Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Februar 1997

Über Wahrsein, Gutsein, Schönsein und Würde Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Nach der Eroberung Schlesiens besuchte der preußische König Friedrich II. Breslau, die Hauptstadt von Schlesien. Er nahm dort an einem Hochamt teil, das der Bischof hielt. Nach dem Hochamt, beim Verlassen der Kirche, sagte er zu seiner Begleitung: „Die Calvinisten behandeln Gott wie ihren Hausknecht, die Lutheraner behandeln ihn wie ihresgleichen, die Katholiken behandeln ihn wie Gott.“ Er war also stark beeindruckt von der Feier des Meßopfers – des vorkonziliaren Meßopfers! – und hatte aus der Weise, wie hier Gott verehrt wurde, eine Ahnung mitgenommen, wie Gott ist und wie er verehrt werden muß.

Das ganze religiöse Getriebe in unserer Kirche, die soziale Tätigkeit, die Verkündigung ist letztlich wertlos, wenn sie nicht bezogen ist auf den einen, wahren, unsterblichen, unsichtbaren Gott. Deswegen ist es unser Bemühen seit mehreren Sonntagen, Gott zu erkennen, um ihn immer besser verstehen, ihn immer mehr lieben und ihm immer treuer dienen zu können. Wir wollen am heutigen Sonntage vier Eigenschaften des göttlichen Seins, wie sie sich uns Menschen darbieten, ins Auge fassen, nämlich Gottes Wahrsein, Gottes Gutsein, Gottes Schönsein und Gottes Würde.

An erster Stelle wollen wir die Bestimmtheit des göttlichen Seins ins Auge fassen, die man sein Wahrsein nennt. Was ist mit dem Wahrsein Gottes gemeint? Damit ist gesagt, daß die Idee, die Gott von sich selbst hat, in ihm vollkommen erfüllt ist. Gott ist die Idee, die es von ihm gibt. Er ist die personale Wahrheit, er ist sinnhaft und lichthaft. „Gott ist Licht“, heißt es im 1. Johannesbrief, „und Finsternis ist nicht in ihm.“ Weil er sein Wahrsein ist, ist er durchlichtet und durchhellt. Er ist die personale Wahrheit. Er ist auch die Urwahrheit. Das heißt: Alles Geschaffene nimmt teil an der Wahrheit Gottes, an seiner Lichtdurchflutetheit; alles Sein ist erhellt und durchleuchtet vom Wahrsein Gottes. Deswegen gibt es Erkenntnis, deswegen gibt es Wissenschaft, weil das, was Gott geschaffen hat, in sich wahr, lichthaft, durchleuchtet ist. Gott ist die personale Wahrheit, Gott ist die Urwahrheit. Alles, was geschaffen ist, nimmt an der Wahrheit Gottes teil. Wegen dieser Partizipation am Sein Gottes gibt es Wissenschaft. Freilich nimmt unsere Wissenschaft auch insofern am Erkennen Gottes teil, als er ein Geheimnis ist und bleibt. Unsere Wissenschaft stößt an Grenzen. Es gibt Grenzen, die offenbar unüberschreitbar sind, aber auch darin zeigt sich eben, daß die irdische Wahrheit Teilhabe an der Wahrheit Gottes ist.

Gott ist auch die personale Güte, das personale Gutsein. Das bedeutet, daß er vollkommen und seinserfüllt ist. Hier ist nicht die sittliche Güte gemeint, sondern die Vollkommenheit der Seinserfülltheit. Gott ist das absolute Gutsein; er ist auch das Urgutsein, insofern alles, was auf Erden gut ist, an ihm gemessen wird und von ihm seine Güte, seine Qualität besitzt. Gott hat das Irdische zu einer Teilhabe an seinem Gutsein gemacht. Er hat es keimhaft gut gemacht, d.h. der Mensch und alles Irdische soll sein Gutsein entwickeln, bis es zur Fülle der Gutheit gelangt. Es ist uns also aufgegeben, uns fortwährend zu überschreiten hin auf die Vollgestalt des Guten, die Gott in uns sehen will.

Gott ist die personale Schönheit. Schön ist das, was Wohlgefallen hervorruft. Die Theologie gibt als Kennzeichen der Schönheit an die Proportion, das Ebenmaß der Teile, die Unversehrtheit des Ganzen und die lichtvolle Erscheinung. Alles das ist in Gott im höchsten Maße verwirklicht. Er ist die absolute Proportion, das absolute Ebenmaß. Teile gibt es in ihm nicht. Er ist die lichtdurchstrahlte Wirklichkeit, und er ist selbstverständlich in seinem Ganzen total unversehrt. Er ist die Urschönheit. Das heißt, alle Schönheit auf Erden ist Teilhabe an seiner Schönheit. Es gibt Schönheit auf Erden, und es wäre ungerecht, sie nicht anzuerkennen. Sie ist durch die Sünde getrübt, und wir wissen, daß die Entweihung auch immer die Mißbildung im Gefolge hat. Aber die Schönheit, die auf dem Antlitz des auferstandenen Christus liegt, ist auch der Erde wieder zuteil geworden, und die Augen des Sehenden vermögen sie zu erschauen. Die Heilige Schrift wird nicht müde, die Schönheit Gottes zu preisen. Sie geht dabei aus von den geschaffenen Dingen und sagt: „Wenn die Menschen schon hingerissen durch die Schönheit des Geschaffenen diese geschaffenen Dinge für Götter hielten, so hätten sie billig erkennen sollen, wieviel herrlicher deren Gebieter ist; denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen. Und wenn sie schon über deren Kraft und Wirksamkeit staunten, so hätten sie doch daraus schließen müssen, um wieviel mächtiger ihr Schöpfer ist, denn aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe wird durch Vergleiche ihr Schöpfer erschlossen.“

