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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen den Nächsten (Teil 15)

24. Januar 1999

Die Pflicht zur Erziehung der Kinder

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Pflichten gegen den Nächsten nehmen eine besondere Farbe an in der Familie. Die Eltern haben die Pflicht, ihre Kinder zu lieben. Die Kinder sind ja ein Teil ihrer selbst, ein Teil der Eltern. Körperlich und geistig sind sie von den Erbanlagen geprägt, die sie von den Eltern empfangen haben. Die Zuneigung der Eltern ist also schon aus natürlichen Gründen ganz normal. Und die Eltern haben zudem die von der Offenbarung auferlegte Pflicht, ihre Kinder zu lieben. Die Heilige Schrift hebt vor allem in den Briefen des heiligen Apostels Paulus an die Kolosser und Epheser die Pflicht der Liebe, die Eltern gegen ihre Kinder haben, hervor. Diese Liebe muß freilich bestimmte Eigenschaften haben. Sie muß von der Vernunft geprägt sein, d.h. sie muß sich bewähren im Geben und im Vorenthalten. Die Liebe muß selbstlos sein, d.h. die Eltern dürfen die Kinder nicht um ihrer willen lieben, sondern um der Kinder willen. Und die Liebe muß auch hingabefreudig sein. Hier gilt wahrlich das Wort, daß niemand eine größere Liebe hat als der, der sein Leben hingibt für die Seinen.

Die Liebe der Eltern bewährt sich in besonderer Weise in der Erziehung. Eltern müssen ihre Kinder erziehen. Diese Erziehung ist eine vierfache, eine leibliche, eine geistige, eine sittliche und eine religiöse. Die Erziehung bedarf bestimmter Voraussetzungen. Man kann nur erziehen, wenn man einen Plan für die Erziehung hat; nicht blindlings und planlos darf die Erziehung geschehen, sondern nach einem bestimmten Plan. Man muß erziehen auf Güter und Werte hin. Wer keine Güter anerkennt und keine Werte, der kann auch nicht erziehen, und man muß die rechten Güter und die rechten Werte haben, auf die hin man die Kinder erzieht.

Die Erziehung bedient sich vor allem dreier Mittel, erstens der Belehrung, zweitens des Beispiels und drittens der Autorität. Es ist notwendig, die Kinder immer wieder zu belehren. Der ständige Anreiz, der von der wiederholten Belehrung ausgeht, vermag in den Kindern bestimmte Verhaltensweisen zu begründen. Ebenso wichtig ist das Beispiel, ja nach Seneca ist das Beispiel sogar wichtiger als die Belehrung, denn das Beispiel spricht deutlicher, es ist ja eine Belehrung durch die Tat. Selbstverständlich kann auch der Gebrauch, der maßvolle und konsequente Gebrauch der Autorität nicht entbehrt werden. Die Eltern haben eine Autorität. Sie sind über die Kinder gesetzt, und die Kinder sind ihnen Gehorsam schuldig in allen Dingen, die sie zu Recht gebieten. Für die Anwendung der Autorität gelten drei Grundsätze, erstens: Niemals die Kinder erbittern. Der heilige Paulus weist gerade auf diesen Punkt besonders deutlich hin; also nicht durch ungerechtes Verhalten Erbitterung in den Kindern erzeugen.  Zweitens: Keine Parteilichkeit! Man darf nicht die einen Kinder den anderen vorziehen. Man darf nicht das eine Kind nach dem anderen benachteiligen. Kinder müssen spüren, daß die Eltern ihre Autorität objektiv, und das heißt nach sachlichen Gesichtspunkten, ausüben. Und drittens: Kein Zwiespalt. Es darf bei den Eltern, wenn sie ihre Autorität gebrauchen, keine Gegensätze geben. Es darf nicht der Vater gegen die Mutter und die Mutter gegen den Vater arbeiten. Sie müssen sich einig sein im Gebrauch ihrer Autorität. Wenn diese Grundsätze angewandt werden, dann sind die vier Gebiete zu besprechen, auf denen sich die Erziehung zu betätigen hat.

Sie muß sich erstens auf dem leiblichen Gebiet, auf dem Gebiet der leiblichen Erziehung bewähren. Die Eltern müssen den Kindern reichen, was sie für das leibliche Leben nötig haben. Sie müssen ihnen Nahrung, Kleidung, Wohnung bieten, auch Vorsorge für die Zukunft. Sie müssen darauf bedacht sein, das Leben der Kinder zu erhalten und zu schützen. Dazu sind viele Maßnahmen notwendig, von der Gesundheitspflege angefangen bis zu der kräftigen und dienlichen Ernährung. Die Kinder müssen durch Bewegung, Sport, Arbeit körperlich ertüchtigt werden. Es ist falsch, wenn man sagt, Kinder sollten nicht arbeiten. Kinder sollen arbeiten, freilich nur solche Arbeiten verrichten, denen sie gewachsen sind, Arbeiten, die ihrem Zustand, ihrem Alter angemessen sind; natürlich nicht im Übermaß, sondern in dem einem bestimmten Kind angemessenen Maße. Die Arbeit erzieht, und deswegen sollten wir den Kindern die Arbeit nicht ersparen. Es ist ganz falsch, wenn Mütter ihren Kindern alles abnehmen und sie nicht zu den möglichen und notwendigen Arbeiten in Haus und Hof heranziehen.

Die körperliche Erziehung muß zweitens begleitet sein von der geistigen. Der Geist der Kinder soll ja entwickelt werden. Er ist im Kinde vorhanden, und das unterscheidet ein Kind von jedem Tier; aber er bedarf der Entwicklung. Diese Erziehung im Geistigen ist selbstverständlich an erster Stelle der Schule anvertraut. Die Schule entwickelt den Geist der Kinder durch Lernen, und die Eltern haben die ernste Verpflichtung, eine möglichst gute Schule für ihre Kinder zu wählen, die schulischen Anstrengungen zu unterstützen, sich hinter die Lehrer zu stellen und nicht etwa die Kinder gegen die Lehrer aufzubringen, was leider Gottes nicht selten ist. Die schulische Erziehung ist grundlegend, aber sie ist nicht die einzige Weise, wie man geistig erzieht. Es muß auch eine geistige Erziehung in der Familie statthaben. Ich habe in meiner Schulzeit immer gemerkt, aus welchem Elternhaus Kinder kommen. Wenn der Vater ein Lehrer war, dann hatten diese Kinder den anderen regelmäßig viel voraus. Sie hatten eben auch im Elternhaus eine Schule der Bildung. Die Kinder, die nicht das Glück haben, Pädagogen als ihre Eltern zu haben, müssen auch möglichst im Elternhaus geistig gebildet werden. Das Elternhaus soll nicht nur eine Erwerbs- und Ernährungsgemeinschaft sein, es soll auch eine Bildungsgemeinschaft sein. Das kann in vielfacher Weise geschehen, etwa indem Eltern ihre Kinder zum zeitgerechten und ordentlichen Erledigen der Schularbeiten anhalten, indem sie ihnen Lesestoff bieten, indem sie mit ihnen Bildungsveranstaltungen besuchen, etwa ein Museum oder eine Ausstellung. Auch einfache Eltern können ihren Kindern Bildungsgut vermitteln. Durch die geistige Erziehung werden die Kinder ertüchtigt, einen Beruf zu erlernen. Die Schule ist häufig richtunggebend für den Beruf, den ein Kind später wählt. Dieser Beruf sollte nach Neigung und Vorbildung, aber auch nach den Kräften gewählt werden.

Das dritte Gebiet, auf dem sich die Erziehung betätigen muß, ist das sittliche. Die Kinder müssen ihre Pflichten gegen Gott, gegen den Nächsten und gegen sich selbst kennenlernen. Der Verstand muß ausgebildet werden, daß sie ihre Pflichten kennenlernen. Eine Pflicht ist eine verbindliche Aufgabe oder Handlung, gegenüber der der Einzelne sich verantwortlich weiß. Es ist ganz entscheidend, meine lieben Freunde, daß die Kinder lernen, was Pflicht ist. Pflicht ist etwas andere als Lust und Laune, Pflicht ist etwas anderes als Bequemlichkeit und Sucht. Die Pflicht muß den Kindern von Anfang an eingeflößt werden, damit sie lernen, sich den Pflichten zu beugen, daß sie vor keiner Schwierigkeit ausweichen und daß sie keine Bequemlichkeit zum Anlaß nehmen, um der Pflicht zu entgehen. Diese Pflichten müssen aber auch eingeübt werden. Es muß der Wille gekräftigt werden hin auf das Gute. Es müssen Tugenden erworben werden. Tugenden sind Fertigkeiten im Guten. Tugenden erwirbt man nur durch Einübung, indem man immer wieder dieselbe gute Handlung setzt und so den Charakter bildet. Die Charakterbildung soll den jungen Menschen prägen, indem ihm Wertvorstellungen, Ordnungen und Prinzipien eingeprägt werden, etwa den Grundsatz: Erst das Notwendige, dann das Nützliche, dann das Angenehme. Wer diese Ordnung in seinem Leben beherzigt, der hat schon einen großen Teil seiner Lebensaufgabe erfüllt. Erst das Notwendige, dann das Nützliche und erst zum Schluß das Angenehme.

