Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Tugenden (Teil 2)

11. Mai 2014

Die Tugend der Demut

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn! 

Demut bezeichnet das rechte Verhalten gegenüber Ehre und Ruhm, das auf der Erkenntnis der menschlichen Stellung Gott gegenüber beruht. Sie ist die Geringschätzung seiner selbst aufgrund einer wahren Selbsterkenntnis. Die Demut ist ein Instrument zur Zügelung des Ehr- und Machtstrebens, das in jedem Menschen auf der Lauer liegt. Sie richtet sich auf an der Pflicht zur Gottesverehrung. Im Lichte Gottes weiß der Mensch sich klein und nichtig. Gleichzeitig erkennt die Demut, dass die einzig angebrachte Haltung gegenüber Gott die Ehrfurcht ist. Demut und Ehrfurcht sind miteinander verwandt. Die Demut beruht auf der rechten Erkenntnis seiner selbst. Sie gründet also in der Gesinnung, dass man wahrhaftig gegen sich selbst ist. Die wahre Erkenntnis seiner selbst, in seiner Stellung zu Gott und zu anderen Wesen ist die Grundlage der Demut. Wir haben, wenn wir in uns selbst schauen, meine lieben Freunde, allen Anlass, demütig zu sein. Im Buch von der „Nachfolge Christi“ wird einmal aufgezählt, aus welchen Gründen wir demütig sein sollten. Da schreibt der Verfasser: „Es steht keine Heiligkeit fest, wenn der Herr seine Hand zurückzieht. Es nützt keine Weisheit, wenn er nicht regiert. Es hilft keine Tapferkeit, wenn er nicht beisteht. Es dauert keine Keuschheit, wenn er sie nicht schützt. Es nützt keine Wachsamkeit, wenn Gottes heiliges Auge nicht wacht.“ Die Demut schätzt das Gute und Edle der eigenen Person, aber sie führt es eben auf seine tiefste Quelle zurück und achtet auf die rechte Ordnung der Werte. Sie bekämpft die Selbstüberschätzung, in der das verblendete Ich sich zum Mittelpunkt macht. Die Demut sucht ein unbefangenes, objektives Urteil über sich selbst zu gewinnen, über das eigene Ich und über die anderen Menschen. Nur im Angesichte Gottes gewinnen wir die rechte Sicht auf uns. „Ich bin nichts“, so sagt ein Heiliger, „aber ich bin dein, o Gott.“

Demut ist aber nicht bloß ein theoretisches Erkennen, sondern auch ein praktisches Anerkennen. Der Wille fügt sich in die Geringheit vor Gott, und auch in das Zurückbleiben gegenüber anderen. Die Demut zügelt und mäßigt das natürliche Streben nach Anerkennung, Größe und Vorrang. In der Demut akzeptiert der Mensch seine eigene Grenze und stellt sich unter das Gebot der Nächstenliebe und der Gottesliebe. Der Mensch weiß sich ja abhängig von Gott, aber auch von Dingen dieser Welt, und das allein schon sollte ihn zur Demut veranlassen. Die Demut steht nicht im Widerspruch zur Hochherzigkeit des Willens. Die Demut ist kein Kleinmut, sondern sie weiß, dass Gott von ihr etwas fordert und dass sie dieser Forderung nachzukommen hat, dass sie sich anstrengen muss, um dieser Forderung zu genügen, ja, dass Gott von dem Menschen die möglichste Entfaltung aller seiner Anlagen erwartet.

