Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das hohe Gut des wahren Glaubens (Teil 1)

7. November 2004

Die Menschenfurcht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In seinem zweiten Brief an Timotheus schreibt der Apostel Paulus, dass für die letzten Tage schwere Zeiten bevorstehen. „Die Menschen werden selbstsüchtig sein, geldgierig, prahlerisch, übermütig, schmähsüchtig, den Eltern ungehorsam, undankbar, gottlos, lieblos, friedlos, verleumderisch, unenthaltsam, grausam, schonungslos, verräterisch, frech, aufgeblasen, sie werden die Lüste mehr lieben als Gott.“ Ich weiß nicht, meine lieben Freunde, ob tatsächlich die letzten Zeiten angebrochen sind, für die das alles vorausgesagt ist. Aber eines weiß ich, dass eine Haltung unter den Christen weit verbreitet ist, nämlich die Menschenfurcht. Wie oft habe ich in meinem Leben erfahren, sei es bei der Wehrmacht oder in der Fabrik oder selbst in der Professorenschaft, wie weit verbreitet die Furcht vor Menschen ist. Wir wollen heute über die Menschenfurcht nachdenken und drei Fragen stellen:

1. Woher stammt die Menschenfurcht?

2. Was bewirkt die Menschenfurcht?

3. Wie überwindet man die Menschenfurcht?

Menschenfurcht ist die Besorgnis, anderen Menschen zu missfallen. Man hat Sorge, dass man den Menschen in die Quere kommt und dass sie entsprechende Sanktionen über einen verhängen. Woher stammt die Menschenfurcht? Nun, aus dem leidigen Verlangen, das ist der erste Grund, bei den Menschen beliebt zu sein. Die Sucht, anderen Menschen zu gefallen, bei ihnen anerkannt, geschätzt, geliebt zu sein, verdirbt unsere besten Handlungen. Die Sucht, beliebt zu sein, macht uns feige und gewissenlos. „Nichts macht uns feiger und gewissenloser“, schreibt einmal die große Frau Marie von Ebner-Eschenbach, „als der Wunsch, von allen Menschen geliebt zu werden.“ Man muß den Mut haben, auch dann zu seiner Überzeugung zu stehen, wenn man dadurch unbeliebt wird. Man muß den Mut haben, Handlungen zu setzen, die einen unbeliebt machen, wenn diese Handlungen notwendig sind.

Der zweite Grund für die Entstehung von Menschenfurcht ist die Angst, isoliert zu werden. Man möchte nicht allein stehen; man möchte nicht aus der großen Masse heraustreten; man möchte nicht auffallen. Man hat Angst vor der Isolierung, denn Isolierung bedeutet eben Verlust von Chancen, von Vorteilen. Isolierung bedeutet, dass man von anderen gemieden wird, und so entsteht die Menschenfurcht, aus Angst vor Isolierung.

Der dritte Grund ist die Besorgnis, Nachteile zu erleiden. Diese Besorgnis ist berechtigt. Tatsächlich kann man, wenn man sich nicht konform verhält, von anderen Menschen Nachteile erfahren. Wir erleben das täglich in der kleinen privaten Welt und in der großen öffentlichen Welt, wie man Nachteile erleidet, wenn man sich den Menschen nicht anpasst. Und so entsteht die Menschenfurcht. Der italienische Politiker Buttiglione hat es erfahren, nicht wahr, wie man Nachteile erleiden kann, wenn man sich als katholischer Christ, als bekennender Christ, als dem Papste treuer Christ bekennt: man erleidet Nachteile. Das sind die drei Wurzeln, aus denen die Menschenfurcht entsteht.

