Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Oktober 2014

Jesus heilt körperliche und seelische Not

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Erklärer der Heiligen Schrift sind sich über die Krankheit des Mannes, von dem heute im Evangelium die Rede ist, nicht einig. Wir haben eben die Übersetzung gehört, es sei ein Gichtbrüchiger gewesen. Die Mehrheit der Erklärer neigt dazu, in ihm einen Gelähmten zu sehen, vielleicht einen Mann mit spinaler Kinderlähmung. Wir wissen es nicht. Die Art der Krankheit ändert nichts an dem Geschehen, von dem wir eben gehört haben. Das von allen drei Synoptikern Matthäus, Markus, Lukas berichtete Begebnis war aufsehenerregend, ja erschütternd. Die Freunde des Kranken und dieser selbst ließen es sich etwas kosten, um zu Christus zu gelangen. Das Haus, in dem er lehrte, war vollbesetzt. Auch der Platz vor der Tür war nicht ausreichend. Da gingen sie den Weg über da Dach. Sie warfen die Hecken und das Dornengestrüpp ab, das in palästinensischen Häusern zum Schutz vor Räubern und wilden Tieren auf dem Dach lag. Dann gruben sie die Lehmschicht aus, die das Dach vor Regen schützen sollte. Und schließlich hoben sie die Baumstämme ab, die das ganze Dach tragen. Sie nahmen die Anstrengung und den Unwillen der anderen, vor allem des Hausbesitzers, auf sich. Durch die Öffnung lassen sie die Trage mit dem Gelähmten hinab, sodass sie unmittelbar vor Jesus steht. Jesus ist überrascht über die Findigkeit und die Kühnheit der Männer. Das ist ihr Glaube, das ist ihr Vertrauen, das sich darin ausdrückt, das Vertrauen auf ihn, den Wundertäter von Galiläa. Nun sind alle Augen auf Christus gerichtet. Was wird er tun? Ist er empört über die Störung? Keineswegs. Wird er ihn heilen, berührt durch diesen Glauben, den er vor sich sieht? Jesus bereitet ihnen eine große Enttäuschung. Der Gelähmte und seine Freunde erwarten die Heilung des Leibes. Der Herr aber sichert ihm zu, was er gar nicht haben will: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Er gewährte ihnen nicht, was sie mit so großer Mühe erreichen wollten: die leibliche Gesundheit. Der Kranke mag es vielleicht geradezu als Bloßstellung empfunden haben, dass er öffentlich als Sünder gekennzeichnet wurde. Doch die Enttäuschung war heilsam. Jesus deckt die hintergründige Verlorenheit des Mannes auf. Was hinter seiner leiblichen Krankheit steht, das ist die seelische Krankheit, das ist die Sünde, die er selbst nicht kannte, von der er auch gar nicht geheilt werden wollte, aber deren Symptome die leibliche Erkrankung waren. Durch diese Enthüllung wurde die Situation aller Anwesenden aufgedeckt. Christus erklärte, dass er diese Urnot heile. Er sicherte dem Kranken Befreiung von einer Fessel zu, von der ihn kein Mensch befreien kann.

Die Teilnehmer, die Anwesenden hörten aus dem Ereignis den unerhörten Anspruch Jesu heraus. Er beansprucht gewähren zu können, was keinem Menschen gestattet ist, zu tun, was keinem Menschen gewährt ist, zu verrichten. Sie haben nun zwei Möglichkeiten diesem Anspruch des Herrn zu begegnen. Sie können ihn als den Ausdruck von Irrsinn belachen, oder sie müssen ihn als Häretiker verdammen, wenn sie nicht in Christus den Messias Gottes, den zu solchem Tun ermächtigten Sohn und Erben Gottes anerkennen wollen. Die erste Möglichkeit, Jesus für wahnsinnig zu halten, kommt ihnen nicht in den Sinn. Jesus wird von seinen Zuhörern nicht als Geisteskranker angesehen. Er macht offensichtlich zu sehr den Eindruck des Gesunden, des Erhabenen, des Ernstzunehmenden. Der Gedanke kommt gar nicht auf, dass man es hier mit einem Anormalen zu tun haben könnte. Das hat sich schon bei anderer Gelegenheit bewiesen. Einmal rief er aus: „Ehe Abraham ward, bin ich. Abraham hat sich gefreut, meinen Tag zu sehen.“ Christus machte auch damals auf seine Zuhörer einen so überwältigenden Eindruck, dass sie selbst einen so übermenschlichen Anspruch ernst nehmen mussten. Wie sehr sie ihn ernst nahmen, sieht man daraus, dass sie Steine aufhoben, um ihn zu töten. Nein, Christus ist kein Wahnsinniger. So bleibt für die Ungläubigen nur die zweite Möglichkeit, nämlich Christus zu verwerfen, weil er sich in seiner Hybris, in seiner Anmaßung Gott gleichstellt – und dass tut der in der Tat. Das haben die Zeitgenossen richtig gesehen: „Wie kann einer so reden? Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?“

Christus behauptet, dass er bevollmächtigt ist, die Beziehungen des Menschen zu Gott zu ordnen. Er greift mit sicherer Hand in die Seele des Menschen hinein und wirkt das Heil in der Tiefe des Herzens. Und Gott erkennt sein Tun an, ohne dass er sich der göttlichen Zustimmung versichern muss. Jesu Anspruch ist keine leere Phrase. Er beweist ihn. Auf die Anklage der Lästerung geht er gar nicht ein; er protestiert nicht einmal. Er beschränkt sich auf die für ihn entscheidende Frage: Was habe ich mit Sündenvergebung zu schaffen? Er beweist sein Wort. Er beweist durch die Tat. Er fragt seine Zuhörer: „Was von beiden ist leichter zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder zu sagen: Nimm dein Bett, geh nach Hause und sei geheilt?“ Nun, wenn es auf das Wortemachen ankommt, ist das eine so leicht wie das andere. Soll aber dem Worte die Tat folgen, dann hat derjenige, der sagt: „Dir sind die Sünden vergeben“ es leichter, denn das ist nicht kontrollierbar. Wer aber dagegen sagt: „Steht auf, nimm dein Bett und geh nach Hause“, der geht ein gewaltiges Risiko ein, denn entweder steht der Kranke auf oder er steht nicht auf. Wenn er nicht aufsteht, dann ist derjenige, der dieses Wort gesprochen hat, ein Lügner, ein Betrüger, ein Fälscher. Jesus sagt: „Ich kann euch nicht direkt beweisen, dass ich Sünden nachlassen kann, denn das ist ein innerer, ein verborgener, ein unsichtbarer Vorgang. Aber ich mache eine andere Anwendung meiner Worte, bei der der Erfolg oder Nichterfolg sichtbar und kontrollierbar ist. Habe ich hier keinen Erfolg, dann habe ich auch im anderen Falle, nämlich der Sündenvergebung, gelogen. Lässt aber Gott meinem Worte die Tat folgen, dann bin ich also kein Lügner gewesen, dann bin ich es auch im anderen Falle nicht gewesen. Ich will euch beweisen, ihr sollt wissen, dass der Menschensohn Macht hat, Sünden zu vergeben.“ Und dann heilt Christus den unheilbar Kranken. Die Heilung geschieht ohne äußere Gebärde, ohne Untersuchung, ohne Zeichen. Das gebietende Wort allein genügt: „Ich befehle dir: Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause.“ Als wäre etwas Alltägliches geschehen, so soll der Gelähmte nach Hause gehen. Und eben dieses Heimgehen ist ein unerhörtes Wunder. Und tatsächlich: Der Kranke steht auf, nimmt das Bett, trägt es nach Hause. Alle haben es gesehen. Derselbe, der eben auf seinem Bett von Freunden herabgelassen wurde, der geht jetzt, beladen mit seinem eigenen Bett und aufrecht, vor aller Augen hinaus. An der Tatsache ist überhaupt kein Zweifel. Kein Wunder, dass alle ganz außer sich geraten und sprechen: „So etwas haben wir noch nie gesehen.“ Dieser Beweis ist unübersehbar. Jesus hat den schweren Paralytiker vollkommen geheilt, mithin – und das ist ja der Zweck seines Wunders – mithin müssen ihm auch die Sünden vergeben worden sein. Weil das eine eingetroffen ist, muss auch das andere geschehen sein. Jesus wusste, dieser Mann ist ein Sünder, ein schwerer Sünder. Aber Jesus weiß auch, dass es im Willen des himmlischen Vaters liegt, diesen Mann durch ihn zu heilen. Das heißt aber, dass Gott auch entschlossen ist, ihm seine Sünden zu vergeben. Erst muss die Urnot beseitigt werden, ehe das Symptom jener Urnot geheilt werden kann. Erst muss die Krankheit der Seele geheilt werden, ehe der Leib gesunden kann. Heute wissen die Ärzte, dass es leibseelische Krankheiten gibt, und dass der Leib nur gesunden kann, wenn auch die Seele gesundet. In der Schweiz gab es einen berühmten Psychotherapeuten, nämlich Carl Gustav Jung. Er galt als bedeutendster Psychotherapeut seiner Zeit. Von Carl Gustav Jung stammt das Wort: „Ich habe noch nie einen seelisch Kranken, einen Nervenkranken heilen können, wenn er nicht zuvor seinen religiösen Glauben wiedergefunden hatte.“ Christus und er allein hat Gewalt über Seele und Leib. Er heilt beide. Er befreit den Menschen von den Hemmungen und Verstrickungen des Leibes und der Seele. Er gibt dem Menschen eine wahrhaft menschenwürdige, eine humane Existenz zurück. Das ist es, meine lieben Freunde: Es gibt kein menschenwürdiges Leben ohne Christus. Es gibt auch keine Humanität ohne Christus.

Amen.

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