Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das hohe Gut des wahren Glaubens (Teil 3)

21. November 2004

Über Phantasien ungläubiger Denker

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit dem 18. Jahrhundert wird versucht, die Religion als eine Illusion zu entlarven. Was ist eine Illusion? Die Illusion ist eine nicht erfüllbare Wunschvorstellung. Der Mensch macht sich selbst eine Hoffnung zurecht, die keinen Grund in der Wirklichkeit hat. Das ist eine Illusion, und das, so behaupten die Ungläubigen seit dreihundert Jahren, sei der Ursprung der Religion. Ich möchte Ihnen von diesen Ungläubigen vier vorführen: Erstens Arnold Gehlen, bis vor kurzem Professor an der Universität Münster, Werner Sombart, einen Soziologen, Sigmund Freud, den bekannten Erfinder der Psychoanalyse, und Ludwig Feuerbach, den kämpferischen Atheisten. Wie erklären diese vier Männer die Religion?

Nach Arnold Gehlen ist die Religion zu erklären als eine biologische Entlastung. Eine biologische Entlastung. Wie ist das zu verstehen? Nun, er geht davon aus, dass der Mensch ein Mängelwesen ist. Er ist, anders als das Tier, nicht so angepasst an seine Umgebung. Ihm fehlt das Haarkleid, wie es die Tiere haben, die Vögel, die Affen, das Pferd, und damit fehlt ihm der natürliche Schutz gegen die Witterung. Ihm fehlen die natürlichen Angriffsorgane, z. B. ein Rachen mit scharfen Zähnen oder die Klauen. Ihm fehlt auch eine Körperbildung, die zur Flucht geeignet ist. Ihm fehlt schließlich eine Umwelt; der Mensch ist überall zu Hause oder auch nirgends, während die Tiere eben ihre Umwelt, ihr Milieu haben, in dem sie in gewisser Hinsicht geborgen sind. Wegen dieser Mängel ist der Mensch schwer belastet, und diese Belastung zwingt ihn, durch Handeln und bewusste Führung sich Lebensbedingungen zu schaffen. Und das führt dazu, dass er die Religion erfindet. Das Bedürfnis nach Trost und Hoffnung führt zur Erfindung der Religion. Der Trieb, seine Ohnmacht zu überwinden, veranlasst den Menschen, sich die Religion zu schaffen. Wir erkennen ohne weiteres, dass hier die Wahrheitsfrage der Religion abgeschafft ist. Die Religion ist nur eine Leistung zur Aufhebung der besonderen Gefährdung des Menschen, eine biologische Notwendigkeit. Ihr Wert ist also relativ. Sie ist eine Entlastung oder bzw. sie ist an der Entlastung zu messen, die sie dem Menschen gewährt. Sie hat keine Wirklichkeit, sondern sie ist ein Produkt der Phantasie.

Warum trage ich Ihnen diese Gedanken vor. Meine lieben Freunde, weil Sie sie im „Spiegel“ oder im „Stern“ oder in anderen Organen lesen können; weil diese Meinung abgesunken ist in das Volk und Ihnen konfrontiert wird. Sie müssen davon wissen, damit Sie darauf antworten können.

Gegen diese Behauptung von Gehlen ist zu sagen, dass der Mensch nicht durch die Religion seine Ohnmacht überwindet, sondern durch die Technik. Er schafft sich die Instrumente, mit denen er der Gefährdung, der er zweifellos unterliegt, Herr wird. Die Technik überwindet diese Schwäche, diese Seinsschwäche, diese Mängel, die ihm anhaften. Die Religion liegt auf einer ganz anderen Ebene, wie wir noch sehen werden.

