Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Mai 2025

Christi Himmelfahrt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In jener Stunde wurde Jesus, der gehorsame und demütige Knecht Gottes, der gekreuzigt und getötet worden war im Dienst Gottes und der Liebe, in die volle und ungetrübte Herrlichkeit seines Vaters aufgenommen. Da wurde die letzte Folgerung aus seinem Wesen, Wirken und Leiden gezogen. Da ward er an den Platz gestellt, der ihm zukam nach allem, was er gewesen war und was er gewirkt hatte; an einen Platz der Herrschaft und Ehre, der Seligkeit und Liebe; an einen Platz von so gewaltiger Höhe und Vornehmheit, dass man ihn als den Platz der Rechten Gottes bezeichnen kann. Das ist natürlich nur ein Vergleich und ein Bild; denn in Gott gibt es keine rechte und linke Seite. Aber es ist ein Bild für etwas Wirkliches: Jesus, unser Heiland, der Gekreuzigte, ist nun in eine Ehre und Herrschaft bei Gott eingesetzt, die man in aller Wahrheit als ein Teilhaben an Gottes Macht und Seligkeit bezeichnen kann. Es ist nun buchstäblich in Erfüllung gegangen, was beim Propheten Isaias vor Jahrhunderten über ihn geschrieben worden war: Der Wille Gottes wird in seine Hand gelegt und wird in seiner Hand gelingen. Von diesem Tage an ist ihm in der Tat alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Das ist ein Ereignis und eine Tatsache, die für uns von größter religiöser Bedeutung ist; denn alles, was mit Jesus geschieht, ist auch unser Anteil, unsere Erwartung, unsere Erfüllung. Indem Jesus zur Rechten Gottes Platz nimmt, tritt er auch im vollsten Sinne in unsere Mitte, in die Mitte des Christentums und der Christenheit. So können wir an dem Ereignis der Himmelfahrt sehen, welches das Wesen des Christentums ist; worauf es bei dieser Religion ankommt; was es eigentlich heißt, ein Christ zu sein. All das ist enthalten in der Formel, die der Apostel Paulus mit Vorliebe gebraucht hat, weil sie wirklich die inhaltreichste Formel des ganzen Christentums ist, die Formel: Christus ist der Herr. Das ist der kürzeste Ausdruck für den Sinn und Inhalt des Himmelfahrtsgeheimnisses: Von jener Stunde an ist Christus der Herr.

Christus ist der menschgewordene Sohn Gottes, Gott und Mensch zugleich, der vom Vater kam und unter uns wohnte als Mensch; der aus Liebe zu uns dem Vater diente im schwersten Beruf und durch den Gottesdienst, den er leistete, auch uns den Zugang zum allheiligen Gott eröffnet hat; so dass wir an seiner Hand und mit ihm hintreten dürfen in die letzte und volle und selige Gottesgemeinschaft, die Gott uns um Jesu Christi willen schenken will. So soll sich das Gebet Christi an uns erfüllen: „Vater, ich will, dass sie, die an meinen Namen glauben, auch da seien, wo ich bin, und die Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast.“ Das sind Tatsachen. Christus ist unser Herr in dem größten und heiligsten Sinne, den diese Welt haben kann. Er ist unser Herr in einem dreifachen Sinne. Wir stehen zu Christus in einem Eigentumsverhältnis. Wir stehen zu ihm in einem Befehlsverhältnis. Wir stehen zu ihm in einem Dienstverhältnis.

I.

Christus ist unser Herr, weil wir sein Eigentum sind. Die Liebe kann einen Menschen dem anderen zum Eigentum geben, so dass aus zweien wirklich eine Eins wird, etwas Zusammengehöriges. Nun hat aber niemand eine größere Liebe, als wer sein Leben gibt für seine Freunde, so sagte Jesus gerade in der Stunde, als er selbst im Begriff war, sein Leben hinzugeben für seine Freunde. Und er hat es getan, er hat sich für uns hingegeben, seinen Leib, sein Blut, sein Herz. Die Menschen, für die er sich hingab, können nun ebenso aus dem gleichen Überschwang der Liebe sich für ihn dahingeben und ihm gehören wollen. Da ist also jene Liebe, die aus den vielen eins macht, da ist ein Zusammengehören; wir bilden eine Einheit mit ihm. Christus hat uns in seinem Heimgang zum Vater an der Hand genommen und ist mit uns eingegangen in das Heiligtum; er hat gesprochen: Siehe Vater, das sind die Meinen. Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich. Und ich will, dass sie auch da seien, wo ich bin. Also vor dem ewigen Gott und in aller Wirklichkeit gehören wir zu ihm, wir sind die zu Christus Gehörigen, die Christiani. Das ist der erste und tiefste Sinn unseres christlichen Namens gewesen. Christ sein hieß von Anfang an: zu Christus gehören; vor Gott und der Welt sind wir sein Volk, seine Jünger, sein Reich, ja sein Leib und sein Leben, wir sind aufgenommen in seinen Lebensverband. Seine Kraft und Gnade, seine göttliche Nähe, sein Leben aus dem Vater ist in uns, so dass wir in dem gleichen Ruf wie er sagen: Abba, Vater. Das ist nicht bloß ein Nachsprechen, sein eigener Geist ruft auch in uns dieses Abba. Es ist wie ein einziger Herzensschlag, wie eine einzige Liebeswelle, wie ein einziger warmer Hauch, der aus dem Herzen Christi und aus unserem Herzen aufsteigt und sagt: Abba, Vater! Wir gehören also zu ihm und bilden eine Einheit mit ihm. So ist auch unser Schicksal das gleiche wie das seinige. Es ist das gleiche Ziel, nämlich die Herrlichkeit beim Vater, und der gleiche Weg, der über einen Golgothaberg und durch ein Grabesdunkel hindurch auf einen Himmelfahrtsberg führt und von dort hin zur Rechten unseres Gottes und Vaters, auf dass wie seien, wo er ist. Denn wo der Herr ist, muss auch das Eigentum sein, das ihm gehört, das er sich verdient hat, das sich selbst ihm geschenkt hat, das ihm in gemeinsamer Liebe und gemeinsamer Not verbunden wurde.

