Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Rechtfertigung aus Gnade (Teil 3)

5. März 2000

Über Christus, den Bringer und Spender der Gnade

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Den Bereich der Gnade kann man zusammenfassen in dem Worte: Herrschaft Gottes. Wo Gnade ist, da herrscht Gott. Die Herrschaft Gottes aber ist unabänderlich an den Heiland Jesus Christus geknüpft. Er ist der Herold, er ist der Bote – nein, er ist der Bringer der Gottesherrschaft. In ihm ist die Gottesherrschaft Gegenwart. Das Reich des Vaters ist gleichzeitig auch sein Reich. Wenn Gott herrscht, dann herrscht auch Jesus Christus. Er hat uns die Gnade vermittelt durch sein Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen, aber er hat sich von der Gnade nicht getrennt. Wo die Gnade ist, da ist Christus; wo die Gnade wirkt, da wirkt Christus, und wo Christus nicht wirkt, da ist auch keine Gnade.

Die Heilige Schrift gibt uns Zeugnis von der innigen Verbindung zwischen Gnade und Christus. Die Jünger Jesu sind nach dem Zeugnis der ersten drei Evangelien und der Apostelgeschichte durch die Auferstehung Jesu verwandelt worden. Jesus ist anders geworden, aber auch die Jünger sind anders geworden. Solange er mit ihnen wandelte durch Galiläa und Judäa, spürten sie seine menschliche Nähe, aber sie stießen selten zu seinem Geheimnis durch. Nur einmal, nämlich vor Cäsarea Philippi, wo es der Vater im Himmel dem Petrus offenbarte, erkannten sie seine wahre Wesenheit. Erst nach der Auferstehung begriffen sie voll und ganz, wer er war. Da öffnete er ihnen die Augen, als er ihnen erschien; da erklärte er ihnen, warum er leiden und sterben mußte; da begriff endlich auch Petrus, der sich ja gegen das Leiden Jesu gewandt hatte, daß das Hauptwerk Jesu sein Leiden und seine Auferstehung waren. Jesus ist verwandelt worden, und die Jünger sind verwandelt worden. Sie haben sich jetzt zum vollen Verständnis ihres Herrn erhoben, und sie haben dieses Verständnis den Menschen ihrer Zeit vermittelt.

Im Johannesevangelium wird die Verbindung der Christen mit Christus in dem ergreifenden Bilde vom Weinstock und von den Reben dargestellt. Jesus sagt da in seinen Abschiedsreden: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er weg, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibet in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe von sich selber keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibet. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun. Wenn jemand nicht in mir bleibt, so wird er wie ein Rebzweig hinausgeworfen, und er verdorrt. Man liest sie auf, wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so möget ihr bitten, um was ihr wollt, und es wird euch zuteil werden. Dadurch ist mein Vater verherrlicht, daß ihr viele Frucht bringt und euch als meine Jünger erweist.“

Jesus nennt sich hier den wahren Weinstock. Es gibt auf den Weinbergen und auf den Weinfeldern viele Weinstöcke; aber das sind nicht die wahren Weinstöcke. Der wahre Weinstock ist nur einer, das ist Jesus Christus. Warum? Weil er das wahre Leben vermittelt. Die Weinstöcke, die unsere Winzer anbauen, vermitteln ein vergängliches Leben. Jesus als der wahre, als der eigentliche Weinstock vermittelt ein unvergängliches Leben. Er ist der wahre Weinstock, und sein Vater ist der Winzer.

Als Weinstock ist Jesus der Lebensbaum. Der Mythos träumt vom Lebenswasser, vom Lebensbrot, auch vom Lebensbaum. Doch was der Mythos erträumt, das ist Jesus. Er bringt zur Erfüllung, wovon der Mythos geträumt hat. Er ist der Lebensbaum. Sein Kreuz ist der Lebensbaum; vom Kreuz fließt das Leben. Jesus ist als Lebensbaum der Ursprung des übernatürlichen Lebens. Das Leben Gottes, das göttliche Leben ist an Jesus Christus geknüpft, es fließt gleichsam aus ihm hervor. Wer nun von diesem Leben beschenkt ist, von dem erwartet der Herr, daß er Frucht bringt. Die Lebendigkeit muß sich bekunden, indem der Lebendiggemachte Frucht bringt. Viele Frucht soll er bringen; und wer schon Frucht bringt, der soll noch mehr Frucht bringen. Genug ist nie genug, das ist das Gesetz des Christentums: Genug ist nie genug! Er soll Frucht bringen, das heißt, ohne Bild gesprochen: Er soll sein Leben, er soll seine Kräfte, er soll seine Begabungen, er soll seine Zeit, er soll sein Geld für Christus verwenden. In der Nachfolge Christi steht das schöne Wort: „Nimm mich an zur Verherrlichung deines Namens!“ Ja, das ist es, was mit dem Fruchtbringen gemeint ist. Nimm mich an zur Verherrlichung deines Namens!

