Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 2002

Maria, vollendet und gekrönt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Aufnahme Mariens in den Himmel Versammelte!

„Den König, der Könige, dessen jungfräuliche Mutter heute in den Himmel aufgenommen wurde, kommt, laßt ihn uns anbeten!“ So eröffnet der Priester das nächtliche Stundengebet am Festtag der Aufnahme Mariens in den Himmel. „Den König, der Könige, dessen jungfräuliche Mutter heute in den Himmel aufgenommen wurde, kommt, laßt ihn uns anbeten!“ Heute ist ein Tag, an dem die Anbetung Gottes besonders sinnvoll und besonders ergreifend ist, denn heute ich der Ehrentag Mariens und ein Ehrentag für alle Marienverehrer. Der Tag der Aufnahme Mariens in den Himmel ist ein Ehrentag für Maria, denn erstens: Sie hat bestanden und zweitens: Sie wird gekrönt.

Das erste, was wir heute aussagen müssen, ist, daß Maria ihren irdischen Lauf vollendet hat. Sie hat die Prüfungen dieses Lebens bestanden. Als der Engel zum erstenmal sie anredete und ihr die Botschaft brachte, hat sie ihr Fiat gesprochen: Es geschehe so, wie Gott es will; ich bin die Magd des Herrn. Und dieses Fiat, dieses Wort der Ergebenheit und des Gehorsams hat sie nie mehr zurückgenommen in ihrem ganzen Leben. Immer hat sie gewußt: Ich bin die Magd des Herrn. Sie hat ihr Leben mit dem Erlöserleben untrennbar verknüpft, und wir wissen oder ahnen, was Gott denen zumutet, die ihr Leben mit dem seinen, mit dem Leben seines Sohnes verknüpfen.

Maria brachte in dunkler Nacht ihr Kind zur Welt, in der Fremde, außerhalb der Herberge, wo kein Platz für sie war. Alles hat Platz in der Welt, nur wenn Gott in diese Welt eintritt, da hat er keinen Platz. Und das muß das Herz dieser Mutter ergriffen und geschmerzt haben. Und dann ging es weiter mit der Opferung im Tempel, wo sie schon ahnte, daß sie das Kind, das sie eben empfangen hatte, wieder weggeben müßte. Dann kam die Flucht nach Ägypten. Man stellt dem Kind nach, man setzt ihm nach, dem menschgewordenen Gotte, man will ihn umbringen. Und selbst das ist ihnen gelungen. Sie haben Gott ermordet. Was muß Maria empfunden haben in den dunklen Stunden auf Golgotha! Da muß ihr gekommen sein, daß sie nichts anderes getan hat, als einen Gekreuzigten zu gebären. Maria hat einen Gekreuzigten geboren; das war ihre Aufgabe. Aber sie hat nicht gewankt unter dem Kreuz, und sie ist nicht gewichen vom Kreuze. Sie hat bestanden, sie hat den Lauf ihres Lebens getreu dem Wort „Ich bin eine Magd des Herrn“ vollendet. Und deswegen können wir heute jubelnd bekennen: „Den König, der Könige, dessen jungfräuliche Mutter heute in den Himmel aufgenommen ist, kommt, laßt ihn uns anbeten!“

Weil sie bestanden hat, ist sie gekrönt worden. Wir sprechen, wenn immer wir von Gott und von göttlichen Dingen reden, wie Menschen. Wir können nicht anders reden als Menschen; wir haben nur menschliche Begriffe, nur menschliche Bilder, nur menschliche Vorstellungen. Wir wissen, daß sie die Wirklichkeit nicht erschöpfen, aber wir sind auch überzeugt, daß sie die Wirklichkeit treffen. Wenn wir also von der Krönung Mariens sprechen, dann ist das ein Bild. Krönung bedeutet das Aufsetzen einer Krone. Ohne Bild gesprochen, müßte man sagen: Maria hat den Glanz und die Seligkeit der Erst- und Vollerlösten empfangen. Sie ist die Königin geworden, erhaben über alle Engel und Heiligen, die Königin der Patriarchen, die Königin der Propheten, die Königin der Martyrer, die Königin der Bekenner, die Königin der Jungfrauen, die Königin aller Heiligen. Sie ist gekrönt, und das ist ein Grund, warum wir heute voll des Jubels beten: „Den König, der Könige, der seine jungfräuliche Mutter heute in den Himmel aufgenommen hat, kommt, laßt ihn uns anbeten!“ Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel ist ein Ehrentag für Maria.