II.

Daraus ergibt sich nun schon der zweite Sinn, den das Herrentum Christi über uns hat: Wir stehen zu ihm in einem Befehlsverhältnis. Da er uns zum Vater vorausgeht, uns an der Hand nimmt und dem Vater vorstellt, ist er unser Führer. Er hat also zu bestimmen, von welcher Art wir sein müssen, wenn er es auf sich nehmen soll, sich vor dem Vater zu uns zu bekennen. So steht es also bei ihm, unser Wesen, unseren Charakter, unser Leben und unsere Lebensform festzusetzen; zu erklären, wie er uns haben will. Es steht bei ihm zu sagen: Wer mir nachfolgen will, der tue das und lasse jenes. Der soll hier verzichten und dort etwas auf sich nehmen. Es steht bei ihm zu sagen: Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der kann mein Jünger nicht sein. Er ist der Gesetzgeber, der uns verkünden darf: Den Alten ward so gesagt: Aug` um Aug`, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch so: Liebet eure Feinde. Tuet Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen! Es steht bei ihm, uns zu sagen: Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe. Und daran soll man erkennen, dass ihr meine Jünger seid. Er darf uns auch drohen: Wer mich vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich verleugnen vor meinem Vater. Und er darf die Verheißung geben: Alles, was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. Und: wer mein Wort hält, der ist es, der mich liebt.

Das ist also das Befehlsverhältnis, in dem wir zu ihm stehen. Wenn wir zu seinem Leben eingehen wollen, müssen wir seine Gebote halten. Wenn wir vollkommen sein wollen, müssen wir ihm nachfolgen und alles andere verlassen. Ihm nachfolgen aber, das heißt, seinen Geist, seine Denkart, seine Seele in uns ausprägen; ihm nachfolgen heißt, so denken, wie er denkt, über Gott, über die Vorsehung, über das Leben, über die Sünde, über die Ewigkeit, über den Mammon, über unseren Bruder und über unser Volk, über die Armen und über die Reichen. Ihm nachfolgen heißt, so beten, so lieben, so leiden, so tragen, wie er es uns vorgemacht hat; heißt, sanft und demütig werden wie er, rein und pflichttreu wie er. Ihm nachfolgen heißt einander unsere Lasten tragen, wie er unsere Last getragen hat. Damit ist die christliche Sittlichkeit begründet ihrem Inhalt und ihrer Form nach. Seitdem Christus unser Herr ist, kann eine andere Moral, ein anderer Maßstab, ein anderes Gesetz nicht mehr in Frage kommen für uns. Kein Bischof von Limburg und kein Synodaler Prozess kann eine neue, billige Moral des Geschlechtlichen aufrichten. Es kann nur noch gelten die Bergpredigt: Selig die Selbstlosigkeit! Selig das Kreuztragen! Selig die Nächstenliebe! Selig die Erbarmung und der Gehorsam! Selig die Reinheit und der Idealismus, dem nichts liegt an dem Gewinn der ganzen Welt, wenn er dafür inneren und seelischen Schaden leiden müsste. Es kann also auch keine Entwicklung der Moral geben, die über Christus, den Herrn, hinausführt. Es kann keine Zeit kommen, wo an Stelle der Demut die Gewalt seliggesprochen werden könnte, an Stelle der Liebe der Hass, an Stelle des Erbarmens die Selbstsucht, an Stelle der Reinheit die Genussgier.

Auch formell ist nun das Sittengesetz auf eine endgültige Grundlage gestellt. Nun wissen wir für alle Zeiten, warum wir gut sein sollen, warum wir liebreich, erbarmungsvoll und rein sein sollen. Wenn Gott als Mensch zu uns kommt und wenn dieser Mensch uns an der Hand nimmt und sagt: Folge mir nach!, dann kann um dieses brüderlichen und zugleich göttlichen Menschen willen in uns allen die große Woge aufstehen, die uns mitreißt und hinreißt zu letzten Entscheidungen. Diese Woge heißt: für dich! und mit dir! Das ist die vollkommenste Sittlichkeit, und kein Imperativ, so kategorisch er sein mag, kommt ihm gleich, diesem Imperativ persönlich liebender Gefolgschaft: Ich will sein, wo du bist. Ich gehe hin, wo du hingehst. Ich will tragen und leiden, was du trägst. Ich will es nicht anders haben, als du es hast. Weil du der Herr bist, darum geschehe mir nach deinem Wort. Weil du mein Freund bist, darum lass mich bei dir bleiben. Weil du mein Erlöser bist, darum lass mich mit dir leiden. Weil du mein Gott und alles bist, darum lass mich dir anhangen. In dieser ganz persönlichen Nachfolge und Hingabe ist die weltbewegende Frage aller Sittlichkeit gelöst, die Frage, was gut ist und warum es gut ist und warum wir es wollen: Die Antwort heißt einfach: weil du es bist, mein Herr und Gott.

III.

Wenn der Herr seine Knechte seine Freunde nennt, dann wird dadurch eine neue Art von Herrentum verwirklicht, nämlich das Dienstverhältnis. Wir sind ihm dienstbar, das heißt, wir können ihm dienen, wir können ihm etwas leisten, was für ihn wertvoll ist wie ein Dienst, wie eine Hilfe. Sind wir denn nicht seine Streiter, die sein Reich über die Erde ausbreiten? Sind wir nicht seine Evangelisten, die seine Frohbotschaft verkünden? Sind wir nicht seine Werkzeuge, die seine Heilsmittel in den Händen tragen? Christus ist doch in der Tat auf seine Jünger, die man Christen nennt, angewiesen, auf seine Apostel und seine Priester, auf seine Jünger und Jüngerinnen, auf alle, die an seinen Namen glauben, die ihn liebgewonnen haben, die von seiner Gnade und von seinem Geist ergriffen sind. Er ist angewiesen auf ihr Wort, auf ihr Beispiel, auf ihr persönliches oder amtliches Wirken, auf ihren Heldenmut und Opfermut, auf ihre Entsagungen und Liebeswerke, auf ihren Glauben und ihre Erkenntnisse. Das Christentum, das heißt die Erlösung der Menschheit, kommt nur so weit, als die einzelnen Christen und die gesamte Christenheit es tragen durch ihre Mitwirkung. Das ist der große, wunderbare Sinn der Christophorus-Legende: Das Gotteskind kommt nur auf den Schultern menschlicher Träger über die weiten, tiefen Wasser der Zeit und des Weltlaufs hinüber.

Einen Dienst leisten dürfen dem einzigen großen, ja göttlichen Menschen, einen Hilfsdienst leisten können für das einzig wichtige und wesentliche Werk, das je auf Erden vollbracht wird; brauchbar sein, ja notwendig sein für den einzigen Dienst, der dem Schöpfer und Erlöser der Welt wahrhaft am Herzen liegt; brauchbar sein für alle Ewigkeit und bis in die Ewigkeit hinein; brauchbar sein für den Sieg des Lichtes und der Güte, für die Beseligung und Erfüllung der Menschen, für die Vollendung der göttlichen Gedanken! Einen größeren Lebensinhalt gibt es nicht. Das ist doch immer die tiefste Sehnsucht eines jeden Menschen, nicht unnütz zu sein, nicht überflüssig zu sein, sondern für ein wertvolles Werk gebraucht zu werden und brauchbar zu sein.

Es ist ein gefährlich Ding, einem anderen Menschen als Eigentum überantwortet, seinem Befehl unterstellt, seinem Dienst verpflichtet zu sein. So gefährlich ist es, dass es nur einmal verwirklicht werden kann, dass es nur einen Herrn geben kann, den Herrn einfachhin: Christus den Herrn. Er allein kann dieses Herrentum verwirklichen, ohne dass wir daran zerbrechen, weil er nicht nur unser Mitmensch, sondern auch unser Gott ist. In das Herrentum Christi kann man unbedenklich eingehen, weil es der Ausgang ist in die Unendlichkeit Gottes. Dieses Eigentumsverhältnis, dieses Unterworfensein und Dienstbarsein ist das einzige, das nicht nur keine Gefahr bringt, sondern sogar Erfüllung. Erfüllung und Brauchbarkeit, mit Tat und Wirken, mit Lebendigkeit, mit Ewigkeit. Dieses Dienen wird zu einem Herrschen, dieses Gehören zu einem Besitz, dieses Folgen zu einem Finden, dieses Gehorchen zu einer Erlösung. Indem Christus zum Himmel auffuhr und sich zur Rechten Gottes setzte, haben auch wir den Stufenweg betreten, der zur Rechten Gottes führt. Indem er alle Gewalt im Himmel und auf Erden in seine Hände nahm, sind die Hände unseres Befreiers allmächtig geworden. Indem wir uns diesem Menschensohn weihen und schenken als unserem Herrn, werden wir dem Gottessohn zu Freunden und Helfern. Indem wir zum gehorsamen Gottesknecht sprechen: Mein Herr bist du und mir geschehe nach deinem Worte, finden wir an dem allmächtigen Herrn einen Vater, der uns antwortet: Mein Kind bist du, und mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt