Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. August 2002

Die Erziehungsaufgabe der Eltern (4.)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag hatten wir das 4. Gebot betrachtet, und zwar aus dem Blickwinkel der Kinder. Wir hatten mit Kinderaugen auf die Eltern geschaut. Heute wollen wir die umgekehrte Blickrichtung wählen; wir wollen mit den Augen der Eltern auf die Kinder schauen.

Weit müssen unsere Blicke gehen, wenn wir die Eltern suchen, vielleicht an ein Grab auf einem Friedhof und in das Jenseits hinein, vielleicht auch über eine weite Entfernung der Entfremdung und des Mißtrauens und der Enttäuschung. Es kann sein, daß alles bisherige Glück unseres Lebens und alles bisherige Leid unseres Lebens eingeschlossen liegt in den zwei Worten Vater und Mutter. Wenn wir an unsere Kinder denken, dann wird es in manchen Herzen froh werden; wir denken gern an manche Kinder. Aber es wird auch in vielen die bange Sorge aufstehen, die Qual von Selbstvorwürfen und die Bitterkeit von Erfahrungen. Wie mancher Vater, wie manche Mutter hat schon zu mir gesagt: Ich verstehe mein Kind nicht mehr. Mein Kind versteht mich nicht, und: Ich bin gescheitert an meinen Kindern! Ich habe alles getan; ich habe gearbeitet, gedarbt, gebetet, geweint, geduldet, aber es ist alles umsonst gewesen.

 Wenn wir wissen wollen, wie wir über unsere Kinder denken müssen, dann müssen wir die Gedanken Gottes über unseren Kindern erforschen. Was denkt Gott von unseren Kindern? Was denkt Gott von der Aufgabe, die wir gegenüber den Kindern haben? Am glücklichsten und am erfolgreichsten sind immer noch die Eltern, die von Gott her zu ihren Kindern kommen, die mit einem göttlichen Auftrag zu den Kindern gehen. Was will Gott, daß wir den Kindern tun sollen? Die Kinder, die Gott uns gegeben hat, seien es die leiblichen, seien es die geistigen Kinder, sind eine Aufgabe. Eine Aufgabe hat uns Gott damit übertragen. Die Kinder sind kein Genußmittel, daß man sich an ihrer Drolligkeit erfreuen kann. Die Kinder sind kein Spielzeug, mit dem man sich die Zeit vertreibt. Die Kinder sind auch kein Eigentum, das immer bei uns bleibt, das wir behalten können und mit dem wir machen können, was wir wollen. Die Kinder sind auch keine billige Arbeitskraft. Die Kinder sind eine Aufgabe. Gott hat uns die Kinder als eine Aufgabe gegeben, genauer gesagt: als eine Erziehungsaufgabe. Daß wir die Kinder aufziehen durch Nahrung, Kleidung, Wohnung, Pflege, das ist ja selbstverständlich. Das ist eigentlich der Erwähnung in unseren Breiten kaum bedürftig. Aber daß wir sie erziehen sollen, darüber muß wohl gesprochen werden. Wir sollen die Kinder erziehen, und da erhebt sich die Frage: Ja, kann man denn überhaupt erziehen? Läßt sich überhaupt etwas machen mit den Menschen? Wir dürfen keine übertriebenen Vorstellungen von Erziehung haben. Selbstverständlich kann man die Erbanlagen nicht ändern. Die Grundlagen des Charakters und des Willens und des Verstandes liegen fest. Man kann auch keine Entwicklungsstufen überspringen. Erziehung heißt auch nicht, daß die Kinder alle Urteile, Anschauungen und Ansichten übernehmen müssen, die wir haben. Sie müssen nicht unserer Geschmacksrichtung folgen. Was heißt dann Erziehung? Erziehung heißt die naturgegebenen Fähigkeiten des Kindes unterstützen und bei ihrer Entwicklung helfen und die naturgegebenen Schwächen des Kindes nach Möglichkeit auszugleichen versuchen. Das ist Erziehung: Die naturgegebenen Fähigkeiten unterstützen und die naturhaften Schwächen überwinden.

Um zur Erziehungsarbeit fähig zu sein, müssen die Erzieher, müssen die Eltern selbstlos sein. Selbstlosigkeit ist die wichtigste Eigenschaft eines Erziehers; nichts für sich haben wollen, sondern alles für die Zöglinge tun wollen. Nichts für sich erwerben wollen, sondern alles denen geben, für die wir aufgestellt sind als Erzieher. Also nicht die eigene Laune, die eigene Gereiztheit, die eigene Sehnsucht, die eigene Klage im Verhältnis zu unseren Zöglingen laut werden lassen, sondern immer nur das Wohl des Kindes, den Fortschritt des Kindes, die Entwicklung des Kindes, das Schicksal des Kindes, daß es dem Kinde gut geht, hienieden und in der Ewigkeit – das ist die Erziehungsaufgabe, die uns gestellt ist.

