Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Über die Letzten Dinge (Teil 19)

4. Juli 1999

Der Himmel, die ewige Anschauung Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der gläubige katholische Christ weiß, daß er ein überragendes Ziel hat, nämlich den Himmel. Alles andere zählt im Vergleich zu diesem Ziel nicht. Wir haben am vergangenen Sonntag den Himmel als die Gemeinschaft mit Jesus Christus kennengelernt. Ihn, dem wir auf Erden gedient haben, dessen Geboten wir gehorcht haben, den wir aber nicht gesehen haben, dürfen wir im Himmel schauen. Eine ganze Ewigkeit sollen wir mit ihm, dem vollkommensten aller Menschen, dem Gottmenschen, beisammen sein. Christus aber führt uns zum Vater im Himmel. Wenn wir bei Gott angekommen sind, dann gibt es nichts mehr darüber hinaus; das ist das Letzte und Endgültige und Ewige. Im Himmel werden wir Gott schauen. Ihn, den wir auf Erden nicht gesehen haben, den wir nicht sehen konnten, werden wir im Himmel schauen. Der Himmel ist die Gottesschau.

Der Herr beschreibt den Himmel häufig unter dem Bild eines Mahles. Was will er damit ausdrücken, wenn er davon spricht, daß der Himmel zu vergleichen ist mit einem großen Gastmahl, mit einem Nachtmahl, bei dem der Herr seine Knechte bedient, wenn er davon spricht, daß der Himmel mit einem Hochzeitsmahl zu vergleichen ist, das der einfache Mann oder auch ein Königssohn hält, ja, daß der Himmel einem Festmahl der Völker ähnlich ist? Was will er damit sagen? Er will an erster Stelle damit hervorheben, daß der Himmel Gemeinschaft von Gott und den Menschen ist. Denn die um einen Tisch sitzen, die ein Mahl miteinander halten, sind miteinander verbunden. Und wenn verheißen ist, daß ein Mahl zwischen Gott und den Menschen stattfinden werde, dann ist damit gesagt: Es wird eine innige Verbundenheit zwischen Gott und den Menschen sein. Sie werden eine Gemeinschaft bilden. In einer Gemeinschaft ist man nicht stumm, sondern in einer Gemeinschaft führt man ein Gespräch, ein Gespräch der Liebe, ein Gespräch des Verstehens.

Bei einer Hochzeit wird alles aufgeboten, was man aufbieten kann. Da ist Jubel und Gesang; da freut sich die ganze Gemeinde mit; da wird reichliches Essen und Trinken aufgetragen. Das alles sind Gleichnisse, die uns verständlich machen sollen, daß uns beim himmlischen Hochzeitsmahl nichts mehr fehlen wird, daß alles in Fülle vorhanden sein wird, daß wir gesättigt werden, wie man auf Erden nicht satt werden kann.

Das alles ist das Ergebnis der Gottesschau. Wenn wir Gott schauen, dann werden wir wahrhaft gesättigt. Es ist ein Glaubenssatz der Kirche: „Die Seligen des Himmels schauen Gott unverhüllt und unvermittelt.“ Das war ja, meine lieben Freunde, die Sehnsucht aller Völker, der Frommen und der Denker. In den indischen Religionen, in den griechischen Mysterienreligionen, bei Plato, überall ist die Sehnsucht danach, Gott zu schauen. Auch im Bereich der Offenbarung wird als das höchste Ziel und das höchste Glück angesehen, Gott sehen zu dürfen. Das war die Bitte, die einzige, die höchste, die Moses vorbrachte: „Laß mich dein Antlitz schauen!“ Aber sie konnte nicht erfüllt werden. „Kein Mensch schaut mich und lebt“, gibt ihm Gott zur Antwort. Das heißt, der Mensch, der in diesem Pilgerleben Gott schauen möchte, Gott schauen würde, der würde geblendet und verbrannt von dem Glanze und der Herrlichkeit Gottes. Der Mensch hat auf Erden keine Fähigkeit, Gott zu schauen. Und so mußte auch die Bitte des Philippus ins Leere gehen: „Herr, zeige uns den Vater, und es ist genug.“ Darauf hat der Apostel Paulus die Antwort gegeben: „Gott wohnt in einem unzugänglichen Lichte.“ Kein Mensch hat ihn je gesehen und kann ihn sehen in dieser Pilgerzeit.

