Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. März 1990

Der heilige Wille Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der höchste Gegenstand unseres Erkennens ist Gott. Er ist auch der notwendigste Gegenstand. Von allen anderen Gegenständen brauchen wir nicht mit solcher unumgänglichen Notwendigkeit zu wissen wie von Gott. Denn er ist unser Ursprung und unser Ziel. Diese Bedeutung Gottes ist der Grund, weswegen wir seit vielen Sonntagen fragen: Wer ist unser Gott? Wie ist er beschaffen? Welches ist sein Wesen, und welches sind seine Eigenschaften? An den vergangenen Sonntagen haben wir uns das Erkennen Gottes vor Augen geführt. Wir gedenken heute nach seinem Wollen zu fragen. Wir beabsichtigen, derüber Erkenntnisse zu gewinnen, indem wir uns drei Stufen vor Augen führen, nämlich

1. die Vollkommenheit des göttlichen Wollens,

2. den Gegenstand des göttlichen Wollens und

3. die Eigenschaften des göttlichen Wollens.

Erstens: Die Vollkommenheit des göttlichen Wollens. Das göttliche Wollen ist unendlich. Wie das ganze Wesen Gottes, mit dem ja das Wollen identisch ist, ist auch sein Wollen unendlich. Die Heilige Schrift sieht im Wollen Gottes den letzten Grund der Weltordnung. „Was Gott will, das schafft er im Himmel und auf Erden, im Meer und in allen Tiefen.“ Was Gott will! Die Heilige Schrift sieht auch im Wollen Gottes die letzte Norm der Sittlichkeit. Was Gott will, das ist uns Sittengesetz. „Dein Wille geschehe!“ Dein Wille ist die Ordnung des sittlichen Handelns.

Das Wollen Gottes fällt mit seinem Wesen zusammen. Es ist deswegen subsistent, wie es die Theologie nennt. Es ist ein subsistentes Wollen, d.h. mit der göttlichen Wesenheit identisch, nicht wie bei uns, wo wir zunächst da sind und die Anlage des Wollens haben, sondern Gott ist sein Wille. Es ist auch stets aktuell, d.h. es geht nicht über von der Potenz in den Akt, sondern es ist ein Wollen, das ständig in seiner Kraft lebendig ist.

Das Wollen Gottes ist unabhängig. Bei uns wird das Wollen angeregt von den Gegenständen. Wenn wir etwas Schönes sehen, dann erwacht in uns die begehrende Liebe. Nicht so bei Gott. Er will nicht, weil etwas ihn anzieht, sondern weil er will, gibt es Anziehendes. Er schafft erst das Gute in den Geschöpfen. Er wird nicht in begehrender Liebe von den Geschöpfen angezogen, sondern er gibt ihnen das, was sie anziehend macht. Das Wollen Gottes ist eben unendlich vollkommen, es ist unendlich herrlich, es ist unendlich gewaltig.

Der heilige Johannes hat den schönen Satz in seinem Evangelium geschrieben: „Gott ist die Liebe.“ Er hat nicht die Liebe, wie wir sie haben, oder auch, wie wir sie nicht haben. Nein, Gott ist die Liebe. Die Liebe ist in ihm identisch mit seinem Wesen. Wenn wir Gott Affekte, Gefühle, zuschreiben, wie z. B. Sehnsucht, Trauer, dann ist das menschlich gesprochen. In Gott sind diese Affekte nicht in der Weise, wie sie in einem Menschen sind. Wenn wir sagen: „Gott haßt“, dann meinen wir damit seinen Abscheu gegen das Böse, aber nicht, als ob in ihm eine Feindschaft wäre, wie Menschen einander Feinde sein können.

So müssen wir also Gottes Wollen verstehen, daß wir ihm die reine Vollkommenheit des Wollens zuschreiben, aber alles, was negativ ist am Wollen, von ihm abwehren, vielmehr das, was am Wollen richtig und schön ist, in unendlicher Steigerung, in eminenter Weise, in Gott suchen.

Zweitens: Der Gegenstand des göttlichen Wollens. Was will denn Gott? Er will sich selbst. Er liebt sich selbst an erster Stelle, und zwar notwendig. Er erkennt seine unendliche Vollkommenheit, und er durchschaut mit seinem Wissen diese Vollkommenheit. Darum kann er gar nicht anders, als sich selbst mit unendlicher Liebe zu lieben. Das ist sehr lehrreich für uns. Wir haben manchmal ein ungutes Gefühl, wenn wir von der Selbstliebe sprechen. Aber die Selbstliebe ist berechtigt. Wir dürfen uns, ja wir müssen uns selbst lieben. Deshalb erinnert Christus den reichen Jüngling an das Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Also wir dürfen uns selbst lieben. Und Gott liebt sich selbst notwendig mit unendlicher Liebe. „Alles hat Jahwe um seiner selbst willen geschaffen“, sagt die Heilige Schrift.

Das ist also das primäre und das formale Objekt des göttlichen Willens, seine eigene Wesenheit. Gott liebt aber auch die Geschöpfe. „Du hassest nichts von dem, was du geschaffen“, sagt wiederum die Heilige Schrift. „Du liebst alles, was du geschaffen hast; denn hättest du es nicht geliebt, hättest du es nicht geschaffen.“ Gott liebt alles, was er geschaffen hat, er gibt ihm seinen Wert und seine Kraft und seine Güte.

Das Geschaffene liebt Gott mit der selbstlosen Liebe, die wir uns in seinem Erlösungswerk vor Augen führen können. Es ist eine Liebe des Wohlgefallens und des Wohlwollens. Die Geschöpfe sind ein Abglanz, ein irdischer, ein endlicher Abglanz der Schönheit Gottes. Und darin vermögen wir etwas zu erkennen von der Liebe Gottes. Wenn er den Geschöpfen von sich mitgeteilt hat, wenn er die Geschöpfe liebenswürdig gemacht hat, dann erkennen wir darin seine große Liebe.

Nun erheben sich freilich schwere Fragen: Hat Gott auch das Leiden, Krankheit und Tod geschaffen? Wie steht es mit der Schuld und mit der Sünde? Will Gott auch das Übel? Wir müssen unterscheiden: Die physischen Übel, also Krankheit, Leid, Tod, hat Gott nicht um ihrer selbst willen geschaffen; denn Gott hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Aber er hat Krankheit, Leid und Tod insofern in seine Weltordnung eingebaut, als sie einem höheren Zweck dienen. Im Tierreich beobachten wir, daß bestimmte Tierarten anderen zur Nahrung dienen, und auch der Mensch tötet Tiere, um sich ihrer zu bedienen. Es ist das offenbar von Gott so gewollt, daß die eine Art von der anderen verbraucht wird. Und wir dürfen darin keinen Mangel der göttlichen Weltordnung sehen. Die physischen Übel benutzt Gott auch, um höhere Zwecke der sittlichen Ordnung zu erreichen, z. B. zur Strafe oder zur Erprobung. Im Buche Tobias heißt es: „Weil du angenehm warst vor Gott, mußtest du dich in der Prüfung bewähren.“ Gott will den Menschen prüfen. Die Prüfung ist ein wesentliches Mittel der göttlichen Führung. Schon im Paradies war den Menschen eine Prüfung auferlegt. Und so müssen auch wir uns immer wieder auf Prüfungen Gottes gefaßt machen. Das ist auch im Bereich der Welt so. Als die große Brücke von Köln nach Mülheim über den Rhein gebaut wurde, hat man die Brücke zunächst erprobt, bevor man sie für den Verkehr freigab. Man hat Lastwagen auf die Brücke gefahren, die mit Bleibarren beladen waren. Nach der Berechnung der Statiker mußte die Brücke sich um einen halben Meter senken, wenn sie voll belastet war. Und so geschah es. Als die Lastwagen auf der Brücke waren, senkte sie sich um einen halben Meter, und als man die Lastwagen wieder herabfuhr, hob sich die Brücke um diesen halben Meter. Sie hatte die Probe bestanden.

Ähnlich ist es auch im sittlichen und religiösen Bereich. Gott erprobt den Menschen, ob er Gehorsam besitzt, ob er Tragkraft besitzt, ob er Glauben besitzt, ob er Hoffnung besitzt, ob er Liebe besitzt. Die physischen Übel werden von Gott zu diesem Zweck benutzt. Anders ist es mit den moralischen Übeln, mit der Sünde. Sie will Gott auf keine Weise. Gott ist ein Gott, der den Frevel nicht liebt. Warum gibt es aber doch Schuld und Sünde? Aus zwei Gründen. Einmal, weil Gott die Freiheit des Menschen achtet. Ihm ist die freie Liebe des Menschen so viel wert, daß er in Kauf genommen hat, daß diese Freiheit auch mißbraucht wird. Und zum zweiten: Gott läßt das Böse zu, weil er imstande ist, auch aus dem Bösen Gutes werden zu lassen. Der ägyptische Josef sagte zu seinen Brüdern, die ihn verkauft hatten: „Ihr sannet Böses wider mich, aber Gott hat es zum Guten gewendet.“ Also auch das Böse kann in Gottes Weltplan eingebaut sein und Gutes wirken. Das Böse kann Gott auch insofern preisen, als es den Menschen seine Gerechtigkeit in der Strafe oder seine Barmherzigkeit im Verzeihen offenbart.

Das ist also der Gegenstand des göttlichen Wollens. Nun drittens die Eigenschaften des göttlichen Wollens. Sich selbst liebt Gott notwendig, aber alles andere liebt er mit Freiheit. Was Gott geschaffen hat, das hat er nicht unter einem Zwang geschaffen, unter einer Notwendigkeit, die ihm auferlegt worden wäre, sondern in Freiheit. Gott schafft in Freiheit. Auch Gottes Freiheit hat Grenzen. Gott ist z. B. nicht frei, das Böse zu tun. Diese Freiheit hat Gott nicht. Das ist ja auch im Grunde keine Freiheit, sondern ist eben ein Mißbrauch der Freiheit. Gott hat die Freiheit, zu schaffen oder nicht zu schaffen. Er hat die Freiheit, zwischen verschiedenen guten Handlungen zu wählen. Aber er hat nicht die Freiheit, das Böse zu tun. Diese Erbschaft unserer Freiheit fehlt, wenn man so sagen will, Gott. Aber das ist kein Mangel, sondern das ist eine Vollkommenheit seiner Freiheit. Also in Freiheit schafft Gott.

Dann aber auch zweitens mit Allmacht. Wir bekennen Gott als den Allmächtigen. In jedem Glaubensbekenntnis heißt es: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater.“ Die hebräische Sprache drückt das aus mit den Worten „El Schaddai“. Das wird im Griechischen übersetzt mit Pantokrator, Allherrscher. Gott ist allmächtig. Die Macht ist diejenige Kraft, die das ausführt, was die Erkenntnis ersinnt und der Wille befiehlt. Gott kann alles, was möglich ist, ins Leben rufen. Er ist allmächtig. Und so sagt der Engel auf die verwunderte Frage der Jungfrau Maria „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Bei Gott ist kein Ding unmöglich! Bei Gott ist alles möglich.

Freilich muß man auch hier, meine lieben Freunde, die Präzisierung anbringen, daß Unsinniges zu tun Gott nicht möglich ist. Gott kann nicht widerspruchsvoll handeln. Er kann nicht das Unsinnige hervorrufen. Er kann beispielsweise mathematische Gesetze nicht außer Kraft setzen. Das wäre Unsinn, und Unsinn ist nicht in Gott. Er kann auch nicht das Geschehene ungeschehen machen. Was einmal passiert ist, das ist passiert, und es ist Gott unmöglich, ein Ereignis aus dem Buch der Geschichte zu tilgen. Also in sich Widerspruchsvolles muß von der Allmacht Gottes ausgenommen werden. Dagegen ist das, was er schafft, von wunderbarer Kraft und Gewalt, ob im Makrokosmos, in der großen Welt, ob im Mikrokosmos, in der kleinen Welt.

Immer wieder, meine lieben Freunde, bitte ich Sie, Ihre Blicke zum gestirnten Himmel zu erheben, um in den Sternen einen Abglanz der Herrlichkeit unseres Gottes zu erkennen. Die Sonne, der herrliche Stern, der unseren Planeten erwärmt und erhellt, die Sonne, wie ist sie wunderbar! Ein Sonnenstrahl braucht 8 Minuten und 17 Sekunden, um von der Sonne zur Erde zu kommen. In jeder Sekunde aber legt der Sonnenstrahl 300.000 Kilometer zurück. Der nächste Fixstern ist Alpha Zentauri. Die Alpha Zentauri ist von der Sonne 225.000 mal so weit entfernt wie die Sonne von der Erde, das sind dreieinhalb Lichtjahre. Ein Lichtjahr ist die Strecke, die ein Lichtstrahl in 1 Jahr zurücklegt, und zwar sind das genau 9,48 Billionen Kilometer. Da können wir uns eine Ahnung davon verschaffen, welche unermeßliche Welt der Sterne Gott, der Allmächtige, geschaffen hat. 10.000 Lichtjahre – rechnen wir – sind die äußersten Sternensysteme unseres Milchstraßensystems von uns entfernt. Und das Milchstraßensystem ist das nächstliegende. Das ist die große Welt, die uns zur Anbetung der Allmacht unseres Schöpfers führen kann.

Die kleine Welt ist nicht weniger überwältigend. Wenn man die Schuppen, die auf einem Schmetterlingsflügel aufgetragen sind, zählt, kommt man auf 100.000. 100.000 fein gestaltete kleine Schuppen liegen auf einem  Schmetterlingsflügel. Oder ein Faden der Spinne, eine Spinnwebe, die wir kaum sehen, ist aus 4.000 Fäden zusammengesetzt. Es gibt Insekten, deren Flügel so fein ist, daß, wenn man 50.000 Flügel dieser Insekten aufeinanderlegt, auf 7 Millimeter kommt.

Wahrhaftig: „Gott, o Gott, wie herrlich ist dein Name allüberall auf der Erde! Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, den Mond und die Sterne, die du aufgestellt, was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst? Alles hast du mit Weisheit und Kraft, mit deiner Allmacht geschaffen!“ Allmächtig ist Gottes Wille, und deswegen nennen wir ihn den Allherrscher, den Pantokrator. Er besitzt als Schöpfer das absolute Eigentumsrecht und die absolute Herrschergewalt über alles Geschaffene. Weil er der allmächtige Schöpfer ist, muß der Mensch, das Geschöpf, ihn anerkennen. Das ist der Grund, warum man beten muß, warum man in die Kirche gehen muß; damit wir Gott gegenüber nicht stumm bleiben, sondern damit wir seine Herrlichkeit anerkennen. Wenn da jemand sagt: Der Gottesdienst gibt mir nichts, dann ist das völlig unerheblich. Du mußt Gott deine Anerkennung geben. Du mußt Gott anbeten, wenn du nicht ein undankbarer und gottvergessener Mensch sein willst. Gottes Allherrschaft verlangt von uns Annahme seiner Offenbarung, Tun seines Willens und Kult der Anbetung. Wenn wir also unsere Knie beugen vor Gott, dann leben wir seinsgerecht, dann tun wir das, was Gott von uns will, dann tun wir das, was in unserem Sein angelegt ist, nämlich wir erkennen Gott als den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde an.

Und weil Gott allmächtig ist, deswegen wird auch im Segen, den der Priester über die Gemeinde herabruft, immer gesagt: „Es segne euch der allmächtige Gott.“ Er, der mächtig ist, alles zu vollbringen, was möglich ist, er segne euch, d. h. er schenke euch das Heil, er schenke euch die Führung, er schenke euch das Glück, das zu schenken er fähig ist. 

Amen.

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