Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Februar 2019

Philosophische Erlösungslehren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Niemand kann übersehen, dass die Welt in Verwirrung und Unordnung existiert. So ist es verständlich, dass zu allen Zeiten große Anstrengungen gemacht wurden, um sie zu entwirren und zu ordnen. Darin, dass die Menschen den vorfindlichen Weltzustand nicht als selbstverständlich und unabänderlich hinnehmen, kündigt sich die Wahrheit an, dass die jetzige Verfasstheit der Welt ein Widerspruch gegen Gottes ursprünglichen Schöpfungsplan ist. Die Welt sollte anders sein. Was uns infolge langer Gewöhnung und heilloser Gedankenlosigkeit als normal erscheint, ist nicht normal. Wir leben in einer Welt, die durch die Sünde auf den Kopf gestellt ist. In dem Willen, sie umzuwandeln, lebt und wirkt heimlich, wenn auch leise und mannigfach entstellt, die Erinnerung daran, wie es ursprünglich war, die Erinnerung an das Paradies. Die Sehnsucht der Menschen nach dem Zustand des Friedens und der Ruhe, der Freude und des Entzückens drückt sich sprachlich in mannigfachen Wendungen aus. Man spricht vom El Dorado, vom Elysium, vom Gefilde der Seligen, vom Schlaraffenland. Gemeinsam ist allen diesen Begriffen und Vorstellungen das Verlangen nach Erlösung, so vielfältig dies auch aussehen mag. Erlösung bezeichnet die Beendigung eines als leidvoll empfundenen Zustandes. Das Übel, von dem die Menschen erlöst werden wollen, ist sehr verschieden. Zumeist sind es Leiden, Schwäche, Siechtum, Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit, Krankheiten, Behinderungen, Hunger und Durst, Obdachlosigkeit, Erwerbslosigkeit, Einsamkeit, Verlassenheit, Gram und Kummer, Schicksalsschläge. Die Menschen haben seit jeher versucht, mit ihren Mitteln, mit ihren Kräften den Zustand der Welt zu verändern, einen Wandel der Verhältnisse herbeizuführen. Ich will Ihnen die wesentlichen Versuche vorstellen.

Es gibt die Ansicht, der Grund alles Übels und Unheils liege ausschließlich oder vor allem in der mangelhaften Verteilung der irdischen Güter, in einer Unordnung also auf der Oberfläche der Erde und des menschlichen Lebens und in einer darauf beruhenden verkehrten Gesellschaftsordnung. Wer diese Ansicht teilt, wird die Erlösung von wirtschaftlichen, politisch-sozialen Maßnahmen oder von der Technik und von der Wissenschaft erwarten. Es ist dies der auf einem unbestimmten Gefühl gründende Fortschrittsglaube. Er wird geteilt vom Liberalismus ebenso wie vom Marxismus. Der weltanschaulich-ökonomische Liberalismus erwartet das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl der Menschen von der Beseitigung aller Erwerbshindernisse: Enrichissez-vous – Bereichert euch. Der marxistische Sozialismus erwartet die Aufhebung der Entfremdung durch die Beseitigung der privaten Produktionsmittel; alles muss vergesellschaftet, sozialisiert werden.

Andere sehen die Wurzel des Unheils in der Unwissenheit. Sie meinen, die Erlösung komme, wenn sich die Erkenntnis verbreitet. Die Befreiung von der Unwissenheit bringt die Erlösung. Für manche ist die notwendigste und dringendste Erkenntnis die Abschaffung der Religion. Eugen Dühring erwartet die Erlösung von der Beseitigung des Christentums und aller Jenseitsvorstellungen. Erst wenn der Zauberglaube an überirdische Wesenheiten verbannt ist, wird der wirkliche Wert des Lebens vollauf genossen. Die wahre Erkenntnis fasst die Wirklichkeit so auf, wie sie sich der Erfahrung darbietet. Sie verzichtet auf alles, was jenseits der Erfahrung liegt. Es ist ein Wahn, etwas hinter der Erfahrung zu suchen. Der Genuss des Lebens wird den Menschen nur durch die schlechten Einrichtungen und Gewohnheiten vergällen, die der Religion ihren Ursprung verdanken. Aus gesundem Denken wird gesundes Leben; dann ist man erlöst.

