wiederhole noch einmal diesen schönen Satz: „Mein Direktor lehrte mich das Kostbarste, was er lehren konnte, die Furchtlosigkeit vor Menschen und Menschenmeinung.“

Die Schule birgt außer der Lehrerpersönlichkeit auch ein weiteres Risiko, das sind nämlich die sachlichen Forderungen. Die Schule will ja den jungen Menschen etwas beibringen. Sie soll ihnen eine Ausrüstung mitgeben für das Leben, und dazu ist es notwendig, daß man Wissen und Fertigkeiten gewinnt. Wissen und Fertigkeiten soll die Schule den jungen Menschen vermitteln. Es ist eben nicht gleichgültig, ob ein Schüler seinen Aufsatz und seine Rechnungen gemacht hat oder nicht. Es ist nicht gleichgültig, ob er das Gedicht auswendig gelernt hat oder nicht. Der Schüler muß lernen, daß die Schule nicht gleichbedeutend ist mit langweiliger Gefahrlosigkeit. Freilich kommt viel auf die Lehrerpersönlichkeit an, was sie aus dem Stoff macht. Der eine drischt leeres Stroh und verleidet den Kindern den Lehrstoff, der andere entzündet in ihnen den Funken, weckt ihren Wissensdurst und führt sie in die Wirklichkeit ein. Das gilt für alle Fächer, aber selbstverständlich ist die Verantwortung besonders groß im Fache der Religion. Hier kommt viel darauf an, ob der Lehrer fähig ist, das Herz des Kindes zu entzünden, oder ob er nur dürftige Sprüche von sich gibt, die niemanden in Wahrheit begeistern und erwärmen. Der schon genannte Ernst Wiechert schreibt von seinem Religionsunterricht: „Der Pfarrer ist da, aber Gott ist fern. Wir lernen Bibelsprüche und bekommen einen dünnen Aufguß bürgerlicher Moral. Alles ist fremd, gleichgültig, unwirklich. Nichts rührt unser Herz, nichts läßt unsere Augen brennen in dem leidenschaftlichen Wunsch, gut und edel zu werden wie die, von denen man uns erzählt.“ Es kommt also auf die Lehrerpersönlichkeit an, was sie aus dem Lehrstoff macht. Die Wissensgebiete sind so weit und so ausgedehnt und so herrlich und so großartig, daß eigentlich eines jeden Schülers Herz aufgehen muß. Was er da lernt in Biologie, in Physik und Chemie, was er da lernt in Mathematik und in den Sprachen, das ist eine neue Welt, eine wunderbare Welt, die man in sich aufnehmen muß voll Begeisterung und voll Dankbarkeit.

Ich erinnere mich,  meine lieben Freunde, wie ich schon als junger Schüler, vielleicht mit 12 Jahren, jede Stunde bedauert habe, in der der Unterricht ausfiel. Es war mir klar, daß das nie mehr einzuholen ist, daß die Zeit verloren ist, daß, was verloren ist, nie mehr wiederkehrt. Andere Schüler freilich versuchten, so viel Ausfall wie möglich zu erlangen. Sie rieben das Thermometer, damit es in die Höhe ging und hitzefrei gegeben wurde. O, wie ist das arm und wie ist das falsch! Verlorene Zeit kehrt nie wieder, und, um noch einmal Ernst Wiechert zu zitieren: „Noch heute sehe ich mit Sorge an, wie ich durch diese toten Jahre gehe: Lücken, die nie mehr zu schließen sind, Neigung zu Lärm, zu Grausamkeit, zum Untergang in einer formlosen Masse. Betrug, um Nicht-Gewußtes vorzutäuschen, und als schlimmstes langsames Zerbröckeln der Achtung vor der Autorität.“