Die Demut äußert sich natürlich im äußeren Verhalten des Menschen. Sie bekundet sich im äußeren Leben. Und ich möchte Ihnen die Gelegenheiten zeigen, bei denen die Demut gefragt ist. Erstens: Die praktische Unterordnung unter menschliche und göttliche Autorität. Sich der Befehlsmacht Gottes und der Menschen unterstellen kann nur, wer bereit ist, den Eigenwillen, die Eigenmacht, die Eigenschätzung einzuschränken oder aufzugeben. Diese Bereitschaft ist bei dem gegeben, der um seine Grenzen weiß und um die Unentbehrlichkeit der Einordnung. Der Demütige ordnet sich willig ein ohne Murren und ohne Groll. Er weiß um Notwendigkeit und Nutzen der Ein- und der Unterordnung. Die sich selbst weise vorkommen, sind selten geneigt, sich anderen unterzuordnen. Zweitens: Die Demut lehrt die liebevolle Achtung des Mitmenschen. Der Demütige hat ein Auge für die Qualitäten und die Bedürfnisse seines Nächsten. Der Demütige schaut im Bruder oder der Schwester das natürliche Ebenbild Gottes und die Bestimmung zur übernatürlichen Gotteskindschaft. Das Bewusstsein, wir sind alle Brüder und Schwestern in Christus, vermochte, von dem Tage der Apostel an, die Verhältnisse der Menschen zueinander umzugestalten. Die „Nachfolge Christi“ gibt Hinweise und Anweisungen, wie man sich diese Achtung des Mitmenschen erwerben kann und wie man sie sich erhalten kann. „Halte dich nicht für besser als andere, denn sonst möchtest du im Auge Gottes schlechter sein als andere. Es schadet dir nichts, wenn du dich allen anderen nachsetzest. Aber es kann dir sehr schaden, wenn du dich nur einem einzigen vorsetzest. Von Rechts wegen solltest du noch schlimmer von dir selbst denken als die anderen und dich für schwächer halten, als sie dich halten. Wo Demut ist, da ist Friede.“ Warum ist da Friede? Ja, weil der Demütige sich eben in Anderer Meinungen schickt. Wo aber Stolz ist, da ist Eifersucht, da ist Zorn, da ist eine ganze Hölle von Unruhe. Und noch einen letzten Rat gibt die „Nachfolge Christi“, nämlich: „Wenn Gott in unserer Mitte wohnt, müssen wir oft unsere eigene Meinung aufgeben.“ Drittens: Die Demut lehrt Pflichttreue auch in unscheinbarer Arbeit und Stellung. Demut ist eben – sprachlich – die Gesinnung des Dienens. Der Demütige ist zufrieden mit einer bescheidenen Stellung in der Gesellschaft. Er drückt sich nicht vor der Verantwortung – das wäre nicht Demut, das wäre Feigheit. Er weiß um seinen Wert und um sein Können, aber er boxt sich nicht nach oben. Wer die Stellung nicht erreichen kann, die er erstrebt, für die er sich auch geeignet hält, wird deswegen nicht missmutig, unzufrieden und bitter. Er schickt sich in das, was ihm beschert ist. Demut ist Mut zum letzten Platz. Viertens: Demut bringt Zufriedenheit bei Zurücksetzung und bei Zurechtweisung. Der Demütige nimmt hin, wenn ihm Fehler vorgehalten werden, ohne aufzubegehren, ohne zornig zu werden. Er bewahrt seinen Gleichmut bei Rüge und Tadel. Der Demütige grollt nicht und sinnt nicht auf Rache, wenn andere ihm vorgezogen werden und ihm selbst Unrecht geschieht. Oft trägt es viel zu unserer Demut bei, wenn andere unsere Fehler kennen und sie rügen. Ein Mensch, der sich wegen seiner Fehler demütigt, ist leicht geneigt, andere zu besänftigen. Wenn er nämlich die Schuld auf sich nimmt und seinen Fehler eingesteht, dann ist der andere gleichsam entwaffnet. Mein Bischof lehrte uns im Priesterseminar: „Wenn Sie gedemütigt werden, wenn Sie zurückgesetzt werden, wenn Sie getadelt werden, dann sprechen Sie bei sich: Es ist gut für mich, dass du mich gedemütigt hast.“ Das habe ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Es ist gut für mich, dass du mich gedemütigt hast. Fünftens: Die Demut lehrt Geduld mit sich und mit anderen. Der Demütige verliert nicht die Fassung, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er es sich vorstellt, wie er es sich wünscht oder wie er es sich vorgenommen hat. Er schickt sich in Harren und Warten und grollt nicht wegen verpasster Gelegenheiten. Ich habe einmal einen Priester kennengelernt, der nicht darüber hinwegkam, dass er sein Leben in der Seelsorge verbringen musste. Er wollte nämlich höher hinaus. Der Demütige denkt, wenn Schwächen und Fehler bei anderen beobachtet werden, an seine eigenen Fehler. Und auf diese Weise kann er im Frieden mit anderen verharren. Sechstens: Die Demut lehrt Ergebung in schmerzlichen Prüfungen und im Leiden. Der Demütige ist gefasst auf Ungemach und Enttäuschung. Er weiß: Heimsuchungen und Prüfungen müssen über den Menschen kommen. Ohne Schmerz und ohne Trübsal geht niemand durch dieses Leben. Der wahrhaft Demütige ist so ein unerschütterlicher Mensch, denn er ist darauf gerüstet, dass Prüfungen und Leiden ihn treffen. Er ist nicht überrascht; er erwartet so etwas.

