Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. November 2003

Memento mori

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zum Gedächtnis unserer Verstorbenen Versammelte!

In den Anfängen sind alle geistlichen Gemeinschaften auf einem hohen Niveau angesiedelt. Mit großem Eifer und mit ebensolcher Strenge streben sie dem Himmelreiche zu. Als der Orden der Trappisten gegründet wurde, begrüßten sich die Mitglieder dieses Ordens mit den Worten „Memento mori“ – Gedenke, daß du sterben mußt. Diese Begrüßung ist eine Mahnung nicht nur für die Angehörigen dieses Ordens, sondern für alle Menschen: Gedenke daran, daß du sterben mußt. Der Gedanke an den Tod ist heilsam, denn er schreckt uns vor dem Bösen ab und treibt uns zum Guten, zum Tun des Guten an.

Der Gedanke an den Tod schreckt uns vom Bösen ab; denn wir wissen: Nach dem Tode kann niemand mehr wirken, dann kann er nur noch leiden. Und nach dem Tode erfolgt das Gericht. „Weh, was werd' ich Armer sagen, wenn Gerechte selbst verzagen?“ So heißt es in dem Hymnus „Dies irae, dies illa“. Wer an den Tod denkt, wird vom Bösen abgeschreckt, er wird die Versuchung überwinden. Er wird sich nicht in die irdischen Lüste einlassen, und er wird sein Glück nicht in vergänglichen Freuden suchen. Die griechische Sage berichtet, daß im Jahre 400 v. Chr. auf Syrakus in Sizilien ein Tyrann namens Dionys lebte. Dieser Tyrann hielt prächtige Mahlzeiten und feierte ein Fest nach dem anderen. Ein Freund namens Damokles bat, daß er einmal zugezogen würde zu diesem Feste. Dionys gewährte ihm diese Bitte. Er lud ihn ein und setzte ihm die besten Speisen und die kräftigsten Getränke vor. Als aber Damokles aufschaute, da sah er, daß über ihm ein Schwert mit einem Pferdehaar befestigt war, und in diesem Augenblick verging ihm der Appetit. Das berühmte Schwert des Damokles hat über ihm gehangen. Auch über uns hängt ein Damoklesschwert, das ist der Tod, der Tod, der jeden Augenblick eintreten kann. Ich weiß, daß ich sterben muß, aber ich weiß nicht wie, ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wo. Aber das eine weiß ich: Wenn ich in einer Todsünde sterbe, daß ich ewig verloren bin. Wenn ich aber in der Gnade sterbe, daß ich ewig gerettet bin.

Am vergangenen Donnerstag ist ein Herr, der auch zu uns gehört hat, in die Ewigkeit eingegangen, plötzlich und unversehen, Herr Herbert Dowitziak. Der Gedanke an den Tod kann uns vom Bösen abschrecken und zum Tun des Guten antreiben. Denn wenn wir noch Zeit haben, dann wollen wir auch die Zeit ausnützen. Wenn es uns noch möglich ist, Gutes zu wirken, dann wollen wir es auch tun. Uns Priestern wurde im Priesterseminar gesagt: „Feiern Sie jede Messe so, als ob es die letzte wäre!“ Ein richtiger, ein guter, ein vortrefflicher Gedanke: Feiern Sie jede Messe so, als ob es die letzte wäre! Nutzen Sie die Gelegenheit, noch einmal das Opfer Christi dem Vater im Himmel darzubringen und auf diese Weise unzähligen Menschen Segen zu schenken.

Zu dem Kaiser Karl V. kam eines Tages ein Oberst und bat um den Abschied. „Warum willst du den Dienst aufkündigen?“ fragte ihn der Kaiser. Der Oberst gab zur Antwort: „Ich möchte zwischen der Unruhe des Lebens und dem Tod noch Augenblicke der Besinnung haben, um mich auf den Tod vorzubereiten.“ Kaiser Karl V. hat diese Äußerung nie vergessen. Er nahm sich vor, dasselbe zu tun. Und so legte er im Jahre 1555 und 1556 seine Kronen – er besaß nämlich mehrere – nieder und zog sich in das Kloster San Juste in der Estremadura in Spanien zurück. Dort starb er nach zwei Jahren eines seligen Todes. Auch wir sollen die Zeit, die uns gegeben ist, noch benutzen, und wir sollen uns zu diesem Zweck oft erinnern lassen an den Tod. Wenn die Kirche die Totenglocke läuten läßt, wenn einer gestorben ist, dann sollten wir daran denken: Vielleicht bin ich der nächste. Wenn wir den Allerseelentag begehen, dann wissen wir mit hundertprozentiger Sicherheit: Einer von uns wird in den Tod hinabsinken als erster von dieser Gemeinde. Wenn wir am Aschermittwoch Asche auf die Stirn streuen, dann erinnert uns die Kirche: „Gedenke, o Mensch, daß du Staub bist und wieder zum Staube werden wirst!“ Wir erinnern uns an den Tod, wenn wir an Beerdigungen teilnehmen, und in dem Ritus ist ja auch ein Gebet enthalten für den, der als nächster dem Verstorbenen folgen wird. Das Hineinschauen ins Grab ist heilsam für uns. Auf diese Weise werden wir an den Tod erinnert und aufgerufen, die verbleibende Zeit auszunutzen. „Kaufet die Zeit aus“, sagt der Apostel Paulus, „denn die Tage sind böse.“

Wir wissen von Heiligen, die durch besondere Erlebnisse, die mit dem Tod zu tun hatten, zur Bekehrung geführt worden sind. Der spätere Abt Silvester stand am Grabe eines Freundes, und da kam ihm der Gedanke: Was ich bin, das warst du. Was du bist, werde ich sein. Diese Erkenntnis hat ihn dazu gebracht, die Welt zu verlassen und sich in ein Kloster zurückzuziehen und dort ein heiligmäßiges Leben – auch in tätiger Wirksamkeit, nämlich als Beichtvater und Prediger – zu leben. Der Tod lehrt die Lebenden. Der Tod lehrt uns so zu leben, daß wir im Gericht bestehen können. Und wir können einander einen großen Dienst erweisen, indem wir uns gegenseitig an den Tod erinnern. Es ist nützlich, auf den Friedhof zu gehen, denn auf dem Friedhof kommen uns Gedanken an den Tod. Es ist nützlich, für die Verstorbenen zu beten, denn wir wissen, auch wir werden einmal in der Lage sein, daß für uns gebetet werden muß. „Lieber Heiland, sei so gut, lasse doch dein teures Blut in das Fegefeuer fließen, wo die Armen Seelen büßen. Ach, sie leiden bittre Pein, wollest ihnen gnädig sein!“

Viele von Ihnen kennen das Buch von der Nachfolge Christi, das Thomas von Kempen geschrieben hat. Thomas hatte einen Bruder namens Gerhard. Gerhard baute eines Tages ein Haus und lud seinen Bruder Thomas ein, es zu besichtigen. Thomas ging hin und schaute sich das Haus an. Dann sagte er: „Das Haus ist schön, aber es hat einen Nachteil.“ „Ja, welchen denn?“ „Der Nachteil liegt darin, daß es eine Tür hat.“ „Ja, aber“, sagte der Bruder, „das ist doch kein Nachteil, wenn ein Haus eine Tür hat.“ „Doch, denn durch diese Tür wird man dich einmal hinaustragen.“ Er erinnerte ihn also an den Tod, in dem er das Haus würde verlassen müssen. Und so müssen auch wir uns, wenn wir hineingehen in unsere Behausung und wenn wir aus ihr hinaustreten, immer daran erinnern: Einmal gehen wir zum letztenmal hinein, und einmal werden wir zum letztenmal hinausgetragen.

Wachsam sein und die Zeit ausnutzen! Im Lukasevangelium hat der Herr uns ein ergreifendes Gleichnis geliefert von dem reichen Bauern. Das Feld hatte gut getragen, überreichlich war die Ernte. Er sagte: Ich werde die Scheunen abreißen lassen und neue bauen für die überfließende Ernte. Und das tat er auch. Und dann sagte er: Wenn alles eingebracht ist, dann werde ich mich ausruhen, dann werde ich essen und trinken und es mir wohl sein lassen. Du Tor, sagte ihm Gott, du Tor! Heute nacht noch wird man deine Seele von dir fordern.

Memento mori – Gedenke an den Tod! Das ist eine große Weisheit. „Wenn du an die Letzten Dinge gedenkst, wirst du in Ewigkeit nicht sündigen“, so steht im Buche Sirach. Und wahrhaftig, der Gedanke an den Tod soll uns nicht entmutigen, soll uns nicht untröstlich machen, soll uns auch nicht verzagt machen, sondern er soll uns aufrufen, die Zeit, die uns gegeben ist, nützlich zu verbringen mit guten Werken, mit Abschied von den weltlichen Vergnügungen, mit Verzicht auf irdische Freuden, mit Hinwendung zum ewigen Ziel. Gott gibt manchen Menschen besondere Gnaden, um sie auf dieses Ziel hinzulenken. Der Gründer des Trappistenordens, Boutillier, erhielt eine solche Gnade. Er wanderte am Ufer der Seine, also jenes Flusses In Frankreich, an dem Paris liegt. Auf einmal löste sich von gegenüber ein Schuß und traf seine Jagdtasche. Da kam Boutillier zur Besinnung. Er sagte: Was wäre geschehen, wenn dieser Schuß mein Leben ausgelöscht hätte? Er bekehrte sich und wurde der Gründer des Trappistenordens. Ähnliches wird berichtet vom heiligen Norbert, dem Gründe der Prämonstratenser. Er war ein junger, leichtlebiger Graf, der sich das Leben angenehm machte. Er war auf der Jagd; da kam ein Gewitter, und ein Blitz schlug neben ihm ein. Erlag betäubt am Boden. Als er wieder zu sich kam, da erkannte er, daß Gott zu ihm geredet hatte, daß Gott ihn gemahnt hatte, sein leichtfertiges Leben aufzugeben und sich mit Eifer dem Dienste Gottes zu widmen. Er tat es, wurde der Gründer des Prämonstratenserordens und später Erzbischof von Magdeburg.

Meine lieben Freunde, wir wollen uns das Memento mori immer wieder vor Augen führen. Wir wollen arbeiten, als ob der heutige Tag der letzte wäre. Wir wollen uns hier auf Erden einrichten, aber so, wie es der Herr verlangt: „Die Welt ist eine Brücke. Gehe hinüber, aber baue nicht dein Haus auf ihr.“ Bereit sein ist alles, wenn es um den Tod geht. In Rom ist das Grabmal eines Kardinals zu sehen. Auf diesem Grabmal stehen die Worte „Ut moriens viveret, vixit ut moriturus“ – Damit er beim Tode anfange zu leben, lebt er wie einer, der weiß: Ich muß sterben.

Amen.

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