Auf Erden sind wir darauf angewiesen, Gott mittelbar zu erkennen, d.h. in den Menschen, in den Ereignissen, in den Naturerscheinungen ahnen wir etwas von der Macht und Herrlichkeit Gottes. Die Dinge und die Menschen und die Natur und die Geschichte bilden Gott in irgendeiner Weise ab, freilich in einem ganz schwachen Abglanz nur; aber immerhin, sie sagen etwas Richtiges von Gott, von seiner Macht, von seiner Majestät aus. Das ist eine mittelbare Erkenntnis, die für uns Erdenpilger genügen muß. Hier sind wir angewiesen auf den Glauben. Er wird sich einmal verwandeln in die Schau.

Wenn wir Gott schauen, dann sind wir gleich den Engeln; denn sie schauen das Antlitz Gottes immerfort. Wir werden also an der Gottesschau der Engel teilhaben. Der Evangelist Johannes hat in seinem ersten Brief etwas von dieser Gottesschau verraten, wenn er schreibt: „Jetzt sind wir Kinder Gottes, und was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen aber, daß wir ihm ähnlich sein werden, wenn er erscheint. Dann werden wir ihn sehen, wie er ist.“ Es kommt eine Zeit, wo wir ihn durch die Ähnlichkeit, die er uns verleihen wird, durch die größere Ähnlichkeit als die bisherige, sehen werden, wie er ist. Auch der Apostel Paulus schildert den Übergang vom kindlichen Wesen während der Pilgerzeit zum erwachsenen Wesen in der Ewigkeit. „Jetzt sehen wir nur wie durch einen Spiegel in Rätseln, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt bin.“ Wir werden Gott schauen, und das wird nicht nur ein stummes, neugieriges oder bewunderndes Hineinstarren in Gott sein, sondern das wird eine Begegnung mit Gott sein, der die Wahrheit und die Liebe ist. Wir werden der personhaften Wahrheit und Liebe begegnen.

Die großen Theologen haben sich darum bemüht, herauszufinden, ob die Gottesschau formell und erstlich ein Akt des Erkennens oder formell und erstlich ein Akt der Liebe ist. Da unterscheiden sich die beiden großen Theologenschulen. Die Thomisten sagen: „Die Gottesschau ist formell und erstlich ein Akt des Erkennens, auf den die Liebe folgt.“ Die Scotisten dagegen lehren: „Die Gottesschau ist formell und erstlich ein Akt der Liebe, der erhellt ist vom Erkennen.“ Iczh glaube, man muß keinen Gegensatz zwischen diesen beiden Lehrmeinungen finden. Wenn man davon ausgeht, daß es eine Stelle in der menschlichen Seele gibt, die wir Herz nennen, wo die Vermögen des Erkennens und des Liebens noch ununterschieden sind, dann kann man annehmen, daß wir Gott mit dem Herzen schauen, d.h. daß wir ihn schauen mit einem Erkennen, das von der Liebe durchglüht ist, und daß wir ihn umfangen mit einer Liebe, die vom Erkennen erhellt ist. Wir werden ihn also gleichzeitig liebend und erkennend schauen.

Freilich bedarf es dazu einer neuen Erkenntniskraft. Was wird jetzt an menschlicher Erkenntniskraft und Liebesfähigkeit haben, reicht nicht aus. Wir müssen verwandelt werden; wir müssen Anteil gewinnen an der Erkenntniskraft und an der Liebesfähigkeit Gottes. Gott muß uns also nach dem Tode verwandeln und mit seiner Liebeskraft und mit seiner Erkenntnisfähigkeit beschenken. Wir müssen Anteil gewinnen an seiner Liebesfähigkeit und an seiner Erkenntniskraft, und das nennen die Theologen das „lumen gloriae“, das Licht der Herrlichkeit. Es wird uns also eine neue Sehfähigkeit und eine neue Liebesfähigkeit eingesenkt, und kraft ihrer vermögen wir Gott zu schauen.

