Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Diesseits und Jenseits (Teil 2)

27. Februar 2005

Die Diesseitspflichten des Menschen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag hatten wir erkannt, dass das Christentum eine Jenseitsreligion ist. Unser Ziel liegt im Jenseits. Aber deswegen wird das Diesseits nicht unbeachtlich, denn die Arbeit im Diesseits ist die Voraussetzung, dass wir das Jenseits gewinnen. Also kommt alles darauf an, dass wir so durch die zeitlichen Güter hindurchgehen, dass wir die ewigen nicht verlieren. Im Diesseits liegt das Feld für unsere Arbeit, die uns zum Jenseits führen soll. Der Mensch hat es in der Hand, wie er sein Diesseits gestaltet, um das Jenseits zu gewinnen. Diese Arbeit im Diesseits ist also gottgewollt. Gott will, dass wir uns durch die irdische Arbeit den Weg zum Jenseits bahnen. Die irdische Pilgerzeit ist nicht unbeachtlich, sondern sie ist entscheidend für unsere ewige Zukunft.

Diese Arbeit, die Gott mit uns leistet, und die Mitarbeit, die wir mit Gott leisten, das ist unsere Aufgabe auf Erden. Diese Mitarbeit ist eine Not, ein Gebot und ein Beruf. Sie ist eine Not, weil sie unausweichlich aufsteigt aus dem Grunde unseres Seins, eine Notwendigkeit. Sie ist ein Gebot, weil sie unseren sittlichen Willen betrifft und unser religiöses Tun. Und sie ist ein Beruf, weil jeder von Gott seinen eigenen Auftrag erhalten hat, das Irdische zu gestalten.

Zunächst also ist unsere Mitarbeit eine Notwendigkeit. Sie steigt aus dem Sein des Menschen auf. Der Mensch ist noch nicht fertig, und die Menschheit ist noch nicht fertig. Sie hat noch viel zu leisten. Sie hat die Erde zu gestalten, und sie soll sich selbst formen, bis das Bild Christi in allen herausgearbeitet ist. Der Mensch hat eine Kulturaufgabe, und sie ist gottgewollt. Freilich ist sie nicht die höchste. Sie wird umklammert von einem größeren Befehl, nämlich in Christus mit ihm gleichgebildet zu werden. Christus schenkt sich uns, aber dieses Schenken ist wiederum eine Aufgabe für den Empfangenden. Die Geschenke Gottes sind immer von besonderer Art: Sie sind Aufgaben für die Beschenkten. Und diese Aufgabe liegt darin, dass wir uns emporrecken sollen, dass wir emporschreiten sollen, dass wir hinaufwachsen sollen zum Vollmaß Christi, zur Fülle des neuen Lebens, das Christus uns gebracht hat. Ein Drang zur Tat und zu schwerster Arbeit wohnt auf dem Grunde des christlichen Wesens. Für den Christen gilt das Wort: „Genug ist nie genug!“

So wächst die Forderung nach Mitarbeit als eine starke Notwendigkeit aus dem Wesen des ersten und des zweiten Menschen. Sie ist eine Werde-Not in Natur und in Gnade, in der Welt des schaffenden und des schenkenden Gottes. Ein Fortschritt soll in uns sein in natürlichem Wachstum und ein Fortschritt in übernatürlicher Gnade. Wir sollen die Talente, die Gott uns gegeben hat, verwerten, und wir sollen die Kräfte, die der Erlöser uns geschenkt hat, aufnehmen und in ihnen wachsen.

Mitarbeit im besten Sinne kann aber nur ein persönliches Wesen, ein verstehendes Wesen leisten, ein Wesen, das mit zartinnigem Verständnis auf fremde Gedanken einzugehen weiß, das sich mit heiliger Liebe einzufühlen weiß in die Interessen Gottes als freier, sittlich befähigter Geist. Und so ist unsere Mitarbeit ein sittliches Gebot. Es ergeht an unsere freien Willenskräfte, es ruft uns auf zu gottgeweihtem Dienen und Helfen und zu religiöser Tat. Einfältig und einfach ausgedrückt: Wir haben die Pflicht, gute Werke zu wirken. Nach den Werken ergeht das Gericht, nicht nach dem Reden. Von einem kirchlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte stammt das schöne Wort: „Non loquimur magna, sed vivimus“ – Wir Christen sprechen nicht große Dinge und große Worte, sondern wir tun sie. Non loquimus magna, sed vivimus. Und Gott bedarf unser, er bedarf unserer Hilfe, er will, dass wir ihm helfen, er will unsere Mitarbeit, er will nicht alles allein tun. Das ist der Irrtum des Protestantismus, dass Gott alles allein und ohne den Menschen tut. Das ist ein Irrtum. Gott will unsere Mitarbeit, er will unsere Mitwirkung. Gott braucht den Menschen, um seine Pläne durchzuführen. Er braucht den Geist, die Hände und die Arme des Menschen. Gott kommt nur so weit, wie menschliche Arme ihn tragen auf dieser Erde. Gott hat den Brunnen erschaffen, aber nicht den Eimer. Unser Herrgott will nicht, dass das Weißbrot schon auf den Bäumen wächst; er will unsere Arbeit und unsere Anstrengung. Ich kann es nicht hören, wenn jemand sagt: „Da kann man nur beten.“ Nein, man kann nicht nur beten, man muss arbeiten. Arbeit und Gebet sind die zwei Flügel, die uns ins Jenseits tragen.

Die heilige Franziska von Rom sagte, wenn sie vom Gebet zur Arbeit gerufen wurde: „Der Herd ist so wichtig wie der Altar.“ Der Herd ist so wichtig wie der Altar. Gebet und Arbeit sollen einander in die Augen schauen wie die zwei Engel, die über der Bundeslade thronten. Und der Herr sagt es im Johannesevangelium mit ähnlichen Worten, wenn er spricht: „Dadurch wird Gott verherrlicht, dass ihr Frucht bringt und so meine Jünger seid.“ Durch Fruchtbringen erweisen wir uns als sein Jünger, nicht durch Schläfrigkeit, nicht durch Bequemlichkeit, nicht durch Sich-gehen-Lassen, sondern durch Fruchtbringen. Das Reich Gottes soll kommen, aber es soll auch kommen durch unsere Mitarbeit. Das ist ein sittliches Gebot für uns. In der freien Tat des Willens fällt die Entscheidung, je nachdem sie mittut und mitarbeitet an den Christusgedanken Gottes. Die Zukunft gehört den wachen Köpfen und den regsamen Händen und denen, die einen starken Führer finden und einen treuen Bruder. Wir wissen es doch, meine lieben Freunde: Kein Mensch arbeitet für sich allein, keiner siegt und fällt für sich allein. Wir sind mit ewigen Ketten aneinander geschlossen, wir sind uns gegenseitig Gläubiger und Schuldner. Und wenn wir einen solchen Starken neben uns finden, wenn wir einen finden, der unseren Brüdern Führer und Vorkämpfer sein kann, dann reiche er die Hand her, und wir wollen in sie einschlagen und wollen uns an ihn klammern, dass wir nicht straucheln und irregehen. So kann also einer dem anderen Lichtbringer und Führer sein.

Manchmal freilich könnten wir ermüden und verzagt werden, wenn wir in die Kulturarbeit der Menschheit schauen. Ich denke zum Beispiel an die Schriftsteller. Wie viele von ihnen, meine lieben Freunde, bauen das Reich Gottes nicht auf, sondern wirken ihm entgegen. Und gerade die, welche am meisten Schaden anrichten in natürlicher und übernatürlicher Hinsicht, gerade die werden bevorzugt, haben Riesenauflagen ihrer Bücher, erhalten Preise. Denken Sie daran, dass vor kurzem der Nobelpreis für Literatur an die Elfriede Jelinek verliehen wurde. Wer ist Elfriede Jelinek? Eine Frau, die die Religion, das Christentum, die heilige Kirche schmäht und die ihr Vaterland Österreich in den Dreck zieht. Diese Frau bekommt den Nobelpreis für Literatur.

Aber diese Erscheinungen, diese Massenerscheinungen dürfen uns nicht verzagt machen und nicht verzweifeln lassen. Das Gute wird nicht dadurch zerstört, dass Menschen an ihm vorübergehen und es missachten. Wenn das Gute missbraucht wird, hört das Gute nicht auf, gut zu sein. Wir dürfen es der menschlichen Kulturarbeit nicht entgelten lassen, dass es Menschen gibt, die sie missbrauchen, die sich nicht als Gottesarbeit verstehen. Die dunklen Schatten, die auf der Menschheit liegen und die ihr ganzes Kulturwerk mit Schleiern der Trauer verhüllen, das sind religiöse Verneinung und sittliches Versagen. Und deswegen müssen gerade die religiösen Männer und Frauen vortreten, um die Kultur zu retten, um der modernen Kultur ihren ganzen Sinn und ihren Ewigkeitswert zu geben. Und weil in der katholischen Kirche allein die Brunnen springen, von denen gewaltige Wasser des Glaubensgeistes und ernsthaften Christentums in die Welt hinausgehen, so müssen wir katholische Christen vortreten und dem breiten, stolzen Strom ein Bett graben zu dem ewigen Meere. Die Kirche soll der ganzen Menschheitskultur innerlich gegenwärtig sein als ihre Beseelung. Sie soll ihr gegenwärtig sein als ihr andringender und durchdringender Geist. Dieser Geist lauterster Gottesliebe und dieser Geist reiner Nächstenliebe, das ist es, was die menschliche Kultur durchdringen soll. Der christliche Geist ist – ich nehme nichts zurück – eine Jenseitshoffnung, aber nicht eine träge, wartende Hoffnung. Sie baut sich selbst das Jenseits auf dem Grunde und aus den Steinen dieser Welt.

Das heilige Gebot der Mitarbeit steht also, meine lieben Freunde, über uns, über einem jeden von uns. Gewiß, die Weisen der Mitarbeit sind verschieden. Jeder hat seinen Beruf, aber jeder Beruf ist von Gott gewollt. So unabsehbar die natürlichen und übernatürlichen Anlagen des Menschen sind, so zahllos und weit gestreut sind auch die Arbeitsfelder. Es gibt gewiß ein Wirken, das tiefer greift und bedeutungsvoller ist als ein anderes. Es gibt Berufe, die für den Glücklichen, der ihn hat, erfüllend sind und die ihn höher tragen als andere. Es gibt Berufe, die reichere Mittel gewähren und ernstere Anforderungen stellen, aber eine Zurücksetzung liegt nicht in der Stufenfolge. Ein jeder Beruf, wie immer er aussehen mag, ist nach Gottes Willen ein Weg zum Jenseits, ist notwendig für das Wirken des Ganzen, ist Teilfunktion, die nicht entbehrt werden kann. Da sind Arbeitsstätten für den heldenmütigen Missionar, aber auch Arbeitsstätten für den unscheinbaren Brotberuf, der sich auswirkt in stiller Werkstatt oder im einfachen Haushalt. Für jeden, der bereitwilligen Herzens ist, sind die Hände voll zu tun. Und soweit es jedem gelingt, den Posten, auf den er gestellt ist, zu meistern und zu bilden, soweit wirkt er mit an dem großen Werke, das Gott uns allen aufgetragen hat.

Mitarbeit, das ist es, was Gott von uns will. Dass unsere Liebe tatkräftig sei in heiliger Mitarbeit, das ist unsere einzige Aufgabe. Wir sollen tief die Furchen ziehen in dieser irdischen Arbeit. Wir sollen tief in die Erde graben mit unseren Mitteln, und unsere Religion der Liebe segnet alles. Sie segnet uns lächelnd und gerne, denn diese Religion weiß, was Christus gesagt hat: „Alles ist euer, ihr aber seid Christi. Christus aber ist Gottes.“

Amen.

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