Frucht bringen wir, indem wir unser Leben im Dienste Gottes aufbrauchen und verzehren. Nicht indem wir es uns bequem machen, indem wir ein lässiges, ein behagliches Leben führen, sondern indem wir uns im Dienste Jesu wahrhaft aufarbeiten. Dann bringen wir Frucht. Das ist auch die Aufgabe der Kirche. Sie hat sich im Dienste Jesu zu verzehren. Sie hat die Gnade, die sie empfängt, in Predigt und Sakramentenspendung, im Dienst an den Menschen zu erweisen. Und die Christen haben auch immer Frucht gebracht. Es ist gar keine Frage: Auch wenn der Papst sich neunzigmal entschuldigt, es ist eine Tatsache, daß in 2000 Jahren das Christentum Frucht gebracht hat, reiche Frucht, gewaltige Frucht. Wir sollen nicht so tun, als ob die Geschichte des Christentums eine Kriminalgeschichte wäre, wie Deschner meint. Die Christen haben sich in vielfacher Weise bewährt; sie haben die Gottesliebe und die Nächstenliebe geübt. Schauen Sie hin nach Mozambique. Ein Gebiet so groß wie Bayern ist überflutet, Millionen Menschen in Gefahr und Not. Wer bringt ihm Hilfe? Die christlichen Länder bringen ihm Hilfe. Daneben liegen die mohammedanischen Länder, die milliardenschweren mohammedanischen Länder. Von ihnen hört man nicht, daß sie Hilfe bringen. Die Christen sind es aus Deutschland, aus England, aus Amerika, die bringen den Bedrängten Hilfe. Auch heute noch bewährt sich das weitgehend ausgelaugte Christentum. Es bringt Frucht, wie es der Herr von ihm verlangt hat.

Die Verbindung Christi mit den Christen hebt die Personalität der Christen nicht auf. Es ist also keine organische, keine physisch-substantielle Verbindung, sondern es ist eine Verbindung zwischen Personen. Das bedeutet, daß die mit Christus Verbundenen ihre persönliche Verantwortung behalten. Jeder ist dafür verantwortlich, was die Gnade und was die Wahrheit in ihm bewirken. Jeder ist dafür einzeln und unabänderlich verantwortlich. Diese Verantwortung liegt schwer auf uns, meine lieben Freunde. Wir dürfen nicht sagen wie die Juden: Der Tempel, der Tempel, der Tempel des Herrn ist dies, oder: Herr, Herr, Herr, sondern wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden für unsere Umwelt, für unsere Mitwelt, für die Menschen, die uns anvertraut sind. Wir werden dieser Verantwortung gerecht, wenn wir den Gehorsam üben. Gehorsam ist gewissermaßen die Grundtugend der Christen – Gehorsam gegen Christus. Zweimal fordert der Herr in dem Text, den ich vorgelesen habe, auf, in ihm zu bleiben: „Bleibet in meinem Worte!“ und: „Bleibet in mir!“ Bleibet in meinem Worte, das heißt: Seid gehorsam meinem Worte, haltet an meiner Offenbarung fest, verkürzt sie nicht! Bleibet in mir, das bedeutet: Laßt euch von mir Kraft zum Gehorsam schenken. Damit ihr den Gehorsam leisten könnt, bedarf es der Kraft, aber sie steht euch zur Verfügung. Wenn ihr in mir lebt, dann werdet ihr die Kraft zum Gehorsam finden.