Die Schau Gottes in der Ewigkeit wird alle Wünsche und alle Bedürfnisse des Menschen befriedigen. Es wird das vollendete Glück und die nimmer zu mehrende Freude sein, Gott zu schauen. Freilich ist zu beachten, daß, auch wenn der Mensch in der Ewigkeit Gott schaut, Gott ein Geheimnis bleibt. Wenn der Mensch Gott schaut, schaut er in das Geheimnis Gottes. Er schaut Gott, er erblickt ihn von Angesicht zu Angesicht, aber er durchschaut ihn nicht. Gott muß ein Geheimnis bleiben, denn sonst könnte sich ja der Mensch seiner bemächtigen. Gott ist andersartig als der Mensch, und deswegen muß der Abstand zwischen Gott und dem Menschen erhalten bleiben. Gott bleibt Gott, und der Mensch bleibt ein Mensch. Ich sage noch einmal: Wir schauen Gott wirklich und wahrhaftig, wir sehen ihn unmittelbar und unverhüllt, aber wir durchschauen sein Wesen nicht. Wir schauen ihn, wie die Theologen sagen, „totum“, aber nicht „totaliter“, Ganz, aber nicht in gänzlicher Weise. Es ist uns wegen unserer unaufhebbaren Geschöpflichkeit unmöglich, Gott in seinen Tiefen zu durchdringen. Darin liegt für den Seligen keine Betrübnis. Er ist deswegen nicht ungehalten oder empfindet noch ein Bedürfnis zu weitergehender Erkenntnis. Nein, er erkennt, daß er Gott so schaut, wie er ihn überhaupt schauen kann, und er weiß, daß er gleichsam verbrennen würde, wenn sich Gott ihm in größerer Mächtigkeit einsenken würde. Er kann nicht mehr schauen, als er schaut. Es läßt also die Tatsache, daß er Gott nicht durchschaut, keinen Stachel in ihm zurück. Er ist glücklich und selig in der Schau, die ihm gewährt ist.

Weil der Abstand zwischen Gott und dem Menschen bleibt, hört auch im Himmel die Ehrfurcht nicht auf. Es bleibt die Mischung von Nähe und Ferne, die wir Ehrfurcht nennen. Es bleibt jene heilige Liebe, die von heiliger Gottesfurcht durchdrungen ist, die wir auch auf Erden nötig haben, um uns dem Geheimnis Gottes zu nähern. Und in dieser Ehrfurcht bringen die Seligen des Himmels Gott die Anbetung dar. Die Anbetung hört nicht auf, sondern sie gewinnt eine neue Dimension. Wir nehmen an der himmlischen Liturgie teil, wie sie uns der Apokalyptiker Johannes beschreibt, wo mit den Mitteln der damaligen Kulte und Zeremonien (im 1. Jahrhundert) beschrieben wird, wie die Seligen des Himmels den allmächtigen und majestätischen Gott verehren.

Das also, meine lieben Freunde, ist der Zustand, dem wir entgegengehen. Auf Erden haben wir oft unter den Verhüllungen Gottes gelitten. Gott war ein verborgener Gott, und die Verborgenheit hat sich manchmal so vertieft, daß wir gefragt haben: Wo ist unser Gott? Im Himmel wird jedes Rätsel gelöst sein. Wir schauen Gott und alles, was von Gott stammt. Wir schauen also Gott, den dreifaltigen Gott; wir schauen sein Wesen und wir schauen seine Eigenschaften. Wir schauen das innertrinitarische Leben, ja, wir nehmen teil am innertrinitarischen Leben. Wie der Vater den Sohn hervorbringt, und wie der Sohn dem Vater antwortet, und wie Vater und Sohn den Heiligen Geist hauchen, das wird der Gegenstand unserer Schau sein. Gleichzeitig wird uns Gott auch alles Außergöttliche mit seinem Sohne zu schauen geben. Die Rätsel des Daseins und der Geschichte werden dann gelöst sein. Hier auf Erden sind wir oft mit der bangen Frage konfrontiert: Wie ist das eigentlich zu verstehen, wie ist das zu vereinbaren mit dem guten, mit dem gerechten Gott? Alle diese Fragen werden uns in der Gottesschau nicht mehr beschäftigen. Sie sind gelöst. Gott gibt uns zu erkennen, daß es alles so sein mußte, wie er es gefügt hat, und wir werden seine Weisheit und die Kraft seiner Fügungen anbeten.

„Der Lohn für unseren Glauben wird sein, daß wir schauen, was wir jetzt glauben“, sagt einmal der heilige Augustinus. Und er knüpft daran die Mahnung: „Glaube, was du jetzt noch nicht erkennst, damit du erkennen und schauen kannst, was du jetzt glaubst!“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt