Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. Januar 2015

Die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist ein Glaubenssatz unserer Kirche: Maria, die Mutter Jesu, war und blieb Jungfrau vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt. Jesus ist nicht nur der erstgeborene, er ist auch der einziggeborene Sohn Mariens. Das Dogma enthält drei Aussagen:

1.    Maria empfing ohne die Mitwirkung eines Mannes vom Heiligen Geiste. 

2.    Maria gebar ohne Verletzung ihrer jungfräulichen Unversehrtheit.

3.    Maria lebte nach der Geburt jungfräulich.

Diese drei Sätze – und nur sie insgesamt – erschöpfen den Begriff der Jungfräulichkeit Mariens. Die Kirchenväter sprechen die drei Momente der Jungfräulichkeit Mariens in Formeln aus wie: virgo concepit, virgo peperit, virgo permansit – die Jungfrau hat empfangen, die Jungfrau hat geboren, sie ist Jungfrau geblieben. Das kirchliche Lehramt hat diese Wahrheiten festgehalten, deutlich ausgesprochen auf der Lateransynode im Jahre 649 unter Papst Martin I. Da werden die drei Elemente der Jungfräulichkeit Mariens eindeutig ausgesprochen. Die Synode lehrt, Maria habe ohne Samen vom Heiligen Geist empfangen, ohne Verletzung der Jungfräulichkeit geboren und ihre Jungfräulichkeit nach der Geburt unversehrt bewahrt – virgo concepit, virgo peperit, virgo permansit. Die Jungfräulichkeit Mariens erstreckt sich auf ihr ganzes Sein, auf Seele und Leib. Sie ist also eine solche des Geistes, d.h. sie hatte stets die jungfräuliche Gesinnung. Sie ist aber auch eine solche der Sinne, d.h. sie war frei von den ungeordneten Regungen der Sinnlichkeit. Und sie ist schließlich eine solche des Körpers, d.h. sie bewahrte die leibliche Unversehrtheit.

Es hat zu allen Zeiten der Kirchengeschichte Gegner der Jungfräulichkeit Mariens gegeben. Seit dem Auftreten des Protestantismus haben sie sich gemehrt. Luther selbst hielt an der Jungfräulichkeit Mariens fest, aber nicht seine Anhänger. Die meisten Protestanten bestreiten die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens nach der Geburt. Manche Katholiken sprechen es ihnen nach, so die Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Ihr wurde im Jahre 1987 vom Bischof von Essen die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen, weil sie die Jungfräulichkeit Mariens leugnete. Die Behauptung, Maria habe mehrere Kinder gehabt, wird hauptsächlich in der Absicht aufgestellt, die katholische Lehre von der Jungfräulichkeit Mariens um ihre Anerkennung zu bringen. Jede Häresie der Kirchengeschichte geht von der Bibel aus. Alle berufen sich auf die Bibel, aber es ist eben die Frage, wie man sie auslegt. An erster Stelle verweisen die Gegner der Jungfräulichkeit auf zwei Stellen, die scheinbar ihre Meinung zu stützen scheinen. Die beiden Stellen lauten: „Als Maria mit Josef verlobt war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen – ehe sie zusammenkamen! –, dass sie empfangen hatte vom Heiligen Geist.“ Und die andere Stelle: „Er erkannte sie nicht, bis sie ihren Sohn gebar“ – bis sie ihren Sohn gebar! Daraus ziehen die Gegner der Jungfräulichkeit den Schluss: Nachher hätte Josef seine Frau erkannt, also mit ihr Kinder gezeugt. Aber sie übersehen ganz, dass die Redeweise der Heiligen Schrift eindeutig ist. Denn diese beiden zitierten Stellen besagen, dass bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Ehe nicht vollzogen wurde, nicht aber, dass sie nachher vollzogen wurde. Sie wollen erklären, was bis dahin nicht geschehen ist, um eben den Raum freizuhalten für das Wirken des Heiligen Geistes. Wir können eine Reihe von Stellen aus der Heiligen Schrift anführen, die diese Erklärung, die diese Interpretation untermauern. Da ist zum Beispiel die Tochter des Saul Michol. Sie bekam bis zu ihrem Tode kein Kind – und nach dem Tode ja sowieso nicht –, aber bis zu ihrem Tod, d.h. es wird angegeben, bis zu welchem Termin etwas nicht geschehen ist. Oder wenn der Herr sagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Da wird eben ein Termin angegeben. Noch schlagkräftiger scheint den Gegnern der Jungfräulichkeit Mariens der Verweis auf die „Brüder Jesu“. An mehreren Stellen der Heiligen Schrift ist ganz unbefangen von Brüdern, auch von Schwestern Jesu die Rede. Johannes schreibt: „Von Kana – wo das Wunder geschehen war – von Kana zog Jesus hinab nach Karpharnaum, er, seine Mutter und seine Brüder und seine Jünger.“ In der Apostelgeschichte heißt es: „Nach der Himmelfahrt Jesu verharrten die Apostel im Gebet mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“ Im 1. Brief an die Korinther fragt Paulus die Gemeinde: „Haben wir nicht das Recht, eine Schwester, eine Frau, mitzuführen, wie auch die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas?“ Als Hauptbeleg für die Brüder des Herrn gilt eine Stelle bei Markus, wo neben mehreren Schwestern Jakobus, Joseph, Judas und Simon als Brüder Jesu mit Namen genannt werden. Aber da kann man schon einhaken und die Gegenrechnung aufmachen. Denn die beiden ersten, Jakobus und Joseph, werden an einer anderen Stelle als Söhne einer anderen, von der Mutter Jesu verschiedenen Maria, bezeichnet. Sie kennen alle die Stelle von Frauen, die unter dem Kreuze standen: Maria, die Mutter Jesu, ihre Schwester, Maria, die Frau des Kleophas, und Maria Magdalena. Schon hier sind sich die Erklärer uneinig, ob es drei oder vier Frauen waren. Ich habe immer dafür plädiert, dass es vier Frauen waren: Maria, die Mutter Jesu, ihre Schwester, die nicht mit Namen genannt wird – denn wenn sie auch Maria geheißen hätte, dann wären ja zwei Schwestern mit demselben Namen von den Eltern bedacht worden; das ist doch eigentlich unsinnig – Maria, die Frau des Kleophas, und Maria Magdalena. Es ist also von diesem Worte des Johannes überhaupt nichts zu entnehmen, dass eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen der Maria, der Frau des Kleophas, und Maria, der Mutter Jesu, besteht. Es gibt aber eine ganze Menge von Stellen, die es gewiss machen, dass Jesus keine leiblichen Brüder und keine leiblichen Schwestern hatte. Am Kreuze anvertraute er seine Mutter dem geliebten Jünger Johannes. Ja, warum denn? Hätte er nicht, wenn Brüder und Schwestern Jesu dagewesen wären, ihnen die Sorge für die Mutter übertragen können und müssen? Sie wären doch die Ersten gewesen, die sich der Mutter hätten annehmen können. Aber nein, er übergab sie an den Fremden: Johannes. Ein weiteres Argument gegen die Leugner der Jungfräulichkeit Mariens ist die Tatsache, dass die Brüder Jesu niemals ausdrücklich als Kinder, als Söhne Mariens bezeichnet werden. Es hätte doch nahegelegen, dass man die Brüder Jesu als Kinder Mariens bezeichnet. An keiner einzigen Stelle des Neuen Testamentes ist dies geschehen. Es ist auch zu erinnern an die Wallfahrt zum Osterfest. Der zwölfjährige Jesus machte die Wallfahrt mit Maria und Josef mit. Von etwaigen jüngeren Geschwistern Jesu ist keine Rede. Es ist überhaupt merkwürdig, dass Maria die Wallfahrt mitmachte, wenn zuhause eine Menge Kinder auf sie warteten. Die Sorge für diese hätte doch ihre Anwesenheit in Nazareth gefordert. Schon sehr früh taucht in der Literatur – soweit sie uns überkommen ist – die Meinung auf, die sog. Brüder Jesu seien Stiefbrüder Jesu gewesen, d.h. Josef habe eine erste Ehe gehabt, in der er Kinder hatte, und erst später Maria geheiratet. Diese Hypothese kann sich auf keine anerkannte kirchliche Überlieferung stützen. Unmöglich ist sie nicht.

Unsere Überzeugung von der Jungfräulichkeit Mariens wird auch durch die Beobachtung gestützt, dass in der Heiligen Schrift Basen und Vettern bzw. Cousins und Cousinen als Brüder bezeichnet werden oder als Schwestern. Das beste Beispiel steht schon in der Genesis. Abraham war der Onkel von Lot. Es kam zwischen den jeweiligen Viehhirten zum Streit, wer die Weiden benutzen durfte und wer nicht. Und um diesen Streit zu beenden, sagte Abraham: „Es soll kein Streit sein zwischen dir und mir, zwischen meinen Hirten und deinen Hirten; wir sind ja Brüder!“, obwohl er der Onkel war. „Wir sind ja Brüder“, sagt er. An einer anderen Stelle im Buche Leviticus ist von zwei Söhnen Aarons die Rede, die von Gott zur Strafe getötet worden waren. Moses rief zwei Söhne des Onkels Aarons auf, ihre Brüder – also ihre Vettern – wegzutragen.

Viele flüchten nun, um die Leugnung festzuhalten, in den Ausweg der doppelten Wahrheit. Es könne etwas theologisch richtig sein, was historisch falsch ist. Diese Lehre von der doppelten Wahrheit stammt aus dem Mittelalter. Damals gab es Theologen und Philosophen, die behaupteten: Was in der Philosophie wahr ist, kann in der Theologie falsch sein, und umgekehrt. Damit suchten sie die Philosophie von lehramtlichen Beanstandungen freizuhalten. Meine lieben Freunde, zu behaupten, die Frage ob Jesus wirklich leibliche Geschwister gehabt habe, sei völlig unabhängig von der Frage nach der Wahrheit des Dogmas der Jungfräulichkeit Mariens, ist eine Zumutung für jeden, der seinen Glauben ernst nimmt. Entweder Maria war wirklich Jungfrau, und das Dogma ist berechtigt, oder sie war es nicht, und dann muss das Dogma fallen. Die Forschung gelangt in der Frage, was die Schriftaussagen über die Brüder Jesu sagen, zu keiner Einhelligkeit. Das Dogma aber, das Aussagen über eine historische Person machen würde, die der historischen Wahrheit widersprechen, ein solches Dogma wäre nichts als ein frommes Märchen. Wenn Dogma und Geschichte nicht deckungsgleich wären, wäre unser Glaube ein Mythos. Doch allein die Inkarnation, die wahre Menschwerdung Gottes, zeigt, dass unser Glaube in die Geschichte hineinragt und auf die Geschichte sich stützt und mit der Geschichte nicht in Widerspruch geraten kann. Wenn die Kirche Maria als allzeit jungfräuliche Gottesmutter bekennt, dann kann sie dies nur tun, weil sie überzeugt ist, dass Maria auch historisch als Jungfrau gelebt hat. Im Gegensatz zu den Mythen beziehen sich die Dogmen der Kirche auf reale Geschichte, einmalige Ereignisse im Verlauf der Geschichte. Die immerwährende Jungfräulichkeit ist im Sinne der Kirche kein Mythos, sondern eine Wahrheit, ein historisches Faktum. Das Dogma der Kirche schließt leibliche Brüder und Schwestern Jesu aus. Darin sind sich Ostkirche und Westkirche, Katholiken und Orthodoxe einig.

Nun muss ich noch etwas anderes erwähnen. Sie wissen alle, dass Papst Benedikt XVI., bevor er zum Papstamt erwählt wurde, Professor war – Professor, sogar mit mir zusammen in Freising. Als Professor hat Josef Ratzinger einmal geschrieben, dass die Gottessohnschaft Jesu nicht darauf beruht, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte. Ich wiederhole noch einmal diesen Satz: „Die Gottessohnschaft Jesu beruht nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte“ – also nicht auf der jungfräulichen Empfängnis. „Die Lehre vom Gottsein Jesu“, so Ratzinger, „würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre.“ Dieser Satz stammt ursprünglich nicht von Ratzinger. Ich habe ihn schon von unserem gemeinsamen Lehrer Michael Schmaus gehört. Er will besagen, dass die Jungfräulichkeit Mariens nicht die Bedingung, sondern das entsprechende Zeichen des Gottseins Jesu ist. Die Ratzinger für die falsche Meinung heranziehen wollen, vergessen das „wäre“, das er sagt. Er stellt eine Hypothese auf, von der er selbst überzeugt ist, dass sie nicht zutrifft. Also es ist ein Missverständnis, wenn man behauptet, Ratzinger habe je als Professor die wahre Jungfräulichkeit Mariens geleugnet. Nein, das Kind Mariens ist uns bleibt Gottes Sohn, ob mit – wie wir überzeugt sind – oder ohne Jungfräulichkeit Mariens. Der behauptete Gegensatz zwischen Dogma und Geschichte existiert nicht. Das katholische Dogma vergewaltigt nicht die Geschichte, sondern es gibt Gewissheit, welches Verständnis geschichtlicher Vorgänge falsch und welches richtig ist. Die Kirche betet: „Post partum, Virgo, inviolata permansisti.“ – Nach der Geburt, o Jungfrau, bist du unversehrt geblieben. Wir beten es mit ihr, und wir beten es ohne Zweifel und ohne Unsicherheit. Wir halten es mit dem heiligen Basilius, der einmal schreibt: „Die Christusfreunde ertragen es nicht zu hören, dass die Gottesgebärerin jemals aufhörte, Jungfrau zu sein.“ Sie ertragen es nicht, weil sie überzeugt sind: Die immerwährende Jungfrauenschaft Mariens ist keine fromme Legende, sondern eine unbestreitbare Wirklichkeit.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt