Predigtreihe: Das Walten des Heiligen Geistes (Teil 1)
1. Juni 2025
Die Merkmale des Heiligen Geistes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Weltgeschichte, wie Jesus sie sieht und wie er sie schafft, ist vom Walten des Heiligen Geistes erfüllt. Sie ist der Raum, in dem die große Kampfes- und Aufbauarbeit des Geistes vor sich geht. In dem heutigen Evangelium schildert Jesus die Eigenart dieses Geistes und seines Wirkens so deutlich und anschaulich, dass wir die Merkmale des echten, des Heiligen Geistes ablesen können. Es wird in dieser dunklen, wirrseligen Welt nicht immer leicht sein, die richtige Unterscheidung der Geister zu treffen. Man wird nicht immer leicht den Engel des Lichtes von dem Boten der Finsternis unterscheiden können. Aber Jesus hat uns eindeutige und allgemeingültige Merkmale gegeben, um immer unterscheiden zu können, welche Dinge und Ereignisse die Zeichen des wahren Geistes tragen.
1. Der Geist, den Jesus senden wird vom Vater, wird der Geist der Wahrheit sein. Welch ein unermessliches Vertrauen in die kommende Geschichte spricht aus diesem einzigen Wort! Es wird einen Geist der Wahrheit geben. Wahrheit ist die Übereinstimmung der Erkenntnis mit der Wirklichkeit. Eine Aussage ist wahr, wenn sie die objektive Wirklichkeit zutreffend wiedergibt. Man möchte oft meinen, dass nichts so wenig Aussicht hat wie die Wahrheit. Allzu viele Menschen und Kreise verbreiten zielbewusst und beständig die Unwahrheit. In den Jahren 1915/16 wurden 1,85 Mio. Armenier von den Türken ausgerottet. Um Munition zu sparen, wurden die Opfer in Schluchten gestoßen und in Wüsten entführt. Etwa 100000 christliche Frauen verschwanden in Harems. Die Türkei leugnet bis heute den Völkermord. Sie fürchtet die Wahrheit. Es wird aber einen Geist der Wahrheit geben, dem wirklich ehrlich und treu an der Wahrheit liegt, der sie zum Sieg führt. Es wird eine Kraft in der Welt sein, die der Wahrheit dient, nicht bloß dem Geld und nicht bloß dem Genuss. Die Wahrheit wird sich also behaupten, man wird sie nie gänzlich knebeln, gänzlich blenden, gänzlich zertreten können. Man kann somit auch sagen, wer vom Geist der Wahrheit erfüllt ist: Wer der Wahrheit dient und sie liebt, der ist vom Heiligen Geist erfüllt, der hat den Geist der Wahrheit in sich. Das ist das erste Zeichen, an dem wir die Geister unterscheiden können.
2. Dieser Geist gibt Zeugnis für Jesus Christus. Denn er ist die Wahrheit einfachhin, das persönliche Wort Gottes, das erste und ewige Wort der Wahrheit. Das Zeugnis für Christus wird also nie mehr verstummen. Die Frage nach Christus wird die weltbewegende Frage aller Zukunft sein. Jesus wird niemals ein bloß Vergangener, ein Ehemaliger, ein Gestriger sein. Immer wird eine Stimme da sein, die für ihn redet und die einen Chor von Stimmen, einen wahren Weltchor, einen weltumfassenden Sprechchor aufrufen wird. Die böse Welt möchte dieses Zeugnis ersticken, zum Verstummen bringen. Aber der Geist wird dafür Sorge tragen, dass das Zeugnis für Christus nicht untergeht.
Getrieben vom Heiligen Geist und inspiriert von ihm werden die Jünger Jesu Zeugnis ablegen für Christus. Weil sie bei ihm sind von Anfang an, also in vollkommener Lebensgemeinschaft mit ihm stehen. Christus ist ihr Lebensinhalt geworden und ihre seelische Erfüllung. Randvoll sind sie von ihm, so dass sie nichts anderes mehr kennen und nennen wollen als ihn, Jesus, und sei es auch der Gekreuzigte. Erfüllt von Christus, geben sie Zeugnis von ihm, strahlen ihn aus. Dieses Zeugnis ist nicht angelerntes Tun, sondern gewachsenes Sein, also unvermeidlich und notwendig und doch von wundersamer Freiheit erfüllt, weil es aus der Liebe hervorgeht. Liebe hat ja immer das Wunder an sich, dass sie das Müssen und Dürfen, den unwiderstehlichen Drang und das freie Wollen vereint. So legen die Jünger Zeugnis für ihn ab, weil der Geist Jesu Christi in ihnen ist, der Geist der Wahrheit. Denn wer die Wahrheit liebt, der muss auch Jesus lieben um der Wahrheit willen. Man kann auch umgekehrt sagen: Wer für Jesus Zeugnis ablegt aus liebendem Müssen, der ist es, der den Heiligen Geist in sich hat. Das ist das zweite Zeichen des Heiligen Geistes: die Menschen, die so sind, dass man den Heiland, den Erbarmer, den Allerreinsten, den Gottverbundesten, den opfernden und geopferten Heiland zu sehen vermeint, die sind voll des wahren, Heiligen Geistes. Diese, die bei ihm sind, wenn er am Ölberg liegt und ruft: Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine. Die bei ihm sind, wenn er den Kelch nimmt, den Todeskelch: Soll ich den Kelch nicht trinken, den der Vater mir reicht. Die bei ihm sind, wenn er hinausgeht vor das Tor als Ausgewiesener, als Geächteter. Die so bei ihm sind, geben Zeugnis von ihm, die sind es also auch, die den Heiligen Geist haben.
3. Aber über diesem Zeugnisgeben liegt nun ein seltsam tragisches Geheimnis. Es weckt ein endloses Leid auf, leiblicher und geistiger Art, ein Leid, das immer über der Gemeinschaft mit Christus liegt: „Sie werden euch ausstoßen aus ihren Synagogen, sie werden euch töten“, sagt Jesus. Das ist der unbegreifliche Widerstand, der von Anfang an die Jünger Jesu bedrängt hat. Auch dann und gerade dann, wenn sie niemand etwas zuleide getan hatten. Bloß weil sie anders waren als die übrigen, weil sie eines anderen Geistes waren. Sie mochten die besten, die sanftmütigsten und gütigsten Menschen sein, die werktätigsten Menschenfreunde; liebenswürdig und wohltuend wie jener Bischof Polykarp von Smyrna oder wie jene liebe und gute Fürstin auf der Wartburg oder wie der sanfte, gute Bruder Franziskus oder wie Jesus selbst. Warum konnte man sie nicht in Ruhe lassen? Warum ließ man sie nicht ihren stillen Weg gehen, nicht so beten, so denken, so Gutes tun, wie sie wollten und wie sie mussten aus innigster Notwendigkeit heraus? Das ist nun ein wirklich erschütterndes Geheimnis, an dem man irre werden könnte, irre an dem Geist Jesu Christi selbst. Ist er vielleicht doch etwas Unmögliches, Weltfeindliches, Lebensfeindliches, das schon durch sein bloßes Dasein verderblich wirkt und darum aufreizt? Jesus hat diese verzagten Gedanken im Voraus empfunden. Darum verkündete er schon im Voraus seinen Jüngern, dass es so sein und kommen müsse. „Und ich sage es euch, damit ihr nicht irre werdet, damit ihr daran denkt, dass ich es euch gesagt habe, wenn es einmal so weit ist.“ Lasst euch nicht irremachen, sagt er, denkt daran, lasst euch nicht abdrängen von eurem Weg; es ist der Weg des Heiligen Geistes. Hiermit ist nun ein drittes Kennzeichen des Geistes gegeben, eines der leichtesten und eines der wichtigsten, an dem wir mit Sicherheit die Geister unterscheiden können, die in uns und in der Welt walten. Dort, wo Zwang, Drohung, Hass, Vernichtungswille herrscht; dort, wo man in einer geheimnisvollen Tragik um Gottes willen, um des Geistes willen, um des Gewissens willen leiden muss und zu leiden bereit ist, dort ist der Geist Jesu Christi. Dort, auf der Seite des Geopferten. Das ist das Kennzeichen des Geistes: Wo man Gutes tut denen, die da hassen; wo man betet für die Verleumder und Verfolger. Dort kennt man den Gott, der ein Vater ist; den Gott, der ein Kind geworden ist; den Gott, der ein Heiliger Geist ist, lebendigmachender und schöpferischer Geist. So ist es und so bleibt es, für und für und in alle Ewigkeit.
Amen.