Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Juni 2012

Der Ruf Gottes, die Last Gottes und die Kraft Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Hochwürdiger Herr Jubilar, meine lieben Mitbrüder, Geliebte im Herrn! – Unser lieber Mathias Köller hat uns eingeladen, mit ihm das 25jährige Jubiläum seiner Priesterweihe zu feiern. Ich hatte das Glück, ihm in dieser ganzen Zeit seines priesterlichen Dienstes nahe zu sein. Deswegen stehe ich heute hier, um das Wort Gottes zu verkünden.

Ich will dabei zu drei Punkten sprechen: erstens über den Ruf Gottes, zweitens über die Last Gottes und drittens über die Kraft Gottes.

Die Katholische Kirche ist das Werk Gottes. Nicht Menschen haben sie geschaffen, sondern Gott hat sie durch Christus, seinen Gesalbten, ins Leben gerufen. Sie ist das Organ seines Reiches, um seine Wahrheit und seine Gnade zu den Menschen zu bringen. Für diesen Dienst bedarf Gott der Menschen. Als er diese Erde verließ, sagte er: „(…) seht, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch herab; bleibt in der Stadt, bis ihr ausgerüstet seid mit der Kraft aus der Höhe.“ (Lk 24,49) Und ebenso: „(Ihr werdet) Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8) Und weiter: „Geht (…) hin und macht alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie lehrt, alles zu halten, was ich euch aufgetragen habe. Seht, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,19f) –  Der Herr beruft auch heute Diener seines Heiligtums, wie er damals seine Apostel bestellt hat. Der Beruf des Priesters ist nicht von Menschen geschaffen; er ist von Gott gegeben. Der Ruf Gottes kann in zweifacher Weise an den Menschen ergehen: einmal durch einen direkten inneren Antrieb, durch eine Einsprechung Gottes, die sagt: „Komm zu mir! Ich brauche dich. Gib mir deine Hände, gib mir deinen Mund, gib mir dein Leben!“. Solche Berufungen hat es gegeben. Johannes Maria Vianney, der heilige Pfarrer von Ars, hat einen solchen Ruf vernommen. – Gewöhnlich vollzieht sich der Ruf Gottes auf andere Weise: Junge Männer, die in Frömmigkeit aufwachsen, die den Ministrantendienst auf sich genommen haben, die das Beispiel vorbildlicher Priester vor Augen hatten, spürten, dass Gott sie beansprucht, spürten, dass Gott Helfer braucht, dass Gott Diener braucht. Und so haben sie sich entschlossen, sich dem Priesterdienst zu widmen. Wo rechte Absicht und Annahme der kirchlichen Autorität zusammentreffen, da ist die priesterliche Berufung perfekt. Viele von uns haben diesen Ruf, wie er eben dargelegt wurde, nach dem Abitur vernommen und sind ins Priesterseminar eingetreten. An andere ist der Ruf erst ergangen, nachdem sie sich im profanen Leben bewährt hatten. Wilhelm Emmanuel von Ketteler, von 1850 bis 1877 Bischof von Mainz, war vor seiner Priesterweihe Jurist im Staatsdienst. Der heilige Klemens Maria Hofbauer war Bäcker, als er den Ruf vernahm, ins Priestertum einzutreten. Wir haben in unseren Reihen Ärzte, Diplomingenieure und Kaufleute. Sie haben den Ruf des Herrn vernommen: „Lasst mich nicht allein am Kreuze hängen! Teilt meine Mühsal, meine Schmach und meine Ängste!“

Der Ruf, den Gott an die Menschen ergehen lässt, fordert die Ausrüstung. Gott lässt den Menschen nicht mit seinen eigenen Kräften den Dienst verrichten. Er rüstet ihn aus, indem er ihn an den Weihealtar führt. Es gibt ein eigenes Sakrament der Weihe, in dem Gott den Menschen ergreift und ihn ausstattet. Empfang der Weihe besagt Einprägung eines unauslöschlichen Siegels: Einmal Priester – immer Priester. Das Priestertum kann nicht verloren gehen; es kann auch nicht abgeworfen werden. Die Erwählung durch den Herrn besagt eine Verähnlichung mit Christus. Pius XI. hat nicht gezögert, in seiner großen Enzyklika „Ad catholici sacerdotii“ (20.12.1935) über das katholische Priestertum zu sagen: „Der Priester ist ein zweiter Christus.“ Wieso? Weil der Priester Christus ontologisch, seinshaft verähnlicht ist. Christus ist der einzige absolute Priester des Neuen Bundes. Daran gibt es keinen Zweifel. Er hat ein selbständiges Priestertum. Aber der Mensch, der zum Priestertum berufen wird, nimmt teil am Priestertum Christi. Er hat ein relatives, aber dennoch echtes, von Christus abgeleitetes Priestertum.

