Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Juni 1992

Fronleichnam – Prüfstein des Glaubens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Mit dem Fronleichnamsfest hat es eine eigene Bewandtnis. Wir kommen jeden Sonntag zusammen, um das heilige Meßopfer miteinander zu feiern, und viele besuchen auch an den Werktagen die heilige Messe, um in das Opfer Christi einzugehen. Die Teilnahme an der heiligen Messe ist eine innere und eine äußere, das Opfer Christi und die Aufopferung seiner selbst, sie vollendet sich im Genuß der heiligen Opferspeise, im Empfange der heiligen Kommunion. Und doch sind Meßopfer und Kommunion noch nicht alles, was man über das eucharistische Opfersakrament sagen kann und sagen muß. Es gibt gewissermaßen eine Probe auf den Glauben an das eucharistische Opfersakrament. Und diese Probe wird abverlangt am Fronleichnamstag. Denn an Fronleichnam begnügen wir uns nicht mit der Feier des Meßopfers und mit dem Empfang der heiligen Kommunion, sondern wir bekennen unseren Glauben an die wahre, wirkliche und wesentliche Gegenwart des Herrn durch Anbetung in aller Öffentlichkeit. Durch Anbetung! Die Anbetung ist die Probe auf den Eucharistieglauben. Wer mit uns glaubt, der muß auch mit uns anbeten, und wer nicht mit uns anbetet, von dem kann man auch nicht sagen, daß er mit uns glaubt.

Heute hört man die Rede: Die Protestanten, die glauben doch auch an das Abendmahl. Ja gewiß, aber in ihrer Weise. Und der entscheidende Punkt liegt darin, daß sie weder an das Meßopfer glauben noch an die Pflicht zur Anbetung. Sie vertreten eine Gegenwart des Herrn im Genuß, also nicht vor dem Genuß und nicht nach dem Genuß. Die katholische Lehre lautet: Christus ist gegenwärtig vom Augenblick der Wandlung an, bis die Gestalten nicht mehr vorhanden sind, ante usum et post usum – vor dem Genuß und nach dem Genuß. Die Protestanten bekennen etwas ganz anderes. In ihrer Konkordienformel von 1577, also ihrem Glaubensbekenntnis, heißt es: Extra usum cum reponitur aut asservatur in pyxide aut ostenditur in processionibus, ut fit apud Papistos, sentiunt (Lutherani) corpus Christi non adesse. Das heißt zu deutsch: Außerhalb des Genusses, wenn das Sakrament zurückgesetzt wird oder aufbewahrt wird im Speisekelch oder gezeigt wird in den Prozessionen, wie es bei den Papisten – das sind die katholischen Gläubigen! – geschieht, sind die Lutheraner der Meinung, da ist der Leib Christi nicht anwesend. Also nach lutheranischer Auffassung betreiben wir bei der Fronleichnamsprozession Brotanbetung. Das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, um Verwirrungen vorzubeugen. Wir haben nicht denselben Eucharistieglauben. Es klaffen unüberbrückbare Abgründe zwischen protestantischer Auffassung und katholischer Lehre.

Wegen dieser Gegensätze hat das Konzil von Trient den katholischen Eucharistieglauben in drei Adverbien gefaßt: Christus ist gegenwärtig „wahrhaft, wirklich und wesentlich“. Diese Ausdrücke sind mit Bedacht gewählt, denn ein jeder wendet sich gegen eine falsche Auffassung von protestantischer Seite. Wahrhaft, vere, das ist im Gegensatz zu „bloß dem Zeichen nach“, wie es Zwingli gelehrt hat. Wahrhaft, nicht bloß dem Zeichen nach, sondern in Wirklichkeit. Wirklich, realiter, das wendet sich gegen Oekolampad, der der Meinung war, Christus sei gegenwärtig „dem Bilde nach“. Nein, nicht nur dem Bilde nach, sondern realiter – wirklich, der Wirklichkeit nach. Wesentlich, substantialiter, nicht bloß der Kraft nach, wie es Calvin sagt: Christus sei gegenwärtig der Kraft nach, er übe eine Kraft aus auf die Teilnehmer. Nein, er ist wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig vor dem Genuß und nach dem Genuß, nicht nur im Augenblicke des Genusses. Deswegen ist es so entscheidend, meine lieben Freunde, daß wir Fronleichnam begehen.

Man hat in der neuen Meßordnung die Zeichen der Anbetung sehr vermindert. Wenn Sie genau beobachten, dann stellen Sie fest, daß der Priester in der Messe Pius' V. viel mehr Kniebeugungen macht als in der Messe Pauls VI. Das hat einen guten Grund. Man hat die Zeichen der Anbetung vermindert. Zum Beispiel: Es ist jetzt nur noch eine Kniebeuge vorgesehen nach dem Aussprechen der Wandlungsworte, während in der Messe Pius V. je zwei Kniebeugen vorgeschrieben sind. Kniebeugen sind eben Zeichen der Anbetung. Damit aber die Anbetung nicht in Vergessenheit gerät, damit durch die Anbetung der Inhalt des eucharistischen Opfersakramentes bekannt und geschützt wird, deswegen feiert die Kirche das Fronleichnamsfest. Da steht die Anbetung im Mittelpunkt. Das Meßopfer und die Kommunion vollziehen sich an jedem Sonntag, aber die Anbetung – „Laßt und tiefgebeugt verehren ein so heil'ges Sakrament“ – das ist das Spezifische des Fronleichnamstages. Und wer uns sagt, wir haben denselben Glauben, dem geben wir zur Antwort: Dann komm und nimm an unserer Fronleichnamsprozession teil! Dann beuge deine Knie und singe mit uns: „Tantum ergo Sacramentum veneremur cernui“ – Laßt uns tiefgebeut verehren ein so großes Sakrament.

Wir wissen, meine lieben Freunde, daß die Wahrheit der Gegenwart Christi dem Denken Probleme aufgibt. Aber mit welchem Werke Gottes ist das nicht der Fall? Alle Werke Gottes sind groß und für unseren Verstand schwer zu durchdringen. Wer hat die Keplerschen Gesetze noch nicht bewundert! Wer hat vor der Photosynthese, die die Pflanzen in sich vollziehen unter dem Einfluß von Licht und Wasser, noch nicht mit Staunen gestanden! Die größten Werke freilich sind diejenigen, wo Gott die Kreatur zu sich erhebt und sich gleichzeitig zu ihr neigt. Niemals hat Gott  das Geschöpf mehr zu sich erhoben als im eucharistischen Opfersakrament, und zwar in einer doppelten Weise: Hier geht er ein in die Früchte dieser Erde, in Brot und Wein, und hier macht er den Menschen teilhaftig seiner eigenen Wirklichkeit. Wir werden tatsächlich Gottesträger; wir werden Christusträger in diesem heiligen Sakrament.

Wenn wir uns fragen: Wie hätte Gott es machen sollen, damit der Verstand keine Einwände findet?, so müssen wir antworten: Der Mensch, der nicht glauben will, wird immer Einwände finden gegen die Werke Gottes, gegen seine Weisheit und seine Allmacht. So, wie er es getan hat, ist es offenbar richtig. Er wußte, daß man auf diese Weise ihn am unbefangensten, aber auch am intensivsten aufnehmen kann. Wenn wir am Fronleichnamstage unsere Knie beugen vor dem, der wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig ist, dann wissen wir, daß wir uns im Glauben der Kirche von Anfang an befinden. Die sogenannten Reformatoren haben auch gewußt, daß der katholische Eucharistieglaube so alt ist wie die Kirche. Aber sie glaubten es besser zu wissen. Man hat die Einsetzungsworte „Das ist mein Leib – das ist mein Blut“ in vielfacher Weise zu verstehen versucht. Es werden achtzig – achtzig! – verschiedene Auslegungen für die Einsetzungsworte gezählt. Aber nur eine ist richtig, nämlich diejenige, die in der von Christus gegründeten Kirche gelehrt wird, die der Heilige Geist in der Wahrheit hält.

Wir wollen an diesem Tage unseren Glauben an das eucharistische Opfersakrament erneuern. Wir wollen im Herzen und mit wahrer Glut den im Sakrament gegenwärtigen Herrn anbeten, nicht nur unsere Knie, sondern auch unseren Verstand und unser Herz beugen und ihm danken und ihm huldigen und ihm zujubeln: „Laßt uns tief gebeugt verehren ein so großes Sakrament!“

Amen.

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