Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Gesetz und Gewissen (Teil 7)

8. August 2010

Die falsche Ethik irriger Theorien

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben an den vergangenen Sonntagen das Gesetz Gottes betrachtet. Es hat mehrfache Gestalt. Es gibt eine Uroffenbarung, von der sich Reste zweifellos in den heidnischen Völkern erhalten haben. Es gibt das sittliche Naturgesetz. Aus der Natur, aus der Struktur der Dinge, die Gott in sie hineingelegt hat, vermögen wir Normen zu erschließen. Vor allem aber gibt es das Gesetz des Alten Bundes und des Neuen Bundes. Der Alte Bund ist vergangen, aber das Moralgesetz ist deswegen bestehengeblieben, weil es mit dem sittlichen Naturgesetz übereinstimmt. Im Neuen Bunde hat der Herr das Gesetz uns vorgelegt. Es ist ein inneres Gesetz; es ist der Heilige Geist. Tatsächlich: Der Geist, der im begnadeten Menschen lebt, ist sein Gesetz, denn er gibt ihm vor, was er tun und was er lassen muss.

Wir sind in der glücklichen Lage, zu wissen, welche Richtung wir einschlagen müssen. Aber was tun die anderen Menschen, die unseren Glauben nicht haben, die unsere Sittenlehre nicht teilen? Woran halten sie sich? Haben sie auch ein Sittengesetz? Woher nehmen sie es? Woher beziehen sie es? Es gibt viele Entwürfe von Menschen, ein Sittengesetz zu schaffen, das an die Stelle des Gottesgesetzes tritt, an das sie nicht mehr glauben.

Die erste Ethik, wenn man so sagen kann, die erste Ethik, die Menschen aufgestellt haben, ist die Gefühlsethik. Was ist darunter zu verstehen? Hemingway, der amerikanische Schriftsteller, hat es uns erklärt, was Gefühlsethik ist. „Das ist moralisch (also sittlich), was mir ein gutes Gefühl macht, wonach ich mich gut fühle.“ „Das ist moralisch, das ist sittlich, was mir ein gutes Gefühl macht, wonach ich mich gut fühle.“ Ja, meine lieben Freunde, manche Menschen fühlen sich sehr gut, wenn sie die größten Lumpereien begangen haben. Damit kann man eine Ethik nicht aufbauen. Das Gefühl ist trügerisch; auf das Gefühl kann man nicht setzen. Das Gefühl muss durchleuchtet werden von Begriffen, von der Wahrheit, von der Vernunft. Auf das Gefühl kann man ein Sittengesetz nicht gründen. Das Gefühl vermag auch keine Verpflichtung zu schaffen; es vermag keine Verpflichtung aufzuerlegen, vor allem keine für alle gültige Verpflichtung. Denn die Gefühle sind sehr verschieden, sind sehr unterschiedlich, und auf diese Unterschiedlichkeit läßt sich eine allgemeine Sittlichkeit, die für alle gilt, nicht aufbauen.

In Deutschland am bekanntesten und in gebildeten Kreisen am weitesten verbreitet ist die Ethik des Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Es ist die Ethik des „Kategorischen Imperativs“. Kant hat zweifellos seine Verdienste; er war ein scharfsinniger Denker. Er hat nämlich gegenüber der Nützlichkeitsethik das unbedingte Sollen betont. Und er hat auch die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Sinnlichkeit hervorgehoben. Was meint er nun mit seinem Kategorischen Imperativ? Er geht davon aus, dass das Sittengesetz für alle verbindlich ist, für jedes vernünftige Wesen. Um zu erkennen, ob eine Handlung erlaubt ist oder nicht, genügt es, zu ermitteln, ob sie zum Gesetz für alle erhoben werden kann. Ob sie zum Gesetz für alle erhoben werden kann, oder was für Folgen eintreten würden, wenn alle so handeln wollten. Was würde zum Beispiel geschehen, wenn jeder stehlen oder sein Wort brechen würde? Der Bestand der menschlichen Gesellschaft wäre dadurch gefährdet. Stehlen und wortbrüchig werden ist deswegen unsittlich. Und so kommt Kant zu seinem Kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann.“ „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann.“ Ist dieser Kategorische Imperativ, so hochsinnig er klingt, ist dieser Kategorische Imperativ durchführbar? Immanuel Kant besuchte in seinem ganzen Leben, jedenfalls als Erwachsener, niemals einen Gottesdienst. Auch als Rektor der Universität Königsberg (wo er es hätte tun sollen) ging er niemals in den Gottesdienst. Hat er damit seinen Kategorischen Imperativ erfüllt? Konnte das ein Gesetz werden für alle, so dass alle Menschen nicht in den Gottesdienst gehen? Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Viele Menschen sind der Meinung, die Steuergesetze sind ungerecht. Man kann sich daher der Steuerpflicht entziehen. Kann das ein Gesetz für alle werden? Was wäre, wenn sich das alle zu eigen machten? Aber viele tun es mit gutem Gewissen. Ja, warum nicht? Der Staat nimmt uns zuviel weg, sagen sie.

Kant begeht den Grundfehler, dass er Gott aus der Sittlichkeit beseitigt. Der Gesetzgeber ist für ihn nicht Gott, sondern die Vernunft. Aus Vernunftgründen muss man die Sittlichkeit schöpfen. Die Vernunft aber ist in der Herrschaft des Menschen. Der Mensch kann sich, wenn er will, ein Gesetz auferlegen, aber ein unbedingtes Sollen kann aus einem solchen Auferlegen nicht folgen. Kant macht den großen und entscheidenden Fehler, dass seinem Gesetz der Gesetzgeber fehlt. Er erfaßt auch nicht das Wesen des Guten, und das hängt mit seiner Erkenntnistheorie zusammen. Für ihn sind ja die Dinge an sich überhaupt nicht erkennbar, und so begreift er auch nicht, dass das tiefste Wesen des Wollens auf das Wirkliche, auf das Gute, auf das Vollkommene geht. Bei ihm ist der sittliche Grundaffekt die kühle Pflicht. Alles andere ist ihm verdächtig. Meinung, Affekte, Sehnsucht nach Seligkeit, das alles ist ihm verdächtig. Für ihn gilt nur die Pflicht. Er verkennt die Willens- und die Gemütssphäre.

Andere bilden einen Moralpositivismus aus, d.h. sie sagen: Das ist sittlich verpflichtend, was sich aus den Sitten, aus den Meinungen, aus den Gewohnheiten der Völker, aus der Rasseneigenschaft oder aus den Umweltbedingungen ergibt. Man soll also das tun, was alle oder die meisten tun. Aber, meine lieben Freunde, vom faktischen Handeln kann eine Verbindlichkeit nicht ausgehen. Eine äußere Übung kann andere nicht verpflichten. Auch dieser Ethik fehlt der Gesetzgeber. Außerdem ändern sich die Anschauungen der Menschen fortwährend. Das erleben wir ja in der gegenwärtigen Zeit, wie sich die Ansichten über die geschlechtliche Sittlichkeit bei den Menschen geändert haben, weil sie sich nicht an Gottes Gebot halten. Die permissive Gesellschaft, wie man die heutige Generation nennt, die permissive Gesellschaft hält das für erlaubt, was ihr paßt, nicht das, was Gott gebietet. Der Moralpositivismus kann keine allgemeine Sittlichkeit aufstellen; er ist nur imstande, äußere Konventionen zu erzeugen, denen man sich fügen kann oder auch nicht.

Mit dem Moralpositivismus ist verwandt der Evolutionismus in der Ethik. Sie wissen, was Evolution ist. Es ist die Entwicklungslehre, in der sich aus Einzellern alles andere entwickelt haben soll. Diesen Entwicklungsgang wendet man nun auf die Ethik an. Man sagt: Es gibt keine gültigen und gleichbleibenden Naturgesetze in der Sittlichkeit, sondern das Sittliche unterliegt einem beständigen Wandel. Sittlich ist das, was die Mehrheit, die gegenwärtige Mehrheit jeweils dafür hält. Es gibt keine festen Grundsätze mehr, es gibt keine gemeinsame Verständigung für die verschiedenen Völker, es gibt keinen absoluten Maßstab für die sittliche Beurteilung. Dass sich im Bewußtsein der Menschen die Anschauungen über gut und böse ändern, das wissen wir, das beobachten wir jeden Tag. Aber das ist kein Gesetz. Den Menschen ist es aufgegeben, über dem Wandel das Bleibende zu entdecken. Dem Menschen ist es befohlen, die schlimmen Verhältnisse der Gegenwart zu ändern, indem sie sich auf das immer gültige, das bleibend notwendige Gesetz zurückziehen.

Andere sittliche Systeme erkennen die Norm des Sittlichen an, aber sie bestimmen die Norm falsch. Sie irren in der Begründung des Sittlichen durch eine falsche teleologische Fassung. Sie haben eine objektive Norm, ja, aber diese Norm ist irrig. Da ist an erster Stelle der Eudämonismus zu erwähnen. Eudämonismus ist jene Lehre, die als höchstes Ziel des menschlichen Lebens die irdische Wohlfahrt des Menschen betrachtet. Es soll dem Menschen gut gehen; er soll glücklich sein. Das ist dann sittlich geboten, was dem Glück des Menschen dient. Der Eudämonismus tritt in verschiedenen Formen auf. Die niedrigste Form ist der Hedonismus. Der Hedonismus verlegt das Endziel des Menschen und damit die Sittlichkeit in die sinnliche Lust. Essen, trinken, sich geschlechtlich betätigen, genießen, Macht ausüben, diese Lüste sollen das Ziel des Menschen sein. Jedermann, der sich das gesunde Denken bewahrt hat, begreift: Die Lust ist immer zutiefst egoistisch. Sie sieht den Nächsten lediglich als förderlich oder hinderlich für den Gewinn von Lust an und verkennt damit seine Würde. Luststreben ist immer egoistisch und vermag deswegen eine Gemeinschaft nicht aufzubauen. Außerdem erniedrigt die sinnliche Lust den Menschen. Sie macht ihn zum Sklaven der Lust. Der Trieb regiert und nicht die von der Vernunft geleitete Willensanstrengung. Der Mensch, welcher der Lust nachjagt, verkümmert im Geiste. Also der Hedonismus ist die niedrigste Form des Eudämonismus.

Eine höhere Form ist jene Variante, die die Sittlichkeit in die irdische Wohlfahrt und das harmonische Leben des Menschen verlegt. Die Selbstliebe soll den Menschen dazu führen, dass er für sich sorgt, dass er in seiner ganzen Persönlichkeit Glück empfindet. Aber wie soll eine berechnende Gewinn- und Genußsucht eine Sittlichkeit begründen? Hier ist doch auch der Egoismus die Triebfeder des Handelns. Verzicht und Aufopferung lassen sich damit nicht begründen. Es gibt Aufgaben, Pflichten, die die Preisgabe der eigenen Wohlfahrt fordern. Das Pflichtmäßige ist nun einmal – und häufig – nicht identisch mit dem Angenehmen und Nützlichen. An das Pflichtmäßige bin ich gebunden, an das Angenehme und Nützliche nicht. Das untersteht meiner freien Wahl.

Eine Stufe höher steht der sogenannte Sozialeudämonismus. Er gibt als Ziel der Sittlichkeit und damit als Norm das irdische Glück der größtmöglichen Zahl der Menschen aus. Meine lieben Freunde, die Anschauungen über Glück sind sehr verschieden. Für den einen ist Glück, was ein anderer in keiner Weise schätzt. Auch hier ist der Egoismus die Triebfeder (des Handelns), zumal des Kollektivegoismus. Die Inhalte des Gesamtwohls sind unbestimmt und strittig je nach den verschiedenen Ansichten und Interessen. Es erklärt vor allem nicht die individuelle Sittlichkeit, die einzelnen Tugenden, die der Mensch ausbilden soll. Das irdische Interesse tritt oft auch in Konflikt, in schmerzlichen Konflikt mit dem individuellen Lebensglück. Die Bundesregierung ist der Meinung, dass die Aufopferung junger deutscher Männer in Afghanistan gerechtfertigt ist. Kein Zweifel, dass die Familien dieser jungen Männer anders darüber denken werden. Die Gesamtwohlfahrt der Völker ist oft nur die glänzende Außenseite einer Unsittlichkeit. Die tatsächliche unbedingte Verbindlichkeit und Verpflichtung, die dem Sittlichen inne ist, kann nicht aus der Umwelt stammen.