Der zweite dieser ungläubigen Denker ist Werner Sombart. Nach ihm ist der Mensch gefährdet, weil er den Geist besitzt und mit dem Geist ihm die Entscheidung auferlegt ist und die Entscheidung in Irrtum führen kann. Er kann irrige Entscheidungen, falsche Entscheidungen, gefährliche Entscheidungen fällen. Darum muß der Mensch – nach Sombart – sich Ideale gleichsam als Schutzhütten schaffen. Eine solche Schutzhütte ist die Religion. Sie ist ein Rausch, um das Leben auf Erden erträglich zu machen. Ein Rausch, um das Leben auf Erden erträglich zu machen. Wir alle wissen, was ein Rausch ist. Ein Rausch ist eine leichte Trunkenheit. In dieser Trunkenheit hat der Mensch meistens eine glückhafte Erregung, er fühlt sich gehoben. Gleichzeitig aber kommen mit der Trunkenheit Wahrnehmungsstörungen, Bewusstseinsveränderungen. Der Mensch vermindert seine Selbstkontrolle, und er verliert die Orientierung. Ein solcher Rausch ist die Religion gewiß nicht. Durch die Religion wird die Wahrnehmung nicht gestört. Durch die Religion wird auch das Bewusstsein nicht verändert. Durch die Religion wird auch die Selbstkontrolle nicht vermindert. Die Religion lässt auch nicht die Orientierung verloren gehen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Religion veranlasst den Menschen, seine Kräfte zu steigern und sie intensiver einzusetzen. Die Religion macht den Menschen nicht trunken, sie macht ihn nüchtern. In der Religion sieht er, dass es eine Illusion ist, wenn die Menschen meinen, es werde auf Erden immer besser werden. Es wird nicht immer besser, es wird immer schlimmer auf Erden! Das deckt uns die Religion auf; es gibt keinen endlosen Fortschritt. Die Religion befreit auch von dem Irrtum, als ob es nur das gäbe, was man riechen, schmecken und tasten kann. Die Religion deckt uns die ganze und wirkliche Realität auf. Sie gibt uns einen Blick für die Wirklichkeit Gottes und des Jenseits. Die Religion macht uns nicht trunken, sie macht uns nüchtern. Sie befreit uns von der Illusion des Marxismus, als ob die klassenlose Gesellschaft das Heil für die Menschen bringen könnte. Die Religion befreit uns auch von der Illusion, als ob es auf Erden einen ewigen Frieden geben würde. Der Krieg besteht, solange es Menschen geben wird, das sagt uns die Religion. Nein, meine lieben Freunde, Sombart hat unrecht, wenn er behauptet, die Religion sei ein Rausch des Geistes. Die Religion ist die Nüchternheit des Geistes.

Sigmund Freud ist Ihnen allen bekannt durch seine Psychoanalyse. Er will ja alles auf sexuelle Erscheinungen zurückführen, insbesondere auf den Ödipus-Komplex. Auf diese Weise erklärt er auch die Religion. Er sagt, der Mensch hat Triebe, wilde, schlimme, unorganische und ausufernde Triebe, und diese Triebe möchte er ausleben. Aber die Gesellschaft, die Kultur, die Zivilisation zwingt ihn, die Triebe zu beherrschen und sich der Triebe zu entledigen, auf die Triebe zu verzichten. Dieser Triebverzicht aber, so geht er dann voran, dieser Treibverzicht führt zu einer illusionären Trieberfüllung in der Religion. In der Religion, so meint er, kann man die Triebe erfüllen, die man auf Erden wegen des Widerstandes der Gesellschaft und der Gesetze nicht erfüllen kann. So erklärt er die Religion als eine gesamtmenschliche Zwangsneurose. Meine lieben Freunde, die Religion bringt Erfüllungen auf einer ganz anderen Ebene, als sie die Triebe verheißen. Die Erfüllungen der Religion sind geistig, und diese geistigen Erfüllungen sind gewiß kein Ersatz für den Menschen, der sich durch Besitz, durch Macht, durch geschlechtliche Betätigung befriedigen will. Das ist kein Ersatz für diese massiven irdischen Erfüllungen. Außerdem sind die Erfüllungen der Religion begleitet von Entbehrungen. Die Religion mutet dem Menschen auch viele Nicht-Erfüllungen zu. Sie steht vielen menschlichen Wünschen entgegen. Die Religion ist nicht so, wie die Menschen es wünschen würden. Es ist nicht wahr, dass die Wünsche die Religion im Menschen hervortreiben, sondern die Religion kennt viele Entbehrungen, fordert Verzicht. Es ist also gerade nicht so, dass die Religion als Ersatz für den irdischen Triebverzicht eintreten könnte. Nein, die Religion steht über allen Trieben und vermag den irdischen Treibverzicht nicht zu ersetzen.