Die Demut, meine lieben Freunde, wird von der Heiligen Schrift an vielen Stellen gepriesen und gefordert. Im Alten Testament wird vor allem darauf hingewiesen, dass der Mensch abhängig ist von seinem Schöpfer und deswegen demütig sein muss. Der Stolze, der Mächtige, der Reiche erhebt sich gegen Gott und ist voll Groll und Bitterkeit und Trug gegen die Mitmenschen. Der Demütige dagegen bemüht sich, im Bewusstsein seiner Abhängigkeit von Gott und seiner Schwäche und Sündhaftigkeit, um die redliche Erfüllung des Willen Gottes und auch um das Zufriedenstellen der Menschen. Im Neuen Testament erhält die Demut als die dem Erlösten angemessene Tugend eine neue Begründung und Vertiefung. Die neue Ordnung kehrt ja die Verhältnisse in der Welt um. „Mächtige stürzt er vom Thron und Niedrige erhöht er“, so heißt es im Lobgesang Mariens. Das ist die neue Ordnung. „Die Sanften und Demütigen werden das Land besitzen“, heißt es in einer Lobpreisung der Bergpredigt. Man muss sich unter Verzicht auf Vorrang erniedrigen bis zur Kleinheit des Kindes, um groß zu sein. „Wer klein wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ Dazu kommt das Beispiel Christi, der durch Sanftmut und Demut die Menschen an sich ziehen will, der gekommen ist, zu dienen, den Willen des Vaters zu erfüllen bis zum Tode am Kreuze. Schließlich bringt auch sein Erlösungswerk den Menschen ihre Sündhaftigkeit und Schwäche zum Bewusstsein.

Die kirchliche Überlieferung und Seelenführung hat stets großes Gewicht auf den Erwerb der Tugend der Demut gelegt. Die Heiden kannten anscheinend eine ähnliche Verfasstheit. Sie warnten vor der „Hybris“. Hybris (ein griechisches Wort) ist der Übermut, der Stolz, die Vermessenheit, die Selbstüberhebung. Während des letzten Krieges fragte der deutsche Generalstabschef Franz Halder einmal den General Guderian: „Wissen Sie, was Hybris ist?“ „Ja“, sagte er, „das habe ich in der Schule gelernt.“ Und Halder fuhr fort: „Das ist das, was der Hitler macht: Überschätzung, Vermessenheit.“ Die griechischen Heiden forderten gegenüber der Hybris die „dikê“, das Maßhalten, das Wissen um die Grenze, die Pietät, die Selbstbescheidung. Das war eine Vorform der christlichen Demut. Die Demut ist aber freilich deswegen eine christliche Tugend, weil nur sie den unendlichen Abstand zwischen Gott und den Menschen herausstellt. Außerdem ist das Christentum eine Religion der Erlösung – anders als der Islam –, eine Religion der Erlösung, d.h. das Christentum setzt ein tiefes Bewusstsein der menschlichen Sündhaftigkeit voraus. Im Christentum ist die Grundlage der Glaube. Zum Glauben aber wird sich leicht einer bekehren, der demütig ist, der nicht wissensstolz ist, der nicht meint, er habe anderen nichts zu verdanken und er brauche Gott nicht. Das praktische Christentum ist Folgsamkeit gegen die Gnade. Aber folgsam gegen die Gnade wird der sein, der demütig ist. Die Gnade des Heiligen Geistes, meine lieben Freunde, sucht immer nur ein demütiges Herz. Ich wiederhole: Die Gnade des Heiligen Geistes sucht immer nur ein demütiges Herz.

Der Gegensatz zur Demut ist nicht die unwürdige und unwahre Selbsterniedrigung. Die gibt es ja auch. Man kann sich, im Gegensatz zur Wahrheit, schlechter machen, als man selber ist. Das ist von der Demut nicht gefordert, denn das ist unwahrhaftig. Nein, Demut ist von serviler Gesinnung, von Minderwertigkeitsgefühlen weit entfernt. Sie ist vielmehr Ausdruck für das Bewusstsein der Würde des Menschen. Der schlimmste Gegensatz gegen die Demut ist der Stolz, der Hochmut, die unsittliche Selbstüberschätzung. Der Stolze legt sich Vorzüge bei, die er nicht besitzt. Und er führt Vorzüge, die er besitzt, nicht auf den wahren Grund zurück. Er leugnet und verdunkelt die Vorzüge des anderen. Der Stolze strebt über sein wahres und wirkliches Sein hinaus. Eine typische Äußerung dieses Stolzes finden wir in dem Gedichte „Prometheus“ von Goethe. Da heißt es:          

Wer half mir

Wider der Titanen Übermut?

Wer rettete vom Tode mich?

Von Sklaverei?

Hast du nicht alles selbst vollendet,

Heilig glühend Herz?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

Die allmächtige Zeit

Und das ewige Schicksal?

Das ist der Prometheische Stolz, der hier ausgesprochen wird. In diesem Sinne ist der Stolz eine schwere Sünde, ja die Hauptsünde. Die Ursünde des Menschen war die Überhebung gegen Gottes Gebot. Die Neigung zum Stolz ist dem Menschen angeboren. Wir Menschen wollen mehr gelten, als wir sind. Deswegen gehört die Überwindung des sündhaften Stolzes durch die rechte Demut zu den wichtigsten sittlichen Aufgaben des menschlichen Strebens. Eine oberflächliche Art der Selbstüberhebung ist die Eitelkeit. Der Stolze will mehr sein, als er ist, der Eitle will mehr scheinen, als er ist. Hier wird das rechte Maß des Strebens nach Ehre und Anerkennung überschritten. Maßvolles Streben nach Ehre ist nicht verboten, denn die Ehre ist ja ein Vehikel unseres Wirkens. Wenn wir als unehrenhaft gelten, nimmt niemand von uns einen Knochen an. Also: Das maßvolle Streben nach Ehre ist ebenso erlaubt wie das geordnete Interesse für Geld und Gut. Aber Menschenlob und Menschengunst sind wandelbar. Sie verderben zudem leicht die gute Absicht des Menschen. Sie lösen die wahre Würde des Menschen von Gott ab und nähren die tiefe Unordnung der Selbstsucht im Menschenherzen. Der große Bischof von Münster, Graf Galen, hatte als Leitwort seines Bischofslebens gewählt: „Nec laudibus, nec timore.“ Er wollte sich in seinem Handeln also nicht bestimmen lassen vom Lob der Menschen, aber auch nicht von ihrem Tadel. „Nec laudibus, nec timore“ – und danach hat er gehandelt. Wer wahrhaft demütig ist, der macht sich nicht von der Gunst und Ungunst der Menschen abhängig. „Den Demütigen nimmt Gott in seinen Schutz. Den Demütigen liebt und tröstet er. Zum Demütigen neigt er sich hernieder. Dem Demütigen schenkt er große Gnade und erhöht ihn nach den Tagen der Erniedrigung. Dem Demütigen offenbart er seine Geheimnisse und zieht ihn freundlich an sich.“

Amen.

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