Die Pisa-Studie, von der jetzt so viel die Rede ist, hat uns gezeigt, wie schlecht die deutschen Schulen sind, wie viel in unseren Schulen im argen liegt, daß andere Länder, wie Finnland, uns weit überlegen sind in der Ausrüstung, die sie ihren Kindern in der Schule mitgeben. In Deutschland sucht man die Ursache in den Strukturen: Man müsse die Ganztagsschule einführen, man dürfe die Sonderung der Schüler erst nach der 6. Klasse beginnen lassen, man müsse die Klassenstärken kleiner machen. Meine lieben Freunde, über all diesen Strukturveränderungen vergißt man, den Menschen zu verändern, vergißt man, daß man die Kinder zu Aufmerksamkeit, zu Fleiß, zu Disziplin erziehen muß, daß man sie nicht durch die vielen Ablenkungen und Zerstreuungen vom Lernen abhalten oder gar lernunfähig machen darf. Die Menschen müssen verändert werden, weniger die Strukturen. Wenn man Kinder in eine Schule zwingt, für die sie nicht geeignet sind, dann entsteht in ihnen die Angst, die Angst vor dem nächsten Zeugnis, die Angst vor der Nichtversetzung; und wenn dann die Katastrophe eintritt, das Kind ist sitzengeblieben, dann gehen manche Kinder hin und reißen aus, versuchen einen Selbstmord oder verüben sogar einen gelungenen Selbstmord. Dann ist die Katastrophe da. Die Eltern hätten wissen müssen, wofür ihr Kind geeignet ist, und wenn sie erkannt haben, daß es für eine bestimmte Schule nicht geeignet ist, dann muß es in eine andere Schule gehen. Ich hatte im Gymnasium einen Direktor, der unverblümt den Jungen gesagt hat: „Du bist nicht geeignet für diese Schule. Geh zur Post“, sagte er, „aber bleibe nicht auf dieser Schule! Ich habe dich nicht hierhergeholt.“ Das mag hart sein, aber der Direktor hatte recht. Es kommt in solchen Fällen manchmal zu einem unheilbaren Zwist in der Lebensbahn und in der Familie des Schülers.

Die Schule soll fähig machen für die Wirklichkeit, und deswegen muß die Seele des jungen Menschen geräumig und wissensdurstig erhalten werden. Jeder kleinste Ausschnitt aus der Wirklichkeit kann für ihn eine Offenbarung sein, eine Überraschung. Es geht ihm ein Licht auf. Derjenige, der mehrere Lehrer hatte, die er vergleichen konnte, weiß, wie dem einen im Physikunterricht die Versuche mißlingen, weil er der Aufgabe nicht gewachsen ist. Das andere hat am Nachmittag schon alles vorbereitet, die Versuche gelingen, und bei den Kindern stellt sich das Ergebnis ein: Aha, so geht das! Auch hier muß man sagen, wenn etwas zu ändern ist, dann müssen auch an den Lehrpersonen Änderungen vorgenommen werden. Die Lehrer müssen wirklich ihrer Aufgabe hingegebene Pädagogen sein, sie müssen ihre Verantwortung erkennen, die sie für die Kinder haben, eine Verantwortung, die ihnen niemand abnehmen kann, die sie mit den Eltern teilen, aber die ihnen selbst spezifisch zugeeignet ist und von der für das künftige Schicksal der Kinder unermeßlich viel abhängt.

Meine lieben Freunde, die Schule ist ein Abenteuer. Sie ist ein Abenteuer, in das der junge Mensch hineingeht. Die Schule stellt die Frage: Was wird sie dem Kind geben oder was wird sie ihm nehmen? Davon hängt unermeßlich viel für das künftige Leben ab. Freilich habe ich noch einen letzten Faktor zu erwähnen, das sind die Mitschüler. In der Schule trifft der junge Mensch andere Schüler, die er bisher nicht kannte, und diese Schüler üben gegenseitig Einfluß aufeinander aus, guten und weniger guten. Manche Eltern zittern davor, was ihr Sohn, was ihre Tochter in der Schule antreffen wird, und dieses Zittern ist berechtigt. Es gibt schreckliche Erfahrungen, die Schüler mit Mitschülern gemacht haben. Es gibt Verführung, und es gibt Verleitung zu Unsittlichkeit durch Mitschüler; es gibt Abhalten vom Lernen, und es gibt Anleitung zum Stehlen. Ich kann mich erinnern, daß in meiner Klasse Schüler waren, die auf den Jahrmarkt gingen und dort systematisch Gegenstände entwendeten. Alles, was ein Junge brauchen kann, vom Taschenmesser bis zum Portemonnaie, stahlen sie auf dem Jahrmarkt und versuchten andere dazu anzuleiten. Das ist ein Risiko und ein Abenteuer, das der Schule nicht abgenommen werden kann. Wir müssen unsere Kinder mit anderen Kindern in die Schule schicken, wir müssen sie aber auch befähigen, mit den anderen Kindern umzugehen, sich in dem Kampf, der notwendig zwischen den einzelnen Charakteren ausbricht, zu behaupten, tapfer zu sein und nicht nur zu fliehen vor der Gefahr, sondern zu versuchen, andere, die schlecht gesinnt sind und Mitschüler zu verleiten versuchen, auf die rechte Bahn zu führen. Wir müssen lernen und versuchen,  meine lieben Freunde, unsere Kinder zu kleinen Aposteln auch im Reiche der Schule auszubilden.

Amen.

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