Es gibt freilich viele, die diesen Gehorsam nicht leisten mögen. Sie lehnen sich auf gegen Christus, und niemand hat diese Auflehnung in eindringlichere Worte gefaßt als der Philosoph Friedrich Nietzsche. Er hat ja die Botschaft verkündet: Gott ist tot. Er meint: Indem wir ihn totschweigen, existiert er nicht mehr. Und in diesem Taumel der Auflehnung hat er die Sätze geschrieben: „In der Tat, wir Philosophen und freien Geister fühlen uns bei der Nachricht, daß der alte Gott tot ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt. Unser Herz strömt dabei über von Dankbarkeit, Erstaunen, Ahnung, Erwartung. Endlich erscheint uns der Horizont wieder frei, gesetzt selbst, daß er nicht hell ist. Endlich dürfen unsere Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen. Jedes Wagnis des Erkennens ist wieder erlaubt. Das Meer, unser Meer liegt wieder offen da. Vielleicht gab es noch niemals ein so offenes Meer.“ So schildert Nietzsche die für ihn selige Situation nach der Totsagung Gottes. Das Gift der geistigen Auflehnung ist auch zu vielen gedrungen, die nie eine Zeile von Nietzsche gelesen haben. Durch viele Multiplikatoren ist dieses Gift zu den Menschen gelangt und tut seine unselige Wirkung in ihren Herzen und in ihren Taten. Freilich, wenn man Nietzsche zitiert, dann muß man ihn auch ganz zitieren; dann muß man auch sagen, daß er neben dem Triumphrausch der Auflehnung auch die Verzweiflung gekannt hat. In einem anderen Text nämlich schreibt er: „Wie? Nie mehr beten? Absolut sich ergeben und ausruhen im Vertrauen vor der letzten Wahrheit, vor der letzten Güte und Macht stehen – allein, ohne den fortwährenden Wächter und Freund, ohne den Glauben, daß über uns hinaus die Gebirge ragen, ohne geheime Beihilfen, ohne Dankbarkeit? Welche Verarmung! Daran, daß Gott starb, müssen noch Unzählige sterben.“ Wahrhaftig, mit einer unglaublichen Hellsicht hat Nietzsche die Folgen der Auflehnung gegen Gott beschrieben.

Der Gehorsam gegen Gott, der Gehorsam gegen Christus ist es, der uns die Gnade und die Wahrheit erhält. Denn wir müssen in der Wahrheit und in der Gnade ausharren. Die Verbundenheit mit Christus muß ein Dauerzustand sein. Wir dürfen von ihm nicht getrennt werden. Es muß eine Inexistenz Christi in uns und von uns in Christus sein. Es muß eine Existenzgemeinschaft und eine Lebensgemeinschaft mit Christus sein und bleiben.

Es ist immer wieder ergreifend, meine lieben Freunde,  wenn wir unmittelbar vor der heiligen Kommunion das wunderschöne Gebet sprechen, in dem wir bitten, daß wir niemals von Christus und seiner Liebe getrennt werden. Jawohl, in seiner Liebe verharren, in ihm bleiben, das ist das Entscheidende. An vielen Stellen fordert Jesus im Johannesevangelium auf, in ihm zu bleiben. Etwa wenn er sagt: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Oder an einer anderen Stelle: „An jenem Tage werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. Wenn jemand mich liebt, so wird er meinen Vater lieb haben, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Und wieder an einer anderen Stelle: „Sie sollen in uns eins sein, o Vater, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. Ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien. Ich will, Vater, daß die, welche du mir gegeben hast, dort bei dir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast.“ Immer wieder diese Aufforderung, in Christus zu bleiben und sich nimmer von ihm zu trennen. Wir bleiben in Christus, meine lieben Freunde, wenn wir im Glauben verharren. Der Glaube ist das Fundament des gesamten christlichen Lebens. Ohne Glauben ist es nicht nur unmöglich, Gott zu gefallen, ohne Glauben ist es auch unmöglich, in Christus zu bleiben. Am Glauben ist alles gelegen. Ich sage noch einmal, was ich schon öfters erwähnt habe: Wenn heute nach allen möglichen Ursachen gesucht wird, weswegen die Kirchen leer werden, warum die Priesterseminare keine Insassen mehr haben, warum die Orden zerfallen, wenn das alles gefragt wird und mit irgendwelchen dummen und törichten Antworten diese Fragen zu beantworten versucht wird, da kann ich nur sagen: Darüber kann man nur lachen! Der Grund ist der fehlende Glaube! Der Grund für all diese Schäden ist, daß der Glaube zerbrochen ist. Mit einem viertel Glauben, mit einem halben Glauben kann man nicht mehr Christus umfassen, kann man auch keine Opfer für ihn bringen, kann man nicht sein Leben im gottgewollten Zölibat für Christus hingeben. Das ist unmöglich. Nur im Glauben können wir Christus festhalten, und darum muß uns alles daran liegen, daß wir diesen Glauben nähren, daß wir den Glauben vertiefen, daß wir den Glauben festigen. Jedesmal, meine lieben Freunde, wenn ich in der heiligen Messe die Gestalten, die verwandelten Gestalten erhebe, bete ich um den Glauben. Am Glauben ist alles gelegen, und ohne den Glauben ist alles nichts wert.

Freilich steht die Erfüllung unserer Sehnsucht noch aus. Die vollendete Christusgemeinschaft ist erst möglich, wenn die irdischen Zeltformen abgebrochen werden. Die vollendete Christusgemeinschaft wird erst kommen, wenn wir die zweite Wiederkunft Christi erleben. Dann werden wir mit ihm Mahl halten, und dann werden wir mit ihm herrschen. Dann werden wir sehen, daß Christus es war, der unser Leben geprägt, geführt und zum Ziele geleitet hat.

Amen.

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