Die erste dieser zweiteiligen Aufgabe ist, das Gute im Kind zu unterstützen und zu entwickeln. Jedes Kind hat gute Anlagen, hat gute Talente. Wir müssen seine Begabung erkennen und sie fördern, dürfen nicht seine Begabung ersetzen wollen durch etwas, was uns besser paßt. Wir müssen auch seine Neigungen, soweit sie gut und brauchbar sind, fördern, auch wenn sie uns nicht gefallen. Wenn die Neigungen gut und brauchbar sind, dann müssen wir sie gelten lassen. Wir dürfen nicht die Kinder in etwas hineinzwingen, wofür sie nicht geschaffen sind. Es gibt törichte Eltern, die ihre Kinder unbedingt zum Studium zwingen wollen, auch wenn sie eine praktische Begabung haben. Das heißt nicht erziehen, sondern das heißt Menschen verbiegen. Wenn wir das Gute, was in den Kindern ist, anerkennen und unterstützen, dann dürfen wir auch nicht fortwährend auf sie einreden. Es wird in manchen Familien viel zu viel auf die Kinder eingeredet. Man muß den Kindern auch eine gewisse Freiheit lassen. Sie müssen sich entwickeln dürfen, sie müssen spielen dürfen, sie müssen schreien dürfen. Das sind alles notwendige Entwicklungsstadien, die muß man hinnehmen.

Wir sind auch nicht die einzigen Erzieher. Die Eltern sind nicht die einzigen Erzieher ihrer Kinder. Die Eltern haben Miterzieher, an erster Stelle die Geschwister. Die Geschwister sind manchmal geschicktere Erzieher als die Eltern. So manches Einzelkind ist arm dran gewesen, weil es diese Miterzieher nicht gehabt hat. Ein älterer Bruder, eine ehrfurchtgebietende Schwester vermag viel an jüngeren Kindern zu erziehen und zu erreichen. Miterzieher sind auch die Spielkameraden und Schulfreunde. Gewiß, wir müssen mit einer gewissen Sorge sehen, wenn unsere Kinder auf die Spielplätze gehen und auf die Straße, was sie da hören und sehen, was sie da lernen. Aber diese Sorge darf nicht davon abhalten, daß wir die Kinder zu den Spielkameraden gehen lassen. Sie davon fernzuhalten wäre noch viel schlimmer und viel verhängnisvoller.

Miterzieher sind auch Schule und Kirche. Wir dürfen diese Miterzieher nicht konterkarieren, indem wir unangebrachte Kritik üben, indem wir ein widerspenstiges Beispiel geben oder indem wir Widerspruch gegen das einlegen, was Lehrer und Priester aufgebaut haben. Wenn sich die Erzieher nicht einig sind, werden die Kinder bald alle verachten.

Die zweite dieser zweiteiligen Aufgabe ist, das Niedere im Kinde zu besiegen, das Fehlende zu schaffen, das Widerspenstige auszugleichen. Jedes Kind hat auch schlechte Anlagen, es hat auch niedere Neigungen: Egosimus, Grausamkeit, Trägheit, Launenhaftigkeit, Bequemlichkeit, Rechthaberei, Sinnlichkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Angst, das alles muß vom Erzieher gesehen und zu überwinden gesucht werden. Alle Kinder haben Fehler, nicht bloß die Kinder der Nachbarn und der Kollegen, alle Kinder haben böse Neigungen, und wir müssen versuchen, ihnen zu wehren. Wenn wir solche Neigungen feststellen, ist das kein Anlaß zu verzagen oder zu verzweifeln, es ist ein Anlaß zu arbeiten. Jede Hemmung läßt sich überwinden durch eigene Arbeit, mit der Hilfe Gottes und mit der Hilfe guter Menschen. An keinem brauchen wir zu verzweifeln, sondern bei allen heißt es, durch Arbeit das überwinden, was aus dem Wege geraten ist. Bei dieser Arbeit gibt es drei Hilfen, 1. die Autorität, 2. das Beispiel und 3. das Vertrauen.

Die erste Hilfe bei der Erziehung ist die Autorität. Die Kinder haben in den Eltern Autoritäten zu erblicken, und die Eltern haben sich zu verhalten, wie sich Autoritäten nun einmal verhalten müssen. Sie haben eine Führungsaufgabe. Erziehen heißt nicht schwächliches Hingehenlassen, erziehen heißt führen. Selbstverständlich müssen Kinder spielen, aber sie müssen auch lernen zu arbeiten. Die Erziehungsaufgabe wird nicht durch Schlagen erfüllt. Es mag sein, daß ganz ohne körperliche Züchtigung eine Erziehung, jedenfalls in frühen Jahren, nicht möglich ist. Aber ein eigentliches Erziehungsmittel ist die Gewalt nicht, sondern das eigentliche Erziehungsmittel ist die Kraft der Persönlichkeit des Erziehers, ist seine Unbeugsamkeit im Durchsetzen des Rechten. Diese Führungsaufgabe erfüllen wir, wenn wir die Kinder zur Arbeit erziehen. Arbeit ist nicht irgendwelche Beschäftigung; Arbeit ist zielstrebige und zweckbestimmte Beschäftigung. Arbeit ist durch Zwecke, also durch Mittel, durch Aufwand von Kraft und Zeit bestimmt. Wehe dem Kind, das nicht arbeiten gelernt hat! Wehe dem Kind, das nicht durch geduldiges Ausharren und ständige Tätigkeit gelernt hat, ein gestecktes notwendiges Ziel zu erreichen!

Freilich müssen wir den Kindern Ziele setzen, die sie erreichen können. Aber die sie erreichen können, die müssen sie auch erreichen. Da müssen wir unsere ganze Unerbittlichkeit, ja, wenn notwendig, unsere Härte einsetzen, daß sie diese Ziele erreichen. Das Kind darf nicht von Einfällen, von Launen, von Willkür bestimmt werden. Es muß lernen, der Arbeit als der Pflicht zu gehorchen. Kein Mensch wird je etwas leisten und werden, der nicht gelernt hat, intensiv zu arbeiten und der Pflicht zu folgen. Das muß im frühesten Alter einsetzen.

Unsere Forderungen an die Kinder werden dann anerkannt werden, wenn sie sinnvoll und wertvoll sind. Die Kinder müssen Einsicht gewinnen in die Notwendigkeit, in die Werthaftigkeit unserer Befehle und unserer Weisungen. Diese Einsicht gewinnen sie am leichtesten, wenn sie unsere Persönlichkeit als wertvoll und als sinnvoll erkennen. Kinder sind scharfe Beobachter. Sie durchschauen die Eltern, und sie wissen, was in ihnen ist. Sie wissen, ob sie echt sind oder nicht. Sie wissen, ob sie nur so tun oder ob sie wirklich so sind, und ob sie sie deswegen ehren und achten und auch annehmen, oder ob sie sie  ablehnen und verwerfen müssen. Es kommt also darauf an, daß wir unser Beispiel den Kindern bieten. Worte verfliegen, das Beispiel bleibt im Gedächtnis haften. Deswegen, meine lieben Freunde, ist es am schönsten, wenn Kinder sagen: Ich möchte so werden, wie der Vater ist. Ich möchte so werden, wie die Mutter ist. Wenn die Kinder das sagen können – gesegnet seien diese Eltern!

Das wichtigste Erziehungsmittel freilich ist das Vertrauen. Wenn die Kinder Vertrauen haben in die Sachlichkeit, in die Ehrlichkeit, in die selbstlose Liebe der Eltern, dann werden sie ihnen auch folgen auf ihren Wegen. Vertrauen in die Ehrlichkeit, in die Sachlichkeit, in die selbstlose Liebe. Vertrauen ist eine Gabe und eine Gnade. Aber man kann es sich erwerben, und man kann sich seiner unwert machen. Wir machen uns des Vertrauens unwert, wenn wir die Kinder beschämen vor anderen, wenn wir sie herabsetzen trotz ihres guten Willens. Das Vertrauen geht verloren oder kann gar nicht wachsen, wenn Kinder ungerecht und parteiisch behandelt werden, wenn sie von launenhafter Willkür und von leidenschaftlicher Aufgeregtheit bestimmt werden. Da kann kein Vertrauen wachsen. Eltern müssen stets beherrscht sein und an das Wohl ihrer Kinder denken. Sie können nicht alles gewähren, das müssen die Kinder verstehen, aber sie können alles verzeihen und alles vergeben.Vertrauen kann man sich erwerben, indem man selbst Vertrauen schenkt. Nur der wird Vertrauen finden, der selber Vertrauen gibt, der den Zöglingen etwas anvertraut, der sie wachsen läßt, sofern diese Wachstumsperioden einwandfrei sind, der nicht fortwährend an ihnen herummäkelt und etwas anderes will, als die Kinder wollen, wenn sie berechtigt etwas wollen. Überwachung muß sein, aber sie darf nicht zum Spionieren werden. Man muß dem Kinde seine kleinen Schubläden lassen, wo es seine Geheimnisse birgt. Vorsicht muß sein, aber sie darf nicht zum Mißtrauen werden. Wir müssen den Kindern mit einem Vorschuß an Vertrauen entgegenkommen, und wenn das Kind uns etwas anvertraut, dann dürfen wir nicht hochmütig oder hart sein, sondern dann müssen wir das ernst nehmen und gar nicht einmal uns erstaunt zeigen, es hüten wie ein Beichtgeheimnis. Dann erwerben wir uns das Vertrauen unserer Kinder. Und dieses Vertrauen, meine lieben Freunde, das soll wachsen. Es soll wachsen, solange die Eltern leben. Die Eltern haben sich als gute Erzieher erwiesen, zu denen die Kinder auch im Erwachsenenalter noch kommen können, um ihnen alles zu sagen, was sie bewegt und bedrückt und beschämt. Der Weg, den man mit einem vertrauten Menschen, den man mit einem Menschen geht, dem man vertrauen kann, der Weg ist immer ein guter Weg, denn der Mensch, mit dem man diesen Weg geht, ist ein guter Mensch.

Amen.

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