Der letzte dieser Reihe ist Ludwig Feuerbach. Sein Hauptwerk geht über die Begründung des Atheismus, zwei Bände. Ich habe sie gelesen. Ludwig Feuerbach erklärt die Religion in folgender Weise: Gott ist nichts anderes als das Wesen des Menschen selbst. Gott ist nichts anderes als der Geist des Menschen, die Seele des Menschen, das Herz des Menschen. Die Religion entsteht so, dass der Mensch sein Wesen außer sich setzt, dass der Mensch sein Wesen außer sich verlegt. Die Religion ist letztlich Anthropologie, und daher steht auf dem Feuerbach-Denkmal in Nürnberg das Wort: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Ich wiederhole noch einmal diesen fundamentalen Satz: Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. Die Religion ist eine Illusion, denn der Mensch hat sich selbst entworfen und sein Bild auf den illusionären Gegenstand Gott übertragen. Der letzte Grund für die Religion ist der Glückseligkeitstrieb. Der Mensch will, wenn er sich selbst in einem höheren Wesen wiederfindet, glücklich sein, die Religion ist also Egoismus, die Liebe zu sich selbst.

Was ist zu diesen Aufstellungen von Feuerbach zu sagen? Es ist, meine lieben Freunde, eine Versuchung des Menschen, dass er im letzten Grunde in der Verehrung Gottes sich selbst meint und seine Wünsche und die Züge seines Wesens auf die Gottheit überträgt. Es ist eine Gefahr, dass der Mensch sich einen Gott erdichtet, einen Gott, wie er ihn gern haben möchte, einen Gott, der ihm nicht lebensgefährlich wird, einen Gott, der des Menschen Art entspricht und sie gleichsam nur bestätigt. Auch im Christen wurzelt diese Versuchung, Gott zur Mitte der eigenen Wünsche zu machen und sein Bild nach den Zügen des Menschen zu prägen, also einen allzu menschlichen Gott zu entwerfen. Aber – aber, meine lieben Freunde, der religiöse Mensch überwindet diese Versuchung. Der wahrhaft religiöse Mensch und die religiöse Institution, die wir Kirche nennen, besiegen diese Versuchung. Sie lehnen es eben ab, Gott nach dem Bilde des Menschen zu machen. Sie haben doch im Zehn-Gebote-Gesetz gelesen: „Du sollst dir kein geschnitztes und kein gegossenes Bild machen von Gott.“ Und heute höre ich den Befehl: Du sollst dir auch kein gedachtes Bild von Gott machen. Jawohl, die Versuchung besteht, Gott nach den eigenen Wünschen zu formen. Aber diese Versuchung wird in der wahren Religion, in der christlichen Religion, im katholischen Glauben überwunden. Außerdem verfällt Feuerbach einem logischen Fehlschluß. Es ist ganz richtig, dass etwas nicht deswegen existiert, weil man es wünscht, aber es ist nicht richtig, dass etwas deswegen nicht existieren kann, weil man es wünscht. Das ist ein Fehlschluß. Das ist ein logischer Fehlschluß, auf dem Feuerbach sein ganzes System aufgebaut hat.

Der christliche Glaube hat auch viele Momente, die dem menschlichen Glücksverlangen entgegenstehen. In der christlichen Religion ist oft von der notwendigen Trübsal des Christen die Rede. Ich zitiere einige Stellen aus dem Neuen Testament. Wir haben eben das letzte Evangelium des Kirchenjahres gehört, und da heißt es ja, dass von Kriegen und Kriegsgerüchten zu hören sein wird und dass man aufpassen muß, dass man sich nicht verwirren lässt. Und das ist erst der Anfang der Wehen. Es werden Drangsale über die Christen kommen. Ihre Feinde werden sie töten; sie werden verhaßt sein bei allen Völkern um des Namens Jesu willen. Es wird eine große Trübsal geben, bevor der Herr kommt, wie es von Anfang an nicht der Fall gewesen ist, und wenn jene Tage nicht abgekürzt würden, dann würde kein Mensch gerettet werden. Im Kolosserbrief spricht Paulus ebenfalls von der Trübsal der Christen: „Ich freue mich der Leiden für euch. Ich will das an meinem Fleische ergänzen, was an dem Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, die Kirche.“ Und was er hier von sich schreibt, das gilt für jeden Christen. Wir alle müssen an unserem Leibe ergänzen, was an dem Leiden Christi noch fehlt. Gott hat uns nicht verheißen, dass er uns von Leiden verschonen wird. Die Christen wissen, dass die Lieblinge Gottes besonders viel zu leiden haben. So behandelt er seine Freunde.