Oft verbindet sich die Erkenntnis mit der Abwendung von der Sinnenwelt und der Unterdrückung des Lebenswillens. Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer hat Gedanken aus Indien aufgenommen. Nach ihm ist die Geschichte der Menschen ein Tummelplatz blinder Leidenschaften, das individuelle Leben ein Hasten nach Scheinwerten, der Weltgrund ist widervernünftig. Der Mensch wird erlöst, der die Sinnlosigkeit alles Seins und Lebens durchschaut und den Willen zum Leben verneint, der den Egoismus, das Hängen an den Gütern der Welt überwindet. Der Mensch findet schon eine relative Erlösung, indem er sich der Kunst und dem interesselosen Denken zuwendet. So Arthur Schopenhauer.

In unserem Jahrhundert ist eine neue Erlösungslehre aufgetaucht: die Psychoanalyse. Sie geht zurück auf den Arzt Sigmund Freud. Die Psychoanalyse sieht das Unheil in hemmenden und fesselnden seelischen Komplexen begründet. Die Rettung besteht in deren Auflösung. Erlöst ist, wer aus dem Gespinst von Komplexen, Spannungen und Traumata befreit worden ist. Darunter fällt nach Freuds Meinung an erster Stelle die Religion. Er bezeichnet die Religion als universelle Zwangsneurose, als realitätsblinde Illusion, als infantiles Wunschdenken und als intellektuell-moralisches Reifungshindernis. Die Befreiung von der Religion ist der Anfang der Erlösung. So der bekennende Atheist Sigmund Freud.

Immanuel Kant, der deutsche Philosoph – der Philosoph des Protestantismus, wie man ihn genannt hat –, sieht die Lebenserfüllung in dem Tun der Pflicht um der Pflicht willen. Wir sollen dem Gesetz gehorchen, weil es ein Gesetz der Vernunft ist, und aus Achtung vor diesem Gesetz. Sittlichkeit als Eigenschaft des Menschen ist pflichtmäßige Gesinnung. Sittlich ist nur das pflichtmäßige Wollen der Maximen. Nur was lediglich aus Pflicht geschieht, ist sittlich. Das moralische Leben des Menschen besteht darin, das Gebot der Pflicht gegen alle Neigungen durchzusetzen. Glücklich und erlöst ist, wer sich den kategorischen Imperativ zu Eigen gemacht hat: Handle so, als ob die Maxime deines Handelns durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden kann.

Andere erwarten die Erlösung von der Behauptung des Daseins oder vom Vollzug des Lebens. Sie setzen ihre Hoffnung auf die Bejahung des sich selbst genügenden schönen, kraftvollen Menschentums. Gut ist das Kraftvolle, Lebensfähige, zur natürlichen Herrschaft Bestimmte; schlecht ist das Verkümmerte, Schwache, Mitleiderregende. Wer die Verletzung der Lebensgesetze für den Ursprung aller Verirrungen und Verwirrungen hält, sieht die Erlösung in dem Imperativ begründet: Lebe recht. Der Mensch soll auf die Natur schauen und sich in ihre Ordnung einfügen. Die Anpassung an die Gesetze des Lebens soll die Erlösung bringen. Wieder andere setzten ihre Hoffnung auf die Überschreitung des jetzigen menschlichen Daseins zu einem neuen gefüllteren Dasein. So predigte Friedrich Nietzsche den Hinübergang der Menschheit aus dem jetzigen Zustand zu dem des Übermenschen. Das gegenwärtige arme, geminderte Dasein muss überschritten werden zu einem reicheren, kraftvolleren Dasein. Das Heilige und Heiligende kann nicht außerhalb dieser Welt gesucht werden, sondern nur in ihr. Hier auf Erden soll herbeigezwungen werden das Gute durch den Willen zur Macht, der dem Übermenschen eigen ist. Nietzsche hat eine neue Kultur, einen neuen Menschen und neue Tafeln der Werte gepredigt. Der Maßstab, an dem die Höhe einer Kultur zu messen ist, sind die wenigen großen Persönlichkeiten, die Übermenschen. Die Steigerung des Lebens, Kraft, die sich ausgeben und ihre Macht fühlen will, sind Sinn und Grund des Lebens. Der wahrhaft erlöste Mensch ist nur der Übermensch.

Der Erlösungsgedanke spielt eine große Rolle in mehreren Opern Richard Wagners. Wagner war ja bestimmt durch den Atheismus Feuerbachs und durch die Philosophie Nietzsches. Im „Fliegenden Holländer“ taucht die Idee der Erlösung durch eine über den Tod hinausreichende Liebe auf. Im „Tannhäuser“ wird die Erlösungsidee in die Spannung zwischen sinnlicher Verstrickung und reiner Liebe eingebunden. „Lohengrin“ verbindet die Erlösungsidee mit dem Motiv der fraglos unbedingten Hingabe. In „Tristan und Isolde“ wird die Erlösung gesucht in der Sehnsucht nach der Zweisamkeit im Tode, im Liebestode. Im „Parsifal“ wird – jedenfalls nach Nietzsche – die Erlösung ins Christliche gewendet. Aber er täuscht sich. Wagner hat ausdrücklich gesagt: „Ich habe im ‚Parsifal‘ nicht an den Heiland gedacht.“ Wagner erwartet die Erlösung nicht von Gott oder Christus. Seine Erlösung ist areligiös und stets antikirchlich ausgemünzt. An die Stelle der Religion tritt die Kunst. Er hat sich ja die Religionskritik Feuerbachs zu Eigen gemacht, wonach die Religion eine Schöpfung des Menschen ist, die zur Selbstentfremdung führt.

In unseren Jahrzehnten hat viel von sich reden gemacht der Philosoph Herbert Marcuse. Er entwirft in seiner kritischen Theorie als politisches Projekt das Leitbild einer befreiten Gesellschaft. Bestimmend ist der aufklärerische Begriff der Vernunft und damit die Orientierung an individueller Selbstbestimmung, Glück, Autonomie und Freiheit. Die Herrschaft des technologischen Apriori soll durch eine Moralisierung, Ästhetisierung und Erotisierung des Alltagslebens unterlaufen werden. Die Verbindung von individuellem Glücksstreben und Zivilisation sei möglich; wo sie gelingt, geschieht Erlösung, nach Herbert Marcuse. Der Philosoph Martin Heidegger, der ja heute als der Bedeutendste im deutschen Raum gilt, dieser Philosoph verzichtet auf jede Erlösung. Der Mensch muss sich selbst überschreiten auf den Tod hin. Im Anblick des Todes kommt der Mensch zu sich selbst, zu seinem eigentlichen Dasein, zur Existenz, wie er sich ausdrückt. Er erlebt sein Ausgeliefertsein an den Tod an das Nichts in der Grundstimmung der Angst. In der Angst erfahren wir, dass wir vor das Nichts gestellt sind, dass wir in das Nichts geworfen sind. Das ist das Wesen unserer Seinsweise. In der Todesangst ist das elementare Erlebnis des Stehens vor dem Nichts wirksam. Der Mensch lebt nach Heidegger in einer tragisch-heroischen Existenz, in der er die Schrecken des Daseins stolz und unfroh bejaht, ohne Hoffnung auf Befreiung von ihnen. Wenn man will, kann man den Verzicht auf Erlösung auch als eine freilich perverse Erlösung bezeichnen.

Alle genannten Aufstellungen und Überlegungen entstammen dem fehlbaren menschlichen Denken und der allgemeinen Sehnsucht nach Befreiung von Druck und Leid, Unrecht und Ungerechtigkeit. Die vorgestellten Systeme sind nicht in allem falsch. Es sind in ihnen auch richtige Elemente, Spuren der Wahrheit enthalten. Aber regelmäßig sind diese richtigen Elemente unter dem Schutt irriger Ansichten verborgen und davon überdeckt. Gemeinsam ist ihnen allen, dass ihre Vertreter die Erlösung von menschlicher Einsicht und menschlichem Bemühen erwarten, also von „unten“, nicht von „oben“. Die Welt wird da als ein geschlossener Raum vorgestellt, der keine Fenster und Türen zu einer jenseitigen Wirklichkeit hat. Dementsprechend heißt es ja in dem sozialistischen Kampflied „Internationale“: „Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“ Alle diese Systeme vermögen Änderungen auf dieser Erde herbeizuführen, manchmal auch Verbesserungen, aber nur an der Oberfläche. Sie reichen nicht in die Tiefe, aus der das Unheil emporquillt, und diese Tiefe ist die Sünde. Allen menschlichen Versuchen, die Unordnung und die Trauer der Welt zu bannen, bleibt deswegen ein letztes Gelingen versagt. Sie können nicht bis zu jener Tiefe vorstoßen, aus der das Unheil in unerschöpflichem Fluss hervorquillt. Der sündige Mensch kann bis in jenen schauerlichen Abgrund gar nicht hineinschauen. Was die Sünde ist, weiß nur der Heilige und nicht der Sünder. Was Gott ist, erkennt auch nicht der Sünder, sondern am meisten der Heilige. In der vorchristlichen Zeit sind die menschlichen Versuche, eine Ordnung in der Welt ohne Gott aufzurichten, Vorläufer Gottes, des Heilbringers. Aber es lauert in ihnen die Gefahr, dass der Mensch alles von seinen eigenen Anstrengungen erwartet und nichts von Gott selbst, dass er wähnt, sich ausreichend selbst helfen zu können und Gottes nicht bedürftig zu sein. Das Herz, das nur auf seine eigene Kraft vertraut und alles selbst vollbringen will, sieht seine Grenzen und sein Unvermögen nicht mehr ein und ist daher zugeschlossen für Gott. So wird das Unbegreifliche begreiflich, dass Gott zu den Seinigen kam und die Seinigen ihn nicht aufnahmen. Die nachchristlichen, rein menschlichen Erlösungsversuche müssen anders beurteilt werden. Sie sind, sofern sie bewusst Christi Werk ablehnen und zu ersetzen versuchen, gegen die von Gott vollbrachte Erlösung gerichtet. Sie tragen, sofern sie selbst und allein Heil wirken wollen, widergöttlichen Charakter, weil sie Christus und sein Werk verneinen. Es ist deswegen unverantwortlich, diesen Versuchen gegenwärtige Geltung zuzusprechen. Sie verlegen den Weg zu dem wahren Erlöser. Ihre Zeit ist abgelaufen. Die erwähnten philosophisch-weltanschaulichen Entwürfe zeigen den Abstand, in dem sie von der Wahrheit sind, die Christus gebracht hat, an. Sie zeigen die Notwendigkeit und Dringlichkeit ihrer Ersetzung durch die christliche Religion. Alle diese Systeme vermögen die furchtbarste Verlorenheit nicht zu überwinden, nämlich die Verlorenheit, dass jemand sein Elend nicht mehr sieht und spürt und dass er stumpfen Sinnes den, der ihn aus diesem Elend herausreißen will, abweist. Das in sich verschlossene und verliebte Ich sträubt sich gegen den Eintritt Gottes, des Heiligen, vor dem man nicht stehen kann, ohne die eigene Unheiligkeit zu bekennen. Das ist das Unheimliche, meine lieben Freunde, das ist das Unheimliche: Das Böse fesselt den Menschen stärker als alle anderen Ketten. Aber er ist so sehr in diese Gefangenschaft verliebt, dass er den hasst, der ihn befreien will. Wir erkennen aus der Unzulänglichkeit der irdischen Erlösungsversuche die Notwendigkeit und die Dringlichkeit ihrer Überwindung durch die christliche Religion. Je verbreiteter der Irrtum ist, desto dringender ist die Verkündigung und die Verbreitung der Wahrheit. Die wahre Erlösung kann nur von Gott kommen. Der Mensch kann versuchen, auf Erden eine Notordnung aufzubauen, ja, er ist verpflichtet dazu, aber er soll nicht erwarten, dass diese Notordnung ihm die Erlösung bringt. Indem Gott den Menschen von der Sünde befreit, heilt er ihn in der Tiefe. Als Erlöster kann der Mensch dann, von Christus erlöst, daran gehen, die Welt nach Gottes Plan zu ordnen.

Amen.

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