Es ist aber auch ein Freudentag für alle Marienverehrer. Denn eine von uns ist in den Himmel aufgenommen worden, eine aus dem Menschengeschlechte, aus der dumpfen Masse der Menschen hat die höchste Herrlichkeit erreicht. Man kann ja manchmal, wenn man die Menschen anschaut, wenn man die Menschen erlebt und wenn man Erfahrungen mit den Menschen macht, zu der – falschen – Meinung kommen, daß Gott sich mit seiner Schöpfung keine Ehre eingelegt hat. Zu viel ist, was gegen Gottes Willen aufsteht, was seine Herrlichkeit trübt, was den Namen Gottes nicht ehrt, sondern lästert, und zwar geht das auf das Konto der Menschen. Aber hier ist einmal eine, die das Ideal, das Gott sich gesetzt hat, verwirklicht hat. Hier ist eine, die das Bild, das Gott vom Menschen vorschwebt, völlig verwirklicht hat. Eine von uns hat dem Entwurf Gottes vom Menschen entsprochen. Und deswegen sind wir mitgeehrt, denn wenn Maria geehrt wird als eine von uns, dann fällt auch ein kleiner Strahl dieser Ehrung auf uns, die wir zu ihr gehören, die wir zu ihr gehören als Geschöpfe, aber auch natürlich als Marienverehrer. Das ist ein Grund, warum wir heute jubelnd bekennen: „Den König der Könige, dessen jungfräuliche Mutter heute in den Himmel aufgenommen wurde, kommt, laßt ihn uns anbeten!“

Aber auch noch ein zweiter Grund ist es, weswegen die Aufnahme Mariens in den Himmel ein Freuden- und Ehrentag auch für uns ist; denn Maria ist im Himmel als unser Vorbild, und sie wurde aufgenommen uns zum Vorteil. Maria ist im Himmel unser Vorbild. Was ihr widerfuhr, das soll uns geschehen. Sie ist uns nur vorangegangen, aber wir sollen ihr nachfolgen. Sie ist die Erst- und Vollerlöste, aber eine unabsehbare Schar soll ihr auf diesem Wege nachfolgen zur vollen Erlösung. Ich bitte Sie, meine Christen, nicht daran zu zweifeln, daß der Mensch, wenn er stirbt, ein unzerstörbares Prinzip in sich trägt, das wir Seele nennen. Es gibt eine Seele; sie ist nicht identisch mit den Bewußtseinsvorgängen im Menschen, sie ist nicht unweigerlich an das Gehirn geknüpft, sondern es gibt eine Seele, die, wenn der Leib stirbt, weiterlebt. Aber gleichzeitig müssen wir dazu sagen, dieses Weiterleben ist unvollkommen. Es ist kein vollmenschliches Leben, denn zum vollmenschlichen Leben gehört eben der Leib. Und so ist das Reich der Seelen in einem Wartezustand, und dieser Wartezustand richtet sich in Sehnsucht auf Maria, denn alle diese Seelen, die in die Ewigkeit eingegangen sind, wollen so werden, wie Maria ist, Vollerlöste, die also mit einem verklärten Leib wieder zur Vollmenschlichkeit berufen sind.

Maria ist unser Vorbild, aber sie ist auch zu unserem Vorteil in die Ewigkeit eingegangen; denn sie wurde uns im Himmel gegeben als die große Fürbitterin, als die Allmacht auf den Knien. Maria ist uns gegeben als die Patronin, zu der wir rufen können, zu der unser Flehen geht, an die wir unser unstillbares Weinen richten. „Maria, hilf! Maria, hilf“, so tönt es aus allen Enden und Ecken der Erde. „Es ist noch nie erhört worden, daß jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen, um deine Fürsprache gefleht, von dir sei verlassen worden.“ Das ist noch nie erhört worden. Denn wenn es so wäre, daß das Flehen zu Maria unnütz ist, dann wäre dieses Flehen längst verstummt. Maria hilft, weil sie von Gott zur himmlischen Helferin für uns eingesetzt ist, und das ist auch ein Grund, warum wir heute jubelnd bekennen: „Den König der Könige, der seine jungfräuliche Mutter heute in den Himmel aufgenommen hat, kommt, laßt ihn uns anbeten!“

Am 3. August des Jahres 1492 stach Christoph Kolumbus mit seinem Schiff in See, um Amerika zu entdecken. Am 11. Oktober abends um 10 Uhr riefen seine Matrosen begeistert und befreit: „Licht! Licht! Land! Land!“ An diesem Tage landete das Schiff auf einer Insel, und das Schiff, das Kolumbus zu dieser Insel trug, hieß „Santa Maria“, heilige Maria. Und die Insel, die er fand, nannte er „San Salvador“, heiliger Erlöser. Da wissen wir, und da sehen wir, wie wir es ihm nachmachen müssen, meine lieben Freunde. Wir müssen mit dem Schiff, das Maria heißt, zum heiligen Erlöser aufbrechen, und wir sind gewiß: Wenn wir in diesem Schiff sind, dann finden wir auch unseren Erlöser, unseren Heiland Jesus Christus. Ihn und seinen himmlischen Vater, den König der Könige, ihn wollen wir anbeten, weil er seine himmlische, jungfräuliche Mutter heute in die Himmel aufgenommen hat. Es freuen sich die Engel, und es jubelt die Erde.

Alleluja! Amen.

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