Die zweite Frage lautet: Was bewirkt die Menschenfurcht? Nun, an erster Stelle hat sie die Wirkung, dass man die eigene Überzeugung verschweigt. Man outet sich nicht, wie man heute sagt; man behält seine Überzeugung für sich. Man ist stumm wie ein Fisch und lässt die anderen reden, man denkt: Ich behalte meine Meinung für mich, denn ich will mich nicht gefährden. Die große Publizistin, Frau Noelle-Neumann an unserer Universität Mainz, hat dieses Verhalten unter den Namen der Schweigespirale gestellt. Sie erklärt die Schweigespirale wie folgt: „Menschen orientieren sich an ihrer Umwelt, vor allem im Hinblick auf ihre Angst vor gesellschaftlicher Isolation, und richten ihre Meinungsäußerungen nach entsprechenden Einschätzungen der Mehrheitsansichten. Auf dem Feld der öffentlichen Meinung werden je nach eingeschätzter Mehrheitslage Ansichten geäußert oder verschwiegen. Was die Massenmedien mehrheitlich vertreten, motiviert Andersdenkende zum Schweigen, wenn sie nach ihrer Einschätzung mit ihrer Meinung nicht zur Mehrheit gehören. Dieser Prozeß steigert sich wechselseitig zwischen der in den Medien vertretenen angeblichen Mehrheitsmeinung und dem Schweigeverhalten der Menschen und führt somit zur Ausbildung eines doppelten Meinungsklimas und einer schweigenden Mehrheit.“ Ich meine, trefflicher kann man die Wirkung der Menschenfurcht nicht beschreiben. Man verhält sich so, wie sich die (wirkliche oder vermutliche) Mehrheit verhält, auch wenn die Überzeugung dagegen steht. Man verschweigt seine eigene Überzeugung, um nicht aufzufallen und um nicht Nachteile zu erleiden.

Die zweite Wirkung der Menschenfurcht ist, dass man sich anzupassen versucht. Man verhält sich so, wie die Umgebung sich verhält; man passt sich an. Das beginnt in der Kirche. Manche haben Angst, in der Bank sitzen zu bleiben, wenn alle zur Kommunion gehen. Sie wollen nicht auffallen, da gehen sie auch zur Kommunion, obwohl sie gar nicht kommunionwürdig sind oder kein Verlangen nach der Kommunion haben. Da beginnt es. Und es setzt sich natürlich draußen fort. Man passt sich an an die herrschende politische Richtung. In der früheren DDR haben sich eben die meisten Menschen der Linie, die von der SED vorgegeben wurde, angepasst. In der Nazi-Zeit passte man sich der NSDAP an. Nach meinem Wissen hatten wir 6 Millionen Parteimitglieder. Das waren keine schlechten Menschen. Es waren Menschen mit Menschenfurcht. Sie passten sich an. Und so ist es auch in der Religion. Ich habe einmal in Sachsen in einer Pfarrei zu tun gehabt, wo vor etwa 150 Jahren Bayern eingewandert waren als Glasbläser. Diese Bayern hatten allesamt ihren Glauben aufgegeben und waren protestantisch geworden. Sie hatten sich ihrer Umgebung angepasst. Das ist verständlich, da lebt man leichter, da ist man wohlgelitten, denn man fällt auf, wenn man sich als katholischer Christ bekennt. Und doch mahnt Paulus: „Macht euch nicht dieser Welt gleichförmig, sondern gestaltet euch um durch die Erneuerung eures Geistes.“ Macht euch nicht dieser Welt gleichförmig! Er warnt vor der Anpassung.

Die Menschenfurcht hält weiter von der Erfüllung der religiösen Pflichten ab – hält von der Erfüllung der religiösen Pflichten ab. Man sieht das im Gasthaus. Kaum jemand macht ein Kreuzzeichen vor dem Essen, kaum jemand faltet die Hände. Man möchte nicht auffallen, obwohl doch das Gebet und die Danksagung vor Gott eine Pflicht ist, eine religiöse Pflicht ist. Es werden viele Busreisen unternommen. Unter den Mitreisenden sind auch katholische Christen. Aber ganz selten, vielleicht fast niemals bittet einer darum, dass man doch am Sonntagmorgen anhalten möge, um Gelegenheit zum Besuch der heiligen Messe zu geben. Man fährt mit und versäumt die Messe. Man erfüllt die religiösen Pflichten nicht aus Menschenfurcht. Der englische König Heinrich VIII. hatte als seinen Kanzler den Kardinal Wolsey. Wolsey war ein treuer Diener seines Herrn. Aber gegen Ende seines Lebens geriet er in Konflikt mit ihm, wurde nach London bestellt und sollte dort wahrscheinlich den Tod erleiden. Auf dem Wege zu diesem schrecklichen Schicksal sprach er die Worte: „Had I but served my god with half the zeal I served my king, he would not in my age have left me nacked to my enimies “ Dieses Wort steht in dem Drama Shakespeares „König Heinrich VIII.“ „Hätte ich meinem Gott nur mit der Hälfte des Eifers gedient, mit dem ich meinem König gedient habe, dann würde er mich nicht bloß in meinem Alter überlassen haben meinen Feinden.“ Auch Wolsey hatte aus Menschenfurcht, die ja begründet war vor diesem grausamen König, dem Menschen gedient und nicht Gott.