Manche Philosophen, wie Friedrich Nietzsche, haben die Ethik der Lebenssteigerung entwickelt. Das ist also zu tun, das ist pflichtmäßig zu tun, was das Leben erhöht, was das Naturleben im Menschen vollendet. Verpflichtend ist, was der Steigerung der Lebensqualität dient. Das aufgestellte Ziel, die Fülle, die Kraft, die Schönheit des physischen Lebens ist für viele Menschen unerreichbar. Denken wir an die Kranken, an die Mißratenen, die Behinderten, die Krüppel. Die müssen sich ja durch eine solche Ethik verhöhnt vorkommen, denn sie können eine Lebenssteigerung in dem gemeinten Sinne nicht erreichen. Die Theorie übersieht auch die Doppelheit des Lebens, nämlich den Gegensatz des Geistes und der Sinnlichkeit des Menschen. Sie führt ja die Vervollkommnung auf die einfache Formel zurück: Man muss eben das pflanzliche und tierische Leben in einem zur Vollendung bringen. Nein, das führt zur Überwucherung der Sinnlichkeit. Es gelingt dieser Theorie nicht, das geistige Leben in seiner Selbständigkeit und in seiner Hoheit zu verstehen, denn alles geistige Leben bekommt seinen Adel nur aus den höheren Ideen, die es verfolgt.

Mit dieser Theorie verwandt ist die Ethik des Kulturfortschritts. Das soll verpflichtend sein, was dem Fortschritt der Kultur dient. Die Kultur fördern ist wichtig und richtig. Wir sollen es tun. Aber die Verpflichtung dazu kommt nicht aus der Kultur, die Verpflichtung dazu kommt von einem Gesetzgeber, der uns gebietet, die Kultur zu erzeugen und zu pflegen. Die Summe der Kulturgüter bleibt immer ein Erzeugnis des Menschen. Das sittliche Bewußtsein aber weist auf eine höhere Macht hin, die uns auferlegt, die Kultur zu hegen und zu pflegen. Außerdem ist die Förderung der Kultur für viele Menschen unmöglich. Denken wir an Kranke, Verstoßene, Verbrecher.

Alle diese Theorien machen den entscheidenden Fehler, dass sie Gesetze aufstellen ohne Gesetzgeber. Wenn einmal die Bande zerrissen sind, die den Menschen mit Gott verbinden, den obersten Gesetzgeber, dann bleibt nichts mehr als das elende Machwerk einer bloßen bürgerlichen Moral, einer Moral, die sich um ewige Gesetze und Gottes Weisungen nicht kümmert, die den Menschen den Launen seines persönlichen Lebens, seiner persönlichen Leidenschaft überantwortet.

Meine lieben Freunde, die sittliche Ordnung, das Sittengesetz, ist entweder der Ausdruck des göttlichen Willens, oder sie wird zum Spielzeug menschlicher Willkür. Ein sittliches Gebot, hinter dem kein anderes Ansehen steht als der Name eines Privatmannes, hat nicht mehr Macht als der König auf der Spielkarte.

Wir haben die christliche Sittenlehre und suchen sie zu befolgen. Das ist unser Glück. Sie kommt von Gott, und sie besteht im sittlichen Naturgesetz, in der Uroffenbarung, in der Offenbarung Alten und Neuen Bundes. Die christliche Sittenlehre wird uns von der Kirche, geleitet vom Heiligen Geiste, vorgelegt, untrüglich und unfehlbar. Wir sind wahrlich von Gott belehrt, zu wissen, was zu tun und zu meiden ist. Wir sind in der glücklichen Lage, nicht auf philosophische Systeme angewiesen zu sein, um zu wissen, was sittlich ist, sondern unser Gewissen verweist uns auf die Gebote Gottes. Und so meine ich, dürfen wir glücklich sein, dass Gott uns seinen Willen geoffenbart hat. Im Psalm 118, den wir Priester an jedem Sonntag beten, im Psalm 118 wird das Lob des Gesetzes Gottes gesungen und der Dank des Menschen für dieses Gesetz ausgesprochen. Da heißt es: „Klüger als meine Feinde macht mich dein Gebot, mein Eigentum ist es auf ewig. Wäre nicht dein Gesetz mein Entzücken, dann wäre ich umgekommen in meinem Elend.“

Amen.

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