Gott ist das absolute Wahrsein, er ist das absolute Gutsein, er ist das absolute Schönsein. In unseren Gebeten findet sich manchmal ein Nachhall dieser Wirklichkeit Gottes. „Dich liebt, o Gott, mein ganzes Herz, und dies ist mir der  größte Schmerz, daß ich betrübt dich, höchstes Gut, ach, wasch mich rein in deinem Blut!“ Höchstes Gut – summum bonum. Da sehen wir, daß auch die Volksfrömmigkeit in diesem einfachen, aber ergreifenden Gebet etwas erfaßt hat von dem Gutsein Gottes. Er ist das höchste Gut, denn er ist das absolute Gut, das durch keinen Vergleich mit irdischen Gütern irgendetwas verlieren kann.

Gott ist aber schließlich auch die höchste Würde. Unter Würde verstehen wir ein Sein, insofern es vollkommen ist, indem es sein Wesen vollkommen erfüllt und deswegen innere Anerkennung und äußere Auszeichnung erfährt. Gott ist die höchste Würde, denn er ist das vollkommene Sein. Er ist das vollkommenste Sein, über das hinaus nichts anderes denkbar ist. Deswegen kommt ihm eine Unantastbarkeit der Würde zu wie niemandem sonst. Diese höchste Würde Gottes – das ist wieder von unmittelbar praktischer Auswirkung – zeigt sich gegenüber dem Menschen als Oberhoheit, Herrschaft, Herrlichkeit, Herrsein. Friedrich II. hat begriffen, daß Gott ein Herr ist, daß man, wenn man ihn anbetet, ihn als einen Herrn, als einen Oberherrn, als den höchsten Herrn anbeten muß. Gott ziemt sich die Haltung der Anbetung. Niemandem sonst, keinem Geschöpf, wird Anbetung gezollt, aber dem höchsten Herrn Himmels und der Erde schulden wir Anbetung. Wir schulden ihm auch Ehrfurcht. Ehrfurcht ist liebende Scheu und scheue Liebe. Gott muß man sich mit Ehrfurcht nahen. Deswegen hat die Kirche im Laufe ihrer Geschichte Formen ausgebildet, diese Ehrfurcht auszudrücken. Besonders ergreifende Ausdrücke der Ehrfurcht sind das Niederknien, das Senken des Hauptes, das Beugen der Knie. Sie sind angemessen gegenüber der Würde Gottes. Gott ist die personale Würde; er ist aber auch die Urwürde. Das besagt: Alle irdische Würde hat ihren Grund und ihr Maß in Gott. Sofern es auf Erden Würde gibt, ist sie in Gott begründet. Das Maß der Würde der irdischen Dinge richtet sich nach ihrer Ähnlichkeit mit Gott. Es leuchtet ein, daß ein personales Wesen wie der Mensch oder der Engel Gott ähnlicher ist als ein Stein oder eine Pflanze. Deswegen kommt  auch den Personen eine höhere Würde zu als den Tieren oder den Pflanzen oder den leblosen Dingen. Die Würde des Menschen muß in Gott verankert sein, wenn sie unantastbar sein soll. Wer die Würde des Menschen nicht in Gott findet und nicht in Gott begründet, der kommt zur Würdelosigkeit und zur Ehrfurchtslosigkeit.

Die Würde Gottes, seine Erhabenheit und Hoheit ist in den Psalme oft und oft ausgesprochen. Zum Beispiel heißt es im Psalm 29: „Bringet dem Herrn, ihr Gottessöhne, bringet dem Herrn Ehre und Achtung! Bringet dem Herrn seines Namens Glanz, huldigt dem Herrn, voll heiliger Hoheit!“ Oder im Psalm 99: „Der Herr ist König, die Völker beben, die Erde wankt. Groß ist auf Sion der Herr, über alle Völker erhaben. Preisen sollen sie deinen Namen, den großen und hehren, heilig ist er, ein Freund des Rechts, ein König der Stärke. Was recht ist, hast du befohlen, Recht und Gerechtigkeit hast du in Jakob gewirkt. Neigt euch zum Schemel seiner Füße! Heilig ist er.“ Oder im Psalm 104: „Du, meine Seele, preise den Herrn! Gewaltig groß bist du, Herr, mein Gott, in Pracht und Hoheit gewandet. Du hast dich mit Licht wie mit einem Mantel umhüllt, hältst den Himmel ausgespannt wie ein Zelt, hast deiner Söller Balken ins Wasser gebaut. Mit deinem Wagen machst du die Wolken und braust auf den Flügeln des Sturmes umher. Zu deinen Boten machst du die Stürme, zu deinen Dienern die Feuerflammen.“

Meine lieben Freunde, es ist nichts erreicht im religiösen Leben, wenn wir nicht Gott kennen, wenn wir ihm nicht dienen und wenn wir ihn nicht lieben. Wir müssen uns also ständig bemühen, in das Wesen Gottes, in die Wirklichkeit Gottes einzudringen. Wir müssen, soweit sein Wesen uns erkennbar ist, über dieses Wesen uns Rechenschaft geben, also sein Wahrsein, sein Gutsein, sein Schönsein und seine Würde uns vor Augen führen, damit wir mit gefülltem Herzen und nicht bloß mit den Lippen im Gloria der heiligen Messe sprechen können: „Wir preisen dich ob deiner großen Herrlichkeit!“

Amen.

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