Die Menschenfurcht hält auch von der Verkündigung des Evangeliums, des vollen, des ganzen, des unverkürzten Evangeliums ab. Wir erleben das ja fortwährend bei unseren Bischöfen. In den Hirtenbriefen der Bischöfe und in ihren Predigten, da scheinen gewisse Dinge überhaupt nicht mehr auf; die lassen sie aus. Seit Jahrzehnten sprechen sie nicht mehr über das Fegefeuer, und sie reden auch nicht über die Gebote der geschlechtlichen Sittlichkeit, denn das passt vielen Leuten nicht. Jeder will auf dem Gebiet des Geschlechtlichen tun, was ihm gefällt, und nicht, was Gott will. Und so schweigen sie. Vor einiger Zeit rief mich ein Priester an. Dieser Priester hatte mein Buch mit den Ehepredigten gekauft. Er sagte: „Ich habe alle diese Predigten gehalten bis auf eine, nämlich die Predigt über die Empfängnisverhütung.“ Aha, da hat er Angst bekommen. Das wollte er seinen Leuten nicht zumuten, die wahre, unverkürzte Lehre der Kirche, die ja nichts anderes als der Widerhall von Gottes Gebot ist, über die Empfängnisverhütung. Da hat er geschwiegen, die Predigt hat er ausgelassen. Menschenfurcht nennt man das. Die Menschen mit schwachem Glauben warten auf den Frieden, um dann zu handeln, wie sie sagen. Die Apostel mit starkem Glauben aber säen mitten in die Stürme, um dann in den guten Zeiten zu ernten.

Noch ein letztes verhindert die Menschenfurcht, nämlich den vollen Einsatz für Gottes Sache. Man will nicht als Eiferer, als Fanatiker erscheinen, und so macht man einen lauen Betrieb auch im Religiösen, der nicht auffällt, wo man nicht als Fundamentalist oder als konservativ verdächtigt wird. Nur nicht auffallen. Nur nicht als streng katholisch gelten, sondern gemütlich und bequem bei „Weck, Worscht un Woi“, wie das hier so üblich ist, nicht wahr, da macht man seinen religiösen Betrieb, aber nicht einen Einsatz, der andere beunruhigen könnte und durch den man bei anderen in Kritik geraten könnte. „Wie kann einer“, fragt einmal der heilige Cyprian, „glauben ein Christ zu sein, wenn er sich fürchtet, es öffentlich zu sein? Wie kann er dereinst mit Christus sein, wenn er sich schämt, zu bekennen, dass er jetzt zu ihm gehört?“ Das sind die Wirkungen der Menschenfurcht, meine lieben Freunde.

Jetzt fragen wir drittens: Wie überwindet man die Menschenfurcht? Nun, an erster Stelle durch den Glauben. Der Glaube gibt uns Überlegenheit über andere, die nicht glauben. Der Glaube gibt uns Gewissheit in einem Meer von Zweifeln und Irrtümern. Der Glaube macht uns stark. „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“, sagt der Apostel Paulus, „denn es ist eine Kraft  für jeden, der glaubt.“ Und an einer anderen Stelle, in dem Kampfbrief, im Galaterbrief, schreibt er: „ Wollte ich noch Menschen gefallen, wäre ich nicht Christi Diener.“ Jawohl, das ist häufig die Alternative, vor die wir gestellt sind: entweder Menschen gefallen oder Christi Diener sein.