Die Trübsal der Christen ist auch im Hebräerbrief ausgesagt, wo es heißt: „Erinnert euch der früheren Tage, in denen ihr nach eurer Erleuchtung einen schweren Leidenskampf bestehen musstet, da ihr durch Schmähungen und Drangsale zum Schauspiel wurdet oder doch Leidensgenossen derer, denen es so erging. Ihr habt mit den Gefangenen gelitten und den Raub eurer Habe mit Freuden hingenommen.“ Das alles sind die Trübsale, die über die Christen kommen. Keine Wunschvorstellung kann sie von uns fernhalten. Die Religion ist kein Zaubermittel, um uns vor Leiden zu verschonen.

Das Leben des Christen ist auch durch die Moral in Frage gestellt, denn das Christentum hat eine anspruchsvolle, hat die anspruchsvollste Moral, die je auf Erden gepredigt wurde. Wir erinnern uns, wie es beispielsweise in der Bergpredigt heißt: „Niemand kann zwei Herren dienen, denn er wird den einen hassen und den anderen lieben oder dem einen anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Hier wird die Entscheidung verlangt, die radikale Entscheidung: entweder Gott dienen oder dem Mammon, was immer auch darunter zu verstehen ist. Und an einer anderen Stelle in derselben Bergpredigt weist der Herr darauf hin, was den Alten gesagt wurde: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wenn du mir einen Zahn ausschlägst, dann kann auch ich dir einen Zahn ausschlagen. „Nein, ich sage euch: Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen, sondern wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, so halte ihm auch die andere hin, und will jemand mit dir vor Gericht streiten und dir deinen Rock nehmen, so laß ihm auch den Mantel. Und wenn er dich nötigt, eine Meile mitzugehen, mit dem gehe einen Weg von zwei Meilen.“ Das sind die Moralvorschriften des Christentums, die alles andere sind als Wunschvorstellungen, die sich der Mensch zurechtmacht.

Und schließlich muß man aber auch darauf hinweisen, dass das Leben des Christen, auch des Christen, im Tode zerbricht. Das ist das Gegenteil dessen, was der natürliche Egoismus des Menschen begehren würde. Nein, meine lieben Freunde, die Predigt vom Kreuz und die Theologie des Kreuzes machen nicht die verborgenen Wünsche des Menschen offenbar, sondern sie lehren, was Gott geoffenbart hat und was Gott uns gelehrt hat. Die Theologie des Kreuzes macht die unwiderlegliche Tatsache offenbar, dass der Mensch den heiligen Gott nicht aushält, dass er ihn als unerträglich empfindet und ihn aus dem Wege schaffen muß, wie wir es an unserem Heiland erlebt haben, eine Enthüllung, die das Gegenteil von dem ist, was Feuerbach im Christentum finden will. Das Christentum ist nicht die Erfüllung der menschlichen Wünsche. Hätte man es erfunden, dann wäre es ganz anders ausgefallen. Die Gewissheit, dass es einen Gott gibt, die Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes ist nicht im Menschen entstanden, sondern sie wird dem Menschen von der Wirklichkeit aufgedrängt. Weil Gott ein Wesen außerhalb des Menschen ist, deswegen gelangt sein Botschaft zum Menschen. Der Mensch wird aufgefordert, sich dieser Botschaft zu erschließen. Er wird aufgefordert, sich dieser Wirklichkeit zu öffnen. Mag sich für die Flucht vor dieser Wirklichkeit die These, alles sei nur eine Illusion, geradezu empfehlen, die Wirklichkeit ist doch stärker und nötigt den Glauben an die Realität Gottes auf.

 Im Menschen regt sich das Gewissen. Das Gewissen ist der Träger eines Gesetzes. Ein Gesetz verlangt nach einem Gesetzgeber. Der Mensch weiß um das Kausalgesetz; nichts entsteht ohne Ursache. Wenn also etwas da ist, dann muß es einen Verursacher haben, einen ersten unbewegten Beweger, wie schon die Griechen gelehrt haben. Nein. Und erst das Neue Testament belehrt uns, dass der Heilige Geist an das Herz des Menschen anklopft, dass er, wenn der Mensch diesem Klopfen nachgibt, mit Sicherheit zum lebendigen Gotte findet. Der Jäger über den Wolken erreicht das menschliche Herz und findet im Menschen sein Ziel. Wenn der Mensch seinsgerecht lebt, gibt er Gott Einlaß und erkennt seine Wirklichkeit, eine Wirklichkeit, meine lieben Freunde, über allen Wirklichkeiten.

Amen.

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