Die Aufgabe des Priesters ist nicht künstlich gemacht, sondern ist eine wirkliche Notwendigkeit. Sie geht aus der Abkunft des Menschen von Gott und aus der Verwiesenheit des Menschen auf Gott hervor. Weil der Mensch von Gott kommt und zu Gott gerufen ist, muss es Priester geben, die das Wissen um die Gottgehörigkeit des Menschen wachhalten. Der Beruf des Priesters kann auch nie überflüssig werden. Das objektive Bedürfnis nach Priestern wird immer vorhanden sein. Ob die Menschen es wahr haben wollen, ob sie vor dem Priester fliehen, ob sie den Priester verunglimpfen, ändert nichts an dieser Tatsache. Das Priestertum bleibt absolut notwendig. Wir verkündigen auch nichts Überflüssiges. Die Antwort, die wir geben, gibt kein anderer auf dieser Welt. Wir beantworten nicht Fragen, die andere ebenfalls befriedigend beantworten, sondern die nur von Christus her befriedigend beantwortet werden können.

Der Beruf des Priesters hat seine Eigenart. Er ist mit irdischen Berufen nicht zu vergleichen. Alle anderen Berufe sind von Menschen eingesetzt und dienen auch den Menschen. Sie sind notwendig und ehrenhaft. Sie sind auch groß vor Gott. Aber nur ein Beruf macht die Berufung von Gott zum Beruf: der Beruf des Priesters. Viele verstehen die Eigenart des priesterlichen Berufes nicht. Ich will Ihnen dazu eine selbst erlebte Geschichte erzählen: Im Jahre 1951 war ich Seelsorger in der sog. „Ostzone“, d.h. in der sowjetischen Besatzungszone. Ich hatte ein Motorrad. Und mit diesem beging ich einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Ich hatte nämlich auf dem Rücksitz einen Ministranten, obwohl der Sitz dafür nicht zugelassen war. So musste ich also zur Volkspolizei kommen und sollte 20 Mark Strafe bezahlen. Ich sagte dem Polizisten: „Mein Herr, ich bekomme im Monat 49 Mark und 66 Pfennige ausgezahlt. Und davon soll ich jetzt 20 Mark Strafe bezahlen?“ Die Volkspolizei war einsichtig und ermäßigte die Strafe auf 10 Mark. Und dann sagte der Polizist zu mir: „Für das Geld, für das Sie arbeiten, würde ich nicht arbeiten.“ Ich entgegnete ihm: „Ich auch nicht.“ Denn wir Priester arbeiten nicht fürs Geld, wir arbeiten für Gott, denn für uns ist der Beruf nicht Einkommensquelle, sondern Inhalt unseres Lebens. –

Der Ruf Gottes ist verbunden mit der Last Gottes. Ich will Ihnen die Last Gottes an zwei Beispielen zeigen: An der Verkündigung und an der Seelsorge.