Zweitens überwinden wir die Menschenfurcht durch Wissen. Wissen macht stark. Wer mit den Lappalien und Schlagworten unserer Gegner konfrontiert wird und genügendes Wissen besitzt, kann sie leicht zurückweisen. Aber weil sich die Menschen eben zu wenig Wissen aneigen, deswegen schweigen sie, furchtsam und ängstlich. Vielleicht haben die anderen doch recht, nicht wahr? Nein, wir müssen uns Wissen aneignen, wir müssen unermüdlich und rastlos arbeiten, damit wir die Scheingründe der anderen widerlegen, damit wir fest im Glauben stehen und den anderen Rechenschaft geben können von der Hoffnung, die uns bewegt.

Drittens überwinden wir die Menschenfurcht durch Gottesfurcht. Wer Gott fürchtet, braucht die Menschen nicht zu fürchten. Der Herr hat uns gesagt: „Fürchtet euch nicht vor denen, die nur den Leib töten können, fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele in die Hölle verstoßen kann. Ja, ich sage euch, den sollt ihr fürchten!“ Und dann fügt er noch die Drohung hinzu: „Wer sich vor diesem sündhaften und ehebrecherischen Geschlecht meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn, wenn er mit seinen Engeln kommt, vor dem Vater im Himmel schämen.“ Durch Gottesfurcht überwinden wir die Menschenfurcht.

Auch – viertens – durch Gottvertrauen. Gott verlässt die Seinen nicht. Er hat uns seinen Beistand zugesagt: „Wenn man euch vor die Gerichte führt, überlegt nicht, wie oder was ihr antworten sollt. Es wird euch dann gegeben werden, was ihr antworten sollt.“ Das heißt, der Heilige Geist wird euch kräftigen, damit ihr die rechten Worte findet.

Schließlich noch ein Letztes. Fünftens wird die Menschenfurcht überwunden durch die Erfahrung. Wir erleben immer wieder, wenn man sich als überzeugter katholischer Christ bekennt, dann finden auch andere Menschen zu einem. Der amerikanische Präsident George Bush hat sich als gläubiger Christ bekannt im Wahlkampf und hat die Wahl gewonnen. Er hat sich bekannt als Gegner der Abtreibung, als Anhänger der traditionellen Familie und als Anwalt für das öffentliche Wirken des Glaubens. Diese drei Dinge haben ihm, wie alle Wahlforscher sagen, viele Stimmen eingebracht. Man kann es auch im persönlichen Leben erleben, wie Menschen durch das eigene Beispiel aufgerufen werden, sich zum Mut und zur Überwindung der Menschenfurcht zu bekennen.

Es war im Jahre 1944, meine lieben Freunde, da kam ein junger Mann von 18 Jahren in ein Kinderlandverschickungslager, wo sich 70 Jungen aus dem Berliner Wedding befanden. Der Lagerleiter war ein SS-Mann. Am ersten Sonntag ging dieser junge Mann wie selbstverständlich zur heiligen Messe. Als er zurückkam, sagte ihm der Unterführer: „Ich bin auch katholisch.“ Aha. Und die Lagerlehrerin, eine nicht praktizierende Katholikin aus Köln, erklärte: „An einem jungen Mann, der heute noch in die Kirche geht, muß etwas sein.“ Man muß sich bekennen, dann weckt man das Bekenntnis bei anderen. Überwinden wir also die Menschenfurcht und erziehen wir die Unseren, bei denen wir Einfluß haben, zur Überwindung der Menschenfurcht.

Im 19. Jahrhundert hat einmal der österreichische Dichter Franz Grillparzer die schönen Verse geschrieben: „Will unsere Zeit mich bestreiten, ich laß es ruhig geschehen. Ich komme aus anderen Zeiten und hoffe, in andere zu gehen.“

Amen.

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