Die sittliche Erziehung freilich hängt in der Luft, wenn sie nicht viertens durch die religiöse Erziehung gestützt wird. Wie will man denn die sittlichen Gebote begründen, ohne auf den göttlichen Gesetzgeber zu verweisen? Man kann die Kinder mit ihrer Sittlichkeit nur an Gott binden, sonst bleibt ein bloßer Utilitarismus, ein Nützlichkeitsdenken, übrig. Man muß also die Kinder lehren, Gott zu erkennen und Gott zu lieben. Man muß ihnen Freude an Gott und am Gottesdienst beibringen. Die religiösen Übungen sind eine Pflicht, aber sie sollen eine liebe Pflicht sein. Sie sollen eine Pflicht sein, der man gerne nachkommt. Man soll nicht sagen: Ich habe keine Lust, in die Kirche zu gehen, aber man soll auch nicht sagen: Ich muß in die Kirche gehen. Man soll sagen: Ich darf in die Kirche gehen, ich darf beten, ich darf zum Vater im Himmel sprechen, ich darf die heilige Kommunion empfangen, und ich bin so glücklich, daß ich mich mit meiner Schuld vor Gottes Richterstuhl einfinden darf und gewiß bin, daß mir meine Sünden im Bußsakrament vergeben werden. Wie glücklich sind wir katholischen Christen, daß wir beichten dürfen, daß wir mit Gewißheit erfahren: Deine Sünden sind dir vergeben. Also noch einmal: Die Religion soll als Pflicht gelehrt werden, aber es soll eine Pflicht sein, der man mit Freude nachkommt. Man kann auch nicht mit der religiösen Erziehung, wie das manche vorschlagen, bis zum 14. oder 18. Lebensjahr warten. Nein, nicht das Leben soll zur Religion erziehen, sondern die Religion soll für das Leben erziehen, und wer die Kinder als religiöse Analphabeten hinausschickt, der wird erleben, wie sie scheitern und im Strudel des Lebens untergehen.

Vor allem ist wichtig, meine lieben Freunde, daß die Religion zur Überzeugung wird. Eine Überzeugung ist eine Haltung, die durch Einsicht einem zu eigen geworden ist. Überzeugung hat man, wenn man von der Notwendigkeit, der Nützlichkeit, dem Wert und der Verpflichtung einer Lehre oder einer Einrichtung gleichsam überführt ist. Und das ist eigentlich das Entscheidende, was wir versuchen müssen, in unseren Kindern aufzubauen: Überzeugungen. Die Überzeugung, daß die Religion wahr ist; die Überzeugung, daß wir Christen ein Selbstbewußtsein haben dürfen, weil uns Gott seine Gnade und seine Wahrheit geschenkt hat; Überzeugung, daß ein Wesen, das nicht betet, entweder ein Tier oder ein Teufel ist. Das Tier kann nicht beten, der Teufel will nicht beten. Überzeugungen zu begründen, das muß das Ziel unserer religiösen Erziehung sein.

Freilich, meine lieben Christen, man kann sich von allem lösen. Man kann auch eine Überzeugung abwerfen. Es geschieht das gewöhnlich nach und nach. Der Teufel bedient sich ja der Zwiebelmethode. Das heißt: Er löst eine Schale nach der anderen ab, bis nichts mehr übrig ist von dem religiösen Wissen und der religiösen Überzeugung. Er beginnt damit, daß er sagt: Ach, man braucht nicht lange zu beten. In der Kürze liegt die Würze. Er sagt: Du brauchst nicht jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, ab und zu mal. Er sagt: Du brauchst nicht regelmäßig zur Beichte zu gehen; wenn du die Osterbeichte hältst, genügt es. Das ist die Zwiebelmethode. Auf diese Weise schält der Satan eine Übung nach der anderen von dem Menschen ab und führt ihn allmählich dazu, daß von seiner religiösen Übung und Praxis nichts mehr übrig bleibt und die Überzeugung dadurch verloren geht.

Man kann sich jeder, auch der besten Erziehung entziehen. Wenn Eltern bei mißratenen Kindern fragen und klagen: Ja, was haben wir denn versäumt? Was haben wir unterlassen? Wo sind wir schuldig geworden?, so muß man sagen: Jawohl, es gibt wohl kaum Eltern, die sagen können: Wir haben alles getan, was wir hätten tun können. Es gibt ohne Zweifel Fehler und Versäumnisse von Eltern; aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen muß man sagen: Wenn du alles getan hättest, was zu tun du imstande warst, wäre dein Kind immer noch fähig, sich diesen Einflüssen zu entziehen. Durch Verführung und Verlockung von außen kann auch die beste Erziehung zunichte gemacht werden. Das soll uns nicht entmutigen und soll uns die Zuversicht auf den Nutzen der Erziehung nicht nehmen, aber es soll uns auch in der Überzeugung festigen: Es muß das Kind von eigenem Vermögen etwas dazu tun, damit die Samenkörner, die gesät worden sind, aufgehen und das ganze Leben über den Weg des Kindes begleiten.

Im Buche Josue ist die Rede davon, wie das Volk in der Mehrheit sich zu fremden Göttern wenden will. Josue tritt auf und hält ihm seine Verfehlungen vor, und dann spricht er das stolze und tapfere Wort: „Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!“ Das soll auch, meine lieben Freunde, in unseren Herzen und in unserer Erziehung das entscheidende Wort sein: „Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!“

Amen.

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