Wir Priester sind weder Bankleute noch Wirtschaftsfachleute. Wir sprechen auch nicht über Politik, außer wenn die Politik ihre sittlichen Prinzipien zu wissen begehrt oder gegen die Gebote Gottes handelt. Wir verkündigen, was Gott uns aufgetragen hat. Wir verkündigen die Offenbarung Gottes. Diese Offenbarung ist geschehen in Christus Jesus. Er ist die letzte und endgültige Offenbarung Gottes, das letzte und endgültige Wort Gottes für diese ganze Weltzeit. Diese Offenbarung kommt zu uns durch Schrift und Überlieferung. Nicht allein durch die Schrift, sondern ebenso durch Überlieferung. Wir verehren die Schrift. Gerade haben wir es bei der Verkündigung des Evangeliums wieder gesehen, wie feierlich diese geschieht. „Leben möchte ich nicht mehr, wenn ich Ihn nicht mehr reden hörte.“, hat Johann Michael Sailer einmal von der Heiligen Schrift gesagt. Ich sage es auch. Aber vergessen wir nicht: Bevor es eine Schrift gab, gab es eine Überlieferung. Das hat kein geringerer als Gotthold Ephraim Lessing seinen Gegnern entgegen gerufen: Bevor es eine Schrift gab, gab es eine Überlieferung. Und deshalb hat das Konzil von Trient recht, wenn es sagt: Die Offenbarung kommt zu uns durch geschriebene Bücher und durch ungeschriebene Überlieferungen, die mit gleicher Frömmigkeit und Ehrfurcht anzunehmen sind. Pari pietatis affectu ac reverentia. Der Inhalt der Offenbarung betrifft die Glaubenslehre und die Sittenlehre. An erster Stelle bekennen wir den dreifaltigen Gott: Ein göttliches Wesen, drei göttliche Personen. Ein Gott in drei Personen. Keine drei Götter, sondern ein Gott in drei Personen, in dreifach verschiedener Beziehung. Wir machen die Islamisierung, wie manche katholische Theologen sie heute betreiben, nicht mit. Wir lassen den Trinitätsglauben nicht unter den Tisch fallen. Es gibt nur den dreifaltigen Gott und sonst keinen anderen. Dieser Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, damit er die Welt rette und erlöse: Jesus Christus, wahrer Gott vom wahren Gott. Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. Wir machen die Verharmlosung Jesu nicht mit; Jesus: ein edler Mensch, ein Weisheitslehrer, ein Guru? Nein: Wer von Jesus redet, ohne dessen Gottheit zu bekennen, der hat um ihn herumgeredet. Wir verkündigen den Willen Gottes über der Menschheit, seine Gebote und Verbote. Das ist eine schwierige Aufgabe, denn Gottes Gebote sind erhaben. Der Islam ist eine bequeme Religion. Aber das katholische Christentum ist eine anspruchsvolle Religion, weil es die von Gott kommende Religion ist, die einzige, die von Gott gekommen ist. Andere Religionen haben menschliche Stifter. Unsere Religion hat den Logos, den Sohn Gottes, den der Vater gesandt hat, zum Stifter. Die Sittenlehre, die wir verkünden, ist nicht Menschenwort, ist nicht Menschenweisheit, sondern Gottes heiliger Wille. Wenn wir sagen, die Ehe ist eine Einehe zwischen Mann und Frau, dann ist ausgeschlossen, dass sie eine Liaison sein kann zwischen zwei Männern oder zwei Frauen. Wenn wir nach Gottes Willen sagen, die Ehe ist unauflöslich, dann gibt es keine Tricks, um diese Unauflöslichkeit auszuhebeln. Man behauptet, die Kirche sei unbarmherzig, wenn sie an der Unauflöslichkeit der Ehe festhält. Das Gegenteil ist der Fall: gerade das Festhalten an der Unauflöslichkeit ist Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes! Damit will Gott verhindern, dass die Gatten aus ihrer Gemeinschaft ausbrechen, dass sie Ausschau halten nach Abwechslung, dass sie auseinandergehen, wenn es Streit gibt. Wir wissen, dass es Menschen gibt, die unsere Verkündigung nicht mögen; wir wissen, dass Christen sich von Kirche und Glauben trennen wegen der Sittenlehre der Kirche. Wir sehen dies mit Schmerz. Dennoch muss gesagt werden: Wenn die Kirche mit der Wahrheit nicht ankommt, braucht sie überhaupt nicht anzukommen. Wenn man uns Priester verhöhnt, weil wir an der Wahrheit festhalten, dann erwidern wir mit Paulus: „Wenn ich euch ein anderes Evangelium verkündete, dann wäre ich nicht mehr Gottes Herold. Wenn ich den Menschen gefallen wollte, dann wäre ich nicht Christi Diener.“ (vgl. Gal 1,10b) Wenn Menschen unsere Verkündigung nicht annehmen, hört unsere Aufgabe, die Heilsbotschaft auszurichten, nicht auf. Wir machen sie nämlich unentschuldbar. Auch das ist eine legitime Aufgabe der Verkündigung. Der Herr hat es uns selbst gesagt: „Wenn ihr in eine Stadt kommt, und man nimmt euch nicht auf und hört euch nicht an, dann schüttelt den Staub von euren Füßen. Ich sage euch: Es wird Sodom und Gomorra am Tage des Gerichts erträglicher ergehen, als jener Stadt.“ (vgl. Mt 10,14f)

Die Verkündigung ist ein Teil der Last Gottes. Eine noch größere womöglich ist die Seelsorge. Seelsorge ist die Vermittlung des Heils Christi, also der Wahrheit und der Gnade an die Menschen durch den beauftragten Priester. Der Priester wird bestellt zur Seelsorge. Als ich 1951 zum Priester geweiht wurde, fragte mich der Bischof, was ich für Absichten im Priesterdienst hätte. Ich sagte ihm: „Ich will Pfarrer werden.“ Was sonst, denn der Pfarrer ist der Prototyp des Priesters. Jede andere Tätigkeit eines Priesters muss sich rechtfertigen vor dem Beruf des Pfarrers. Der Seelsorger ist der Prototyp des Priesters. Er muss Eigenschaften besitzen, die ihn für diesen Beruf geeignet machen: zunächst einen tiefen Glauben. Ohne Glauben kann man nicht Seelsorger sein. Den Glauben, den der Priester in sich trägt, muss er den anderen vermitteln. Wie könnte er einen Glauben weitergeben, von dem er nicht durchdrungen ist? Der Glaube muss im Priester zur unerschütterlichen Überzeugung geworden sein. Zum Glauben muss sich die Frömmigkeit gesellen. Wer Gott kennt, der muss ihn auch lieben. Er muss ihm auch dienen, selbstlos und rastlos, er muss ihm gleichsam jeden Wunsch von den Augen ablesen. Der Priester soll gebildet sein, denn er muss ja den Unwissenden Antwort geben können, theologisch geschult, psychologisch gewandt, gebildet unter den Gebildeten dieser Zeit. Der Seelsorger muss die Menschen lieben. Meine lieben Freunde, nach 61 Priesterjahren weiß ich, wie die Menschen sind. Aber irre geworden bin ich an den Menschen noch nie. Man muss doch gerührt sein von dem wenn auch schwachen, so doch guten Willen der Menschen und von ihrer Not. Man muss doch gerührt sein zu sehen, wie sie sich oft die Finger blutig reißen an dem Gefängnis, das sie sich selbst errichtet haben. Ich halte es mit Marie von Ebner-Eschenbach, die einmal das schöne Wort geschrieben hat: „Den Menschen kennen heißt entweder ihn lieben oder ihn bedauern.“ Wem nichts an den Menschen liegt, der soll nicht Seelsorger werden. Die Liebe zu den Menschen zeigt sich in der Geduld, die man mit ihnen hat, in der Sorge, die man für sie trägt, in der Angst, die man für sie leidet. Die Seelsorge hat viele Aspekte. Sie reicht vom Einzelgespräch bis zum feierlichen Gottesdienst. Ich bin überzeugt, dass keine seelsorgliche Sparte so wichtig ist wie die Individualseelsorge, also die Seelsorge, die sich dem Einzelnen zuwendet. Wenn wir den Einzelnen nicht erreichen, dann können wir auch der Menge nichts abfordern. Wir müssen die Abständigen zurückholen, wir müssen die Wankenden stützen, wir müssen die Schwachen tragen. Das ist unsere Aufgabe als Seelsorger. Seelsorge verlangt unermüdliche Tätigkeit in der harten Arbeit des Weinbergs Christi. Deswegen ist mit der Seelsorge auch das Leiden verbunden. Am Tage der Primiz des heiligen Johannes Bosco sagte seine Mutter zu ihm: „Anfangen die Messe zu lesen, heißt anfangen zu leiden.“ Dem Seelsorger begegnen zahllose Enttäuschungen, Bitterkeiten, Misshelligkeiten. Seelsorge ohne Leiden aber wäre keine Nachfolge Christi. Die zermürbenden Misserfolge, die häufige Abweisung, die Erkenntnis, dass wir gerade diejenigen nicht erreichen, die wir erreichen müssten, kann einen Seelsorger müde machen, kann ihn zur Verzagtheit verleiten. Ich glaube, lieber Mitbruder, dass diese Empfindungen Ihnen nicht fremd sind. Aber Sie haben auf Ihre Einladung geschrieben: „Wir haben nicht einen Geist der Verzagtheit empfangen.“ (2 Tim 1,7) Das ist ein gutes Wort. Sie haben recht. Verzagtheit ist im Dienste Gottes nicht angebracht. In der Seelsorge ist nichts umsonst: Keine Predigt, kein Seelsorgsgespräch, kein Trostwort. Nichts ist umsonst. Gott weiß alles und vergisst nichts. In der Seelsorge ist nichts umsonst: Keine Wartestunde im Beichtstuhl, keine Besuchung des Allerheiligsten, kein Breviergebet, wenn einem vor Müdigkeit die Augen zufallen. Gott weiß alles und vergisst nichts. Noch einmal: in der Seelsorge ist nichts umsonst. Kein priesterlicher Seufzer, keine Klage bei einem Mitbruder, keine nächtliche Träne. Gott weiß alles und vergisst nichts. –

Die Last, die Gott uns auferlegt, will getragen sein in der Kraft, die Gott uns vermittelt. Diese Kraft strömt uns Priestern vornehmlich aus zwei Quellen zu: Aus dem Vollzug des Messopfers und aus dem Dienst im Beichtstuhl. Das Messopfer hat mit dem Kreuzesopfer zu tun. Wir wissen ja: das Kreuzesopfer ist die Quelle unserer Erlösung. Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst. Wenn wir Erlösung wollen, müssen wir uns an das Kreuz klammern, müssen wir zum Kreuze kommen. Wie und wodurch? Beispielsweise indem wir die Leidensgeschichte im Evangelium lesen, indem wir den schmerzhaften Rosenkranz beten, indem wir den Kreuzweg gehen. Das alles ist Verbindung mit dem Gekreuzigten. Aber: all das ist nicht das Lebendigwerden seines Opfers. Das geschieht nur an einer Stelle, nämlich da, wo ein katholischer Priester würdig das Messopfer feiert. Das Messopfer ist das im Symbol erscheinende Kreuzesopfer. Die Eucharistie ist das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Das Messopfer ist das im Hier und Jetzt des kirchlichen Lebens gegenwärtig werdende Kreuzesopfer. Wie mein Lehrer Michael Schmaus formulierte: „Das Messopfer ist die sakramentale Epiphanie von Golgotha.“ Im Messopfer hat der Priester eine unersetzliche Funktion, denn sein Vollzug ist ihm aufgetragen. Er steht am Altare als ein zweiter Christus. Das erneuerte Kreuzesopfer vollzieht er in der Gestalt Christi. Deswegen spricht er bei der Wandlung nicht: „Das ist Christi Leib. Das ist Christi Blut.“, sondern: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ In real-mystischer Identität mit Christus vollzieht der Priester das Messopfer, wie Johannes Paul II. es formulierte. Das heißt: in der Einheit mit Christus, im Namen Christi, in der Rolle Christi; ja, so ist es: der Priester schlüpft gleichsam in die Rolle Christi. Wenn der Priester das Messopfer feiert, verherrlicht er Gott, erfreut er die Engel, erbaut er die Kirche, verschafft er den Lebenden Hilfe und den Verstorbenen die ewige Ruhe sowie sich selbst alles Gute. So schreibt der Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi, Thomas von Kempen. In der Feier des Messopfers erleben wir Priester unsere gottgewollte Unentbehrlichkeit und unsere unaufhebbare Verbundenheit mit unserem Heiland. Erhabeneres kann es auf Erden nicht geben. Wer hier sein Glück nicht findet, der findet es überhaupt nicht.

Ähnlich ist es mit dem Bußsakrament. Das Bußsakrament ist, wie Sie alle wissen, ein verlorenes Sakrament. Die Menschen haben das Beichten aufgegeben; der Klerus hat es ihnen abgewöhnt! Welche Verkehrung! Der Kirche ist es aufgetragen, die Bollwerke des Satans zu vernichten. So steht es im ersten Brief des heiligen Johannes. (vgl. 1Joh 3,8b) Die Bollwerke des Satans, das ist die Sünde, das ist das Verharren in der Sünde, das ist das Verführen zur Sünde, das ist das Ableugnen der Sünde. Diese Bollwerke des Satans werden niemals und nirgends stärker vernichtet als im würdigen Empfang des Bußsakramentes. Hier findet eine wirkliche Erneuerung statt. Hier gilt das Wort: Beicht macht leicht. Hier wird der neue Mensch geschaffen in Gerechtigkeit und Heiligkeit. Und wir Priester dürfen diesen Dienst leisten. Zu uns hat der Herr gesprochen: „Wem ihr die Sünden nachlassen werdet, dem sind sie nachgelassen. Und wem ihr sie behalten werdet, dem sind sie behalten.“ (vgl. Joh 20,23) Wir Priester werden in der Tiefe identifiziert durch die Feier des Messopfers und durch die Verwaltung des Bußsakramentes. Wenn man heute fortwährend herumfummelt am Priesterbild, so sage ich: Das Priesterbild liegt fest. Christus hat es geschaffen. Der Priester ist bevollmächtigter Vollzieher des Messopfers, und er ist Spender der Gnade der Versöhnung im Bußsakrament. Es war kein Freund der Katholischen Kirche, nämlich Friedrich Nietzsche, der einmal gesagt hat: „Es ist die tiefste Nützlichkeit des katholischen Priesters, ein heiliges Ohr, ein verschwiegener Brunnen, ein Grab für Geheimnisse zu sein.“ Ein heiliges Ohr, ein verschwiegener Brunnen, ein Grab für Geheimnisse. – Diese Bedeutung erleben wir Priester, wenn wir das Bußsakrament verwalten. Es ist eine tiefe Befriedigung, wenn wir erleben, wir haben einen Menschen von der Last seiner Schuld befreien können, nach 10, nach 20 Jahren. Ich habe in 61 Priesterjahren niemals aufgehört, das Bußsakrament zu spenden. Und ich bin überzeugt: wenn etwas von meiner Lebensleistung zählt, dann wird Jesus sagen: „Das, was du im Beichtstuhl getan hast, das rechne ich dir am höchsten an.“

Wir Priester wissen, wie schwer unser Dienst heute geworden ist. Wenn ich auf der Straße gehe und als Priester kenntlich bin, dann beobachte ich immer, wie die Menschen mir begegnen. Manche schauen weg, andere grinsen mich frech an; bei wieder anderen spürt man, dass sie denken: „Das sind die, die uns bei unseren Vergnügungen stören wollen. Gibt’s die immer noch?“

Im April 1945 war ich als Soldat einquartiert bei einem Bauern in Thüringen. Wir sprachen über das Dorf, über die Kinder, die Schule. Da sagte der Bauer zu mir: „Wir haben einen Pfarrer am Ort. Ein Arzt wäre uns lieber.“ Ohne Frage: Wir brauchen Ärzte, wir brauchen Apotheker, wir brauchen Diplomingenieure, wir brauchen Facharbeiter. Aber die Welt ist nicht nur Wirtschaft und nicht nur Hygiene. Es gibt Dinge, die sich durch Chemie und durch Rechenmaschinen nicht lösen lassen. Auch wenn wir den Mars erreichen sollten, sind die großen, die letzten Probleme noch nicht gelöst. Da ist der Priester gefordert. Ihm ist aufgegeben, ein Wort zu sagen, wenn alle irdischen Worte schal werden. Ihm ist aufgetragen, einen Brunnen zu öffnen, wenn alle Ströme versiegen. Ihm ist gegeben, den Augen Glanz zu geben, wenn alle Sterne verlöschen. Er ist gesandt zu den Menschen, die im Schatten sind. Dorthin, wovon die Gesättigten fliehen, wo keine weiß gekleidete Jugend Tennis spielt, wo die Augen feucht sind von Trauer und Schmerz, dorthin ist er gesandt, dort stehen seine leichten Zelte, dort wachsen seine Saaten. Wir brauchen Priester, weil die Not, die Unbegriffenheit in tausend Gestalten über die Erde geht. Wir brauchen Priester, und deshalb bitte ich Sie, meine lieben Freunde: beten Sie das schöne Gebet, das mich der unvergessliche Bischof Piontek (1878 – 1963) gelehrt hat:

„Lieber Gott, lass mich so leben, dass aus meiner Familie ein Priester hervorgehen kann.“ Amen.

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